Der Alzheimer-Forschungsskandal: Auswirkungen und Folgen für die Neurowissenschaften

Die Neurologie hat in den letzten Jahrzehnten erhebliche Fortschritte in der Grundlagenforschung erzielt, insbesondere bei der Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer. Ein prominenter Name in diesem Feld ist Eliezer Masliah, dessen Arbeiten über Krankheiten wie Parkinson und Alzheimer ihn zu einem der meistzitierten Hirnforscher weltweit gemacht haben. Zulassungsanträge für mehrere Medikamente beziehen sich auf seine Studien, und als Direktor am US-amerikanischen National Institute on Aging (NIA) verfügte er zuletzt über ein Jahresbudget von 2,6 Milliarden US-Dollar. Eliezer Masliah hatte also erheblichen Einfluss auf die Parkinson- und Alzheimerforschung.

Doch nun steht Masliah im Zentrum eines schwerwiegenden Fälschungsskandals, der die Glaubwürdigkeit eines bedeutenden Teils der Neurowissenschaften erschüttert. Das Fachmagazin "Science" veröffentlichte eine Recherche, die den Erfolg Masliahs auf fragwürdige Füße stellt: Mehr als 130 seiner Publikationen sollen manipulierte Bilder enthalten.

Die Vorwürfe: Manipulationen im großen Stil?

Christian Haass, Professor am Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen in München, erhielt von "Science" die betreffenden Bilder zur Begutachtung: "Das war der Wahnsinn", erzählt er, "Ich dachte wirklich, ich fall vom Stuhl, als diese Datensammlung ankam." Über Nacht habe er sich die Daten angeschaut und sofort gesehen, "dass Dinge dupliziert worden sind, wiederverwendet, rausgeschnitten, reingeschnitten." Zum Beispiel die Mikroskop-Aufnahme von einem Mäusegehirn mit Ablagerungen, die in verschiedenen Arbeiten als Beleg zu unterschiedlichen Hypothesen auftaucht.

Masliah wird vorgeworfen, Aufnahmen von Hirngewebe und sogenannte Western Blots gefälscht zu haben. Ein Western Blot ist ein Verfahren, mit dem Forschende bestimmte Proteine in einer Probe nachweisen können. Dabei werden die Proteine nach ihrer Größe sortiert und durch eine spezielle Markierung sichtbar gemacht. Die Fälschungen betreffen zentrale Bereiche der Forschung zu den verklumpten Proteinen im Gehirn bei Alzheimer sowie zum alpha-Synuclein-Protein, das eine Schlüsselrolle bei Parkinson spielt. Besonders problematisch ist, dass manipulierte Bilder in mehreren wissenschaftlichen Studien verwendet wurden, obwohl die Bedingungen der Versuche in den einzelnen Studien unterschiedlich waren.

Die betroffenen Arbeiten erstrecken sich über den Zeitraum von 1997 bis 2023 und betreffen zentrale Forschungsbereiche zu Alzheimer und Parkinson. Die schiere Menge von verdächtigen Bildern deutet laut Haass darauf hin, dass es sich kaum um Flüchtigkeitsfehler handeln könne, und er vermutet, "dass da eine gewisse Absicht damit verbunden war." Eliezer Masliah selbst hat sich zu den Vorwürfen bisher nicht geäußert.

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Auswirkungen auf die Alzheimer- und Parkinsonforschung

Der Fall Masliah hat weitreichende Folgen für die Alzheimer- und Parkinsonforschung. Christian Haass bezeichnet den Fall als eine Katastrophe: "Und die Hauptkatastrophe ist, dass das gesamte Arbeitsgebiet darunter leidet. Ich befürchte, dass man uns alle in der Öffentlichkeit über einen Kamm schert, dass man sagt: Das sind doch die, die betrügen und deswegen nichts auf die Reihe kriegen."

Masliah ist nicht der erste Hirnforscher, bei dem fragwürdige Bilder und Daten entdeckt worden sind. In den letzten Jahren hat es mehrere solcher Fälle gegeben. Anne Pfitzer-Bilsing, Leiterin Wissenschaft bei der Alzheimer Forschung Initiative e.V., vermutet, dass dies kein Zufall sei: "Die neurologische Forschung ist ein stark umkämpftes Feld. Da gibt es noch viel zu holen, da es bisher keine Heilung für neurodegenerative Erkrankungen gibt. Da herrscht ein gewisser Erfolgsdruck."

Konkrete Folgen für Therapiestudien

Ulrich Dirnagl, Professor für Neurowissenschaften an der Charité und Leiter des QUEST Center für verantwortungsvolle Wissenschaft am Berlin Institute of Health, betont die konkreten Folgen der Manipulationen: "Der Schaden, der hier angerichtet wurde, ist potenziell sehr groß. Es ist ja so, dass auf Basis vieler dieser Arbeiten Therapiestudien an Patienten entwickelt wurden und auch durchgeführt wurden, die - wenn die Grundlage dafür, also die Aussage, die aus diesen Ergebnissen kommt, nicht gehalten werden kann - umsonst waren." Solche Studien könnten dann auch Patienten unnötig gefährdet haben. Außerdem würden viele andere Forscher auf die falsche Fährte gelockt und so weitere Forschungsgelder verschwendet.

Beeinträchtigung der Glaubwürdigkeit und des Vertrauens

Der Fälschungsskandal erschüttert massiv die Glaubwürdigkeit eines bedeutenden Teils der Neurowissenschaften. Dr. Linda Thienpont, stellvertretende Geschäftsführerin der AFI, äußert sich enttäuscht darüber, dass ein renommierter Wissenschaftler so eklatant gegen die Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis verstößt und damit Vertrauen missbraucht. Der Imageschaden für die Neurowissenschaften ist beträchtlich.

Betroffene Institute müssen handeln

Christian Haass betont, dass trotz der Zweifel an Masliahs Arbeit nicht das ganze Forschungsgebiet zusammenbreche. Wichtig sei jetzt, dass die betroffenen Einrichtungen handeln. "Jedes Institut hat eine spezielle Untersuchungskommission, genau für diese Fälle. Und diese Kommissionen, die sollte diesen Fall Fehler für Fehler untersuchen und rauskriegen, ob das wirklich Betrug war und welche Folgen das hat." Und zwar für alle 132 Fälle. Das National Institute of Health hat mittlerweile erklärt, man habe bereits 2023 eine Untersuchung eingeleitet und bei zwei Studien wissenschaftliches Fehlverhalten festgestellt.

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NIH-Untersuchung und Konsequenzen

Die National Institutes of Health (NIH) haben bereits 2023 eine Untersuchung eingeleitet und in mindestens zwei Fällen wissenschaftliches Fehlverhalten bestätigt. Masliah wurde im Sommer 2016 Direktor der Division of Neuroscience (DN) am National Institute on Aging (NIA), das zu den National Institutes of Health (NIH) gehört, der wichtigsten US-Bundesbehörde für die Durchführung und Unterstützung von medizinischer Forschung. Inzwischen ist Dr. Masliah nicht mehr als Direktor des NIA DN tätig.

Beispiele für betroffene Forschung

Masliahs Arbeiten gehören zu den meistzitierten Publikationen in mehreren Teilbereichen der Neurowissenschaften. Die Ergebnisse der Studie wurden im August 2022 im »New England Journal of Medicine« publiziert. Es zeigten sich für den Antikörper, der gegen α-Synuclein-Aggregate gerichtet war, keine signifikanten Unterschiede zwischen den aktiven Behandlungsgruppen und der Placebogruppe bei den Dopamintransporter-Werten in der Einzelphotonen-Emissionscomputertomografie (SPECT) und auch die Ergebnisse für die meisten klinischen sekundären Endpunkte waren in den aktiven Behandlungsgruppen und in der Placebogruppe ähnlich.

Auch auf andere Arzneimittelentwicklungen hatten Masliahs Forschungen erhebliche Auswirkungen. So stützte sich das in Österreich ansässige Biopharmaunternehmen Ever Pharma bei der Entwicklung von Cerebrolysin (FPF-1070), einer Mischung aus kurzkettigen Peptiden, die aus Schweinehirnen gewonnen werden, stark auf Publikationen Masliahs. Acht Studien, darunter eine, die im Journal »BMC Neuroscience« publiziert wurde, bilden die Basis für die Entwicklung von Cerebrolysin und wurden teilweise von Ever Pharma finanziert. Neuropore Therapies ist ein weiteres Unternehmen, das auf Basis von Studien aus dem Masliah-Labor potenzielle Parkinson-Mittel entwickelt. Zwischenzeitlich wurden die Rechte zur Entwicklung und Vermarktung dieses und anderer Moleküle an das Pharmaunternehmen UCB für 63 Millionen US-Dollar (58,2 Millionen Euro) auslizenziert.

Prasinezumab: Ein Medikament auf zweifelhafter Grundlage

Ein Beispiel für ein Medikament, das auf Masliahs Ergebnissen basiert, ist der Antikörper Prasinezumab. Er soll angeblich gegen Parkinson helfen, in dem er im Gehirn an das Protein Alpha-Synuclein bindet, das für die Zerstörung der dopaminergen Neurone verant­wortlich gemacht wird. Im Jahr 2022 zeigte dann eine Phase-2-Studie im New England Journal of Medicine (NEJM 2022; DOI: 10.1056/NEJMoa2202867), dass Prasinezumab unwirksam ist. Im Juni diesen Jahres kam dann eine Post-hoc-Analyse in Nature Medicine (2024; DOI: 10.1038/s41591-024-02886-y) zu dem Schluss, dass Prasinezumab in einigen Untergruppen mit besonders rascher Krankheitsprogression eine Wirkung erzielt haben könnte. Auch wenn sich die dokumentierten Nebenwirkungen bislang nicht als gefährlich herausgestellt hätten, basiere der Wirkstoff auf zweifelhaften wissenschaftlichen Grundlagen.

Der Fall Sylvain Lesné: Ein weiterer Forschungsskandal

Ein weiterer Forschungsskandal betrifft den französischen Forscher Sylvain Lesné, dem vorgeworfen wird, über Jahre Ergebnisse manipuliert zu haben. Dieser Fall wirft ebenfalls einen Schatten auf die Alzheimer-Forschung.

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Die Vorwürfe gegen Lesné

Dem Neurobiologen Sylvain Lesné von der Universität in Minnesota (USA) wird vorgeworfen, in Studien aus dem Jahr 2006 Forschungsergebnisse zum Peptid Beta-Amyloid gefälscht zu haben. Er soll Fotos, die seine Forschungsergebnisse dokumentieren, manipuliert haben.

Auswirkungen auf die Amyloid-Forschung

Besonders brisant ist, dass Sylvain Lesné einige vielzitierte Fachartikel veröffentlicht hat. Besonders ein Paper 2006 im Magazin "Nature" galt als wegweisend: Es wurde mehr als 2.300-mal zitiert. In der nun umstrittenen Veröffentlichung von 2006 zeigte Sylvain Lesné, dass ein bestimmtes Eiweißmolekül im Gehirn von Mäusen zu Gedächtnisverlust führte. Doch sollten sich die Manipulationsvorwürfe gegenüber dem Forscher bestätigen, stellt sich die Frage, ob dieses Eiweißmolekül überhaupt existiert.

Christian Haass möchte, wie auch die meisten anderen seiner Kolleg:innen, die Bedeutung der Forschung von Sylvain Lesné für sein Arbeitsgebiet nicht so hoch hängen. Zwar nahm die Forschung an löslichen Formen des Amyloid-Eiweißes in den vergangenen Jahren stark zu. Doch das Forschungsfeld hätte sich vermutlich auch ohne Sylvain Lesnés Veröffentlichungen entwickelt. Inzwischen ist eine Vielzahl verschiedener löslicher Amyloid-Formen beschrieben. Das spezifische Molekül aus dem umstrittenen "Nature"-Paper von 2006 hat aber tatsächlich vor allem nur Sylvain Lesnés eigenes Forschungsteam untersucht. Seine Forschung führte nicht direkt zu klinischen Studien mit Medikamenten.

Die Amyloid-Kaskaden-Hypothese im Wanken?

Die Forschung rund um das Amyloid-Eiweiß muss nun Erfolge liefern, sonst gerät die sogenannte Amyloid-Kaskaden-Hypothese als Erklärung für die Entstehung der Alzheimer-Erkrankung endgültig ins Wanken. Im Herbst könnten Pharmafirmen die nächsten Ergebnisse der noch laufenden Studien mit Medikamenten gegen Amyloid-Plaques veröffentlichen. Sollten sie nicht überzeugen, könnten sich viele Wissenschaftler:innen von dem Forschungsfeld abwenden.

Was bedeutet das für die Alzheimer Forschung Initiative (AFI)?

Die Alzheimer Forschung Initiative (AFI) fördert Forschungsprojekte mit ganz unterschiedlichen Forschungsansätzen. Nach Durchsicht aller Projekte mit Amyloid-bezogenem Ansatz hat die AFI festgestellt, dass Lesnés Ergebnisse von 2006 keinen Einfluss auf die geförderten Projekte der Organisation hatten.

Beta-Amyloid und Alzheimer

Für die Alzheimer-Krankheit sind Ablagerungen im Gehirn von zwei Proteinen charakteristisch: Beta-Amyloid und Tau. Beta-Amyloid lagert sich zu Plaques zusammen, welche dann die Kommunikation zwischen den Nervenzellen stören. Bei den Anschuldigungen, die von der Universität in Minnesota derzeit untersucht werden, geht es um Forschungsergebnisse zu einem ganz speziellen Molekül namens Beta-Amyloid-56. Das ist nur ein Beta-Amyloid Peptid von vielen. Dem Forscher Sylvain Lesné wird vorgeworfen, Abbildungen manipuliert zu haben. Es könnte daher sein, dass es das von ihm beschriebene Molekül gar nicht gibt. Tatsächlich wurde seine Arbeit in den letzten 15 Jahren sehr häufig zitiert. „Dennoch haben Lesnés Arbeiten keinen nennenswerten Einfluss auf die Alzheimer-Forschung gehabt, die sich auch ohne seine Veröffentlichung wohl kaum anders entwickelt hätte, als sie es getan hat“, sagt Prof. Dr. Thomas Arendt, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der AFI. Keine aktuelle oder vergangene Medikamenten-Studie bezieht sich auf Beta-Amyloid-56. Zudem werden neben der Beta-Amyloid-Hypothese, die versucht, eine mögliche Erklärung für das Fortschreiten der Krankheit zu bieten, auch noch zahlreiche andere Forschungsansätze verfolgt, um den Ursachen der Alzheimer-Krankheit auf den Grund zu gehen. Die Forschungen reichen von der Darm-Hirn-Achse über Lebensstilfaktoren bis hin zur Zellforschung.

Verantwortlichkeit und Konsequenzen

Die beschriebenen Fälle ähneln anderen Skandalen, in denen in Publikationen prominenter Wissenschaftler oft Jahre nach ihrer Veröffentlichung in namhaften Fachzeitschriften manipulierte Abbildungen entdeckt werden. Zunächst passiere dann entweder gar nichts, so Dirnagl.

Die aktuellen Fälle werfen ein Schlaglicht auf die Notwendigkeit strenger Kontrollmechanismen in der Wissenschaft, um die Integrität der Forschung zu gewährleisten und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft nicht zu gefährden.

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