Viele Menschen fragen sich, ob die Alzheimer-Krankheit vererbbar ist, besonders wenn es in der Familie bereits Betroffene gibt. Es ist wichtig zu verstehen, dass es sich bei den wenigsten Demenzfällen um die familiäre Sonderform der Alzheimer-Krankheit handelt.
Genetische Grundlagen der Alzheimer-Krankheit
Die Alzheimer-Krankheit lässt sich genetisch in eine monogene und eine polygene Form aufteilen.
- Monogene Form: Wird durch eine einzige Genveränderung (Mutation) ausgelöst. Diese Form wird oft als familiäre Form der Alzheimer-Krankheit bezeichnet und zeigt eine typische Vererbung über Generationen hinweg.
- Polygene Form: Hier spielen mehrere genetische Risikofaktoren (Polymorphismen) eine Rolle.
Obwohl Gene in beiden Fällen eine Rolle spielen, wird eine typische "Vererbung" über die Generationen hinweg nur bei der "monogenen" Form beobachtet, die auch als familiäre Form der Alzheimer-Krankheit bezeichnet wird. Bei dieser Form reicht eine einzige Veränderung in der Erbsubstanz (Mutation) aus, um die Erkrankung auszulösen.
Die familiäre Alzheimer-Krankheit beginnt vergleichsweise früh, meist vor dem 60. Lebensjahr. Glücklicherweise sind nur etwa 1 % aller Alzheimer-Fälle "monogen" und von einer dieser seltenen Mutationen verursacht.
Familiäre Alzheimer-Krankheit (FAD)
Eine familiäre Alzheimer-Krankheit (FAD) liegt vor, wenn in einer Familie mehrere Personen, meist aus aufeinanderfolgenden Generationen, betroffen sind. Von einer Erkrankung mit früher Erstmanifestation (EOFAD) spricht man, wenn die Betroffenen erste Symptome im Alter vor 60 bis 65 Jahren, oft auch schon vor dem 55. Lebensjahr, zeigen. Der Anteil einer familiären Alzheimer-Krankheit an allen Demenzkranken mit Alzheimer-Demenz wird auf ca. 5 % geschätzt.
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Mutationen im Gen APP (Amyloid beta (A4) Precursor Protein) auf Chromosom 21q21.2 verursachen ca. 10-15 % der autosomal dominant vererbten Fälle von EOFAD. Mutationen im Gen PSEN1 (Presenilin 1) auf Chromosom 14q24.3 sind die Ursache für ca. 30-70 % der Fälle von autosomal dominant vererbter EOFAD. Mutationen im Gen PSEN2 (Presenilin 2) auf Chromosom 1q42.13 verursachen < 5 % der autosomal dominant vererbten Fälle von EOFAD.
Es sind Familien mit autosomal dominanter EOFAD ohne Mutation in den oben genannten Genen bekannt, was nahelegt, dass es weitere, bisher noch nicht identifizierte ursächliche Gene für monogen vererbte Formen der Alzheimer Demenz gibt.
Risikobewertung für Kinder von Betroffenen
Wenn bei einem Elternteil eine "monogene" Ursache der Alzheimer-Krankheit, also eine bekannte Mutation, nachgewiesen wurde, liegt die Wahrscheinlichkeit, diese Mutation als Nachkommen ebenfalls zu tragen, bei 50 %. Dies kann nur im Zuge einer genetischen Untersuchung zweifelsfrei festgestellt werden, die immer erst nach einer humangenetischen Beratung stattfinden darf. Je nach Art der Mutation kommt es aber in Mutationsträgern nicht immer zwangsläufig zum Ausbruch der Erkrankung, da einige Varianten eine verminderte "Durchschlagskraft" (medizinisch "Penetranz") haben. Trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit als Mutationsträger an der Alzheimer-Krankheit zu erkranken sehr hoch.
Genetische Beratung und prädiktive Diagnostik
Die prädiktive - also "voraussagende" - genetische Diagnostik hat das Ziel, nach bestimmten, krankheitsauslösenden Mutationen noch vor Beginn der Erkrankung zu suchen und - sollte eine derartige Mutation festgestellt werden - den Patienten ausführlich zu seinem Krankheitsrisiko und möglichen Therapieoptionen aufzuklären. Leider befindet sich die Entwicklung heilender oder zumindest den Krankheitsprozess dauerhaft aufhaltender Therapien im Bereich der Alzheimer-Krankheit noch am Anfang, so dass Träger einer nachgewiesenen Alzheimer-Mutation mit der genetischen Diagnose konfrontiert werden, ohne dass sie den Verlauf der Erkrankung wesentlich beeinflussen können.
Bei Minderjährigen dürfen genetische Tests nur dann vorgenommen werden, wenn präventive oder therapeutische Maßnahmen möglich sind, die es bei der Alzheimer-Krankheit wie oben beschrieben noch nicht gibt. Bei volljährigen Kindern müssen diese selbst zustimmen. Eine prädiktive genetische Testung muss von einer eingehenden humangenetischen Beratung begleitet werden. Im Falle der Alzheimer-Krankheit ergibt sich die Besonderheit, dass Mutationsträger derzeit ohne konkrete bzw. durchschlagende Therapieoption bleiben. D.h. durch das Ergebnis der genetischen Testung wissen sie zwar, dass sie höchstwahrscheinlich irgendwann an Alzheimer erkranken werden, können aber nichts tun, um dieses Schicksal zu verhindern. Diese Situation stellt sich in nicht wenigen Fällen als große Belastung heraus und kann auch andere Krankheiten, z. B. Depressionen, verursachen oder begünstigen. Betroffene, also volljährige Kinder von Eltern mit einer nachgewiesenen Alzheimer-auslösenden Mutation, sollten sich daher vor Durchführung der genetischen Testung unbedingt ausführlich beraten lassen und dies, bzw. die Konsequenzen eines möglicherweise positiven Tests, auch mit ihren Angehörigen, insbesondere eigenen Kindern besprechen.
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Altersbedingte Alzheimer-Krankheit und genetische Risikofaktoren
Die altersbedingte Form der Alzheimer-Krankheit kommt weitaus häufiger vor. Hier spielen genetische Risikofaktoren (Polymorphismen) eine Rolle.
Das Apolipoprotein-E (ApoE)-Gen
Das ApoE-Gen ist der Bauplan für ein Eiweiß, das im menschlichen Körper bestimmte Fettmoleküle, sogenannte Lipoproteine, transportiert. Eine bestimmte Variante des ApoE-Gens, die "Epsilon-4-Variante", kommt weitaus häufiger bei Alzheimer-Erkrankten vor als in der Normalbevölkerung. Das bedeutet, dass die ApoE-4-Variante ein erheblicher Risikofaktor für das Auftreten einer Alzheimer-Krankheit im Alter ist. Auch bei Trägern von Mutationen der monogenen Alzheimer-Krankheit kann das gleichzeitige Vorliegen der Epsilon-4-Variante den Beginn der Erkrankung noch weiter beschleunigen. Dennoch gibt es viele, z. T. sehr hochbetagte Menschen, die trotz des Tragens der Epsilon-4-Variante ohne kognitive Beeinträchtigungen leben und nicht an Alzheimer erkranken. Die ApoE Epsilon-4-Variante ist also - anders als die monogenen Auslöser der Alzheimer-Krankheit - nur ein "Risikofaktor" der Erkrankung. Das bedeutet, das Risiko an Alzheimer zu erkranken ist zwar erhöht, allerdings gibt es viele Menschen, die trotzdem keinen Alzheimer entwickeln. Das ist vergleichbar mit Zigarettenrauchen und Lungenkrebs: Zigaretten sind zwar der wichtigste Risikofaktor für die Entwicklung von Lungenkrebs, allerdings erkranken nicht alle Raucher daran.
Das humane Apolipoprotein E (ApoE) existiert in den drei Isoformen ApoE2, ApoE3 und ApoE4, welche die Genprodukte von drei Allelen an zwei Einzelnukleotidpolymorphismen („single-nucleotide polymorphism“, SNP), rs429358 und rs7412, sind und sich hinsichtlich ihrer Aminosäuren an den Positionen 112 und 158 unterscheiden (ApoE2: C112/C158, ApoE3: C112/R158, ApoE4: R112/R158) [39]. Während die Präsenz eines APOE ε4-Allels das AD-Risiko im Vergleich zum ε3-Allel bereits um das Dreifache steigert, erhöht es sich bei ε4/ε4-Homozygotie auf das 12- bis 15-Fache [2]. Hinzukommend existiert ein Gendosiseffekt, der bei ε4/ε4-Homozygotie ein früheres Manifestationsalter der AD begünstigt [8]. Verschiedenartige Mechanismen sind für die Verknüpfung von ApoE4 und AD verantwortlich. Durch eine direkte Interaktion mit dem β‑Amyloid-Peptid (Aβ) vermag ApoE4 den Abbau von Aβ zu modulieren [27]. Glial sezerniertes ApoE4 wirkt zudem stimulierend auf die neuronale Aβ-Produktion [22]. Weiterhin beeinflusst ApoE4 den Cholesterinmetabolismus in ungünstiger Weise [11] und spielt somit eine prädisponierende Rolle für die Entwicklung von kardiovaskulären Erkrankungen, die ihrerseits wiederum das Erkrankungsrisiko für die AD erhöhen [60]. Bemerkenswerterweise konnte für Träger des APOE ε2-Allels eine reduzierte Suszeptibilität für die AD festgestellt werden, die womöglich auf neuroprotektiven Eigenschaften von ApoE2 beruht [7]. Das APOE ε3-Allel gilt als risikoneutral. Wie genau ApoE-Isoformen AD-prädisponierend oder AD-protektiv wirken, ist unvollständig erfasst und bedarf weiterer Untersuchungen [27].
Im klinischen Alltag der Patienten im Rahmen der Abklärung von Hirnleistungsstörungen und Demenz bringt die Bestimmung des ApoE-Genotyps derzeit keine für die Diagnose oder die Therapie relevante Information. Sie wird daher von den Leitlinien momentan nicht empfohlen. Des weiteren sollte der ApoE-Genotyp nicht als voraussagende genetische Diagnostik für die Nachkommen quasi "durch die Hintertür" missverstanden werden.
Weitere polygene Risikofaktoren
Neben ApoE Epsilon-4 gibt es zahlreiche weitere Genveränderungen, die das Risiko an Alzheimer zu erkranken erhöhen können. Derzeit sind knapp 80 solcher genetischen Veränderungen bekannt. Allerdings ist dies ein intensiv beforschtes Feld, und es ist damit zu rechnen, dass in den nächsten Jahren noch viele weitere derartige "Risikogene" entdeckt werden.
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An der LOAD beteiligte zelluläre Funktionsmodule, welche durch Gen-Ontologie- und Signalweganalysen in den Vordergrund rücken, lassen sich mit Lipoproteinpartikeln, Cholesterin-Efflux, der Regulation von endozytotischen Prozessen und vor allem mit einer Immunantwort assoziieren [24]. Bemerkenswerterweise beobachten Wissenschaftler eine Kumulation von häufigen und seltenen Genvarianten, die sich diesen Funktionsmodulen zuordnen lassen [56].
Wichtige Erkenntnisse aus GWAS und Sequenzierstudien suggerieren, dass Mikroglia, die residenten Immunzellen des ZNS, eine entscheidende Rolle bei der Pathogenese der AD spielen. Eine beachtliche Anzahl der in genetischen Studien identifizierten Risikogene weisen immunsystembezogene Funktionen auf: CR1 („complement receptor type 1“), CLU („clusterin“) [18, 33], SPI1 („spi-1 proto-oncogene“), CD33 („cluster of differentiation 33“), MS4A6A/MS4A6E („membrane spanning 4‑domains A6A/A6E“), ABCA7 („ATP-binding cassette sub-family A member 7“), EPHA1 („ephrin receptor A1“), CD2AP („CD2-associated protein“) [21, 44], TREM2 („triggering receptor expressed on myeloid cells 2“) [17, 26], TYROBP („TYRO protein tyrosine kinase-binding protein“) [48], HLA-DRB5/DRB1 („major histocompatibility complex, class II, DRβ5/1“), INPP5D („inositol polyphosphate-5-phosphatase D“) [34], PLCG2 („phospholipase Cγ2“) und ABI3 („B3-domain-containing transcription factor ABI3“) [56].
Umgang mit einem positiven Gentest
Träger einer Mutation erkranken mit einer hohen Wahrscheinlichkeit an Alzheimer. Je nach Art der Mutation kann diese Wahrscheinlichkeit nahezu 100 % sein, mitunter aber auch weniger. Hierüber kann nur eine ausführliche humangenetische Beratung aufklären. Gleichzeitig zu einer Alzheimer-Mutation können auch protektive, also risiko-mindernde Veränderungen des Erbguts vorliegenden, die den Effekt der Alzheimer auslösenden Mutation abschwächen. Dies äußert sich dann in einem späteren Beginn der Erkrankung.
Aktuelle Möglichkeiten und zukünftige Perspektiven
Derzeit gibt es nur wenige Möglichkeiten, die Alzheimer-Krankheit aufzuhalten. Aktuell kann und sollte man lediglich Vorkehrungen für das Eintreten der Alzheimer-Krankheit treffen, z. B. mittels Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. Allerdings gibt es im Bereich der Alzheimer-Therapieentwicklung derzeit in der Tat einige neue und vielversprechende Ergebnisse. Wenn die Alzheimer-Krankheit ausbricht, dann gehen diesem Zustand bereits mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte an pathologischen, d.h. krankmachenden, Veränderungen im Gehirn der Patienten voraus. Sobald diese jahrelangen Prozesse verlässlich therapeutisch verhindert oder zumindest verzögert werden können, ist das Wissen über das Vorliegen einer Alzheimer auslösenden Mutation wertvoll, weil diese Medikamente dann gezielt zur Vorbeugung eingesetzt werden können.
Bedeutung von Lebensstil und Prävention
Auch wenn genetische Faktoren eine Rolle spielen, ist es wichtig zu betonen, dass der Lebensstil einen erheblichen Einfluss auf das Alzheimer-Risiko hat. Bis zu 45 Prozent des Risikos für die altersbedingte Form ist auf veränderbare Risikofaktoren zurückzuführen, die durch gezielte Maßnahmen aktiv beeinflussbar sind.
Häufig wird eine Umstellung der Lebensweise propagiert - weil bekanntermaßen Bewegung, Fitness, geistige Aktivität etc. mit niedrigerem Risiko für die klassische Alzheimer-Erkrankung assoziiert sind.