Die COVID-19-Pandemie hat die Welt vor beispiellose Herausforderungen gestellt. Neben den akuten Auswirkungen der Infektion rücken zunehmend auch Langzeitfolgen in den Fokus der Forschung. Eine dieser Folgen ist das möglicherweise erhöhte Risiko für neurologische Erkrankungen, insbesondere Demenz und Alzheimer, nach einer COVID-19-Erkrankung. Dieser Artikel beleuchtet die aktuellen Forschungsergebnisse zu diesem Thema, geht auf die potenziellen Mechanismen ein und gibt Empfehlungen für Betroffene und ihre Angehörigen.
Erhöhtes Demenzrisiko nach COVID-19?
Eine aktuelle Metaanalyse der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGP) deutet darauf hin, dass Menschen nach einer COVID-19-Erkrankung ein signifikant erhöhtes Risiko haben, an einer neu auftretenden Demenz zu erkranken. Diese Metaanalyse wertete 15 retrospektive Kohortenstudien mit insgesamt 26.408.378 Teilnehmern aus. Die Ergebnisse zeigten, dass eine COVID-19-Erkrankung mit einem erhöhten Risiko für neu auftretende Demenz verbunden ist (Hazard Ratio, HR: 1,49; 95 % Konfidenzintervall, KI: 1,33 - 1,68). Dieses Risiko blieb auch im Vergleich zu Kontrollgruppen ohne COVID-19 (HR: 1,65; 95 % KI: 1,39 - 1,95) sowie zu Gruppen mit anderen Atemwegserkrankungen (HR: 1,29; 95 % KI: 1,12 - 1,49) erhöht, jedoch nicht im Vergleich zu Influenza- oder Sepsis-Kohorten.
Es ist wichtig zu betonen, dass diese Ergebnisse auf Beobachtungsstudien basieren und daher keine Kausalität beweisen können. Es ist möglich, dass andere Faktoren, die mit einer COVID-19-Erkrankung einhergehen, wie z.B. ein schwererer Krankheitsverlauf oder Vorerkrankungen, das Demenzrisiko beeinflussen.
Eine im Fachmagazin "Nature Medicine" veröffentlichte Studie aus London untersuchte Blutproben von Personen, die an COVID-19 erkrankt waren, im Vergleich zu solchen, die sich nicht infiziert hatten. Dabei wurde ein Abfall des Quotienten aus Abeta42 und Abeta40 festgestellt, was einem Anstieg des Alters um 4 Jahre entsprach. Zudem stieg die pTau-181-Konzentration, ein Marker für die vermehrte Ablagerung von Tau-Fibrillen, insbesondere bei älteren Menschen und solchen mit Vorerkrankungen. Diese Veränderungen deuten darauf hin, dass COVID-19 möglicherweise die Ablagerung von Beta-Amyloiden und Tau-Fibrillen im Gehirn fördern könnte, die Kennzeichen des Morbus Alzheimer sind.
Neurologische und psychiatrische Folgen nach COVID-19: Eine umfassende Studie
Eine große Beobachtungsstudie mit über 1,2 Millionen Corona-Infizierten untersuchte neurologische und psychiatrische Diagnosen über einen Zeitraum von 24 Monaten. Die Ergebnisse, veröffentlicht im "Lancet Psychiatry", zeigen, dass das Risiko für Demenz, Psychosen oder Krampfleiden bis zu zwei Jahre nach einer SARS-CoV-2-Erkrankung erhöht bleibt. Im Gegensatz dazu sinkt das Risiko für Angststörungen und Depressionen bereits nach zwei Monaten.
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Die Studie umfasste Daten von Patienten mit laborbestätigter SARS-CoV-2-Infektion, darunter Kinder, Erwachsene und Senioren. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit von 14 neurologischen und psychiatrischen Diagnosen wurde nach einer SARS-CoV-2-Infektion bewertet und mit einer gematchten Kontrollgruppe ohne COVID-19 verglichen.
Die Analyse ergab, dass sich die Erkrankungsgefahr für die häufigsten psychiatrischen Störungen ein bis zwei Monate nach durchgemachter COVID-19-Erkrankung normalisierte. Im Gegensatz dazu war das Risiko für kognitive Defizite (Gehirnnebel), Demenz, psychotische Störungen und Epilepsie oder Krampfanfälle am Ende des zweijährigen Nachbeobachtungszeitraums immer noch erhöht.
Interessanterweise zeigte die Analyse nach Altersgruppen, dass 18- bis 64-Jährige zwölf bis 24 Monate nach der Infektion ein erhöhtes Risiko für kognitive Störungen und Bewusstseinstrübung hatten. In der Kohorte ab 65 Jahren gab es im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich mehr Störungen wie Bewusstseinstrübung, Demenz und Psychosen.
Die Rolle von Virusvarianten
Die Studie untersuchte auch die Auswirkungen der verschiedenen SARS-CoV-2-Virusvarianten. Mit dem Erscheinen der Delta-Variante stieg das Risiko für ischämische Schlaganfälle, Epilepsie oder Krampfanfälle, kognitive Defizite, Schlaflosigkeit und Angststörungen. Die Omikron-Variante barg ein ähnliches Risiko für neurologische und psychiatrische Folgeerscheinungen wie die Delta-Mutation.
Kritik und alternative Erklärungen
Die Ergebnisse dieser Studien sind jedoch nicht unumstritten. Einige Experten weisen darauf hin, dass es sich um bevölkerungsbasierte, statistische Studien handelt, die keinen kausalen Zusammenhang zwischen einer COVID-19-Infektion und dem Auftreten von Alzheimer oder Parkinson beweisen können.
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Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, argumentiert, dass das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen nach einer Coronainfektion nicht höher sei als bei anderen Atemwegserkrankungen. Er vermutet, dass eher die Infektion an sich das Risiko steigert. Zudem betont er, dass eine latente Demenz häufig durch ein schwerwiegendes Ereignis, wie eine COVID-19-Erkrankung, manifest wird, ohne dass ein ursächlicher Zusammenhang besteht.
Andere Experten weisen darauf hin, dass die COVID-19-Pandemie in der Gesellschaft zu Stress, Störungen des täglichen Lebens und Angst geführt hat, was die beobachteten Zunahmen bei Demenz und Psychose erklären könnte.
Mögliche Mechanismen
Trotz der Kontroversen gibt es potenzielle biologische Mechanismen, die eine kausale Beziehung zwischen COVID-19 und einem erhöhten Demenzrisiko erklären könnten. Ein möglicher Mechanismus ist eine maladaptive Reaktion des Wirts, sowohl der angeborenen als auch der adaptiven Immunantwort, die zu einer nachhaltigen neurologischen Schädigung führen kann. Diese Schädigung könnte sich durch erhöhte Biomarker für Hirnschädigung, speziell Tau, zeigen.
Ein weiterer möglicher Mechanismus ist die Förderung der Ablagerung von Beta-Amyloiden und Tau-Fibrillen im Gehirn durch COVID-19, wie in der Londoner Studie festgestellt wurde.
Umgang mit Demenz in Zeiten von Corona: Herausforderungen und Hilfestellungen
Die Corona-Pandemie stellt Angehörige von Menschen mit Demenz vor besondere Herausforderungen. Der größte Teil der Demenzerkrankten ist hochaltrig und leidet an weiteren Erkrankungen, wodurch sie durch das Coronavirus besonders gefährdet sind.
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Es ist wichtig, die Nachrichten und den veränderten Tagesablauf altersgerecht zu erklären und die gewohnten Routinen so weit wie möglich beizubehalten. Spaziergänge an der frischen Luft sind weiterhin möglich und tun sowohl Ihnen als auch Ihrem Angehörigen gut. Auch in der Wohnung gibt es viele Möglichkeiten der Beschäftigung, wie Gesellschaftsspiele, Kreuzworträtsel, gemeinsames Singen oder Musik hören.
Das Tragen einer Alltagsmaske kann für Menschen mit Demenz beängstigend sein. Soweit wie möglich sollten in diesem Fall der Besuch von Geschäften und die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln vermieden werden. Wenn das nicht möglich ist, kann ein Verständniskärtchen helfen mit dem Hinweis, dass die oder der Betreffende eine Demenz hat.
Anträge auf einen Pflegegrad oder eine Höherstufung werden weiterhin bearbeitet. Zur Vorbereitung der Begutachtung können Sie den „Selbsteinschätzungsbogen für pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz zur Vorbereitung auf die Begutachtung zum Pflegegrad“ nutzen.
Wenn Sie selbst Symptome einer akuten Atemwegsinfektion haben, sollten Sie zusätzliche Schutzmaßnahmen ergreifen und einen Mundschutz tragen. Wenn Sie schwerwiegende Symptome haben und ins Krankenhaus überwiesen werden, muss Ihr demenzerkrankter Angehöriger unweigerlich durch eine andere Person versorgt werden. Es ist sinnvoll, sich schon vorab darüber Gedanken zu machen, wer diese Aufgabe übernehmen kann.
Die Bundesregierung hat im „2. Bevölkerungsschutzgesetz“ geregelt, dass Arbeitnehmer sich im Zeitraum bis zum 30. Juni 2021 nach § 2 des Pflegezeitgesetzes für bis zu 20 Tage von der Arbeit freistellen lassen können, wenn sich an der Pflegesituation akut etwas ändert.
Tipps für Angehörige
Für Sie als Angehörige ist die aktuelle Situation eine große Herausforderung. Damit Sie Ihre eigenen Kräfte schonen, ist es wichtig, dass Sie auch für sich selbst sorgen. Nur so können Sie Ihrem demenzerkrankten Familienmitglied auch weiterhin unterstützend zur Seite stehen.
Nutzen Sie die Ruhezeiten der demenzerkrankten Person, um selbst auszuruhen. Pflegen Sie Ihre sozialen Kontakte über die verschiedenen Kommunikationskanäle. Sprechen Sie mit jemandem über Ihre Sorgen und Gedanken und lachen Sie auch mal wieder mit jemandem gemeinsam.
Vielleicht sind Sie ja bereits Mitglied einer Angehörigengruppe? Nutzen Sie die Möglichkeit, um sich gegenseitig Mut zu machen und Unterstützung zu finden. Kontakt zu Angehörigengruppen finden Sie über die örtlichen Alzheimer-Gesellschaften.
Weitere Forschung und Prävention
Es ist wichtig, weitere Forschung zu betreiben, um den Zusammenhang zwischen COVID-19 und Demenz besser zu verstehen und gezielte Präventionsmaßnahmen zu entwickeln.
Eine Studie am Universitätsklinikum Tübingen untersucht die Nebenwirkungen von COVID-19-Impfungen. Die Ergebnisse zeigen, dass nach der ersten Impfung vor allem lokale Nebenwirkungen bei den mRNA-Impfstoffen BioNTech/Pfizer und Moderna auftraten, während systemische Nebenwirkungen bei dem Vektorimpfstoff von AstraZeneca häufiger und schwerer waren. Nach der zweiten Dosis nahm jedoch die Häufigkeit systemischer Nebenwirkungen ab, wenn AstraZeneca verabreicht wurde.
Es ist wichtig zu betonen, dass die Impfung gegen das Coronavirus das Risiko für viele Folgeerkrankungen senken kann, einschließlich Long-COVID-Beschwerden.