Die Alzheimer-Krankheit, eine der häufigsten Ursachen für Demenz, betrifft Millionen von Menschen weltweit. Forscher suchen intensiv nach den Ursachen dieser komplexen Erkrankung, und in den letzten Jahren hat sich ein möglicher Zusammenhang zwischen Bakterien im Mundraum und der Entstehung von Alzheimer herauskristallisiert. Dieser Artikel beleuchtet die aktuellen Erkenntnisse und diskutiert die möglichen Mechanismen, die diese Verbindung erklären könnten.
Parodontitis und Alzheimer: Eine wachsende Verbindung
Mehr als 24 Millionen Menschen sind weltweit an Alzheimer erkrankt. Studien deuten darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen Parodontitis, einer chronischen bakteriellen Entzündung des Zahnhalteapparates, und einem erhöhten Risiko für Alzheimer gibt. Die Parodontitis, oft als Volkskrankheit bezeichnet, wird durch bakteriellen Zahnbelag verursacht und kann unbehandelt zum Verlust von Zähnen führen.
Die Rolle von Porphyromonas gingivalis
US-amerikanische und kanadische Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass spezielle Bakterien im Mundraum mit dem Auftreten von Demenzen unterschiedlicher Formen in Verbindung stehen. Ein zentraler Übeltäter ist das Bakterium Porphyromonas gingivalis (P. gingivalis), das oft Parodontitis verursacht und damit den Verlust von Zähnen hervorruft. Insbesondere die Kombination von P. gingivalis und weiteren Bakterien ging mit einem 1,22-fach erhöhten Risiko für das Auftreten einer beginnenden Demenz einher, vor allem bei Menschen ab 65 Jahren.
Forschungsergebnisse aus Gewebeuntersuchungen
Für ihre Studie untersuchten Wissenschaftler Gehirngewebe von verstorbenen Alzheimer-Patienten und gesunden Menschen. Dabei stellten sie fest, dass im Gewebe der Erkrankten deutlich häufiger DNA von Porphyromonas gingivalis zu finden war als bei den Gesunden. Auch sogenannte Gingipaine, Enzyme von P. gingivalis, ließen sich in den Proben der Demenzkranken auffällig oft nachweisen. Hinweise auf die Anwesenheit dieser Gingipaine fanden sich bei 51 der 53 Alzheimer-Patienten. Je krankhafter das Gehirn verändert war, desto höher war dabei offenbar die Belastung mit den bakteriellen Enzymen.
Experimente mit Mäusen
Versuche mit Mäusen zeigten, dass die von den Bakterien im Gehirn freigesetzten Gingipaine Entzündungsreaktionen und die vermehrte Bildung von Beta-Amyloid auslösen. Krankhafte Ablagerungen dieses Eiweißstoffs sind typisch für die Alzheimererkrankung. Zusätzlich schädigen die Enzyme auch die fadenförmigen Tau-Proteine.
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Die Mechanismen im Detail
Die Mechanismen, die Krankheitserreger im Mundraum mit kognitiven Beeinträchtigungen und Demenz in Verbindung bringen, sind noch spekulativ. Dennoch weisen Forscher darauf hin, dass im Mausmodell P. gingivalis zu charakteristischen Pathologien von Alzheimer-Demenz führen kann. Insbesondere der „Markerkeim“ Porphyromonas gingivalis kann in über 50 Prozent der parodontalen Erkrankungen nachgewiesen werden. Er gilt als Leitkeim für schwere Formen der Parodontitis und ist damit für den Verlust von Zähnen verantwortlich. Darüber hinaus wurde Porphyromonas gingivalis im Gehirn von Alzheimer-Patienten eindeutig nachgewiesen, da er dort sogenannte „toxische Proteasen“ bildet, die die Neurodegeneration fördern.
Die Rolle von Entzündungen
Immer öfter werden Entzündungen als Ursache für die Alzheimererkrankung diskutiert. Parodontitis ist eine chronische Erkrankung, die in entzündlichen Schüben verläuft. Die Ursache sind Bakterien, die das Zahnfleisch durchdringen. Zunächst wird beim Eindringen der Bakterien eine starke Immunabwehr veranlasst. Das hochempfindliche Zahnfleisch beginnt in dieser Zeit bereits durch kleinste mechanische Reizungen zu bluten. Über die Blutbahn gelangen so Keime aus dem Mund in den Organismus, wodurch andere Erkrankungen begünstigt werden.
Der Weg der Bakterien ins Gehirn
Das Durchdringen der Blut-Hirn-Schranke von Keimen kann zu schweren Beeinträchtigungen führen. Beispiele sind die Neuroborreliose, bei der Borrelien in das Gehirn vordringen, oder die Neurosyphilis, bei der Syphiliskeime Veränderungen im Gehirn verursachen. Bei Untersuchungen von Gehirnen verstorbener Alzheimer-Patienten konnten Wissenschaftler in einer Vielzahl der behandelten Fälle einen Keim identifizieren, der mit dem Parodontitis-Keim eng verbunden ist. Experimente an Mäusen konnten die Annahme eines Zusammenhanges zwischen Parodontitis und Alzheimer unterstreichen. Mäuse, die mit einem Parodontitiskeim infiziert wurden, wiesen Veränderungen im Hippocampus auf. Einem Forscherteam der University of Illinois at Chicago gelang der Nachweis, dass parodontale Bakterien die Entstehung seniler Plaques in der Hirnsubstanz fördern. Die Plaques gelten als Ursache für Neuropathien, die in Verbindung mit der Alzheimererkrankung auftreten.
Neue Therapieansätze und Präventionsstrategien
Gingipain-Inhibitoren
Wissenschaftler haben ein Molekül entwickelt, das die Blut-Hirn-Schranke passieren und die Aktivität der Gingipaine blockieren kann. Wurde mit Porphyromonas gingivalis infizierten Nagern dieser Wirkstoff oral verabreicht, sank die Bakterienlast in ihrem Gehirn deutlich. Als Folge kam es auch zu weniger Beta-Amyloid-Ablagerungen und es blieben mehr Neuronen funktionsfähig. „Diese Ergebnisse legen nahe, dass eine Behandlung mit Gingipain-Inhibitoren die Neurodegeneration bei infizierten Alzheimer-Patienten verlangsamen könnte“, resümieren die Forscher.
Prävention durch Mundhygiene
Zusätzlich zeigen die neuen Erkenntnisse Möglichkeiten zur Prävention auf: „Regelmäßig Zähneputzen und Zahnseide benutzten“, empfiehlt Mitautor Piotr Mydel von der Universität Bergen. Zwar sind die Parodontitiserreger mit Sicherheit nicht die einzigen Verursacher von Alzheimer, wie der Forscher betont. Trotzdem sollten gerade Menschen mit Zahnfleischproblemen und einer familiären Vorgeschichte in Sachen Demenz regelmäßig zur professionellen Zahnreinigung gehen, so sein Tipp. Eine gute Mundhygiene schützt im Zweifel also nicht nur vor Karies und Parodontitis, sondern kann auch das Risiko senken, an Alzheimer zu erkranken.
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Der Zahnarzt als wichtiger Ansprechpartner
Wer glaubt, der Zahnarztbesuch schützt nur vor Erkrankungen der Zähne und des Zahnfleisches, erfasst nur einen Teil der Möglichkeiten. Der Zahnarzt kann deutlich mehr erkennen. Erkrankungen der Verdauungsorgane zeigen sich beispielsweise an weißen Belägen auf der Zunge. Erste Anzeichen von Osteoporose sind an der Abnahme der Knochensubstanz im Kieferknochen erkennbar. Auch Diabetes wird häufig zuerst beim Zahnarzt durch sich auffällig lockernde Zähne erkannt.
Betriebliches Gesundheitsmanagement
Immer mehr Arbeitgeber erkennen die Parodontitisgefahr für die Gesunderhaltung der Mitarbeiter. Während die Zahngesundheit bisher im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) wenig Beachtung fand, haben die aktuellen Studienergebnisse zu den möglichen Verbindungen zwischen Parodontitis und Alzheimer ein Umdenken bewirkt. Immer mehr engagierte Arbeitgeber organisieren im Rahmen des BGM Mundgesundheitstage, um ihre Mitarbeiter mit Vorträgen, Ausstellungen und Aktionen für die Gefahr parodontaler Erkrankungen zu sensibilisieren.
Das Darm-Hirn-Achse und das Mikrobiom
Der fortschreitende Abbau von Nervenzellen im Gehirn ist charakteristisch für die Alzheimererkrankung und die Ursache für Gedächtnisstörungen und die Entwicklung einer Demenz. Eine zentrale Rolle spielen dabei möglicherweise Mikroorganismen, die die Darm- und Mundschleimhaut besiedeln. So wurde zum Beispiel bei Patienten mit Alzheimer eine veränderte Zusammensetzung des Darmmikrobioms nachgewiesen, die mit der Pathophysiologie der Krankheit zusammenhängen könnte.
Veränderungen in der Mikrobiota
Eine aktuelle Veröffentlichung von Kieler Forschenden zeigt, dass bereits in sehr frühen Stadien der Erkrankung, also lange bevor es zu den typischen Symptomen der Alzheimer-Demenz kommt, die Mikrobiota von Darm- und Mundschleimhaut im Vergleich zu Kontrollpersonen verändert ist. Dabei unterschieden sich die Befunde von Stuhl- und Mundschleimhautproben deutlich. Während im Darm die Vielfalt der Mikrobiota verringert war, war sie im Mund erhöht.
Die Bedeutung des Darm-Hirn-Achse
Der Darm ist zwar anatomisch weit entfernt vom Gehirn, dennoch gibt es einen regen Austausch von Information. Durch den Vagusnerv sind beide direkt miteinander verbunden. Und auch Hormone, Botenstoffe sowie Stoffwechselprodukte von Darmbakterien können das Gehirn erreichen. Eine mikrobielle Dysbiose im Darm, also ein Ungleichgewicht in der Zusammensetzung der Mikroben, kann Entzündungsvorgänge im Körper mit sich bringen, die sich auf das Gehirn auswirken können. Hinzukommt, dass die Blut-Hirn-Schranke, die normalerweise das Gehirn vor negativen Einflüssen abschirmt, mit dem Alter und gerade auch im Rahmen der Alzheimererkrankung durchlässiger wird.
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Das orale Mikrobiom im Fokus
Eine Besonderheit in der Kieler Studie war die Untersuchung des oralen Mikrobioms von Alzheimer-Patienten, zu dem es bisher kaum Daten gibt. Die Auswertung ergab deutliche Unterschiede zwischen dem Mikrobiom in Stuhlproben und dem im Mundraum. Während im Darmmikrobiom die Diversität bei Personen mit Alzheimer etwas geringer ist, war die Diversität im oralen Mikrobiom erhöht, und zwar nicht nur bei bereits Erkrankten, sondern auch schon bei Risikopersonen. So wurden etwa vermehrt Bakterienstämme gefunden, die an Zahnfleischerkrankungen beteiligt sind. Diese Veränderungen gehen mit den typischen Eiweißmarkern der Alzheimererkrankung im Nervenwasser einher.
Mögliche Therapieansätze
Wenn das Mikrobiom ursächlich oder zumindest mechanistisch an der Entstehung und dem Fortschreiten der Alzheimererkrankung beteiligt ist, dann könnte mit gezielten Eingriffen ins Darmmikrobiom, etwa durch Ernährungsmaßnahmen, Probiotika oder eine gezielte Beeinflussung des Mikrobioms im Mundraum, das Voranschreiten der Alzheimer-Demenz verzögert werden.
Mundgesundheit bei Demenz
Dank einer verbesserten Prävention haben ältere Menschen heute deutlich länger und mehr eigene Zähne oder hochwertigen Zahnersatz als früher. Menschen mit Pflegebedarf und Demenz haben jedoch im Vergleich eine deutlich schlechtere Mundgesundheit als Menschen ohne Pflegbedarf. Zahnfleischentzündungen und kariöse Zähne können sehr schmerzhaft sein. Sie sind auch Eintrittspforten für Viren und Bakterien, die über das Blut Krankheitsprozesse wie zum Beispiel Diabetes, Rheuma, Herz-Kreislauferkrankungen oder auch Demenz negativ beeinflussen können.
Praktische Tipps für die Mundhygiene bei Demenz
Menschen mit Demenz können mitunter nicht mehr klar äußern, ob und wenn ja, wo sie Schmerzen im Mund haben. Es gibt aber viele Anzeichen für Probleme mit der Mundgesundheit wie zum Beispiel rissige Lippen, ständiges Zähneknirschen, Mundgeruch oder Unlust auf Essen. Pflegende, sollten zudem den Zustand der Zähne und der Mundhöhle regelmäßig überprüfen und frühzeitig reagieren. Eine gut zu greifende Zahnbürste, eine sanfte Anleitung und ein Mundspülbecher mit Nasenausschnitt können sehr hilfreich sein. Günstig ist eine weiche oder mittelharte Zahnbürste mit einem kurzen Kopf. Auch Prothesen müssen regelmäßig gereinigt werden.
Weitere Forschung und Ausblick
Wissenschaftler arbeiten intensiv daran, die Ursachen von Demenz und Alzheimer zu ergründen. Als mögliche Auslöser stehen auch Bakterien im Verdacht, die sich im Mund tummeln. In Australien forscht man bereits an einem Impfstoff gegen die schädigenden Enzyme des Bakteriums Porphyromonas gingivalis. Erste Versuche an Mäusen waren bereits erfolgreich. Versuche an Menschen sollen bald folgen.
Die Rolle der Darmflora
Ein Team von Neuropathologen der Universität Freiburg hat Belege dafür erbracht, dass die Darmflora von grundlegender Bedeutung für die Immunabwehr des Gehirns ist und vermutlich auch entscheidend zur Entstehung bzw. zum Ausbleiben von Krankheiten wie Alzheimer und Multipler Sklerose beiträgt. Bei Mäusen war festzustellen, dass Abbauprodukte von Darmbakterien die Funktionsfähigkeit der Makrophagen bzw. Fresszellen des Gehirns, auch Mikroglia genannt, in erheblichem Maß beeinflussen.
Das Mikrobiom im Mund und seine Auswirkungen
Eine Gruppe britischer Wissenschaftler der Universität Exeter hat jüngst untersucht, wie sich das Mikrobiom in der Mundhöhle auf das menschliche Gehirn im fortgeschrittenen Alter auswirkt. Die Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistung des alternden Gehirns scheint durch bestimmte Bakterienarten günstig oder ungünstig beeinflusst zu werden. Die Ergebnisse der Studie werden durch die verbreitete Annahme vieler Wissenschaftler gestützt, dass Entzündungen im Mundbereich, die durch Krankheitserreger hervorgerufen werden, auch dem Gehirn schaden.
Nützliche Bakterien im Mund
Wie können Mikroorganismen aber der kognitiven Gesundheit förderlich sein? Das Geheimnis liegt in der Umwandlung von Nitrat in Stickstoffmonoxid, die durch nützliche Mundbakterien erfolgt. Nitrat gelangt vor allem durch pflanzliche Nahrung in den Mund. Stickstoffmonoxid ist ein Gas, das als Botenstoff bei der Interaktion bzw.
Frühzeitige Erkennung und Prävention
Die britischen Forscher zeigen sich aufgrund ihrer Studienergebnisse davon überzeugt, dass künftig zahnmedizinische Routineuntersuchungen zur Messung der mikrobiellen Zusammensetzung der Mundflora einen wesentlichen Beitrag zur Früherkennung und Vorbeugung von geistigem Abbau und Demenz im Alter leisten können. Es sind Therapieansätze denkbar, die durch eine Veränderung des Mikrobioms im Mund zugunsten nützlicher Keime einem Verfall der kognitiven Leistungsfähigkeit und dementiellen Erkrankungen entgegenwirken.
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