Der Zusammenhang zwischen Herpesviren und Alzheimer-Krankheit: Aktuelle Forschungsergebnisse

Die Alzheimer-Krankheit ist eine seit über 100 Jahren beschriebene Erkrankung, deren eigentliche Ursache trotz großer Anstrengungen noch immer nicht vollständig bekannt ist. Sie macht zwei Drittel aller Demenzerkrankungen aus. Aktuell wird von mehr als 55 Millionen Erkrankten weltweit ausgegangen. Hochrechnungen zeichnen ein dramatisches Szenario mit 106 bis 360 Millionen Erkrankten im Jahr 2050. In den vergangenen Monaten haben jedoch immer mehr Forschende in neuen Studien den Einfluss von Virus-Infektionen auf die Entstehung von Demenz-Erkrankungen untersucht. Diese Studien legen nahe, dass auch die Alzheimer-Demenz, andere Formen von Demenzen und weitere neurodegenerative Krankheiten wie Morbus Parkinson, Multiple Sklerose und dementielle Syndrome bei Long-Covid und Post-Covid im Zusammenhang mit Viren-Belastungen stehen könnten.

Herpesviren: Eine weit verbreitete Virusfamilie

Herpesviren sind weit verbreitet. Gemäß der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben sich 95 % der Weltbevölkerung vor ihrem 20. Lebensjahr mit dem Varizella-Zoster-Virus infiziert, und 3,7 Milliarden Menschen im Alter unter 50 Jahren tragen den Herpes Simplex Virus (HSV-1) in sich. Zu den bekannten Herpesviren gehören der Virus Herpes Zoster (Gürtelrose), Herpes Simplex (Lippenbläschen) und Varizella-Zoster (Windpocken).

Das Fatale dabei ist, dass Herpes-Viren über Jahre nach einer Infektion meist unbemerkt bleiben. Sie schlafen sozusagen unentdeckt und versteckt im menschlichen Organismus, lagern sich auch an die Nervenenden an und legen in dieser Zeit fast ihr gesamtes Erbgut still, so dass im latenten Zustand keine neuen Viren gebildet werden. Ergo manifestieren sich in dieser Zeit auch keine Herpes-assoziierten Erkrankungen.

Frühe Hinweise auf einen Zusammenhang

Schon früher sahen Forschende einen Zusammenhang zwischen Herpes-Viren und Demenz. In ihren Studien fanden die amerikanischen und britischen Wissenschaftler:innen nun in Hirngewebe-Modellen heraus, dass im Falle einer singulären Infektion mit dem Varizella-Zoster zwar noch keine Amyloid- und Tau-Proteine gebildet werden; ist jedoch gleichzeitig bereits ein schlafender Herpes Simplex-Virus in den Neuronen angesiedelt, weckt ihn sein Verwandter, der Varizella-Zoster, auf und der aufgewachte Herpes Simplex lässt die Protein-Bildung dramatisch ansteigen. Dies führt in der Folge zur bekannten Degeneration der neuronalen Funktionen, also zu Alzheimer-Demenz und anderen Demenz-Formen. Darüber hinaus stellten die Wissenschaftler:innen fest, dass Varizella-Zoster im Gewebeproben-Modell zur Zytokin-Produktion führt. Zytokine, wie etwa Interferone oder Interleukine, sind Botenstoffe, die Effekte auf Entzündungsprozesse haben und bei einer Reaktion des Immunsystems ausgebildet werden.

Mit Medikamenten lassen sich diese Viren nicht zerstören, derzeit soll lediglich deren Vermehrung gehemmt werden können.

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Aktuelle Forschungsergebnisse und Studien

Retrospektive Studie aus den USA

Eine retrospektive Fall-Kontroll-Studie aus den USA deutet darauf hin, dass Infektionen mit dem Herpes-simplex-Virus 1 (HSV-1) in der Entstehung der Alzheimerkrankheit eine Rolle spielen könnten - und dass antivirale Medikamente einen schützenden Effekt haben könnten.

Studie der Uppsala University

Eine Studie der Uppsala University hat den Zusammenhang zwischen dem Herpesvirus und einer Demenz bestätigt. Die Forscher:innen haben 1.000 über 70-jährige Personen 15 Jahre lang begleitet. Das Herpes simplex-Virus Typ 1 (HSV-1) steht dabei am meisten mit dem Risiko einer Demenz in Zusammenhang. Die leitende Wissenschaftlerin Erika Vestin hat den Zusammenhang zwischen dem Herpesvirus und einer Demenz bestätigt. Details wurden im Journal of Alzheimer's Disease publiziert.

Weltweit leiden mehr als 55 Mio. Menschen an einer Demenz. Allein in Schweden tragen 80% der erwachsenen Bevölkerung den HSV-1-Typus in sich. In den USA liegt dieser Wert zwischen 57 und 80%. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden weltweit mehr als 55 Mio. Menschen an einer Demenz. Und fast 10 Mio. Mio. Patient:innen werden jedes Jahr eine entsprechende Diagnose erhalten. 2030 soll die Anzahl der Erkrankten auf 78 Mio. Menschen ansteigen. Die Kausalität des Zusammenhangs zwischen HSV-1 und der Entstehung einer Demenz ist, so Vestin, jedoch bisher nicht handfest zu erklären.

Langzeitstudie in Schweden

Schwedische Forschende haben in einer Langzeitstudie, die in der Fachzeitschrift "Journal of Alzheimer's Disease" veröffentlicht wurde, Hunderte 70-Jährige über einen Zeitraum von 15 Jahren beobachtet, um den Zusammenhang zwischen Herpesviren und Alzheimer genauer zu untersuchen. Das Ergebnis: Von den 1002 Teilnehmern waren 82 Prozent Träger von HSV-1-Antikörpern. Das bedeutet, dass ihr Immunsystem dem Erreger irgendwann in der Vergangenheit ausgesetzt war. Bei diesen Patientinnen und Patienten sei die Wahrscheinlichkeit, im Laufe der Studie an Demenz zu erkranken, doppelt so hoch gewesen wie bei denen, die keine HSV-1-Antikörper trugen, schreiben die Autorinnen und Autoren.

Erika Vestin von der Universität Uppsala in Schweden betont, dass das Besondere an dieser Studie sei, dass die Teilnehmer ungefähr gleich alt sind, da Altersunterschiede, die sonst mit der Entwicklung von Demenz in Verbindung gebracht werden, die Ergebnisse nicht verfälschen können. Zudem bestätigten sie frühere Studien. Es gibt immer mehr Hinweise aus Studien, die wie unsere Ergebnisse darauf hindeuten, dass das Herpes-Simplex-Virus ein Risikofaktor für Demenz ist.

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Forschungsprojekt von Dr. Oliver Goldhardt

Dr. Oliver Goldhardt widmet sich in einem neuen Forschungsprojekt der Frage, ob das Herpes-Virus den Krankheitsverlauf bei bereits an Alzheimer erkrankten Menschen beschleunigt. In seiner Studie untersucht Dr. Goldhardt 100 Personen, die sich im frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit befinden. Er misst die Aktivität des Herpes-Virus und vergleicht diese mit anderen Viren.

Im gesunden Gehirn ist das lösliche Protein Beta-Amyloid in der Lage, ein schädliches Zusammenspiel zwischen Herpes-Viren und Nervenzellen zu blockieren. Bei der Alzheimer-Krankheit verändert sich dieses lösliche Protein allerdings und lagert sich zu Verklumpungen ab, zu den sogenannten Amyloid-Plaques. Die Konzentration der löslichen Proteine, die einen Schutz vor dem Herpes-Virus bieten, nimmt mit der Alzheimer-Erkrankung also ab. Dr. Oliver Goldhardt untersucht mit seiner Arbeitsgruppe, ob und wie Herpes-Viren zum Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit beitragen.

Falls sich bestätigt, dass das Herpes-Virus für Alzheimer-Betroffene zu einem schnelleren Krankheitsverlauf führt, könnte eine Herpes-Behandlung zum Bestandteil der Alzheimer-Therapie werden. Bei Therapien, die auf Beta-Amyloid-Ablagerungen abzielen könnte es wichtig werden zunächst die Herpes-Viruslast im Gehirn zu messen. Langfristig soll dieses Projekt zu einer individuellen und verbesserten Therapie von Alzheimer-Betroffenen führen.

Cytomegalievirus (CMV)

Neun von zehn Menschen, die das Alter von 80 Jahren erreicht haben, tragen das Cytomegalievirus in sich. Das CMV gehört zur Familie der Herpesviren und kann möglicherweise einen bestimmten Typus der Alzheimer-Krankheit auslösen. Es verbreitet sich über Körperflüssigkeiten wie Muttermilch, Speichel, Blut und Sperma. Nach der ersten Infektion ruht das Virus normalerweise. Eine CMV-Infektion verläuft bei Menschen mit einem gesunden Immunsystem normalerweise ohne oder mit nur leichten Symptomen. Bei manchen Menschen scheint das Virus möglicherweise lange aktiv zu bleiben und sich auf die "Superautobahn" zwischen Darm und Gehirn zu begeben, die wissenschaftlich als Vagusnerv bezeichnet wird.

Bei Patienten, die unter einer bestimmten Form von Alzheimer litten, fand das Wissenschaftsteam Antikörper gegen das Cytomegalievirus im Darm, in der Rückenmarksflüssigkeit und im Gehirn. Im Gehirn stimuliert das Virus offenbar die hirneigene Immunabwehr. Um diese kümmern sich die sogenannten Mikroglia-Zellen. Bei Alzheimer-Patienten sind die Mikroglia ständig überaktiv, was zu einer Neuroinflammation und zur Entstehung von Amyloid-Plaques und Tau-Tangles in der Großhirnrinde führt.

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Mögliche Mechanismen und Hypothesen

Amyloid-Beta als Abwehrmechanismus

Ein zentrales Merkmal der Alzheimer-Pathologie ist die Ablagerung von Amyloid-Beta-Peptiden im Gehirn, die sogenannten Plaques. Es gibt Hinweise darauf, dass diese Peptide Teil eines Abwehrmechanismus sein könnten. Eine etablierte Hypothese lautet: Kämpft unser Körper gegen die Virusinfektion tatsächlich mithilfe einer erhöhten Amyloid-Beta-Produktion - zu dem Preis einer späteren Plaquebildung und einer möglichen Alzheimer-Krankheit?

Herpesviren und Protein-Bildung

Amerikanische und britische Wissenschaftler:innen fanden in Hirngewebe-Modellen heraus, dass im Falle einer singulären Infektion mit dem Varizella-Zoster zwar noch keine Amyloid- und Tau-Proteine gebildet werden; ist jedoch gleichzeitig bereits ein schlafender Herpes Simplex-Virus in den Neuronen angesiedelt, weckt ihn sein Verwandter, der Varizella-Zoster, auf und der aufgewachte Herpes Simplex lässt die Protein-Bildung dramatisch ansteigen. Dies führt in der Folge zur bekannten Degeneration der neuronalen Funktionen, also zu Alzheimer-Demenz und anderen Demenz-Formen.

Zytokin-Produktion

Die Wissenschaftler:innen stellten fest, dass Varizella-Zoster im Gewebeproben-Modell zur Zytokin-Produktion führt. Zytokine, wie etwa Interferone oder Interleukine, sind Botenstoffe, die Effekte auf Entzündungsprozesse haben und bei einer Reaktion des Immunsystems ausgebildet werden.

Prävention und Therapie

Antivirale Therapie

Patienten, die keine antivirale Therapie erhalten haben, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, eine Alzheimer-Krankheit zu entwickeln. Laut der Expertin Erika Vestin sei die Diagnose und die Behandlung mit leicht zugänglichen Medikamenten gegen das Virus für die Betroffenen von Vorteil.

Derzeitige Behandlungsmöglichkeiten

Mit Medikamenten lassen sich diese Viren nicht zerstören, derzeit soll lediglich deren Vermehrung gehemmt werden können.

Mögliche zukünftige Therapieansätze

Falls sich bestätigt, dass das Herpes-Virus für Alzheimer-Betroffene zu einem schnelleren Krankheitsverlauf führt, könnte eine Herpes-Behandlung zum Bestandteil der Alzheimer-Therapie werden. Bei Therapien, die auf Beta-Amyloid-Ablagerungen abzielen könnte es wichtig werden zunächst die Herpes-Viruslast im Gehirn zu messen. Langfristig soll dieses Projekt zu einer individuellen und verbesserten Therapie von Alzheimer-Betroffenen führen.

Schutzmaßnahmen und Übertragung von Herpesviren

Einen Impfstoff gegen HSV-1 gibt es bislang nicht. Gleichzeitig ist das Virus sehr leicht übertragbar. Ein besonders hohes Risiko besteht bei direktem Kontakt mit den Bläschen oder Geschwüren, etwa beim Küssen oder beim Sex. Herpesviren können auch durch Tröpfchen- und Schmierinfektion weitergegeben werden, also zum Beispiel durch Husten, Niesen oder das gemeinsame Benutzen von Gläsern oder Besteck.

Weil Herpes so leicht übertragbar ist, gibt es keinen sicheren Schutz. Wichtig ist, den Kontakt mit Herpesbläschen und -geschwüren zu meiden - auch mit den eigenen, um nicht etwa Viren von den Lippen zu den Augen zu übertragen.

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