Die Amygdala, auch Mandelkern genannt, ist eine zentrale Struktur im Gehirn, die eine entscheidende Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen, der Steuerung von Stressreaktionen und der Speicherung von emotionalen Erinnerungen spielt. Sie agiert wie ein Frühwarnsystem und ist entscheidend für unser Überleben.
Was ist die Amygdala?
Die Amygdala (Corpus amygdaloideum oder Mandelkern) ist ein mandelförmiger Teil des limbischen Systems im Gehirn. Es handelt sich um zwei bohnengroße Ansammlungen von Nervenzellen, die tief im Temporallappen liegen, nahe dem Hippocampus, der für das Gedächtnis zuständig ist. Die Amygdala besteht aus verschiedenen Kernen, die durch dünne Lamellen (Schichten) unterteilt sind und funktionell unterschiedliche Aufgaben haben. Diese Teilgebiete empfangen Informationen aus verschiedenen Gehirnbereichen (Afferenzen) und leiten sie an andere Bereiche weiter (Efferenzen).
Wo liegt die Amygdala?
Die Amygdala befindet sich im medialen (mittleren) Teil der beiden Temporallappen des Gehirns, direkt neben dem Hippocampus.
Funktionen der Amygdala
Die Amygdala hat vielfältige Funktionen im Gehirn, die sie zu einer Schlüsselstruktur für Emotionen, Verhalten und die Verarbeitung von Sinneseindrücken machen.
Verarbeitung von Emotionen
Die Amygdala ist maßgeblich an der Verarbeitung von Emotionen wie Angst, Furcht, Wut, Freude und Trauer beteiligt. Sie bewertet die emotionale Bedeutung von Situationen und Reizen und löst entsprechende Reaktionen aus. Besonders wichtig ist ihre Rolle bei der Entstehung von Angstgefühlen.
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Steuerung von Stressreaktionen
In Stresssituationen aktiviert die Amygdala das autonome Nervensystem, indem sie Signale an den Hypothalamus sendet. Dies führt zur Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin und Kortisol, die den Körper auf Kampf oder Flucht vorbereiten. Die Amygdala nutzt zwei Wege, um die Kampf- und Fluchtreaktion auszulösen:
- Der schnelle Weg: Über das sympathische Nervensystem gelangt die Information "Gefahr" zum Nebennierenmark, wo Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet werden. Diese Hormone erhöhen Herzschlag, Blutdruck, Muskelspannung und Blutzuckerspiegel.
- Der langsame Weg: Die Amygdala informiert den Hypothalamus, der das Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH) ausschüttet. CRH wirkt auf die Hirnanhangdrüse (Hypophyse) und veranlasst diese, das Adrenocorticotropin (ACTH) freizusetzen. ACTH gelangt zur Nebennierenrinde und führt zur Ausschüttung von Kortisol.
Speicherung emotionaler Erinnerungen
Emotionale Ereignisse werden durch die Amygdala besonders intensiv im Gedächtnis verankert. Dies ermöglicht es uns, aus Erfahrungen zu lernen und in Zukunft ähnliche Situationen besser einzuschätzen. Die Amygdala veranlasst den Hippocampus, sich die stressauslösende Situation gut zu merken, wodurch wir lernen, uns vor dem Stressor in Acht zu nehmen.
Erkennen und Verstehen von Emotionen bei anderen
Die Amygdala ist auch für das Erkennen und Verstehen von Emotionen bei anderen Menschen zuständig. Dies ist wichtig für soziale Interaktionen und das Einfühlungsvermögen.
Bedeutung für das Überleben
Die Amygdala war entscheidend für das Überleben unserer Vorfahren, da sie ihnen half, Gefahren zu erkennen und schnell darauf zu reagieren. Sie ermöglichte es ihnen, sich vor Raubtieren zu schützen, Nahrung zu finden und sich fortzupflanzen.
Regulierung der Nahrungsaufnahme
Die Amygdala ist Teil neuronaler Netzwerke, die Energiehaushalt, Gefühlslage und Belohnung koordinieren. Spezifische Nervenzellen, sogenannte "Genuss-Neurone", verbinden die Nahrungsaufnahme mit positiven Empfindungen. Die Aktivierung dieser Zellen fördert bei Mäusen die Nahrungsaufnahme, auch wenn sie nicht hungrig sind. Im Gegensatz dazu stoppen "Magersuchtneuronen" die Nahrungsaufnahme bei Übelkeit.
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Schutz vor Körperwahrnehmungsstörungen
Studien deuten darauf hin, dass die Amygdala eine Schutzfunktion vor gestörter Körperwahrnehmung hat. Eine intakte Amygdala mindert die Anfälligkeit für die "Gummihand-Illusion", bei der eine künstliche Hand als Teil des eigenen Körpers wahrgenommen wird.
Auswirkungen von Schädigungen der Amygdala
Schädigungen der Amygdala können zu Problemen bei der emotionalen Bewertung von Situationen, der Verarbeitung von Emotionen und dem Gedächtnis führen.
Urbach-Wiethe-Syndrom
Eine seltene Erbkrankheit, das Urbach-Wiethe-Syndrom, führt zu einer Verkalkung (Ablagerung von Kalzium) der Amygdala. Betroffene Menschen können den emotionalen Ausdruck von Angst nicht oder kaum erkennen, beschreiben oder reproduzieren.
Schwierigkeiten bei der emotionalen Bewertung von Situationen
Schädigungen der Amygdala können dazu führen, dass Erinnerungen ohne ihren emotionalen Inhalt bewertet werden. Betroffene haben Schwierigkeiten, die Bedeutung von Situationen richtig einzuschätzen und angemessen darauf zu reagieren.
Beeinträchtigungen des Sozialverhaltens
Da die Amygdala eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen und dem Erkennen von Emotionen bei anderen spielt, können Schädigungen zu Problemen im Sozialverhalten führen. Betroffene haben möglicherweise Schwierigkeiten, Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten.
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Stress und die Amygdala
Die Amygdala spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Stressreaktionen. Sie bewertet Situationen als bedrohlich oder gefährlich und setzt die Stressreaktion in Gang. Chronischer Stress kann jedoch die Amygdala verändern und zu einer erhöhten Reaktivität führen.
Auswirkungen von chronischem Stress auf die Amygdala
Chronischer Stress kann die Zellfortsätze im Hippocampus schädigen und den präfrontalen Cortex verändern, was zu Gedächtnisproblemen und Schwierigkeiten bei der Entscheidungsfindung führen kann.
Die Stressbremse
Normalerweise reguliert der Körper die Stressreaktion selbst. Ist genügend Kortisol im Blut vorhanden, stoppt die Nebennierenrinde die Produktion von weiterem Kortisol, und das parasympathische Nervensystem wird aktiv, wodurch wir uns entspannen.
Wenn die Hormone aus dem Ruder laufen
Funktioniert das Zusammenspiel der Hormone nicht optimal, kann dies zu einer Überproduktion von Kortisol führen, was in schlimmen Fällen zu Denkstörungen, Gewebeschwund im Gehirn, Störungen des Immunsystems und der Entstehung von Depressionen führen kann.
Frühe traumatische Erfahrungen und die Stressreaktion
Intensiver Stress in der frühen Kindheit kann die Arbeitsweise von Genen, die an der Stressreaktion beteiligt sind, so beeinflussen, dass Stresshormone schneller und intensiver ausgeschüttet werden.
Forschung zur Amygdala
Die Forschung zur Amygdala hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Neue bildgebende Verfahren und genetische Analysen ermöglichen es, die komplexen Funktionen der Amygdala besser zu verstehen.
Die Rolle der Amygdala bei psychischen Erkrankungen
Die Forschung konzentriert sich auch auf die Rolle der Amygdala bei psychischen Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen. Ein besseres Verständnis der Amygdala könnte zu neuen Therapieansätzen führen.
Die Amygdala und soziale Interaktion
Ein weiterer Schwerpunkt der Forschung ist die Rolle der Amygdala bei sozialen Interaktionen. Wissenschaftler untersuchen, wie die Amygdala die Verarbeitung von Gesichtsausdrücken, die Empathie und das soziale Verhalten beeinflusst.