Trauma, Gehirn und Amygdala: Funktion und Auswirkungen

Traumatische Erlebnisse können tiefgreifende Auswirkungen auf das Gehirn haben, insbesondere auf die Amygdala, eine Hirnregion, die eine Schlüsselrolle bei der Verarbeitung von Emotionen spielt. Dieser Artikel beleuchtet die Veränderungen im Gehirn nach einer Traumatisierung, die Funktion der Amygdala im Kontext von Trauma und die möglichen Folgen für Betroffene.

Einführung

Ein Trauma kann durch verschiedene Ereignisse ausgelöst werden, wie beispielsweise Unfälle, Gewalttaten oder Naturkatastrophen. Obwohl die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens traumatische Erfahrungen machen, entwickelt nicht jeder eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Neurowissenschaftliche Studien haben sich intensiv mit den Veränderungen im Gehirn nach einer Traumatisierung auseinandergesetzt, um die Mechanismen hinter der PTBS besser zu verstehen und effektivere Therapieansätze zu entwickeln.

Symptome des Traumas und ihre Wirkung auf das Gehirn

Neurowissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass die Symptome nach einem Trauma mit einer starken Aktivierung der Amygdala einhergehen - einer Region im Gehirn, die beim Erleben von Angst und anderen Emotionen eine wichtige Rolle spielt. Weitere Untersuchungen haben ergeben, dass diese starke Aktivierung nicht einfach wieder gelöscht werden kann. Sie kann jedoch durch Aktivierung einer anderen Hirnregion, des medialen präfrontalen Cortex, gehemmt werden. Diese Region ist für die bewusste Verarbeitung von Informationen von Bedeutung. Neurowissenschaftler nehmen daher an, dass während der Verarbeitung des Traumas in der Traumatherapie die Aktivierung des medialen präfrontalen Cortex dazu beiträgt, dass die starke Aktivierung der Amygdala auf Dauer gehemmt wird. Die bewusste Verarbeitung der traumatischen Erinnerungen und der damit verbundenen negativen Gefühle führt nach Annahme der Forscher dazu, dass das traumatische Ereignis anders bewertet wird und die Erinnerungen an das Trauma in die übrigen Gedächtnisinhalte integriert werden können. Mit dem Trauma verbundene Reize oder Erinnerungen lösen dann keine überwältigenden Gefühle wie starke Angst, Panik, Hilflosigkeit, Ohnmacht oder Wut mehr aus.

Die Rolle der Amygdala bei der Verarbeitung von Emotionen

Die Amygdala, auch Mandelkern genannt, ist eine kleine, mandelförmige Struktur im limbischen System des Gehirns. Sie spielt eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen, insbesondere Angst und Furcht. Die Amygdala ist an der Bewertung von Situationen und der Erkennung potenzieller Gefahren beteiligt. Sie verknüpft Ereignisse mit Emotionen und speichert diese Verknüpfungen im Gedächtnis.

Experimentelle Erkenntnisse zur Funktion der Amygdala

Experimente mit Tieren haben gezeigt, dass die Stimulation verschiedener Bereiche der Amygdala unterschiedliche Reaktionen hervorrufen kann. Reizt man bei Versuchstieren mit einer Elektrode den Mandelkernkomplex, ist die Reaktion davon abhängig, auf welches Gebiet man trifft: Ist es die oberflächliche Kerngruppe, wird das Tier anfangen zu schmatzen, Kau- oder Leckbewegungen machen. Außerdem wird der Speichelfluss angeregt. Reizt die Elektrode hingegen den tiefen Amygdala-Teil, hebt das Tier den Kopf, die Pupillen weiten sich, es schaut sich aufmerksam um. Bei stärkeren Impulsen wird aus der gesteigerten Aufmerksamkeit Angst oder Wut. Der Mandelkern wirkt vor allem als emotionaler Verstärker. Zu welcher Reaktion eine Stimulierung führt, hängt daher beim Menschen auch davon ab, in welcher Stimmung die Versuchsperson sich zum jeweiligen Zeitpunkt gerade befindet. Probanden berichten außerdem, beim Reizen der Amygdala erinnerungsähnliche Halluzinationen gehabt zu haben, oder auch eine Déjà-vu-Erfahrung, also das Gefühl, eine Situation schon mal erlebt zu haben. Am besten lässt sich der Mandelkern verstehen, wenn man betrachtet, was passiert, wenn er fehlt - beispielsweise bei Affen, bei denen auf beiden Gehirnhälften die Amygdala gezielt zerstört wurde. Als Folge wirken die Tiere insgesamt emotionsloser als früher. Vor allem aber fehlt es ihnen an jeglichem aggressiven oder defensiven Verhalten. Die Affen zeigen nicht die Spur von Furcht - auch dann nicht, wenn sie einer echten Gefahr, beispielsweise einer Schlange, begegnen. Dabei nehmen sie den äußeren Reiz der Schlange durchaus wahr, aber ohne Mandelkernkomplex bleibt der entsprechende Schreckreflex aus. Und nicht nur das: Ohne Amygdala haben die Tiere Schwierigkeiten, emotionale Assoziationen zu lernen, etwa einen bestimmten Gegenstand mit einer Belohnung zu verbinden oder mit einer Strafe. Außerdem suchen sie keinen Kontakt mehr zu anderen Affen und sind daher in der Gruppe bald isoliert.

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Auswirkungen von Schädigungen der Amygdala beim Menschen

Ganz ähnlich ist es beim Menschen. So beschrieb der britische Psychiater Robin Jacobsen einen Patienten, bei dem der Mandelkernkomplex aus Krankheitsgründen auf beiden Seiten operativ entfernt worden war. Die Person hatte in der Folge Schwierigkeiten, Gesichter zu erkennen und vor allem den Gesichtsausdruck ihres Gegenübers richtig zu deuten. Dadurch war auch das Sozialverhalten des Betroffenen stark gestört. Einen ähnlichen Ausfall verursacht auch das Urbach-Wiethe-Syndrom, eine seltene Erbkrankheit, bei der unter anderem die Amygdala verkalkt. Die Erkrankten sind ebenfalls in ihrem Gefühls- und Sozialleben stark eingeschränkt. Dem Wort „Angst“ können sie keinerlei Bedeutung zuordnen. Der Mandelkernkomplex spielt auch eine Rolle für das Gedächtnis, genauer, das emotionale Gedächtnis. Normalerweise können wir uns besser an eine Situation erinnern, wenn starke Gefühle dabei beteiligt waren - besonders Angst oder Furcht. Menschen mit geschädigtem Mandelkernkomplex jedoch zeigen diesen Effekt nicht: Sie erinnern sich an abstoßende, an neutrale und an wohltuende Szenen - etwa in einem Film - gleich gut.

Die Amygdala als "Angstzentrale" des Gehirns

Eine sehr wichtige Hirnregion für unsere Erleben von Stress und Angst ist die Amygdala, ein kleiner, mandelförmiger Komplex von Nervenzellen im unteren Bereich des Gehirninneren. Sie ist Teil des sogenannten Limbischen Systems. Das ist ein Verbund verschiedener Hirnstrukturen im Innern des Gehirns, der eine große Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen spielt. Die Amygdala steuert - zusammen mit anderen Hirnregionen - unsere psychischen und körperlichen Reaktionen auf stress- und angstauslösende Situationen. Treffen bei ihr Signale ein, die höhere Aufmerksamkeit erfordern, zum Beispiel, wenn etwas neu oder gefährlich ist, dann feuern ihre Nervenzellen. Wir werden wacher und aufmerksamer. Dies geschieht bereits, bevor wir die Gefahr bewusst erkennen. Ab einer bestimmten Schwelle der Nervenaktivität setzt die Amygdala die Stressreaktion in Gang und aktiviert so die Kampf- und Flucht-Reaktion.

Um die Kampf- und Fluchtreaktion auszulösen, nutzt die Amygdala zwei Wege. Der schnellere Weg läuft über das sogenannte sympathische Nervensystem, das den Körper auf Aktivität einstimmt. Etwas langsamer ist der Weg über den Hypothalamus. Der Hypothalamus ist ein komplexes Gebilde im Zwischenhirn, das grundlegende Funktionen unseres Körpers steuert. Für die Stressreaktion setzt er eine ganze Kaskade von Hormonen in Gang.

Der schnelle Weg: das sympathische Nervensystem

Über die Nervenstränge des sympathische Nervensystem im Rückenmark gelangt die Information "Gefahr" zum Mark der Nebenniere. Dort werden Adrenalin und - in geringerem Maß - Noradrenalin ausgeschüttet. Diese Hormone nennt man auch Katecholamine. Sie treiben zum Beispiel den Herzschlag und den Blutdruck in die Höhe, sorgen für eine größere Spannung der Muskeln und bewirken, dass mehr Blutzucker freigesetzt wird, so dass die Muskelzellen besser versorgt werden können.

Der "langsame" Weg über den Hypothalamus

Parallel informiert die Amygdala den Hypothalamus, dass Gefahr im Verzug ist. Der Hypothalamus schüttet hormonelle Botenstoffe aus, unter anderem das Corticotropin-releasing-Hormon. Dieses Hormon wirkt auf die Hirnanhangdrüse im Gehirn - auch Hypophyse genannt. Es sorgt dafür, dass sie ein weiteres Hormon freisetzt, das Adrenocorticotropin, kurz ACTH. Es gelangt mit dem Blut zur Rinde der Nebenniere und veranlasst diese, das Stresshormon Kortisol auszuschütten. Kortisol ist ein lebenswichtiges Glukokortikoid, das auch viele andere Funktionen im Körper hat. Ist es im Übermaß vorhanden, kann es den Körper aber auch schädigen. Zusammen sorgen die Hormone und das sympathische Nervensystem dafür, dass unser Körper mehr Sauerstoff und Energie bekommt, um schnell zu handeln.

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Stress und Gedächtnis

Die Amygdala setzt nicht nur die Stressreaktion in Gang. Sie veranlasst auch eine bedeutende Gedächtnisregion im Gehirn, den ganz in der Nähe gelegenen Hippocampus, sich die stressauslösende Situation gut zu merken. Auf diese Weise lernen wir, uns vor dem Stressor in Acht zu nehmen. Kommen wir erneut in eine derartige Situation, läuft die Stressreaktion noch schneller ab. Forschungen haben gezeigt, dass chronischer Stress die Zellfortsätze im Hippocampus schädigen kann. Sie sind Teil der Nervenzelle und wichtig für die Aufnahme von Information. Schrumpfen sie, wirkt sich das negativ auf das Gedächtnis aus.

Denken und Stress

Auch mit dem "denkenden" Teil des Gehirns ist die Amygdala eng verbunden, vor allem mit einem stammesgeschichtlich jüngeren Teil unseres Hirns, dem Stirnlappen. Er ist wichtig für die Kontrolle der Emotionen. Wie der Name sagt, sitzt er hinter der Stirn. Er wird auch präfrontaler Cortex genannt. Mit seiner Hilfe können wir durch logische Analyse und Denken unsere Emotionen beeinflussen. Er spielt eine große Rolle bei der Bewertung, ob wir einen Stressor für bewältigbar halten oder nicht, und für unser Verhalten in der stressigen Situation. Chronischer Stress allerdings kann den präfrontalen Cortex verändern, so dass es schwieriger wird, sinnvolle Entscheidungen zu treffen.

Eingebaute Stressbremse

Zum Glück regen wir uns meistens nach Stress auch wieder ab. Dabei hilft eine eingebaute Stressbremse. Ist nämlich das Stresshormon Kortisol in ausreichendem Maß im Blut vorhanden, merken das bestimmte Rezeptoren im Drüsensystem und im Gehirn, die Glucocorticoidrezeptoren. Daraufhin stoppt die Nebennierenrinde die Produktion von weiterem Kortisol. Das parasympathische Nervensystem - der Teil des Nervensystems, der unseren Körper zur Ruhe kommen lässt - wird aktiv. Wir werden wieder ruhiger und entspannen uns.

Wenn die Hormone aus dem Ruder laufen

Anders sieht es aus, wenn das Zusammenspiel der Hormone nicht optimal funktioniert. Zum Beispiel, wenn nicht genug Rezeptoren vorhanden sind, die merken könnten, dass genug Kortisol vorhanden ist. Oder wenn die vorhandenen Rezeptoren nicht richtig arbeiten. Dann wird die Achse aus Hypothalamus, Hirnanhangdrüse und Nebenniere zu aktiv. Sie produziert zu viel Kortisol.So etwas kann in schlimmen Fällen zu Denkstörungen, zu Gewebeschwund im Hirn und zu Störungen des Immunsystems führen. Auch die Entstehung von Depressionen wird auf diesen Einfluss zurückgeführt, ebenso Stoffwechselstörungen, die Diabetes fördern.

Frühe traumatische Erfahrungen beeinflussen die Stressreaktion

Intensiver Stress in der frühen Kindheit kann die Arbeitsweise von Genen, die an der Stressreaktion beteiligt sind, so beeinflussen, dass Stresshormone schneller und intensiver ausgeschüttet werden. Das wiesen Neurowissenschaftler aus dem Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München an Tieren nach. Dieser Effekt bleibt lebenslang bestehen. Ähnliche Ergebnisse scheint es unter bestimmten genetischen Bedingungen auch bei Menschen zu geben, die ein Trauma erlebt haben, etwa durch eine Naturkatastrophe, durch Missbrauch oder durch Gewalt.

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Die Verarbeitung traumatischer Erlebnisse im Gehirn

Bei traumatischen Erlebnissen wird unser Gehirn mit Stresshormonen überflutet. Dieses wirkt sich ungünstig auf die Nervenzellen im Gehirn aus, vor allem auf den Hippocampus. Die Zusammenarbeit zwischen der Amygdala und dem Hippocampus ist gestört. Gefühlszustände, Bilder und körperliche Reaktionen werden in der Amygdala gespeichert, das vollständige Zuordnen des Erlebten im Zusammenhang mit der äußeren Realität kann im Hippocampus jedoch nicht stattfinden. Es entsteht eine „hippocampale Amnesie“, d.h. Ist das Trauma nicht verarbeitet, überwiegt das emotionale Gedächtnis der Amygdala „hot system“ im Vergleich zum autobiografischen Gedächtnis des Hippocampus „cold system“. Es besteht ein Nebeneinander von intensiven Erinnerungen einerseits und Erinnerungslücken bzgl. der konkreten Geschehnisse andererseits. Die unvollständigen, weil noch nicht zuordenbaren Erinnerungen, entwickeln ein Eigenleben, welches sich weitestgehend dem Bewusstsein entzieht. Für die Verarbeitung des Traumas ist es notwendig, dass das traumatische Ereignis in einen Gesamtzusammenhang eingeordnet werden kann. Dann könnte eine Traumaberatung für dich hilfreich sein.

Wie das Gehirn Gefahr erkennt

Ob eine Situation gefährlich ist oder nicht, entscheidet das Gehirn über zwei verschiedene Wege.Wenn (innere oder äußere) Sinnesreize zum Thalamus gelangen, filtert er sie und leitet sie sowohl zur Amygdala als auch zum Neokortex weiter.In der Amygdala wird schnell und automatisch entschieden, ob eine Gefahr besteht. Dazu gleicht der Hippocampus den Sinnesreiz mit früheren Erlebnissen ab und gibt diese Information an die Amygdala. Wenn der Reiz als gefährlich eingestuft wird, sorgt sie für die Ausschüttung von Stresshormonen (Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol) und aktiviert das autonome Nervensystem. Damit wird eine Stressreaktion ausgelöst. Durch die Aktivierung des Sympathikus (des „aktiven“ Teil des autonomen Nervensystems) bereitet sich der Körper für Kampf und Flucht vor. Wenn wir uns z.B. erschrecken, weil wir glauben, eine Schlange auf dem Boden gesehen zu haben und kurz davor sind, loszurennen, ist das genau diese Reaktion.Das Großhirn (also der präfrontale Kortex) verarbeitet die Information ebenfalls, ist jedoch beim sorgfältigen und detaillierten Abwägen etwas langsamer. Daher ist die Stressreaktion häufig schon angeschoben, bevor - hoffentlich - die Einsicht ankommt, dass die Situation keine Gefahr darstellt.Wenn der präfrontale Kortex dann erkennt, dass die vermeintliche Schlange doch nur ein Ast auf dem Boden ist, wird der Alarm über den Parasympathikus (den Teil des autonomen Nervensystems, der für Ruhe zuständig ist) abgestellt.

Die vollendete Stressreaktion

Wenn es uns gelingt, in einer Gefahrensituation handlungsfähig zu bleiben, weil wir kämpfen oder fliehen können, entladen wir die Stressenergie und auch die Stresshormone. Weil wir uns danach wieder ausreichend sicher fühlen, springt der Parasympathikus an. Die Stressreaktion kommt zum Ende, und das autonome Nervensystem kommt wieder ins Gleichgewicht.Die Amygdala verbindet das Gefühl dieser Selbstwirksamkeit mit dem Erlebnis und legt es im Körpergedächtnis ab als „Yes, I can“. Das Vertrauen in die eigene Kraft steigt durch dieses verkörperte Wissen.Der Hippocampus sortiert das Erlebte als: „Es ist vorbei“ in die Vergangenheit und gibt die Information an den präfrontalen Kortex weiter. Dort wird sie als Geschichte unseres Lebens abgelegt, kann dort abgerufen und erzählt werden.Das implizite (Körper)Gedächtnis und das explizite (Langzeit)Gedächtnis stimmen wieder überein, Körper und Geist sind in Einklang. Damit kommt das System in Ruhe.

Keine Lösung - was Daueralarm in Gehirn bewirkt

Bei chronischem Stress und Trauma bleiben wir länger in einem Gefühl der Ohnmacht und Überwältigung. Wenn wir die Situation nicht durch eigenes Handeln lösen können, wird auch die Stressenergie nicht entladen. Dann bleiben die Stresshormone weiter im Körper und überfluten das Gehirn. Solange wir uns nicht sicher fühlen, greift der Parasympathikus nicht, und die Stressreaktion wird nicht vollendet. Dann können wir nicht zur Ruhe kommen.Der Daueralarm führt dazu, dass das Gehirn die Informationen anders verarbeitet. Das beeinflusst sowohl das Gedächtnis als auch die Entwicklung des Gehirns. Ein traumatisiertes Gehirn sieht nicht nur anders aus, sondern funktioniert auch anders als ein gelassenes.

Die Erinnerung wird fragmentiert

Besonders der Hippocampus, der Archivar, wird durch die Überflutung mit Stresshormonen beeinträchtigt. Er kann die Empfindungen aus dem Ereignis nicht mehr zeitlich und räumlich einordnen und an den präfrontalen Kortex weiterleiten. Dadurch ist es nicht mehr möglich, zwischen heute und damals zu unterscheiden.Das Erlebte kann dann nicht ins episodische Gedächtnis (Langzeitgedächtnis) überführt werden. Dies führt zu Erinnerungslücken oder Gedächtnisverlust. Daher kann nach einem Trauma eine sogenannte Amnesie entstehen.Die Aktivität des präfrontalen Kortex lässt nach, weil er weniger aktuelle Informationen erhält. Darunter leidet auch die Fähigkeit, das Erlebte zeitlich einzuordnen und zu relativieren. Somit können wir in diesem Zustand keine Realitätsprüfung mehr vornehmen, also Vergangenes nicht mehr von Aktuellem unterscheiden.Auch das Übersetzen der Empfindungen in Sprache wird gehemmt. Es entsteht möglicherweise Sprachlosigkeit. (Die Diskussion um „Nein heißt Nein“ finde ich vor diesem Hintergrund recht fragwürdig, weil viele Menschen in Zustand der Hilflosigkeit keinen Zugang zum Sprachzentrum finden und dann eben nicht sprechen können.)Über die Amygdala werden die sensorischen Eindrücke als Fragmente im Körpergedächtnis abgespeichert. Dann kann es Empfindungen geben, die wir nicht mit aktuellen Erlebnissen in Zusammenhang bringen können.Da es sich um hochgeladene Zustände handelt, ist die Amygdala in ständiger Wachsamkeit und meldet auch bei kleinen Gelegenheiten Alarm. Diese Empfindungszustände können also leicht getriggert werden.Weil die fragmentierten Empfindungen nicht in Zeit und Raum eingeordnet werden können, fühlt es sich dann so an, als würden wir das alles heute erleben. Wir können nicht zwischen „hier und jetzt“ und „dort und damals“ unterscheiden.Auch der Thalamus, der Wahrnehmungsfilter, wird beim Trauma beeinträchtigt, was zu ständiger Reizüberflutung führen kann. Hochsensibilität mag hier ihren Ursprung haben.Durch unverarbeitetes Trauma entsteht also ein massives Ungleichgewicht zwischen eingeschränktem episodischen Gedächtnis und hochgeladenem Körpergedächtnis. Um uns vor dieser inneren Dissonanz zu schützen, entwickeln wir dann allerlei Abwehrmechanismen. Das autonome Nervensystem bleibt dysreguliert, also aus dem Gleichgewicht, und kann nicht zur Ruhe kommen.

Die Studie chinesischer Hirnforscher

Chinesische Hirnforscher um Xiaoruia Su von der West China Hospital of Sichuan University (China) haben sich jetzt damit beschäftigt, welche Spuren ein Trauma im Gehirn hinterlässt und ob sie die PTBS erklären können. Die Forscher untersuchten die Gehirne von 78 PTBS-Patienten und 71 Nicht-Patienten mithilfe der Magnet-resonanzspektroskopie. Alle Patienten hatten dasselbe Erdbeben ein Jahr zuvor miterlebt.Su und Kollegen fanden in den Gehirnen der PTBS-Patienten auffällige Veränderungen, vor allem eine erhöhte N-Acetylaspartat-Konzentration im anterioren zingulären Kortex, eine erhöhte Kreatin-Konzentration in der linken Amygdala und eine erhöhte Myo-Inositol-Konzentration in der rechten Amgydala. Außerdem war das Volumen der Amygdala beidseitig verringert. Laut den Autoren können die verschiedenen metabolischen Aktivitäten in den Amygdala-Hälften auf einen Schutzmechanismus des Gehirns zurückgeführt werden, bei dem verstärkt Gliazellen ausgebildet werden. Darüber hinaus konnten sie nachweisen, dass es Unterschiede zwischen dem Früh- und Spätstadium einer PTBS gibt. So ist die N-Acetylaspartat-Konzentration anfangs höher als später.Die Studie zeigt, dass ein Trauma nicht nur psychische, sondern auch physiologische Spuren hinterlässt und das Gehirn verändert. Sie gibt außerdem einen Einblick in die metabolischen Prozesse, die ein Trauma im Gehirn auslöst, und ermöglicht die Verbesserung von Traumatherapien und des Verständnisses für den Verlauf der Erkrankung.

Bearbeitung des Traumas

Die Bearbeitung des Traumas kann mithilfe verschiedener Methoden erfolgen, zum Beispiel mit einer Konfrontation und Bearbeitung der traumabezogenen Symptome (wie bei der Traumaexposition oder der EMDR), narrativen Techniken, imaginativen oder hypnotherapeutischen Verfahren, eine Förderung der inneren Kommunikation oder körpertherapeutischen Verfahren (wie dem Somatic Experiencing). Diese verfolgen dabei alle ein ähnliches Ziel, nämlich die Verarbeitung der traumabezogenen Erinnerungen, Gefühle und Körperempfindungen, so dass die Symptome der PTBS zurückgehen oder verschwinden. Dabei wurde die Wirksamkeit von Traumaexposition, EMDR, der Bearbeitung ungünstiger Denkmuster und narrativer Verfahren in zahlreichen Studien nachgewiesen. Die Wirksamkeit der anderen Verfahren ist bisher noch nicht ausreichend in Studien untersucht und nachgewiesen worden. Bei schweren oder mehrfachen Traumatisierungen hat es sich jedoch als günstig erwiesen, schonendere Verfahren der Traumaverarbeitung einzusetzen, etwa das Somatic Experiencing nach Peter Levine oder die Schonende Traumatherapie nach Martin Sack.

Der Weg (zurück) in die Regulation

Für den Weg zu einem regulierten Nervensystem ist es ein wesentlicher Faktor, dass wir uns im Körper sicher fühlen können.Da Trauma überwiegend im Stammhirn und im Körpergedächtnis gespeichert wird, ist es hilfreich, dort mit der Therapie zu beginnen. Wenn das Großhirn und der Körper nicht miteinander verbunden sind, greift eine reine Gesprächstherapie nicht.Das Kleinhirn ist eng mit dem Stammhirn verbunden. Dort werden Gleichgewicht, Muskelkontraktion, Bewegung und Koordination gesteuert. Außerdem spüren wir über das Kleinhirn, wie wir im Verhältnis zum Raum verortet sind (Propriozeption). Also werden hier viele Körperwahrnehmungen verarbeitet.Wenn wir uns über den Körper im Hier und Jetzt verorten können, wird es möglich, Sicherheit zu spüren. Dann wird uns klar, dass das, was wir erlebt haben, vorbei ist.Auch liebevoller und eingestimmter Kontakt und Körperresonanz sind hilfreich, um sich selbst wieder besser zu spüren. Wenn wir uns von einer anderen Person wirklich gefühlt fühlen, kann unser Nervensystem zur Ruhe kommen.

Neuroplastizität - Das Gehirn lernt immer weiter

Wunderbarerweise lernt das Gehirn immer weiter. Das bedeutet: Auch, wenn wir in unseren frühen Lebensjahren vielleicht nicht die idealen Voraussetzungen für unsere (Gehirn-)Entwicklung hatten, können wir doch heute durch neue, gute Erfahrungen unserem Nervensystem die Möglichkeit bieten, sich immer besser zu regulieren. Das geschieht zwar nicht von heute auf morgen, aber mit Geduld und Kontinuität ist vieles möglich.Auf diese Weise können wir resilienter gegen Stress werden und mehr Ruhe, Leichtigkeit und Freude in unser Leben bringen.

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