Trauma: Was im Gehirn passiert – Psychologische Einblicke

Ein Trauma ist eine tiefe seelische Wunde, die durch ein extrem belastendes Ereignis verursacht wird und langfristige Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben kann. Dieser Artikel untersucht die komplexen Prozesse, die im Gehirn während und nach einem Trauma ablaufen, und beleuchtet die psychologischen Mechanismen, die zu Traumafolgestörungen führen können.

Einführung

Traumatische Erlebnisse wie Krieg, Naturkatastrophen, Unfälle oder Gewalt können im Gehirn tiefgreifende Veränderungen auslösen. Diese Veränderungen beeinflussen, wie wir Erinnerungen verarbeiten, Emotionen regulieren und auf Stress reagieren. Das Verständnis dieser neurobiologischen Prozesse ist entscheidend, um Traumata besser zu behandeln und Betroffenen zu helfen, ein erfülltes Leben zu führen.

Definition und Ursachen eines Traumas

Ein Trauma ist definiert als ein belastendes Ereignis oder eine Situation, die von der betroffenen Person nicht bewältigt und verarbeitet werden kann. Es ist oft die Folge physischer oder psychischer Gewalteinwirkung, kann aber auch durch Naturkatastrophen, Verkehrsunfälle oder Vernachlässigung ausgelöst werden. Entscheidend ist, dass die Person während des Ereignisses ein Gefühl von Kontrollverlust und Hilflosigkeit erlebt.

Objektive und subjektive Bedingungen

Eine traumatische Situation umfasst sowohl objektive als auch subjektive Bedingungen. Objektiv traumatisch ist ein Ereignis, das für die meisten Menschen eine extreme Belastung darstellen würde, wie beispielsweise ein bewaffneter Überfall. Subjektiv traumatisch ist das Erleben von extremer Angst, Hilflosigkeit oder Ohnmacht.

Kindheitstrauma

Kindheitstraumata, insbesondere wiederholte Missbrauchssituationen, können besonders schwerwiegende Folgen haben. Die Bedrohung der psychischen Integrität, die oft mit solchen Traumata einhergeht, wird im DSM-IV nicht ausreichend berücksichtigt, ist aber ein entscheidender Faktor für die Entstehung komplexer posttraumatischer Belastungsstörungen (cPTBS).

Lesen Sie auch: Regulierung des Nervensystems: Ein Leitfaden zur Traumabehandlung

Die Rolle des Gehirns bei der Traumaverarbeitung

Bei einem Trauma wird das Gehirn mit Stresshormonen überflutet, was die Nervenzellen beeinträchtigen kann, insbesondere im Hippocampus. Dies führt zu einer gestörten Zusammenarbeit zwischen der Amygdala und dem Hippocampus, was die normale Verarbeitung von Erinnerungen behindert.

Normale Informationsverarbeitung im Gehirn

Normalerweise werden Informationen über die Sinnesorgane zum Thalamus geleitet, der als Filter fungiert und wichtige Informationen an die Amygdala und den Hippocampus weiterleitet. Die Amygdala verknüpft Ereignisse mit Emotionen, während der Hippocampus Ereignisse zeitlich und geografisch einordnet und bewertet. Die Großhirnrinde dient als Langzeitspeicher.

Gestörte Informationsverarbeitung bei Traumata

Bei traumatischen Erlebnissen ist dieser Prozess gestört. Gefühlszustände, Bilder und körperliche Reaktionen werden in der Amygdala gespeichert, aber die vollständige Zuordnung des Erlebten im Kontext der äußeren Realität kann im Hippocampus nicht stattfinden. Dies führt zu einer "hippocampalen Amnesie", bei der das emotionale Gedächtnis der Amygdala ("hot system") im Vergleich zum autobiografischen Gedächtnis des Hippocampus ("cold system") überwiegt. Es entsteht ein Nebeneinander von intensiven Erinnerungen und Erinnerungslücken.

Die Rolle der Amygdala, des Hippocampus und des präfrontalen Cortex

Die Amygdala, der Hippocampus und der präfrontale Cortex spielen eine entscheidende Rolle bei der Verarbeitung von Traumata. Bei einer PTBS ist das Zusammenspiel dieser Hirnregionen gestört, was dazu führt, dass erlebte Eindrücke nicht als zusammengehöriges Ereignis abgespeichert werden können. Dies kann dazu führen, dass Betroffene das Trauma durch einen einzigen äußeren Reiz (Trigger) mit allen Sinneswahrnehmungen wiedererleben (Flashback).

Der posteriore cinguläre Kortex

Eine aktuelle Studie hat gezeigt, dass bei traumatischen Erinnerungen der posteriore cinguläre Kortex aktiviert wird, der normalerweise an nach innen gerichteten Gedanken beteiligt ist. Dies deutet darauf hin, dass traumatische Erinnerungen nicht als Vergangenes abgespeichert werden, sondern als Fragmente früherer Ereignisse, die den gegenwärtigen Moment unterdrücken.

Lesen Sie auch: Die Rolle der Amygdala bei Trauma: Funktionen und Folgen

Kindheitstrauma-Reaktionen: Neurobiologische Aspekte

Kindheitstraumata können tiefgreifende Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung haben. Die im Trauma empfundene Angst kann alle wahrgenommenen inneren und äußeren Reize überlagern.

Angst und das limbische System

Normalerweise passieren Reize den Hypothalamus und werden im limbischen System verarbeitet, wo sie einer ersten Bewertung unterzogen werden: "Gut" oder "Schlecht". Die Amygdala fungiert als "Angstzentrum" oder "Alarmsirene". Bei extremer Angst wird jedoch die Verbindung zum Hippocampus gekappt, was dazu führt, dass die mit der traumatischen Situation verbundenen Reize auf der primitiven Ebene der Amygdala "eingefroren" bleiben.

Dissoziation als Schutzmechanismus

Als Schutz vor überwältigenden Gefühlen kann die gestörte Verarbeitung von Reizen und Informationen zu Dissoziation führen, bei der psychische Funktionen, die normalerweise zusammenhängen, auseinanderfallen. Dies kann sich in Depersonalisation (Gefühl der Fremdheit im eigenen Körper) oder Derealisation (Gefühl der Unwirklichkeit der Umwelt) äußern.

Urtümliche Verhaltensreaktionen

Die Reizverarbeitung im limbischen System führt auch zu urtümlichen Verhaltensreaktionen wie Angriff, Flucht, Totstellen und Unterwerfung (die Vier F: Fawn, Fight, Flight, Freeze). Diese biologisch verankerten Notfall-Reaktionssysteme können in späteren Situationen, die an das Trauma erinnern, erneut aktiviert werden, auch wenn keine akute Gefahr besteht.

Intrusionen, Albträume und Flashbacks

"Natürliche" Blockaden des Informationsverarbeitungssystems führen zu posttraumatischen Stress-Symptomen wie Intrusionen, Albträumen und Flashbacks. Intrusionen sind unvermittelt auftretende Ängste, Bilder oder Körpergefühle, die durch innere oder äußere Reize (Trigger) ausgelöst werden. Flashbacks sind hyperreale Wiedererlebnisse traumatischer Situationen.

Lesen Sie auch: Wie das Gehirn lernt

Anhaltend gesteigerte physiologische Erregung (Hyperarousal)

Eine permanente Angst, verlassen zu werden, kann zu einer dauerhaft gesteigerten Erregung im Körper führen, die sich in Schlafstörungen, erhöhter Schreckhaftigkeit oder Konzentrationsstörungen äußern kann.

Vermeidungsverhalten

Um nicht ständig von belastenden Emotionen "überfallen" zu werden, können Betroffene versuchen, Trigger zu vermeiden. Dies kann jedoch zu selbstschädigendem Vermeidungsverhalten führen, wenn es zur Verdrängung bestimmter Themen oder zum Meiden bestimmter Orte oder Situationen kommt.

Traumaidentität

Aus der fragmentierten und de-kontextualisierten Informationsverarbeitung entsteht ein Trauma-State (mit dem Trauma assoziierter Ich-Zustand), der auf neuronalen Netzen beruht, die in der Situation aktiviert wurden. Die Sprachareale der Hirnrinde sind blockiert, was die sprachliche und erzählende Sinngebung verhindert. Kinder fühlen sich oft schuldig am Geschehen und entwickeln ein negatives Selbstbild (Traumaidentität), das durch Angst vor dem Verlassenwerden, fehlendes Urvertrauen und toxische Schuldgefühle geprägt ist.

Symptome und Folgen eines Traumas

Die Symptome eines Traumas können vielfältig sein und sich körperlich, emotional und kognitiv äußern.

Körperliche Reaktionen

Körperliche Reaktionen können Zittern, erhöhte Herzfrequenz, Schüttelfrost oder Magen-Darm-Beschwerden umfassen.

Emotionale Reaktionen

Emotional können Menschen mit Gereiztheit, Aggression, Gleichgültigkeit oder starken Stimmungsschwankungen reagieren.

Kognitive Reaktionen

Kognitive Reaktionen können Konzentrations- und Gedächtnisprobleme sowie Sprachschwierigkeiten umfassen.

Akute Belastungsreaktion (ABR)

Unmittelbar nach dem Trauma können Symptome wie Betrübtheit, Desorientiertheit, starke Gefühlsschwankungen und körperlicher Stress auftreten. Dies wird als akute Belastungsreaktion bezeichnet, die in der Regel innerhalb weniger Wochen abklingt.

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

Wenn die Symptome jedoch länger anhalten und den Alltag beeinträchtigen, spricht man von einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Typische Symptome sind:

  • Wiedererleben: Intrusionen (sich aufdrängende Erinnerungen) und Flashbacks (Wiedererleben der traumatischen Situation).
  • Vermeidung: Meiden von Situationen, die Erinnerungen an das Trauma auslösen könnten.
  • Hyperarousal: Ständiges "Auf-der-Hut-sein", Anspannung, Schreckhaftigkeit und Schlafstörungen.

Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung (kPTBS)

Eine komplexe PTBS entsteht durch wiederholt auftretende oder lang andauernde extreme Bedrohungssituationen. Zu den Symptomen einer PTBS gesellen sich ausgeprägte Minderwertigkeitskomplexe, Schwierigkeiten, Beziehungen einzugehen, und Probleme mit der Emotionsregulation.

Weitere psychische Störungen

Nach einem Trauma ist das Risiko für weitere psychische Probleme wie Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen erhöht.

Körperliche Folgen

Studien zeigen, dass Menschen mit einer PTBS ein verändertes Immunsystem und einen veränderten Stoffwechsel haben und im Durchschnitt kürzer leben können.

Soziale Folgen

Ein Trauma kann auch Schwierigkeiten in sozialen Beziehungen und in der Partnerschaft, Isolation, Verlust des Arbeitsplatzes und finanzielle Nachteile nach sich ziehen.

Arten von Traumata

Traumata werden in verschiedene Kategorien eingeteilt, um ihre Auswirkungen besser zu verstehen.

Typ-1- und Typ-2-Traumata

  • Typ-1-Traumata: Werden durch ein unerwartetes Einzelereignis ausgelöst (z.B. Raubüberfall, Unfall).
  • Typ-2-Traumata: Sind wiederholt auftretende oder lang andauernde traumatische Ereignisse (z.B. Missbrauch, Krieg).

Akzidentielle und interpersonelle Traumata

  • Akzidentielle Traumata: Werden durch Zufallsereignisse verursacht (z.B. Naturkatastrophe, Unfall).
  • Interpersonelle Traumata: Werden vorsätzlich von anderen Menschen herbeigeführt (z.B. Folter, Vergewaltigung).

Entwicklungstrauma

Entwicklungstraumata entstehen in der Kindheit und können die Entwicklung des Kindes nachhaltig beeinträchtigen.

Behandlung von Traumata

Die Behandlung von Traumata zielt darauf ab, die traumatischen Erinnerungen zu verarbeiten, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

Psychotherapie

Die Psychotherapie ist ein wichtiger Bestandteil der Traumabehandlung. Verschiedene Therapieansätze haben sich als wirksam erwiesen, darunter:

  • Traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie (TF-KVT): Diese Therapie hilft Betroffenen, sich den traumatischen Erinnerungen zu stellen und sie zu verarbeiten.
  • Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR): EMDR ist eine Methode, bei der die traumatischen Erinnerungen durch Augenbewegungen oder andere Stimulationen verarbeitet werden.
  • Narrative Expositionstherapie (NET): NET hilft Betroffenen, ihre Lebensgeschichte in einen kohärenten Rahmen zu bringen und die traumatischen Erlebnisse zu integrieren.
  • Somatic Experiencing: Fördert die Verarbeitung traumatischer Erinnerungen durch die Fokussierung auf Körperempfindungen.

Stabilisierung, Konfrontation und Integration

Die Therapie erfolgt in der Regel in drei Phasen:

  • Stabilisierung: In dieser Phase lernen Betroffene, mit überflutenden Gefühlen und Symptomen umzugehen und sich zu stabilisieren.
  • Konfrontation: In dieser Phase stellen sich Betroffene den traumatischen Erinnerungen und verarbeiten sie.
  • Integration: In dieser Phase integrieren Betroffene das Erlebte in ihr Leben und entwickeln neue Ziele.

Medikamentöse Behandlung

In einigen Fällen kann eine medikamentöse Behandlung sinnvoll sein, um Begleitsymptome wie Depressionen oder Angstzustände zu lindern.

Was passiert im Gehirn bei erfolgreicher Traumatherapie?

Neurowissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass eine erfolgreiche Traumatherapie mit Veränderungen in der Gehirnaktivität einhergeht. Insbesondere wird die Aktivierung der Amygdala reduziert und die Aktivierung des präfrontalen Cortex erhöht. Dies deutet darauf hin, dass die bewusste Verarbeitung der traumatischen Erinnerungen dazu beiträgt, dass die starke Aktivierung der Amygdala gehemmt wird und die Erinnerungen in die übrigen Gedächtnisinhalte integriert werden können.

tags: #trauma #was #passiert #im #gehirn #psychologie