Alzheimer: Geschlechtsspezifische Unterschiede zwischen Frauen und Männern

Alzheimer ist eine neurodegenerative Erkrankung, von der weltweit Millionen Menschen betroffen sind. Obwohl sowohl Männer als auch Frauen an Alzheimer erkranken können, zeigen sich deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede in Bezug auf Häufigkeit, Symptome und Krankheitsverlauf. Dieser Artikel beleuchtet die wesentlichen Unterschiede zwischen Frauen und Männern bei Alzheimer und untersucht die zugrunde liegenden Ursachen und Forschungsansätze.

Höhere Prävalenz bei Frauen

Frauen sind überproportional häufig von Alzheimer betroffen. Weltweit sind etwa zwei Drittel aller Alzheimer-Patienten weiblich. In Deutschland sind dies etwa 800.000 Betroffene. Lange Zeit wurde diese höhere Prävalenz auf die höhere Lebenserwartung von Frauen zurückgeführt, da das Alter ein wesentlicher Risikofaktor für Alzheimer ist. Neuere Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass Frauen auch dann häufiger an Alzheimer erkranken als Männer, wenn die unterschiedliche Lebenserwartung berücksichtigt wird.

Ursachenforschung: Geschlechtsspezifische Faktoren

Die Ursachen für die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Alzheimer sind komplex und vielfältig. Neben der Lebenserwartung spielen hormonelle, genetische, sozioökonomische und Lebensstilfaktoren eine Rolle.

Hormonelle Einflüsse

Der weibliche Hormonhaushalt, insbesondere das Östrogen, steht im Fokus der Alzheimer-Forschung. Studien deuten darauf hin, dass der sinkende Östradiolspiegel vor, während und nach der Menopause das Alzheimer-Risiko erhöhen könnte. Östrogene spielen eine wichtige Rolle für den Schutz und den Energiestoffwechsel der Nervenzellen im Gehirn. Sie regulieren die Mitochondrien, fördern die Verknüpfung zwischen Nervenzellen und tragen zur besseren Durchblutung des Gehirns bei. Ein Östrogenmangel kann diese Schutzmechanismen beeinträchtigen und das Alzheimer-Risiko erhöhen.

Untersuchungen an Frauen, die aufgrund von Wechseljahresbeschwerden oder einer Brustkrebstherapie eine Hormonersatztherapie erhalten haben, deuten darauf hin, dass ein Ausgleich des Hormonspiegels durch Hormonpräparate einen schützenden Effekt haben könnte. Die Forschung zeigt aber auch, dass die Wirkung der Therapie vom Zeitpunkt und der Art des Präparates abhängt. So tritt der schützende Effekt auf das Alzheimer-Risiko vor allem bei Frauen auf, die während des Übergangs in die Menopause oder in der frühen Postmenopause mit der Hormontherapie beginnen. Allerdings gibt es auch Hinweise, dass Hormontherapien nach den Wechseljahren, insbesondere in Kombination mit Gestagenen, das Brustkrebsrisiko erhöhen können. Diese Zusammenhänge müssen weiter erforscht werden, um klare Handlungsempfehlungen geben zu können.

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Auch die Länge der Reproduktionsphase von Frauen scheint eine Rolle zu spielen. Frauen, die 21 bis 34 Jahre fruchtbar waren, haben ein höheres Demenzrisiko als Frauen mit einer längeren Reproduktionsphase. Dies deutet darauf hin, dass ein spätes Einsetzen der Menstruation oder eine frühe Menopause das Alzheimer-Risiko erhöhen könnte.

Genetische Faktoren

Genetische Faktoren tragen ebenfalls zu den geschlechtsspezifischen Unterschieden bei Alzheimer bei. Bestimmte Gene, die auf den Geschlechtschromosomen liegen, können die Funktion von Zellen im Gehirn beeinflussen und das Alzheimer-Risiko erhöhen. So steuern Gene auf den männlichen und weiblichen Geschlechtschromosomen die Funktion von Perizyten, Zellen, die den Blutfluss im Gehirn regulieren. Eine unterschiedliche Regulation der Perizyten könnte zu Durchblutungsstörungen im Gehirn führen, die bei Alzheimer-Erkrankten häufig auftreten.

Die Genvariante ApoE4 gilt als wichtigster genetischer Risikofaktor für Alzheimer. Frauen mit homozygotem ApoE4-Genstatus haben ein besonders hohes Risiko, an Alzheimer zu erkranken.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind ein wichtiger Risikofaktor für Alzheimer. Nach der Menopause haben Frauen ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, was auch ihr Alzheimer-Risiko erhöht. Der Östrogenmangel führt dazu, dass die Gefäße weniger geschützt sind und schneller verkalken. Auch die Cholesterin- und Blutdruckwerte verschlechtern sich bei vielen Frauen. Dadurch erhöht sich auch bei Frauen das Risiko für einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall - und damit auch für eine Alzheimer-Krankheit.

Sozioökonomische Faktoren

Auch sozioökonomische Faktoren spielen eine Rolle bei den geschlechtsspezifischen Unterschieden bei Alzheimer. Frauen verdienen oft weniger als Männer und haben dadurch einen schlechteren Zugang zum Gesundheitssystem. Frauen arbeiten oft in kognitiv weniger anspruchsvollen Berufen oder unterbrechen ihre Karriere für Familienarbeit. Ein aktives Berufsleben mit hohen geistigen Anforderungen kann das Alzheimer-Risiko senken, weil das Gehirn stärker gefordert wird. Durch die Doppelbelastung von Erwerbsarbeit und unbezahlter Care-Arbeit sind Frauen oft großem Stress ausgesetzt, außerdem haben sie ein höheres Risiko, an Depression zu erkranken. Stress und Depressionen gehören zu den Risikofaktoren für eine Alzheimer-Erkrankung.

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Unterschiede in der Gehirnstruktur und -funktion

Studien haben gezeigt, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede in der Gehirnstruktur und -funktion gibt, die das Alzheimer-Risiko beeinflussen könnten. Eine Studie, die MRT-Aufnahmen des Gehirns von Männern und Frauen im Alter von 17 bis 95 Jahren auswertete, zeigte, dass Männer über die Zeit einen stärkeren Volumenrückgang in zahlreichen Hirnregionen aufwiesen, während bei Frauen lediglich in einzelnen kleineren Arealen ein stärkerer Rückgang zu verzeichnen war. Männer wiesen eine größere Abnahme des Volumens des Okzipitallappens auf sowie der Oberflächen der fusiformen und postzentralen Areale. Bei Frauen nahm das Volumen des Frontallappens stärker ab sowie die Oberfläche des superioren temporalen Sulcus.

Es gibt auch Hinweise darauf, dass die Informationsübertragung im Gehirn bei Frauen mit Alzheimer stärker beeinträchtigt ist als bei Männern. Bestimmte Zellen, die sogenannten Oligodendrozyten, sorgen dafür, dass die Nervenzellen geschützt sind und Informationen schnell ausgetauscht werden können. Es gibt Hinweise, dass diese Oligodendrozyten im Falle einer Alzheimer-Erkrankung bei Frauen weniger stark aktiviert werden als bei Männern. Dadurch bleibt diese Schutzschicht bei Frauen weniger gut erhalten und die Informationsweiterleitung im Gehirn wird stärker beeinträchtigt.

Unterschiede im Immunsystem

Das Immunsystem des Gehirns, insbesondere die Mikrogliazellen, spielt eine wichtige Rolle bei der Alzheimer-Krankheit. Mikrogliazellen wirken im gesunden Gehirn entzündungshemmend und sorgen dafür, dass schädliche Stoffe entsorgt werden. Bei der Alzheimer-Krankheit sind Mikrogliazellen zunächst noch in der Lage, für die Krankheit typischen schädlichen Proteinablagerungen im Gehirn abzubauen. Im Krankheitsverlauf werden die Mikrogliazellen durch ständige Aktivierung zuneh­mend erschöpft. Sie können den Schutz des Gehirns dann nicht mehr gewährleisten, sondern verursachen chronische Entzündungen, die den Abbau der Nervenzellen zusätzlich fördern. Bei Frauen scheinen die Immunabwehr und die Regulation von Entzündungsprozessen schlechter zu funktionieren als bei Männern.

Unterschiede in Symptomen und Krankheitsverlauf

Frauen mit Alzheimer zeigen häufig andere Symptome und einen anderen Krankheitsverlauf als Männer. Besonders auffällig ist das Auftreten von Wahrnehmungsproblemen bei demenzerkrankten Frauen. Es gibt auch Hinweise darauf, dass Frauen häufiger depressive oder wahrnehmungsverändernde Symptome zeigen, während Männer eher starke Unruhe zeigen.

Gendersensible Forschung und Versorgung

Die Erkenntnis, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede bei Alzheimer gibt, hat in den letzten Jahren zu einem Umdenken in Forschung und medizinischer Versorgung geführt. Die sogenannte Gendermedizin berücksichtigt diese Unterschiede bei der Entstehung, Diagnose und Behandlung von Krankheiten.

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In der Alzheimer-Forschung werden nun vermehrt geschlechtsspezifische Faktoren untersucht, um die Ursachen für die unterschiedliche Prävalenz und den unterschiedlichen Krankheitsverlauf bei Frauen und Männern besser zu verstehen. Es werden auch neue Diagnoseverfahren entwickelt, die auf die spezifischen Symptome von Frauen zugeschnitten sind.

Auch in der Pflege von Menschen mit Demenz werden gendersensible Aspekte berücksichtigt. Psychosoziale Angebote sind entsprechend stärker auf Frauen ausgerichtet, während Männer als pflegende Angehörige wenig sichtbar sind. Es besteht ein Bedarf an gendersensiblen Vorschlägen für die Pflegepraxis, die die spezifischen Bedürfnisse von Frauen und Männern berücksichtigen.

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