Alkohol und Demenz: Ein komplexer Zusammenhang

Die Frage, ob ein gelegentliches Glas Alkohol schadet oder sogar nützt, ist komplex und wird kontrovers diskutiert. Es ist gesichert, dass hoher Alkoholkonsum ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Demenz ist. Umgekehrt gibt es Hinweise darauf, dass ein maßvoller Konsum möglicherweise sogar schützende Effekte haben könnte. Dieser Artikel beleuchtet den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Demenz aus verschiedenen Perspektiven und gibt Empfehlungen für den Umgang mit Alkohol im Hinblick auf die Demenzprävention.

Alkohol als Risikofaktor für Demenz

Eine Übersichtsarbeit deutscher Wissenschaftler analysierte sieben Studien und schätzte den Einfluss des Alkoholkonsums auf die Entwicklung einer Demenzerkrankung in 33 europäischen Ländern. Bei 67.726 Demenzfällen in der Altersgruppe der 45- bis 64-Jährigen wurde ein risikoreicher Alkoholkonsum im Jahr 2019 mit 3.536 dieser Fälle in Verbindung gebracht. Diese Zahlen unterstreichen die Bedeutung des Alkoholkonsums als potenziellen Risikofaktor für Demenz, insbesondere für früh einsetzende Demenz, die sich bereits vor dem 65. Lebensjahr bemerkbar macht. Hochrisikoreicher Konsum erhöht das Risiko für leichte kognitive Beeinträchtigungen (Mild Cognitive Impairment, MCI) und Demenz. Demnach sind in der Altersgruppe der 45- bis 64-Jährigen bei geschätzt 3,2 Prozent der Frauen bzw.

Die Forscher führten auch eine geschlechtsspezifische Analyse durch, um Unterschiede im Krankheitsrisiko zwischen Männern und Frauen aufzudecken und geschlechtsspezifische Krankheitsmechanismen zu identifizieren. Alkoholabhängige - sowohl Frauen als auch Männer - haben ein erheblich höheres Demenzrisiko.

Eine französische Studie der Sorbonne Universität Paris aus dem Jahr 2018 legt nahe, dass regelmäßiger starker Alkoholkonsum ein Risikofaktor für eine früh beginnende Demenz vor dem 65. Lebensjahr ist. Gesundheitsökonomen um Dr. Michaël Schwarzinger von der Sorbonne in Paris werteten Klinikentlassungsdaten von fast allen Franzosen aus, die zwischen 2008 und 2013 in einer Klinik in Frankreich stationär aufgenommen worden waren. Von den unter 65-Jährigen Demenzkranken hatten 57 % ein Alkoholproblem oder eine Alkoholfolgeerkrankung, und zwar 67 % der Männer sowie 39 % der Frauen. Umgekehrt ist eine Alkoholerkrankung unabhängig vom Alter nach diesen Daten der stärkste modifizierbare Risikofaktor für eine Demenz: Die Demenzinzidenz ist bei Alkoholkranken rund viereinhalbfach höher als in der übrigen Bevölkerung.

Schädigung des Gehirns durch Alkohol

Eine der Hauptursachen für die Schädigung des Gehirns durch Alkohol ist die toxische Wirkung des Alkohols auf die Gehirnzellen. Langfristiger Alkoholkonsum kann zu Schäden an den Nervenzellen führen, die für Gedächtnis, Denken und andere kognitive Fähigkeiten verantwortlich sind. Studien zeigen, dass sich das Demenzrisiko deutlich erhöht, wenn man regelmäßig viel Alkohol trinkt. Personen ab 45 Jahren, die mehr als 24 Gramm reinen Alkohol (ca. 250 ml Wein) am Tag trinken, sind besonders gefährdet.

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Schon eine Flasche Bier am Tag lässt die graue sowie die weiße Substanz im Gehirn schrumpfen, wenn man über einen langen Zeitraum regelmäßig konsumiert. Die Veränderungen, die Alkohol in den Gehirnsubstanzen verursacht, sind jedoch nicht linear: Je mehr man trinkt, desto schneller schrumpft das Gehirn. Ein Beispiel: Erhöht eine 50-jährige Person ihren täglichen Alkoholkonsum von einem 0,25l Glas Bier auf eine 0,5l Flasche Bier, entsprechen die Veränderungen im Gehirn einer Alterung von zwei Jahren. Alkohol beeinträchtigt auch andere kognitive Fähigkeiten: Aufmerksamkeit, Orientierung oder die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung. Jüngere Studien weisen darauf hin, dass regelmäßiger Alkoholkonsum von bereits fünf bis sechs Standardgläsern pro Woche die kognitive Leistungsfähigkeit vermindert.

Korsakow-Syndrom

Das Korsakow-Syndrom ist eine vor allem bei Alkoholikern auftretende Form des Gedächtnisschwunds. Betroffene sind nicht in der Lage, neue Gedächtnisinhalte zu speichern oder wiederzugeben. Außerdem können sie oft Erlebnisse aus ihrer Vergangenheit nicht mehr wiedergeben. Lücken im Gedächtnis werden beim Korsakow-Syndrom zum Teil mit erfundenen Geschichten aufgefüllt, die Betroffenen begreifen den Verlust der Erinnerungen nicht.

Mögliche schützende Effekte von moderatem Alkoholkonsum

Es gibt auch Hinweise darauf, dass ein moderater Alkoholkonsum möglicherweise eine schützende Wirkung auf das Gehirn haben könnte. Einige Studien deuten darauf hin, dass Menschen, die nur selten oder mäßig Alkohol trinken, möglicherweise vor der Entwicklung einer Demenz geschützt sein könnten.

Eine aktuelle Studie der Universität Kopenhagen hat berichtet, dass das Sterberisiko im frühen Stadium der Alzheimer-Erkrankung sinkt, wenn sich Patienten gelegentlich ein Glas gönnen. Allerdings handelt es sich bei dieser Studie um eine reine Beobachtungsstudie, weshalb man nicht schlussfolgern kann, dass moderater Alkoholkonsum das Sterberisiko von Patienten mit Alzheimer Demenz senkt. Zudem ist sie bisher weltweit die einzige Studie zu dieser Frage. Daher stehen unabhängige Bestätigungen der Ergebnisse noch aus. Davon abgesehen ist ihre Aussagekraft aufgrund eines sehr geringen Stichprobenumfangs stark limitiert.

Tatsächlich zeigen die meisten Studien, dass Menschen, die einen moderaten Alkoholkonsum berichteten, in der Folgezeit mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit an einer Demenz erkrankten als diejenigen, die keinen Alkohol zu sich nahmen. Der Zusammenhang zwischen Alkoholmenge und Demenzrisiko im Allgemeinen ist J-förmig, d.h. leicht erhöht bei Abstinenten, mehr oder weniger deutlich vermindert bei moderatem Konsum und dann wieder steil zunehmend bei höherem Konsum oder Alkoholmissbrauch.

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Mögliche Mechanismen der Schutzwirkung

Wie ist ein solch positiver Effekt des Alkohols zu erklären? Zunächst ist nochmals zu betonen, dass zwar der Zusammenhang zwischen moderatem Trinken und verringerter Sterblichkeit mehrfach bestätigt werden konnte, der Grund dafür jedoch noch längst nicht geklärt ist. Einerseits ist es nicht auszuschließen, dass sich unter den Abstinenten gehäuft vormalige Alkoholiker befinden, die aufgrund ihres früheren Alkoholmissbrauchs einem höheren Risiko für Krankheit und Tod ausgesetzt sind. Andererseits ist zudem nicht ausreichend bekannt, ob das Trinken wegen eines verschlechterten Gesundheitszustandes aufgegeben wurde oder ob nicht sogar der über viele Jahre symptomfrei verlaufende Demenzprozess Auswirkungen auf das Trinkverhalten hatte.

Mögliche protektive Effekte bei moderatem Alkoholkonsum lassen sich vor allem mit zwei Mechanismen erklären. Zum einen hat moderater Alkoholkonsum eine positive Auswirkung auf das Herz-Kreislauf-System, indem die Verklumpung der Blutplättchen und Entzündungen gehemmt werden und das Lipidprofil des Blutes verbessert wird. In der Bildgebung findet man bei maßvollen Alkoholkonsumenten, im Vergleich zu Abstinenten, weniger Verletzungen der weißen Substanz, weniger Hirninfarkte und größere Volumina der beiden Hirnregionen Hippocampus und Amygdala. Des Weiteren enthalten Alkoholika etliche antioxidative Stoffe, die unter Umständen dem oxidativen Stress im alternden Gehirn entgegen wirken können.

Definition von moderatem Alkoholkonsum

Wo genau die Grenzen zwischen protektiver Wirkung des Alkoholkonsums und dem Bereich bei dem sich Demenzrisiko erhöht liegen, ist nicht präzise zu beziffern, da die Studien keine einheitlichen Definitionen der Alkoholmenge verwendet haben. Beschreibungen der Trinkmenge in den Gruppen mit dem geringsten Risiko lauteten z.B. „1-21 Drinks pro Woche bei den Männern, 1-14 Drinks pro Woche bei den Frauen“ oder „8 bis 168 Gramm Alkohol pro Woche bei den Männern und 8-112 Gramm bei den Frauen“. Die eingangs erwähnte Kopenhagener Studie fand das geringste Sterberisiko in der Gruppe mit dem Verzehr von 2-3 Einheiten von 12g/15mL reinem Alkohol pro Tag (entspricht etwa 0,25 bis 0,4 Litern Weißwein). In einer französischen Studie befand sich die stärkste Risikoreduktion in der Gruppe mit einem täglichen Konsum von 0,25 bis 0,5 Litern Wein.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Ergebnisse auf Selbstauskünften beruhen, die vermutlich häufig in sozial erwünschter Weise geschönt waren. Die reale Menge könnte deswegen auch etwas höher liegen.

Empfehlungen für den Umgang mit Alkohol im Hinblick auf Demenzprävention

Es kann beim gegenwärtigen Kenntnisstand ein protektiver Effekt von kleineren Mengen Alkohol auf neurodegenerative Erkrankungen nicht ausgeschlossen werden. Jedoch sind auch die neurotoxischen Effekte von Alkohol gut bekannt und es gibt bisher keinen überzeugenden Hinweis darauf, dass sich bei vormals Abstinenten durch moderaten Alkoholkonsum das Demenzrisiko verringern ließe. Deshalb würde man weder einem abstinenten Menschen empfehlen, besser hin und wieder mal ein Gläschen Alkohol zu trinken, noch würde man in Anbetracht der empirischen Befunde einem Menschen mit Demenz vom moderaten Konsum abraten müssen, sofern keine anderen zwingenden Umstände dafür sprechen.

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Generell gilt:

  • Vermeiden Sie hohen Alkoholkonsum: Gesichert ist, dass hoher Alkoholkonsum ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Demenz ist.
  • Wenn Sie Alkohol trinken, dann in Maßen: Ein moderater Alkoholkonsum könnte möglicherweise sogar schützende Effekte haben, aber die Studienlage ist hierzu nicht eindeutig.
  • Berücksichtigen Sie individuelle Risikofaktoren: Faktoren wie Alter, Geschlecht, genetische Veranlagung und Vorerkrankungen spielen eine Rolle bei der Beurteilung des individuellen Risikos.
  • Sprechen Sie mit Ihrem Arzt: Besprechen Sie Ihren Alkoholkonsum mit Ihrem Arzt, um eine individuelle Empfehlung zu erhalten.

Alkohol und Demenz bei Betroffenen

Demente Menschen sollten normalerweise keinen Alkohol trinken, da dies zu einer Verschlechterung ihrer kognitiven Fähigkeiten führen kann. Demente Menschen haben oft Schwierigkeiten, die Konsequenzen ihres Handelns zu verstehen, was dazu führen kann, dass sie übermäßig viel Alkohol trinken. Es ist wichtig, dass Betreuer und Familienmitglieder von dementen Menschen sich bewusst sind, dass Alkohol die Symptome der Demenz verschlimmern kann. Es ist daher empfehlenswert, dass demente Menschen keinen Alkohol trinken sollten und dass ihre Betreuer dafür sorgen, dass alkoholische Getränke nicht zugänglich sind.

Wenn demente Menschen Alkohol trinken, kann dies zu einer erhöhten Reizbarkeit, Unruhe, Aggressivität und Verwirrung führen. Es ist wichtig zu beachten, dass nicht alle dementen Menschen, die Alkohol trinken, aggressiv werden, aber das Risiko dafür kann höher sein als bei nicht-dementen Menschen. Wenn ein dementer Mensch bereits aggressiv ist, sollte man versuchen, die Auslöser für das Verhalten zu identifizieren und Strategien zur Beruhigung zu entwickeln. Hierbei kann auch professionelle Hilfe von einem Arzt oder Therapeuten erforderlich sein.

Pflegeheime brauchen eine Entscheidung, wie sie mit dem Thema Alkohol in der Einrichtung umgehen. „Es ist ihr zuhause, wir können den Bewohnern keine Vorschriften machen“ ist zu kurzfristig gedacht. Es gilt Entscheidungen zu fällen. Eigentlich ist es ganz einfach: die meisten BewohnerInnen nehmen Medikamente, die zusammen mit Alkohol reagieren - das betrifft z.B. auch den Diabetiker, der seinen Blutzucker erhöht durch Alkoholkonsum. So können Führungskräfte entscheiden, dass in der Einrichtung offiziell nur alkoholfreies Bier angeboten wird.

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