Schädel-Hirn-Traumata und belastende Kindheitserfahrungen - beides kann das Risiko für die Entwicklung einer Demenz im späteren Leben erhöhen. Die Alzheimer-Forschung arbeitet intensiv daran, die zugrundeliegenden Mechanismen zu verstehen und präventive Strategien zu entwickeln.
Schädel-Hirn-Trauma und Alzheimer: Ein Zusammenhang
Schädel-Hirn-Traumata (SHT) gehören zu den Faktoren, die das Risiko für eine Alzheimer-Krankheit erhöhen. Nach einem SHT finden sich alzheimer-typische Ablagerungen des Proteins Tau und abgestorbene Nervenzellen (Neurodegeneration) im Gehirn. Es gibt Hinweise, dass Hirnentzündungen nach einem SHT diese Prozesse beschleunigen.
Die Rolle des NLRP3-Inflammasoms
Dr. Dr. Sergio Castro-Gómez von der Universitätsklinik Bonn konnte zeigen, dass das Protein NLRP3-Inflammasom eine entscheidende Rolle bei diesen Hirnentzündungen spielt. Fehlt dieses Protein, reduzieren sich auch die schädlichen Tau-Ablagerungen. In seinem Forschungsprojekt untersucht er, in welcher Beziehung das NLRP3-Inflammasom zum SHT steht und wie es sich auf die Alzheimer-Krankheit auswirkt.
Forschungsansatz
Das Forschungsteam analysiert ein Mausmodell, das die alzheimer-typischen Tau-Ablagerungen im Gehirn aufweist. Es wird der Hypothese nachgegangen, ob ein SHT die Tau-Ablagerung in Abhängigkeit von NLRP3 beschleunigen könnte.
Ziel des Forschungsprojekts
Dr. Dr. Castro-Gómez untersucht mit seinem Team, ob ein SHT den Beginn der neuropathologischen Veränderungen bei der Alzheimer-Krankheit auslösen und/oder beschleunigen könnte. Wenn man die molekularen Mechanismen besser versteht, die den entzündlichen Reaktionen nach einem SHT zugrunde liegen, können sich neue therapeutische Strategien ergeben. Die Ergebnisse dieses Forschungsprojektes können die Grundlage für klinische Studien an Patienten*innen legen, die ein SHT erlitten haben und ein Risiko für die Entwicklung von Alzheimer haben.
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Bisherige Erkenntnisse
Dr. Dr. Castro-Gómez und seinem Team ist es gelungen zu zeigen, wie eine leichte Entzündungsreaktion nach einem SHT neurodegenerative Prozesse in Gang setzen oder beschleunigen kann. Dabei wurden sowohl die Anhäufungen des Tau-Proteins als auch die Bildung von Amyloid-beta-Plaques beobachtet, die für die Alzheimer-Krankheit typisch sind. Möglich wurden diese Erkenntnisse durch die Entwicklung verlässlicher Protokolle im Mausmodell, deren Ergebnisse reproduzierbar sind. Damit konnte nachgewiesen werden, dass auch entzündliche Prozesse, wie sie in Folge eines SHT auftreten, zur Entstehung der Alzheimer-Krankheit beitragen können. Auf Basis dieser Erkenntnisse lassen sich künftig präventive Strategien ableiten, die dem Schutz - auch in Hinblick auf ein mögliches Alzheimer-Risiko - dienen können.
Verwendung der Fördermittel
Die Fördermittel wurden für Laborkosten wie Antikörper (22.900 Euro), für Mikroskopie-Analysen (1.000 Euro), für Tierhaltung und Verhaltensstudien (22.100 Euro) sowie für den Besuch internationaler Konferenzen (4.000 Euro) verwendet.
Wissenschaftliche Publikationen
Auf Basis des geförderten Projekts sind folgende wissenschaftliche Publikationen entstanden:
- Vidovic M.; Müschen L.H.; Brakemeier S.; Machetanz G.; Naumann M.; Castro-Gomez S. (2023) Current State and Future Directions in the Diagnosis of Amyotrophic Lateral Sclerosis. Cells 2023, 12, 736.
- Kittipeerapat N, Fabian R, Bernsen S, Weydt P, Castro-Gomez S. Creatine Kinase MB Isoenzyme Is a Complementary Biomarker in Amyotrophic Lateral Sclerosis. International Journal of Molecular Sciences. 2023; 24(14):11682.
Belastende Kindheitserfahrungen und Demenz: Eine Studie der Charité
Erwiesen ist, dass sich stressreiche und hochbelastende Kindheitserfahrungen mitunter negativ auf die Gesundheit im Erwachsenenalter auswirken. Betroffene erkranken häufiger und leiden etwa unter Depression, Angststörungen, Herzkreislauf- oder Stoffwechselerkrankungen. Ob solche Belastungen in der Kindheit auch das Entstehen neurodegenerativer Erkrankungen fördern können, darüber war bislang wenig bekannt. Jetzt konnten Forschende der Charité - Universitätsmedizin Berlin zeigen, dass schwerwiegende Kindheitserfahrungen zu messbaren Anzeichen für eine beschleunigte Hirnalterung führen und neurodegenerative Prozesse im Alter verstärken. Die Studie, in deren Zentrum Frauen stehen, ist im Fachmagazin Annals of Neurology erschienen.
Art der Kindheitstraumata
„Stress und Trauma während der Kindheit wie etwa Misshandlung oder Vernachlässigung, häusliche Gewalt, Substanzmissbrauch oder Kriminalität in der Familie oder der Verlust eines Elternteils - Erfahrungen dieser Art betreffen tatsächlich nicht wenige Menschen in unserer Gesellschaft“, sagt Studienleiterin Prof. Christine Heim, Direktorin des Instituts für Medizinische Psychologie der Charité. „Rund 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung berichten über stressreiche und hochbelastende Kindheitserfahrungen. Diese können molekulare und neurobiologische Spuren hinterlassen und das Hormon- und Immunsystem beeinflussen, was zu einem lebenslang deutlich erhöhten Risiko für verschiedene Erkrankungen beitragen kann.“ Mit ihrer Untersuchung wollte das Forschungsteam um Prof. Heim herausfinden, ob sich diese frühen belastenden Lebenserfahrungen langfristig auf die Gehirnalterung auswirken und neurodegenerative Prozesse fördern.
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Studiendesign
An der Studie, die in enger Kooperation mit der Klinik für Neurologie der Charité entstand, nahmen 179 Frauen zwischen 30 und 60 Jahren teil. Da Frauen ein erhöhtes Risiko für neurodegenerative Erkrankungen haben, legten die Wissenschaftler:innen den Fokus ihrer Forschungsarbeit auf diese Hochrisikogruppe.
„Zunächst haben wir klinische Interviews durchgeführt, um das Ausmaß stressreicher und hochbelastender Erfahrungen in der Kindheit - noch vor Einsetzen der Pubertät - zu erfassen“, sagt Lara Fleck, Doktorandin am Institut für Medizinische Psychologie der Charité und Erstautorin der Arbeit. „Außerdem haben wir Blutproben der Studienteilnehmerinnen mithilfe von Hochpräzisionstechnologien auf Biomarker untersucht, die spezifische Entzündungsprozesse und das Absterben von Nervenzellen anzeigen.“
Mittels Magnetresonanztomographie erstellten die Forschenden Hirn-Scans, um die Größe des Gehirns sowie die der mit Hirnwasser gefüllten Hohlräume zu erfassen. Die kognitive Leistung der Teilnehmerinnen ermittelten sie mit einem standardisierten und international anerkannten Testverfahren. „Dabei mussten die Teilnehmerinnen verschiedene Aufgaben am Computer lösen. Wir haben für unsere Studie drei spezifische Tests ausgewählt, die sehr genau frühe Anzeichen für eine Demenz detektieren können“, erklärt Lara Fleck.
Mithilfe statistischer Modelle haben die Forschenden die erhobenen Daten ausgewertet. Sozioökonomische Faktoren sowie das Vorliegen psychischer Probleme wie etwa Depressionen, die beim Entstehen neurodegenerativer Erkrankungen eine Rolle spielen können, haben die Wissenschaftler:innen herausgerechnet, sodass die zu untersuchenden Zusammenhänge nicht beeinflusst oder verfälscht wurden.
Ergebnisse
Die Ergebnisse waren auf allen drei Untersuchungsebenen eindeutig: Frauen, die in ihrer Kindheit in hohem Maße Stress oder Trauma erlebten, wiesen im Blut vermehrt Biomarker für Entzündungen und Neurodegeneration auf, hatten ein geringeres Hirnvolumen und mehr kognitive Probleme. „Die Ergebnisse unserer Studie zeigen einen sehr deutlichen Zusammenhang zwischen frühen psychosozialen oder sozio-emotionalen Stresserfahrungen und verstärkter Hirnalterung bei Frauen. Frühe belastende Lebenserfahrungen scheinen also tatsächlich das Risiko für die Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen zu erhöhen“, schließt Prof. Heim.
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Folgestudien
„In weiterführenden Untersuchungen müssen nun die dahinterstehenden Mechanismen aufgeklärt werden, damit künftig die Pfade der Krankheitsentstehung mit geeigneten Therapien frühzeitig und gezielt unterbrochen werden können.“ „Insbesondere vor dem Hintergrund, dass neurodegenerative Erkrankungen wie zum Beispiel die Alzheimer-Erkrankung deutlich zunehmen, müssen wir besser verstehen lernen, welche Risikofaktoren beim Entstehen eine Rolle spielen“, sagt Prof. Matthias Endres, Direktor der Klinik für Neurologie der Charité. „Unsere Erkenntnisse werfen Licht auf bislang unerkannte, aber umso wichtigere Zusammenhänge.“
Resilienz
Doch nicht jede oder jeder Betroffene wird nach kindlichem Trauma eine Demenz entwickeln. Viele Menschen besitzen ein hohes Maß an Resilienz, also Widerstandskraft, mit der sie schwere Lebenskrisen überstehen, ohne größeren Schaden zu nehmen. Wie Resilienz nach frühen belastenden Erfahrungen in der Kindheit gezielt gefördert werden kann, ist eine wichtige Frage für weiterführende Studien, so die Forschenden.
Fokus auf Frauen
Dass Frauen deutlich häufiger an Demenz erkranken als Männer, ist einer der Gründe, warum die Wissenschaftler:innen in der aktuellen Studie zunächst nur Frauen in den Fokus nahmen. In künftigen Untersuchungen will das Team um Prof. Heim untersuchen, ob bei Männern ähnliche Zusammenhänge zu beobachten sind. „Die jetzt vorliegenden Untersuchungsergebnisse beziehen sich zwar ausschließlich auf Frauen“, sagt die Wissenschaftlerin. „Sie lassen aber nicht den Schluss zu, dass Frauen mit frühen belastenden Lebenserfahrungen stärker gefährdet wären als Männer.“
Chronisch Traumatische Enzephalopathie (CTE)
Als besonders gefährlich gelten dabei wiederholte Schläge gegen den Kopf, die im Einzelfall nicht unbedingt schwerwiegend sein müssen. Bei einer Kopfverletzung wird das Gehirn durch die schnelle Beschleunigung des Kopfes gegen die Schädelknochen gepresst. Dabei können die empfindlichen Fortsätze der Nervenzellen im Gehirn beschädigt werden. Diese Fortsätze, auch Axone genannt, leiten Impulse an andere Nervenzellen weiter und sorgen so für die Informationsverarbeitung im Gehirn.
Werden diese Axone geschädigt, wird das so genannte Tau-Protein freigesetzt, das zu schädlichen Ablagerungen verklumpt. Diese Tau-Ablagerungen setzen einen Prozess in Gang, der zum allmählichen Absterben der Nervenzellen führen kann. Neben Kopfverletzungen könnten auch genetische Risikofaktoren eine Rolle bei der Entstehung der Chronisch Traumatischen Enzephalopathie spielen.
Genetische Faktoren
Ein Gen namens Apolipoprotein E4 (ApoE4) wird in diesem Zusammenhang besonders untersucht. Es erhöht auch das Risiko, an Alzheimer zu erkranken. Die genauen Ursachen von CTE müssen noch weiter erforscht werden.
Symptome und Verlauf
Symptome und Verlauf der Chronisch Traumatischen Enzephalopathie können sehr unterschiedlich sein. Wie die meisten Demenzerkrankungen beginnt CTE zunächst schleichend mit leichten kognitiven Einschränkungen, die in klinischen Tests bereits messbar sind, das Alltagsleben jedoch nicht wesentlich beeinträchtigen. Diese Phase dauert rund ein bis vier Jahre und wird auch als "Mild Cognitive Impairment (MCI)" bezeichnet. Die Krankheitszeichen ähneln denen anderer neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer, Frontotemporale Demenz und Parkinson. Menschen mit CTE können psychische, motorische und geistige Störungen entwickeln.
Typisch für CTE sind Verhaltensauffälligkeiten und psychische Probleme, bei manchen Menschen stehen auch kognitive Defizite im Vordergrund. Auch wenn der Verlauf individuell sehr unterschiedlich ist, kann man grob zwischen vier Krankheitsphasen unterscheiden:
- Phase 1: Die CTE beginnt mit Symptomen, die zunächst oft nicht mit einer beginnenden Demenz in Verbindung gebracht werden, wie leichte Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen, Kopfschmerzen und leichte depressive Verstimmungen.
- Phase 2: Mit der Zeit verschlechtert sich der Zustand und wird zunehmend zu einer psychischen Belastung. Typisch für die zweite Phase sind starke Stimmungsschwankungen, Verhaltensauffälligkeiten und schwere depressive Symptome.
- Phase 3: Die kognitiven Störungen nehmen deutlich zu. Es treten weitere Symptome auf, wie die Verschlechterung des Kurzzeitgedächtnisses, Probleme beim Planen, Organisieren und Handeln, Störungen der visuellen und räumlichen Wahrnehmung sowie Apathie.
- Phase 4: Starke dementielle Symptome und Gedächtnisverlust treten auf. Auch die motorischen Defizite nehmen zu. Es treten Sprachstörungen und psychotische Symptome einschließlich Paranoia auf.
Diagnose
Die Diagnose einer CTE ist noch schwierig. Es gibt keinen Biomarker, der die Chronisch Traumatische Enzephalopathie zweifelsfrei nachweisen kann, also zum Beispiel einen bestimmten Blutwert oder ein verändertes Gewebe. Neuropsycholgische Tests für Gedächtnis, Aufmerksamkeit und komplexere Hirnfunktionen geben Aufschluss über Art und Schwere der geistigen Defizite.
Auch eine Untersuchung der Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) auf bestimmte Proteine kann einen Hinweis auf die Erkrankung geben.
Therapie
Die CTE ist nicht heilbar. Es gibt keine Medikamente, die eigens zur Therapie von CTE zugelassen sind. Die Symptome und Begleiterscheinungen können mit unterschiedlichen Medikamenten behandelt werden. Das kann den Verlauf der Erkrankung verzögern und die Lebensqualität verbessern.
Zur Behandlung von kognitiven Störungen können Alzheimer-Medikamente wie Galantamin, Donezepil und Rivastigmin eingesetzt werden.
Antidepressiva können bei Depressionen helfen. Deren Einnahme sollte jedoch engmaschig therapeutisch begleitet werden, um mögliche Nebenwirkungen frühzeitig zu entdecken.
Bei motorischen Problemen können Parkinson-Medikamente helfen, wie Levodopa und Dopaminantagonisten.
Prävention
Gerade weil es für die Chronisch Traumatische Enzephalopathie noch keine Therapie gibt, ist es sehr wichtig, Risikofaktoren zu vermeiden und Kopfverletzungen vorzubeugen. Bei Sport- und Freizeitaktivitäten mit erhöhtem Sturzrisiko sollten Sie einen Helm tragen. CTE kann durch wiederholte Kopfverletzungen entstehen, besonders gefährdet sind Kontaktsportlerinnen und Kontaktsportler.
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) tritt als eine verzögerte psychische Reaktion auf ein extrem belastendes Ereignis, eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes auf. Die Erlebnisse (Traumata) können von längerer oder kürzerer Dauer sein, wie z.B. schwere Unfälle, Gewaltverbrechen, Naturkatastrophen oder Kriegshandlungen, wobei die Betroffenen dabei Gefühle wie Angst und Schutzlosigkeit erleben und in Ermangelung ihrer subjektiven Bewältigungsmöglichkeiten Hilflosigkeit und Kontrollverlust empfinden.
Typisch für die PTBS sind die sogenannten Symptome des Wiedererlebens, die sich den Betroffenen tagsüber in Form von Erinnerungen an das Trauma, Tagträumen oder Flashbacks, nachts in Angstträumen aufdrängen. Gewissermaßen das Gegenstück dazu sind die Vermeidungssymptome, die meistens parallel zu den Symptomen des Wiedererlebens auftreten: emotionale Stumpfheit, Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit der Umgebung und anderen Menschen gegenüber, aktive Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Manchmal können wichtige Aspekte des traumatischen Erlebnisses nicht mehr (vollständig) erinnert werden.
Ein Großteil der Angehörigen und der Pflegemitarbeitenden im ambulanten und stationären Bereich werden mit reaktivierten Traumata von alten Menschen im Arbeitsalltag konfrontiert. Ausgelöst durch den Ukraine-Krieg haben diese Begegnungen erheblich zugenommen. Im Pflegealltag erleben Mitarbeitende auch bei Pflegebedürftigen die Rückkehr von Erinnerungen sehr eindrucksvoll. Gerade bei den Menschen, die unter einer Demenz mit zunehmender Tendenz leiden, aber auch bei denjenigen, die Verluste zu verkraften hatten, verdichten sich nicht aufgearbeitete Erlebnisse oft zu sehr schmerzhaften Erinnerungen. Angehörige und Mitarbeitende sind selbst durch das für sie erschreckende und fremde Verhalten von Pflegebedürftigen betroffen und dadurch häufig sehr irritiert. Manche Pflegekräfte sind vor einiger Zeit selbst vor Kriegen geflüchtet.
Stützende Maßnahmen in der akuten Phase
- Die betroffene Person anschauen, ihre Mimik, Gestik und ihr Verhalten aufmerksam beobachten und auf sich wirken lassen.
- Die aktuelle Situation erfassen und die Angst, Panik und Verzweiflung des Betroffenen mit-fühlen.
- Nicht sofort durch Reden und Handeln unterbrechen und reagieren, sondern sich eigener Angst, Panik und Ohnmacht bewusstwerden; Abstand gewinnen, Ruhe bewahren (mehrmals durchatmen, 21/22 zählen, Augen kurzfristig schließen) und nicht mit beruhigenden oberflächlichen Floskeln (z.B. „Du bist ja nicht im Krieg“, „Das ist doch nicht so schlimm“, „Jetzt trink erst mal “) reagieren.
- Eigene Gefühle, zum Beispiel von Hilflosigkeit und Ohnmacht, fühlen und sich von dem Entsetzen abgrenzen und sich nicht anstecken lassen.
- Auf die Schilderung eingehen und beschreiben lassen (Gefühle, damalige Situation u.a.) oder durch einen akut angstreduzierenden Einfall (s. Beispiel) stoppen.
- Geborgenheitsgefühle und Vertrauen vermitteln, soweit gestattet Hände streicheln, in den Arm nehmen, beruhigende Worte (langsam, freundlich und behutsam) finden, Blickkontakt halten und dies durch Mimik, Gestik und Verhalten verstärken.
- Verbal und nonverbal zeigen und empfinden lassen, dass die betroffene Person nicht allein ist, sondern Unterstützung hat und sie schützt.
- Sich als Angehörige nicht scheuen, um Hilfe zu bitten.
- Als Pflegekraft Unterstützung holen.
Maßnahmen nach der akuten Situation
Nach der akuten Situation sollte man überlegen, wie man auslösende Faktoren (z.B. Fernsehsendungen, Zeitungen oder Gespräche mit Kriegsinhalten) verringern und welche Umgangsweisen man in Zukunft bei einer ähnlichen akuten Situation einsetzen könnte. Hilfreich ist, dies mit allen Mitarbeitenden oder Angehörigen zu besprechen und Fachleute einzubeziehen.
Weitere unterstützende Maßnahmen
- Förderlich kann für Menschen mit Demenz sein, ihre Emotionen durch Malen oder Musik (z.B. bekannte Lieder singen) auszudrücken. Dieser schöpferische Akt kann auch tröstende Wirkung haben.
- Bewegung (vielleicht auch Tanzen), körperliches Ausagieren, kann das Spüren eigener Kräfte verstärken und zur Verringerung von innerer Unruhe und Spannung führen.
- Auch humorvolle Angebote können durchaus sinnvoll sein.
- Möglicherweise können Medikamente in unterschiedlicher Dosierung zur Verringerung von Angst, Panik und Schlafstörungen (Albtraum) hilfreich sein.
- Rat kann man sich bei Trauma-Ambulanzen, die einen Schwerpunkt in der Gerontopsychiatrie haben, einholen oder als Angehörige eine Selbsthilfegruppe (Alzheimer-Angehörigengruppe) aufsuchen.
Unterstützung für Angehörige
Gerade Angehörige stehen oft hilflos und ohnmächtig einer oder einem Betroffenen gegenüber. Sie können sich manchmal von den angstbesetzten Schilderungen der Pflegebedürftigen nicht lösen und sind selbst Opfer. Mitleid allein nützt dabei nicht viel. Angehörige durch fachpflegerische Hilfen zu unterstützen, manchmal auch mit dem Rat, eine Psychiaterin oder einen Psychiater oder Psychotherapeuten zu aufzusuchen, fördert eine adäquate und angstreduzierte Umgangsweise mit den Betroffenen.
Selbstfürsorge für Angehörige
Wichtig ist, auch an sich selbst zu denken, zum Beispiel Kontakte zu Freundinnen, Freunden und Bekannten weiter zu pflegen, Freizeitaktivitäten und bisherige eigene Aktivitäten nicht zu vernachlässigen und regionale Hilfen anzunehmen, um nicht zu vereinsamen und sich zu isolieren. Selbstgefährdet ist man, wenn man sich nur für die Erkrankten aufopfert, sie zum Inhalt des eigenen Lebens macht. Dies nützt Angehörigen und Erkrankten wenig! Eine psychosoziale Beratung oder Psychotherapie kann hier förderlich sein, da zum Teil auch alte eigene Konflikte aufbrechen können und der Bearbeitung bedürfen.
Traumatherapie
Ist bei einem akuten Ausbruch einer Reaktivierung eines Traumas die kognitive Störung noch nicht zu weit fortgeschritten, kann eine Trauma-Therapie erfolgsversprechend sein. Das Alter und/oder eine mäßig ausgeprägte kognitive Störung allein sind hierbei keine Kontraindikationen.
Zusätzliche Ressourcen
- Hilfreich sind auch die Arbeiten und Hinweise von „Alter und Trauma (www.alterundtrauma.de). Insbesondere kann auf die Zusammenstellung von „Traumafolgen im Alter: Fragen von Angehörigen“ hingewiesen werden.
- Auch der Leitfaden für Pflegende „Der Einfluss von Kriegserinnerungen auf die Praxis" gibt viele Hinweise zum Umgang mit retraumatisierten alten Menschen.
Erweiterte Pflegekonzepte
Für die Pflege bedarf es eines erweiterten Pflegekonzeptes, welches die psychohistorische Sichtweise in den Alltag integriert und damit vielfältige Formen des herausfordernden Verhaltens verstehbar macht und Möglichkeiten zu einer sensiblen und kreativen Pflege der Betroffenen und seiner Angehörigen aufzeigt. Erfahrungsgemäß verändert sich die Umgangsweise mit einem kranken und pflegebedürftigen Menschen, wenn man erfährt, was er im Krieg oder in der Nachkriegszeit erlebt hat. Das Verständnis für sein Tun und das Interesse, ihn zu stützen und seine Lebensqualität zu fördern, wird größer.