Alternativen zu Pregabalin bei Nervenschmerzen

Nervenschmerzen, auch neuropathische Schmerzen genannt, sind eine besondere Herausforderung in der Schmerztherapie. Sie entstehen als direkte Folge einer Schädigung oder Erkrankung des somatosensorischen Nervensystems und unterscheiden sich grundlegend von nozizeptiven Schmerzen, die durch die Stimulation von Schmerzrezeptoren entstehen. Die korrekte Unterscheidung ist entscheidend, da sich die Therapieansätze erheblich unterscheiden. Während bei nozizeptiven Schmerzen Nicht-Opioid- und Opioid-Analgetika im Vordergrund stehen, erfordern neuropathische Schmerzen spezifischere Behandlungsstrategien.

Die Prävalenz chronischer neuropathischer Schmerzen in der Bevölkerung liegt bei etwa 7-10 %, wobei bei Patienten mit Diabetes mellitus sogar bis zu 34 % betroffen sind. Typische Beispiele für neuropathische Schmerzsyndrome sind die Postzosterneuralgie, die schmerzhafte Polyneuropathie, Schmerzen nach traumatischen Nervenläsionen sowie Schmerzen infolge von Rückenmarks- oder Hirnschädigungen. Klinisch äußern sich neuropathische Schmerzen häufig durch brennende Spontanschmerzen, schmerzhafte Berührungsempfindlichkeit (Allodynie) und Schmerzattacken.

Ursachen und Mechanismen neuropathischer Schmerzen

Nach einer Nervenläsion kommt es zu Veränderungen der neurophysiologischen Eigenschaften der betroffenen Nervenzellen. Dazu gehören spontane Aktivität, Re- und Degeneration geschädigter Axone sowie eine erhöhte Sensibilität gegenüber Reizen. Diese Prozesse führen zu Spontanschmerzen, thermischer Hyperalgesie und Schmerzattacken. Eine wichtige Rolle spielen dabei spannungsgesteuerte Natriumkanäle und TRP-Kanäle, die durch Medikamente wie Carbamazepin, Lidocain und Capsaicin beeinflusst werden können.

Ein weiterer Mechanismus ist die zentrale Sensibilisierung, eine neuronale Hyperexzitabilität im Rückenmark, die zu verstärktem Spontanschmerz, mechanischer Allodynie und Hyperalgesie führt. Diese Prozesse können durch Gabapentin, Pregabalin oder Opioide moduliert werden. Zudem spielt das körpereigene absteigende System, das die Schmerzsignalfortleitung im Rückenmark moduliert, eine wichtige Rolle. Antidepressiva verstärken die analgetische Wirkung, indem sie die Wiederaufnahme von Neurotransmittern wie Serotonin und Noradrenalin aus dem synaptischen Spalt hemmen.

Oftmals liegt auch ein „mixed pain“-Konzept vor, bei dem neuropathische Schmerzen mit nozizeptiven Schmerzkomponenten kombiniert auftreten, wie beispielsweise bei Diabetes mellitus mit einem Ulkusschmerz am Fuß und gleichzeitig bestehender schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie. In solchen Fällen ist eine kombinierte Therapie erforderlich, die sowohl auf die nozizeptive als auch auf die neuropathische Schmerzkomponente abzielt.

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Diagnosestellung und Klassifizierung

Die Diagnose neuropathischer Schmerzen basiert auf klaren Kriterien, die von der Neuropathic Pain Special Interest Group (NeuPSIG) der International Association for the Study of Pain (IASP) festgelegt wurden. Demnach gelten Schmerzen als „sicher“ neuropathisch, wenn sie eine plausible neuroanatomische Verteilung zeigen, anamnestische Hinweise auf eine Läsion oder Erkrankung vorliegen, die das somatosensorische System schädigen kann, und diese Hinweise klinisch oder apparativ nachgewiesen werden können. Zum Nachweis können elektrophysiologische (Neurographie, evozierte Potenziale) und bildgebende Verfahren (CT, MRT) eingesetzt werden.

Klinisch zeichnen sich neuropathische Schmerzen im Vergleich zu nozizeptiven Schmerzen durch Hyperalgesie und Allodynie aus. Diese Positivsymptome treten häufig in Kombination mit Negativsymptomen wie Hypästhesie auf, die ein Zeichen der Schädigung des somatosensorischen Systems sind. Es ist wichtig, zwischen peripheren (z.B. Polyneuropathie) und zentralen neuropathischen Schmerzen (z.B. nach Schlaganfall oder bei Multipler Sklerose) zu unterscheiden, wobei auch beide Formen gleichzeitig auftreten können. Die systemische medikamentöse Therapie unterscheidet sich jedoch nicht wesentlich zwischen peripheren und zentralen neuropathischen Schmerzen.

Grundregeln der Therapie

Eine Schmerztherapie sollte bei einem für den Patienten relevanten Schmerz so früh wie möglich begonnen werden. Es ist wichtig, realistische Therapieziele mit dem Patienten zu besprechen, da eine vollständige Schmerzfreiheit oft nicht erreicht werden kann. Eine Schmerzreduktion von 30-50 % gilt bereits als Erfolg. Es sollte beachtet werden, dass etwa 20-40 % der Patienten nicht ausreichend auf die Therapie ansprechen oder unter nicht tolerierbaren Nebenwirkungen leiden. Die pharmakologische Therapie richtet sich in der Regel nicht nach der Ätiologie des neuropathischen Schmerzes.

Zur Verbesserung der Compliance sollte der Patient vor Therapiebeginn über die verwendeten Substanzgruppen, potenzielle Neben- und Wechselwirkungen sowie den zeitlichen Ablauf der Dosierung und den verzögerten Wirkbeginn informiert werden. Die Therapieplanung sollte stets den Zulassungsstatus der einzelnen Wirksubstanzen berücksichtigen. Ergänzend zur Pharmakotherapie können nicht-pharmakologische Behandlungsverfahren wie Physiotherapie, Psychotherapie und transkutane elektrische Nervenstimulation eingesetzt werden.

Medikamentöse Therapieoptionen

Antikonvulsiva mit Wirkung auf neuronale Calciumkanäle

Gabapentin

Gabapentin wirkt auf die α2-δ-Untereinheit und reduziert den aktivierenden Calciumeinstrom in zentrale Neurone. Die Startdosis beträgt 3 × 100 mg, die schrittweise auf 1200-2400 mg in drei Einzeldosen erhöht werden kann. Die Maximaldosis liegt bei 3600 mg pro Tag. Eine Dosisanpassung an die Nierenfunktion ist erforderlich. Gabapentin wird übereinstimmend als „First-Line“-Medikament zur Therapie chronischer neuropathischer Schmerzen empfohlen.

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Pregabalin

Pregabalin ist ebenfalls ein Ligand an der α2-δ-Untereinheit der spannungsabhängigen Calciumkanäle auf peripheren und zentralen nozizeptiven Neuronen und reduziert dadurch den Calciumeinstrom. Die Startdosis liegt bei 1 × 25-50-75 mg - 2 × 25-50-75 mg. Eine Steigerung bis zur Enddosis um 50-75 mg alle drei bis vier Tage ist möglich. Die Maximaldosis beträgt 600 mg pro Tag, verteilt auf zwei Einzeldosen. Eine Dosisanpassung an die Nierenfunktion ist auch hier notwendig. Pregabalin wird ebenfalls als „First-Line“-Medikament empfohlen.

Antidepressiva

Trizyklische Antidepressiva (TCA) und selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) wirken sowohl antidepressiv als auch analgetisch. Bei TCA liegen die zur Schmerztherapie verwendeten Dosierungen jedoch unterhalb der antidepressiv wirksamen Dosis. Die analgetische Wirkung wird durch Verstärkung der deszendierenden schmerzhemmenden Bahnsysteme unter präsynaptischer Wiederaufnahmehemmung der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin erreicht. TCA blockieren zudem spannungsabhängige Natriumkanäle und haben sympathikolytische Eigenschaften.

Trizyklische Antidepressiva (TCA)

Bei Antidepressiva ist eine individuelle Titration in Abhängigkeit von Wirkung und Nebenwirkungen erforderlich. Die Startdosis liegt bei 10/12,5 mg oder 25 mg retardiert zur Nacht bei sedierenden TCA bzw. morgens bei aktivierenden Wirkstoffen. Die Dosis kann alle drei bis fünf Tage um 10-25 mg gesteigert werden. Die empfohlene Höchstdosierung in der Schmerztherapie beträgt 75 mg am Tag. TCA werden übereinstimmend als „First-Line“-Medikamente empfohlen.

Selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI), Beispiel Duloxetin

Die Startdosis liegt bei 30 mg morgens. Die Dosissteigerung sollte nach 7-14 Tagen abgeschlossen sein. Die Zieldosis beträgt 60 mg, die maximale Höchstdosis liegt bei 120 mg als Einmaldosis morgens. Duloxetin wird übereinstimmend als „First-Line“-Medikament empfohlen.

Alternativen zu Pregabalin

Obwohl Pregabalin einFirst-Line-Medikament bei neuropathischen Schmerzen ist, gibt es Situationen, in denen Alternativen in Betracht gezogen werden müssen. Dazu gehören:

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  • Unzureichende Wirksamkeit: Nicht alle Patienten sprechen auf Pregabalin an.
  • Nebenwirkungen: Einige Patienten erleben unerträgliche Nebenwirkungen wie Benommenheit, Schläfrigkeit, Schwindel oder Gewichtszunahme.
  • Wechselwirkungen: Pregabalin kann Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten haben.
  • Missbrauchspotenzial: Es gibt Bedenken hinsichtlich des Missbrauchspotenzials von Pregabalin.

In diesen Fällen können folgende Alternativen in Betracht gezogen werden:

  • Gabapentin: Ein ähnliches Antikonvulsivum mit einem etwas anderen Wirkmechanismus.
  • Trizyklische Antidepressiva (TCA): Amitriptylin, Nortriptylin oder Desipramin.
  • Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI): Duloxetin oder Venlafaxin.
  • Tramadol: Ein Opioid-Analgetikum, das jedoch aufgrund des Suchtpotenzials nur in bestimmten Fällen eingesetzt werden sollte.
  • Tapentadol: Ein weiterer Opioid-Analgetikum mit dualem Wirkmechanismus.
  • Capsaicin-Pflaster: Zur lokalen Behandlung von neuropathischen Schmerzen.
  • Lidocain-Pflaster: Ebenfalls zur lokalen Behandlung.
  • Medizinisches Cannabis: In einigen Ländern und unter bestimmten Voraussetzungen verfügbar.

Fallbeispiel: Umstellung von Gabapentin auf Pregabalin

Ein Fallbeispiel zeigt die Umstellung von Gabapentin auf Pregabalin bei einer 59-jährigen Patientin mit diabetischer Neuropathie. Die Patientin hatte starke Schmerzen in den Beinen und Füßen, eine Gangstörung und eine subdepressive Stimmungslage. Nach erfolgloser Behandlung mit Gabapentin wurde sie auf Pregabalin umgestellt.

Die Umstellung erfolgte gemäß einem etablierten Schema, bei dem die Dosis von Pregabalin an die zuvor eingenommene Dosis von Gabapentin angepasst wurde:

  • Gabapentin ≤ 900 mg/Tag → Pregabalin 150 mg/Tag
  • Gabapentin 901-1500 mg/Tag → Pregabalin 225 mg/Tag
  • Gabapentin 1501-2100 mg/Tag → Pregabalin 300 mg/Tag
  • Gabapentin 2101-2700 mg/Tag → Pregabalin 450 mg/Tag
  • Gabapentin > 2700 mg/Tag → Pregabalin 600 mg/Tag

Die rasche Umstellung wurde von der Patientin gut vertragen. Unter der Kombination von Duloxetin und Pregabalin verbesserten sich die neuropathischen Beschwerden, obwohl Schwindel und Gangunsicherheit zunächst unverändert blieben.

Weitere Therapieansätze

Zusätzlich zur medikamentösen Therapie können weitere Ansätze zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt werden:

  • Physiotherapie: Kräftigung der Muskeln, Massagen und physikalische Behandlungen.
  • Ergotherapie: Verbesserung der Aktivitäten des täglichen Lebens.
  • Psychotherapie: Erlernen von Strategien zur Schmerzbewältigung und Verbesserung der Lebensqualität.
  • Akupunktur: Stimulation bestimmter Hautpunkte zur Schmerzlinderung.
  • Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS): Übertragung elektrischer Impulse auf betroffene Körperteile zur Schmerzdämpfung.
  • Entspannungsübungen: Autogenes Training, Muskelentspannung nach Jacobson, Hypnose, Meditation oder Biofeedback.
  • Operation: In seltenen Fällen kann eine Operation erforderlich sein, um Nerven zu dekomprimieren oder zu durchtrennen.

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