Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems, die das Gehirn und das Rückenmark betrifft. Sie ist durch vielfältige Symptome und unterschiedliche Verläufe gekennzeichnet, was sie zu einer komplexen und oft schwer vorherzusagenden Erkrankung macht. In Deutschland sind schätzungsweise 280.000 Menschen betroffen, weltweit etwa 2,8 Millionen. Frauen erkranken etwa doppelt so häufig wie Männer.
Was ist Multiple Sklerose?
Multiple Sklerose ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems. Das körpereigene Immunsystem greift fälschlicherweise die Myelinscheide an, die Schutzschicht um die Nervenfasern in Gehirn und Rückenmark. Diese Schädigung beeinträchtigt die Übertragung von Nervensignalen, was zu einer Vielzahl neurologischer Symptome führt.
Ursachen und Risikofaktoren
Die genauen Ursachen der Multiplen Sklerose sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren eine Rolle spielt:
- Genetische Veranlagung: Es gibt keine einzelnen MS-Gene, aber bestimmte Genvarianten erhöhen das Risiko, an MS zu erkranken. Die Krankheit ist jedoch keine klassische Erbkrankheit.
- Umweltfaktoren: Äußere Einflüsse scheinen eine wichtige Rolle bei der Krankheitsentstehung zu spielen. Dazu gehören:
- Virusinfektionen: Insbesondere das Epstein-Barr-Virus (EBV) wird mit einem erhöhten MS-Risiko in Verbindung gebracht. Fast alle MS-Patienten sind EBV-positiv.
- Rauchen: Rauchen erhöht das Risiko, an MS zu erkranken.
- Übergewicht in der Kindheit: Übergewicht im Kindesalter kann das MS-Risiko erhöhen.
- Darmflora: Die Zusammensetzung der Darmflora könnte ebenfalls eine Rolle spielen.
- Mögliche Schutzfaktoren: Sonneneinstrahlung und ein ausreichender Vitamin-D-Spiegel werden als mögliche Schutzfaktoren diskutiert.
Symptome der Multiplen Sklerose
Die Multiple Sklerose wird oft als die "Krankheit der 1000 Gesichter" bezeichnet, da sie eine große Vielfalt an Symptomen verursachen kann. Die Symptome sind von Person zu Person unterschiedlich und hängen davon ab, welche Bereiche des zentralen Nervensystems betroffen sind. Typische Symptome sind:
- Motorische Störungen: Muskelschwäche, Lähmungen, erhöhte Muskelspannung (Spastik), Koordinationsstörungen, Gangstörungen, verlangsamte Bewegungsabläufe.
- Sensibilitätsstörungen: Taubheitsgefühle, Kribbeln, "Ameisenlaufen", Schmerzen, Missempfindungen auf der Haut.
- Sehstörungen: Verschwommenes Sehen, Doppelbilder, Entzündung des Sehnervs (Optikusneuritis) mit Schmerzen beim Bewegen der Augen und Sehverschlechterung, unkontrollierte Augenbewegungen (Nystagmus).
- Fatigue: Vermehrte Ermüdbarkeit sowohl bei körperlicher als auch bei geistiger Betätigung, chronische Erschöpfung.
- Kognitive Beeinträchtigungen: Konzentrations-, Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisstörungen, verringerte geistige Leistungsfähigkeit.
- Blasen- und Darmstörungen: Gestörte Entleerung von Harnblase und/oder Darm, Inkontinenz, Verstopfung.
- Sexuelle Störungen:
- Weitere Symptome: Depressionen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Epilepsie.
Formen der Multiplen Sklerose
Es werden hauptsächlich drei Verlaufsformen der Multiplen Sklerose unterschieden:
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- Schubförmig-remittierende MS (RRMS): Bei dieser Form treten die Symptome in Schüben auf, gefolgt von Phasen der teilweisen oder vollständigen Erholung (Remission). Zwischen den Schüben ist die Erkrankung stabil. Dies ist die häufigste Form zu Beginn der Erkrankung (ca. 85%).
- Sekundär-progrediente MS (SPMS): Diese Form entwickelt sich oft aus der RRMS. Die Erkrankung verschlechtert sich fortschreitend, unabhängig von Schüben. Es können noch einzelne Schübe auftreten, oder die Erkrankung verläuft schubfrei.
- Primär-progrediente MS (PPMS): Diese Form ist von Beginn an durch eine langsame, kontinuierliche Verschlechterung der Symptome gekennzeichnet, ohne erkennbare Schübe. Sie betrifft etwa 10-15% der MS-Patienten.
Zusätzlich zu diesen Verlaufsformen gibt es noch das klinisch isolierte Syndrom (KIS) und das radiologisch isolierte Syndrom (RIS):
- Klinisch isoliertes Syndrom (KIS): Ein erster Schub mit MS-typischen Beschwerden, der aber noch nicht alle Kriterien für eine MS-Diagnose erfüllt.
- Radiologisch isoliertes Syndrom (RIS): Zufällig entdeckte Läsionen im MRT, die typisch für MS sind, bei Personen ohne MS-verdächtige neurologische Symptome.
Diagnose der Multiplen Sklerose
Die Diagnose der Multiplen Sklerose kann schwierig sein, da viele Symptome auch bei anderen Erkrankungen auftreten können. Es gibt keinen einzelnen Test, der die MS eindeutig beweist. Die Diagnose basiert auf einer Kombination verschiedener Untersuchungen und Kriterien:
- Anamnese und neurologische Untersuchung: Der Arzt erfragt die Krankengeschichte des Patienten und führt eine umfassende neurologische Untersuchung durch, um Art und Ausmaß der neurologischen Ausfälle festzustellen.
- Magnetresonanztomographie (MRT): Das MRT von Gehirn und Rückenmark ist ein wichtiges diagnostisches Instrument. Es ermöglicht die Darstellung von Entzündungsherden (Läsionen), die für MS typisch sind. Entscheidend sind die Form, Lokalisation, räumliche Ausbreitung (räumliche Dissemination) und zeitliche Ausdehnung (zeitliche Dissemination) der Läsionen.
- Untersuchung des Nervenwassers (Liquor): Bei einer Lumbalpunktion wird Nervenwasser entnommen und untersucht. Bei MS können Entzündungszellen und oligoklonale Banden (OKB) im Liquor nachgewiesen werden.
- Blutuntersuchungen: Blutuntersuchungen dienen in erster Linie dazu, andere Erkrankungen auszuschließen, die ähnliche Symptome wie MS verursachen können.
- Evozierte Potenziale: Diese Messungen überprüfen die Funktion von Nervenbahnen. Bei MS ist die Nervenleitgeschwindigkeit oft verlangsamt.
Die Diagnosekriterien für MS, die sogenannten McDonald-Kriterien, berücksichtigen alle diese Aspekte, um eine sichere Diagnose zu ermöglichen.
Therapie der Multiplen Sklerose
Die Multiple Sklerose ist derzeit nicht heilbar. Ziel der Behandlung ist es, die Symptome zu lindern, die Schübe zu reduzieren, das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Die Therapie basiert auf mehreren Säulen:
- Schubtherapie: Akute Schübe werden in der Regel mit hochdosiertem Kortison behandelt, um die Entzündung zu reduzieren und die Symptome zu lindern. In schweren Fällen kann auch eine Plasmapherese (Blutwäsche) eingesetzt werden.
- Verlaufsmodifizierende Therapie (Immuntherapie): Diese Therapie zielt darauf ab, das Immunsystem zu beeinflussen, um die Häufigkeit und Schwere der Schübe zu reduzieren und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. Es gibt eine Vielzahl von Medikamenten, die auf unterschiedliche Weise in das Immunsystem eingreifen (immunmodulierend oder immunsuppressiv). Die Wahl des Medikaments hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z.B. dem Krankheitsverlauf, der Krankheitsaktivität, dem Alter des Patienten und möglichen Begleiterkrankungen.
- Symptomatische Therapie: Diese Therapie konzentriert sich auf die Linderung der einzelnen Symptome, die durch die MS verursacht werden, wie z.B. Spastik, Schmerzen, Blasenstörungen, Fatigue oder Depressionen. Es gibt verschiedene Medikamente und nicht-medikamentöse Behandlungen, die zur Verfügung stehen.
- Rehabilitation: Eine Rehabilitation kann helfen, die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit zu verbessern und die Selbstständigkeit im Alltag zu erhalten. Sie umfasst verschiedene Therapieformen wie Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, neuropsychologische Therapie und Sporttherapie.
Leben mit Multipler Sklerose
Die Multiple Sklerose kann das Leben der Betroffenen in vielerlei Hinsicht beeinflussen. Es ist wichtig, sich frühzeitig mit der Erkrankung auseinanderzusetzen und sich Unterstützung zu suchen.
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- Regelmäßige körperliche Aktivität: Sport und Bewegung können helfen, die körperliche Fitness zu erhalten, die Fatigue zu reduzieren und die Stimmung zu verbessern.
- Gesunde Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst, Gemüse, Fisch und Vollkornprodukten kann sich positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken.
- Nicht rauchen: Rauchen ist ein Risikofaktor für MS und sollte vermieden werden.
- Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen kann sehr hilfreich sein.
- Psychologische Unterstützung: Bei Bedarf kann eine psychologische Beratung oder Therapie helfen, mit den emotionalen Belastungen der Erkrankung umzugehen.
Forschung und neue Entwicklungen
Die Forschung im Bereich der Multiplen Sklerose ist sehr aktiv. Es werden ständig neue Medikamente und Therapien entwickelt, die das Potenzial haben, den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen. Ein wichtiger Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung von Medikamenten, die das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen oder stoppen können, insbesondere bei der primär- und sekundär-progredienten MS, für die es bisher weniger Behandlungsmöglichkeiten gab.
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