Amyotrophe Lateralsklerose (ALS): Krämpfe, Ursachen und Behandlungsansätze

Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine schwerwiegende Erkrankung des zentralen und peripheren Nervensystems, die seit über 100 Jahren bekannt ist und weltweit auftritt. Mit einer Inzidenz von etwa ein bis zwei Fällen pro 100.000 Personen pro Jahr manifestiert sie sich typischerweise zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr, wobei Männer etwas häufiger betroffen sind als Frauen. Die Häufigkeit der ALS scheint weltweit zuzunehmen. Das Krankheitstempo ist bei den einzelnen Patienten sehr unterschiedlich, die Lebenserwartung ist verkürzt.

ALS betrifft hauptsächlich das motorische Nervensystem, während Empfindungen wie Berührung, Schmerz, Temperatur, Sehen, Hören, Riechen und Schmecken sowie die Funktionen von Blase und Darm in den meisten Fällen intakt bleiben. Das motorische System, das unsere Muskeln kontrolliert und Bewegungen steuert, ist sowohl in seinen zentralen (oberes oder 1. Motorisches Neuron) als auch in seinen peripheren Anteilen (unteres oder 2. Motorisches Neuron) betroffen.

Symptome der ALS

Die ersten Symptome der ALS können sich bei verschiedenen Betroffenen an unterschiedlichen Stellen manifestieren. Muskelschwund und -schwäche können sich beispielsweise zunächst nur in der Hand- und Unterarmmuskulatur einer Körperseite zeigen, bevor sie sich auf die Gegenseite und auf die Beine ausdehnen. Seltener beginnt die Erkrankung in der Unterschenkel- und Fußmuskulatur oder in der Oberarm- und Schultermuskulatur. Bei einem Teil der Erkrankten treten erste Symptome im Bereich der Sprech-, Kau- und Schluckmuskulatur auf (Bulbärparalyse). Sehr selten äußern sich die ersten Symptome in Form von spastischen Lähmungen. Bereits in den Frühstadien der ALS wird häufig über unwillkürliche Muskelzuckungen (Faszikulationen) und schmerzhafte Muskelkrämpfe geklagt.

Im Verlauf der Erkrankung, der sich in der Regel über Jahre erstreckt, breitet sich die Krankheit auf weitere Körperregionen aus und führt zu einer zunehmenden Atemschwäche. Die Lebenserwartung verkürzt sich im Mittel auf drei bis vier Jahre.

Häufige Symptome im Überblick

  • Muskelschwund (Atrophie)
  • Muskelschwäche (Paresen)
  • Unwillkürliche Muskelzuckungen (Faszikulationen)
  • Muskelkrämpfe
  • Atemnot
  • Sprach-, Kau- und Schluckstörungen (Bulbärparalyse)
  • Spastische Lähmungen

Ursachen der ALS

Die Ursache der ALS ist bis heute nicht vollständig geklärt. In etwa 5 bis 10 % der Fälle tritt die ALS in einer familiären Form auf, bei der genetische Faktoren eine Rolle spielen. In diesen Fällen sind bestimmte Genveränderungen bereits identifiziert worden.

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Häufiger ist die sporadische Form der ALS, bei der die Ursache und Risikofaktoren unbekannt sind. Es wird vermutet, dass verschiedene Umweltfaktoren als mögliche Risikofaktoren in Frage kommen, jedoch konnten Studien bisher keinen eindeutigen Zusammenhang nachweisen.

Ein möglicher Faktor könnte der Botenstoff Glutamat im Gehirn sein, der sich bei ALS vermehrt ansammelt. Studien deuten auch auf Schäden an verschiedenen Strukturen im Gehirn hin, darunter Mikroglia und Mitochondrien. Des Weiteren könnten eine Störung des Immunsystems oder eine Fehlfunktion beim Transport von Substanzen in den Nervenfortsätzen mögliche Ursachen sein.

Die genannten Faktoren führen letztendlich zum Absterben der Motoneuronen im Großhirn, Hirnstamm und Rückenmark, wodurch die Signalübertragung zu den betroffenen Muskeln geschädigt wird und es zu Fehlfunktionen bzw. Lähmungen kommt.

Mögliche Ursachen und Risikofaktoren im Überblick

  • Genetische Faktoren (familiäre ALS)
  • Umweltfaktoren (sporadische ALS)
  • Erhöhte Glutamatkonzentration im Gehirn
  • Schäden an Mikroglia und Mitochondrien
  • Störung des Immunsystems
  • Fehlfunktion beim Transport von Substanzen in den Nervenfortsätzen

Diagnose der ALS

Die Diagnose der ALS wird in der Regel von einem Neurologen gestellt. Zunächst erfolgt eine klinische Untersuchung des Patienten, bei der insbesondere die Muskulatur im Hinblick auf Muskelschwund, Kraft und Faszikulationen beurteilt wird. Ebenso ist eine Beurteilung von Sprache, Schluckakt und Atemfunktion wichtig. Die Reflexe werden geprüft und andere Funktionen des Nervensystems, die von der ALS üblicherweise nicht betroffen sind, werden untersucht, um ähnliche Erkrankungen (ALS-Mimics) auszuschließen und Fehldiagnosen zu vermeiden.

Eine wichtige Zusatzuntersuchung ist die Elektromyographie (EMG), die den Befall des unteren Motoneurons auch in klinisch noch normal erscheinenden Muskeln nachweisen kann. Untersuchungen der motorischen und sensiblen Nervenleitung dienen der Abgrenzung zu Erkrankungen der peripheren Nerven (Neuropathien), wie z.B. der multifokalen motorischen Neuropathie (MMN).

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Zusätzlich zum EMG wird zunehmend der neuromuskuläre Ultraschall eingesetzt, mit dem schmerzfrei Faszikulationen und Muskelatrophien erfasst werden können.

Umfassende Blut- und Urinuntersuchungen sind notwendig, um immunologische oder andere entzündliche Erkrankungen, Stoffwechselstörungen und hormonelle Störungen (z.B. Schilddrüse) auszuschließen. Bei der Erstdiagnostik ist auch eine Untersuchung des Nervenwassers (Liquor) sinnvoll. Derzeit wird intensiv nach Biomarkern gesucht, mit deren Hilfe früh im Blut oder Nervenwasser die Diagnose gestützt werden kann. Bereits frühzeitig sind bei der ALS erhöhte Neurofilament-Konzentrationen in Liquor und Serum nachweisbar, dies ist jedoch nicht spezifisch für die ALS, sondern kommt auch bei anderen neurologischen Erkrankungen vor. Eine Muskelgewebe-Untersuchung ist im Regelfall nicht erforderlich und wird nur für diagnostisch besonders schwierige Fälle empfohlen zur Abgrenzung anderer neuromuskulärer Erkrankungen.

Bildgebende Untersuchungen wie Kernspintomographie (MRT) des Kopfes und der Wirbelsäule sind ebenfalls Standard. Eine genetische Untersuchung aus dem Blut ist vor allem sinnvoll bei besonders frühem Beginn der Krankheit oder wenn andere ähnliche Fälle in der Familie bekannt sind.

In der Regel empfiehlt sich für die Erstdiagnostik der Krankheit ein kurzer stationärer Aufenthalt.

Diagnostische Verfahren im Überblick

  • Klinische Untersuchung (Muskulatur, Sprache, Schluckakt, Atemfunktion, Reflexe)
  • Elektromyographie (EMG)
  • Neuromuskulärer Ultraschall
  • Blut- und Urinuntersuchungen
  • Nervenwasseruntersuchung (Liquor)
  • Bildgebende Untersuchungen (MRT)
  • Genetische Untersuchung

Behandlung der ALS

Es gibt derzeit keine Therapie, die die ALS heilen kann. Die Behandlung zielt darauf ab, die Symptome zu lindern, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

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Medikamentöse Therapie

  • Riluzol: Das Medikament Riluzol ist zur Behandlung von Muskelfunktionsstörungen bei ALS zugelassen. Es kann das Fortschreiten der Beschwerden, besonders zu Krankheitsbeginn, etwas verlangsamen.
  • Weitere Wirkstoffe: Es werden weitere Wirkstoffe entwickelt und erprobt, die direkt mögliche Ursachen der Krankheit bekämpfen sollen, wie Edavarone, Rasagilin, Arimoclomol, Tauroursodeoxycholsäure (TUDCA), Masatinib und Fasudil.
  • Symptomatische Behandlung: Gegen Muskelkrämpfe, Muskel- und Gelenkschmerzen oder Spastik stehen wirksame Medikamente zur Verfügung. Andere Wirkstoffe können die vermehrte Schleimproduktion in den Bronchien oder den erhöhten Speichelfluss hemmen. Auch gegen Angst und Unruhezustände, Schlafstörungen oder psychische Probleme stehen Medikamente zur Verfügung.

Nicht-medikamentöse Therapie

  • Physiotherapie (Krankengymnastik): Die Physiotherapie ist sehr stark abhängig vom Stand der Erkrankung und muss sich laufend dem Krankheitsverlauf anpassen. Therapieziele können z.B. die Erhaltung der Beweglichkeit, die Kräftigung der noch erhaltenen Muskelfunktionen und die Kompensation von verloren gegangenen Funktionen sein. Eine Überlastung der erkrankten Muskeln muss grundsätzlich vermieden werden.
  • Logopädie: Bei Schluck-, Stimm- und Sprechstörungen helfen logopädische Maßnahmen, um die Sprech- und Schluckmotorik so lange wie möglich zu erhalten.
  • Ergotherapie: Die Ergotherapie trainiert die motorischen Fähigkeiten, insbesondere die Feinmotorik für die Tätigkeiten des Alltags.
  • Atemtherapie: Bei Atemnot kommen je nach Schwere und Ursache verschiedenste Maßnahmen zur Anwendung, z.B. Atemgymnastik, Sauerstofftherapie oder Beatmung.
  • Hilfsmittel: Eine breite Palette von Hilfsmaßnahmen erleichtern den Alltag, z. B. Rollstühle, Rampen, Treppenlifte, Nackenstützen und Geräte zur Hustenhilfe ("Cough Assist").
  • Ernährung: Bei Schluckstörungen kann eine Ernährungssonde (perkutane endoskopische Gastrostomie - PEG) bei der Nahrungsaufnahme helfen.
  • Psychotherapie: Um mit den entstehenden Lebens- bzw. Todesängsten umzugehen, kann Psychotherapie für einige Menschen mit ALS eine geeignete Möglichkeit sein.

Palliativversorgung

Zur Linderung von Symptomen, z.B. Schmerzen oder Atemnot, kann eine Palliativversorgung ambulant oder stationär erfolgen. Menschen mit ALS sollten sich, wenn möglich, frühzeitig Gedanken darüber machen, welche Behandlung sie im Notfall bei Atemlähmung wünschen. Eine Beratung zur Patientenverfügung bieten ambulante Palliativdienste oder Wohlfahrtsverbände.

Behandlung von Krämpfen

Muskelkrämpfe sind ein häufiges und belastendes Symptom bei ALS. Zu den Behandlungsoptionen gehören:

  • Medikamente: Verschiedene Medikamente können helfen, Muskelkrämpfe zu lindern, z.B. Muskelrelaxantien wie Baclofen oder Tizanidin, Antikonvulsiva wie Gabapentin oder Pregabalin und Chinin.
  • Physiotherapie: Dehnübungen und Massagen können helfen, Muskelkrämpfe zu lösen und vorzubeugen.
  • Wärme- oder Kälteanwendungen: Wärme- oder Kälteanwendungen können je nach Bedarf schmerzlindernd wirken.
  • Ausreichende Flüssigkeitszufuhr: Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr kann helfen, Muskelkrämpfen vorzubeugen.
  • Elektrolytausgleich: Ein Elektrolytmangel kann Muskelkrämpfe begünstigen. Eine ausgewogene Ernährung oder die Einnahme von Elektrolytpräparaten kann helfen, den Elektrolythaushalt auszugleichen.

Sialorrhoe (vermehrter Speichelfluss)

Die Sialorrhoe tritt mit Auftreten einer Schluckstörung auf (Unfähigkeit, den produzierten Speichel zu schlucken) und belastet die Patienten häufig sehr stark. Neben der gesundheitlichen Gefährdung durch Aspiration des Speichels führt der Speichelverlust aus dem Mund zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität. Aus palliativmedizinischer Sicht ist die Behandlung der Sialorrhoe daher in der Regel indiziert und wichtig.

Verschiedene Medikamente, die die Speichelproduktion hemmen, stehen zur Verfügung. In der Regel erfolgt die Behandlung mit Amitriptylin (z.B. Saroten®), da es bei diesem Antidepressivum zu einer ausgesprochenen Mundtrockenheit als Nebenwirkung kommt (anti-cholinerger Effekt). Alternativ oder in Kombination erfolgt die Behandlung mit einem Scopolamin-Pflaster (z.B. Scopoderm TTS®) oder Atropin (z.B. Tropfen, Atropin sulfuricum AWD Tabletten®).

Bei unzureichender Wirkung kann als Alternative oder als Ergänzung der oralen Medikation eine lokale Applikation von Botulinumtoxin Typ A (BoNT-A: Dysport®, Botox® oder Xeomin®) in die Speicheldrüsen gegeben werden. Hierzu erfolgt eine ultraschallgesteuerte Injektion in die Ohrspeicheldrüse (Glandula parotis) sowie in die Speicheldrüse unterhalb des Unterkiefers (Glandula submandibularis).

Eine Strahlentherapie der Ohrspeicheldrüse kann in Kooperation mit bestimmten Praxen und Fachabteilungen durchgeführt werden. Hierbei kommt es, im Gegensatz zur BoNT-Injektion, zu einer endgültige Schädigung der Speicheldrüsen mit abgestufter Reduktion der Speichelproduktion.

Eindickung von Schleim, vermehrte Bronchialsekretion

N-Acetylcystein (z.B. ACC®) oder Ambroxol (z.B. Mucosolvan®) wird häufig eingesetzt, um insbesondere das Bronchialsekret zu verflüssigen und ein Abhusten zu ermöglichen. Entscheidend ist jedoch, auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu achten. Auch eine inhalative Therapie eventuell auch mit Sekretolytika, (z.B. Mucosolvan®, Bromhexin-Inhalat®) kann durchgeführt werden.

Vermindertes Abhusten

Bei zusätzlicher Muskelschwäche der Atem- und damit auch der „Husten“-Muskulatur mit deutlicher Einschränkung des Abhustens (Vitalkapazität auf weniger als 50 Prozent vermindert) sollte die Indikation zur Versorgung mit einem Husten-Unterstützer (z.B. Cough-Assist® der Fa Heinen und Löwenstein) gestellt werden. Zusätzlich kann eine „Schüttelmassage“ des Brustkorbes z.B.

Therapieansätze im Überblick

  • Medikamentöse Therapie (Riluzol, Edavarone, Rasagilin, etc.)
  • Physiotherapie
  • Logopädie
  • Ergotherapie
  • Atemtherapie
  • Hilfsmittelversorgung
  • Ernährungsberatung und -unterstützung
  • Psychotherapie
  • Palliativversorgung

Verlauf und Prognose

Der Verlauf der ALS ist bei jedem Patienten unterschiedlich. Im Allgemeinen ist die ALS eine fortschreitende Erkrankung, die zu einer zunehmenden Beeinträchtigung der motorischen Funktionen führt. Die durchschnittliche Lebenserwartung nach der Diagnose beträgt etwa 2,5 bis 5 Jahre, wobei es jedoch große individuelle Unterschiede gibt. Einige Patienten leben deutlich länger mit der Erkrankung.

Eine frühzeitige Diagnose und eine umfassende Behandlung können dazu beitragen, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu erhalten. Es ist wichtig, dass Betroffene und ihre Angehörigen sich frühzeitig mit den verschiedenen Aspekten der Erkrankung auseinandersetzen und sich professionelle Hilfe suchen.

Forschung zur ALS

Weltweit wird intensiv an der Erforschung der Ursachen der ALS und zum Thema Frühdiagnostik gearbeitet. Auch deutsche Forschergruppen sind in diesem Bereich aktiv und haben beste internationale Kontakte. Die Forschung konzentriert sich unter anderem auf die Entwicklung neuer Medikamente und Therapien, die das Fortschreiten der Erkrankung aufhalten oder sogar heilen können.

Selbsthilfe und Unterstützung

Die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke (DGM) e.V. ist die größte Selbsthilfeorganisation für Menschen mit neuromuskulären Erkrankungen in Deutschland. Sie bietet Betroffenen und ihren Angehörigen Informationen, Beratung und Unterstützung. Ausführliche Informationen können Sie bei der Charité-Ambulanz für ALS und andere Motoneuronerkrankungen unter www.als-charite.de nachlesen. Dort gibt es auch einen ALS-Podcast zum Nachhören unter www.als-charite.de > Mediathek > Podcasts mit Informationen zu spezifischen Themen, z.B.

Fallbeispiel

Der 58-jährige Herr Franz wird aufgrund einer zunehmenden Muskelschwäche seit einem Jahr von seinem Hausarzt geschickt. Zunächst sei der Ehefrau eine kloßige Sprache aufgefallen und bei seiner Lieblingsspeise, der Griesnockerlsuppe, würde er sich ständig verschlucken und müsse furchtbar husten. Er sei sonst immer gesund gewesen, habe in den letzten Monaten aber selbst bemerkt, dass vor allem die Muskeln an den Händen verschmächtigt seien und ihm schon mehrfach Dinge aus den Händen geglitten seien. An den Armen und Beinen seien ihm in Ruhe Muskelzuckungen aufgefallen, die er nicht beeinflussen könne und die sich wie ein Sack voller Würmer anfühlen würden. Die Erkrankung lässt sich anhand der Krankengeschichte und der klinisch-neurologischen Untersuchung feststellen.

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