Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, die die motorischen Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark betrifft. Dies führt zu Muskelschwäche, Muskelschwund und schließlich zu Lähmungen. Obwohl Taubheitsgefühle nicht zu den typischen Symptomen der ALS gehören, können sie in bestimmten Fällen auftreten oder durch Begleiterkrankungen verursacht werden. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen von Taubheitsgefühlen im Zusammenhang mit ALS und bietet umfassende Informationen über die Erkrankung.
Einführung in die Amyotrophe Lateralsklerose
Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine fortschreitende Erkrankung des Nervensystems, bei der die motorischen Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark absterben. Diese Nervenzellen, auch Motoneurone genannt, steuern die willkürlichen Muskelbewegungen. Die Zerstörung dieser Zellen führt zu einer zunehmenden Muskelschwäche, die sich im Laufe der Zeit verschlimmert.
Definition der ALS
Die ALS ist eine Krankheit, die nach und nach Nerven von Rückenmark und Gehirn zerstört. Dabei sind vor allem die Nerven betroffen, die die Motorik des Körpers steuern, also die verschiedenen Muskeln. Sensorische Nerven, die Signale vom Körper (Berührung, Riechen, Hören, Sehen u. a.) zurück an das zentrale Nervensystem senden, sind in der Regel nicht geschädigt.
Ursachen und Risikofaktoren
Die genauen Ursachen der ALS sind noch nicht vollständig geklärt. Man unterscheidet zwischen einer vererbbaren (familiären) Form, die 5 bis 10 % der Fälle ausmacht, und einer nicht vererbbaren (sporadischen) Form. Bei der familiären ALS sind bestimmte Genveränderungen bereits identifiziert. Bei der sporadischen ALS sind die Ursachen und Risikofaktoren weitgehend unbekannt. Es gibt jedoch verschiedene Theorien und Forschungsansätze, die mögliche Faktoren untersuchen:
- Genetische Faktoren: Mutationen in bestimmten Genen wie SOD1, TARDBP oder FUS können zu ALS führen.
- Glutamat: Eine vermehrte Ansammlung des Botenstoffs Glutamat im Gehirn könnte eine Rolle spielen.
- Zellschäden: Schäden an Mikroglia und Mitochondrien im Gehirn werden als mögliche Ursachen erforscht.
- Immunologische Faktoren: Störungen des Immunsystems könnten ebenfalls eine Rolle spielen.
- Umweltfaktoren: Viele Umweltfaktoren wurden als mögliche Risikofaktoren geprüft, jedoch konnten die Studien bisher keinen eindeutigen Zusammenhang nachweisen.
- Körperliche Anstrengung: Schwere körperliche Arbeit im Beruf scheint das Erkrankungsrisiko zu erhöhen.
- Militärdienst: Es gibt Hinweise darauf, dass Angehörige des Militärs ein erhöhtes Risiko haben, an ALS zu erkranken. Mögliche Gründe hierfür sind der Kontakt mit Chemikalien, Schwermetallen oder anderen toxischen Substanzen.
Häufigkeit
International werden etwa 1,5 bis 2,5 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner im Jahr registriert. Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen (im Verhältnis 3 zu 2). Die Krankheit betrifft vor allem Menschen ab einem Alter von 50 Jahren, Jüngere können jedoch ebenfalls erkranken. Das durchschnittliche Alter bei Auftreten der Krankheit liegt bei etwa 55 Jahren.
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Symptome der ALS
Der Beginn der Erkrankung hängt davon ab, welche Nervenzellen betroffen sind. Häufige erste Symptome sind:
- Muskelschwäche, oft beginnend in einer Hand oder einem Unterarm.
- Schwierigkeiten bei feinen Fingerbewegungen.
- Faszikulationen (Zittern einzelner Muskeln).
- Krämpfe.
- Sprechstörungen (bei etwa 25 % der Betroffenen).
- Schluckstörungen.
Im weiteren Verlauf der Erkrankung breiten sich die Symptome auf andere Körperregionen aus. Es kommt zu zunehmendem Muskelschwund, Lähmungen und Schwierigkeiten beim Gehen, Sprechen und Schlucken. In späteren Stadien ist auch die Atemmuskulatur betroffen, was zu Atemnot führen kann.
Obwohl Störungen der Hautempfindlichkeit oder Muskelschmerzen nicht typisch für die ALS sind, können sie dennoch auftreten. Es ist wichtig zu beachten, dass ein vermeintlicher „Stillstand“ oder eine „Besserung“ der Beschwerden die Diagnose ALS unwahrscheinlich macht.
Taubheitsgefühle bei ALS: Mögliche Ursachen
Obwohl Taubheitsgefühle nicht zu den Kernsymptomen der ALS gehören, können sie in bestimmten Fällen auftreten. Mögliche Ursachen sind:
- Begleiterkrankungen: Taubheitsgefühle können durch andere Erkrankungen verursacht werden, die gleichzeitig mit der ALS auftreten. Dazu gehören beispielsweise:
- Karpaltunnelsyndrom: Eine chronische Druckschädigung des Nervus medianus im Handgelenk kann zu Kribbeln und Taubheitsgefühlen in den Fingern führen. Die intensive Nutzung von Smartphones kann das Risiko für ein Karpaltunnelsyndrom erhöhen.
- Bandscheibenvorfall: Druck auf die Nervenwurzeln durch Bandscheibengewebe kann Schmerzen, Lähmungen und Gefühlsstörungen verursachen.
- Enger Spinalkanal: Eine Verengung des Spinalkanals kann Druck auf das Rückenmark oder die Nerven ausüben und zu Taubheitsgefühlen, Schmerzen und Lähmungen führen.
- Polyneuropathien: Erkrankungen mehrerer Nerven können zu Kribbelgefühlen, brennenden Missempfindungen oder Taubheit führen.
- Zervikalneuralgie: Nackenschmerzen und Bewegungsunfähigkeit können durch Nervenreizungen im Halsbereich verursacht werden.
- Fehlinterpretationen: Manche Patienten beschreiben Muskelschwäche oder Steifheit als Taubheitsgefühl. Es ist wichtig, die Symptome genau zu differenzieren, um die richtige Diagnose zu stellen.
- Medikamentennebenwirkungen: Einige Medikamente, die zur Behandlung von ALS-Symptomen eingesetzt werden, können als Nebenwirkung Taubheitsgefühle verursachen.
- Psychische Faktoren: Angst und Depression, die häufig bei ALS-Patienten auftreten, können manchmal zu somatischen Beschwerden wie Taubheitsgefühlen führen.
- Neuropathie: Neuropathien können mit unangenehmem Kribbeln in Händen und Füßen, Taubheitsgefühlen, Pelzigkeit und Brennen einhergehen. Falsch verschaltete Rezeptoren können die Ursache von chronischem Schmerz sein, selbst nach ausgeheilten Nervenverletzungen.
Es ist wichtig, dass ALS-Patienten, die Taubheitsgefühle entwickeln, ihren Arzt informieren, um die Ursache abzuklären und geeignete Behandlungen einzuleiten.
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Diagnose der ALS
Die Diagnose der ALS ist oft komplex, da es keine einzelne Untersuchung gibt, die die Krankheit eindeutig nachweisen kann. Der Diagnoseprozess umfasst in der Regel:
- Anamnese: Der Arzt erfragt die Krankengeschichte und die beobachteten Symptome, wie Muskelschwäche, Muskelzuckungen oder Probleme beim Sprechen und Schlucken.
- Körperliche Untersuchung: Reflexe, Muskelkraft, Koordination und andere Funktionen werden geprüft.
- Elektromyografie (EMG): Die elektrische Aktivität der Muskeln wird gemessen, um Veränderungen in den motorischen Nervenzellen zu erkennen.
- Nervenleitgeschwindigkeitsmessung (NLG): Diese Untersuchung prüft, wie schnell elektrische Signale durch die Nerven geleitet werden.
- Bildgebende Verfahren: MRT-Aufnahmen von Gehirn und Rückenmark können andere Erkrankungen ausschließen.
- Blutuntersuchungen: Diese dienen dazu, andere Krankheiten auszuschließen.
- Lumbalpunktion: In einigen Fällen wird Nervenwasser aus dem Rückenmarkskanal entnommen, um Hinweise auf infektiöse oder immunologische Erkrankungen zu erhalten.
- Muskelbiopsie: In seltenen Fällen wird eine Gewebeprobe der Muskeln entnommen, um eine Muskelkrankheit auszuschließen.
- HNO-ärztliche Untersuchung: Bei ausschließlichen Sprech- und Schluckstörungen erfolgt eine HNO-ärztliche Untersuchung.
- Genetische Tests: Bei familiärer Vorbelastung können genetische Tests und eine entsprechende Beratung sinnvoll sein.
Die Diagnose ALS erfordert in der Regel den Nachweis einer klinischen Pathologie des 1. und 2. Motoneurons auf einer Ebene oder alternativ für das 2. Motoneuron Muskelschwäche und Atrophie.
Behandlung der ALS
Obwohl die ALS derzeit nicht heilbar ist, gibt es verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, um das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen, Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern. Die Behandlung erfordert ein interdisziplinäres Team aus Ärzten, Therapeuten und Pflegekräften.
Medikamentöse Therapie
- Riluzol: Dieses Medikament kann das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen, indem es die Freisetzung von Glutamat im Nervensystem reduziert.
- Edaravon: Dieses Medikament wirkt als Antioxidans und schützt die Nervenzellen vor Schäden durch freie Radikale.
- Tofersen: Für die familiäre Form der ALS, die durch Mutationen im SOD1-Gen verursacht wird, gibt es ein spezifisches Medikament namens Tofersen. Es reduziert die Produktion des fehlerhaften SOD1-Proteins.
Zusätzlich gibt es Medikamente zur Linderung von Symptomen wie Muskelkrämpfen, Spastik, vermehrter Schleimproduktion oder erhöhtem Speichelfluss. Auch gegen Angst, Unruhezustände, Schlafstörungen oder psychische Probleme stehen Medikamente zur Verfügung.
Hilfsmaßnahmen
Eine breite Palette von Hilfsmaßnahmen kann den Alltag erleichtern:
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- Mechanische Hilfsmittel: Rollstühle, Rampen, Treppenlifte.
- Nackenstütze: Zur Linderung von Beschwerden beim Schlucken von Speichel.
- Geräte zur Hustenhilfe ("Cough Assist"): Zur Erleichterung der Sekretmobilisation.
- Ergo- und Physiotherapie: Zur Entgegenwirkung von Beschwerden.
- Logopädische Therapie: Zur Verbesserung der Sprechfähigkeit.
- Elektronische Hilfsmittel: Zur Kommunikation.
- Sondenernährung: Bei ausgeprägten Schluckstörungen.
- Maschinelle Beatmung: Bei nachlassender Atemmuskelfunktion.
- Thromboseprophylaxe: Bei bettlägerigen Patienten.
- Wechselnde Lagerung: Zur Vorbeugung von Dekubitus.
Weitere unterstützende Maßnahmen
- Physiotherapie: Kann Muskelverspannungen lindern, Beweglichkeit erhalten und Schmerzen reduzieren.
- Ergotherapie: Unterstützt bei alltäglichen Aktivitäten, z. B. mit Hilfsmitteln für Haushalt oder Körperpflege.
- Logopädie: Hilft, Kommunikationsfähigkeit und Ernährung möglichst lange zu erhalten.
- Psychosoziale Begleitung: Gespräche mit Psychologen, Sozialarbeitern oder Selbsthilfegruppen können helfen, mit der Erkrankung besser umzugehen.
- Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV): Bietet umfassende Betreuung in der gewohnten Umgebung, um Schmerzen und andere belastende Symptome zu lindern sowie die Lebensqualität zu verbessern.
Verlaufskontrolle
Die Verlaufskontrolle ist sehr umfangreich und erfordert einen fachübergreifenden Ansatz. Eine fortlaufende Absprache zwischen Hausärzten, Physio- und Ergotherapeuten, Neurologen und Pflegefachkräften ist wichtig. Weiterhin kann es nötig sein, beispielsweise Sozialarbeiter, Psychologen, Seelsorger, Ernährungsberater usw. hinzuzuziehen. Die Verlaufskontrolle sollte möglichst proaktiv erfolgen und darauf abzielen, die zu erwartenden Schwierigkeiten frühzeitig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Patientenverfügung
Die Erstellung einer Patientenverfügung ist sinnvoll. In dieser sollte festgehalten werden, welche medizinischen Maßnahmen zum Lebensende hin erfolgen oder unterlassen werden sollen. Diese sollte regelmäßig überprüft werden, da sich die individuellen Wünsche im Krankheitsverlauf auch zwischenzeitlich ändern können.
Leben mit ALS
Die Diagnose ALS ist ein großer Einschnitt im Leben. Es ist wichtig, sich frühzeitig mit den verschiedenen Aspekten der Erkrankung auseinanderzusetzen und Unterstützung zu suchen.
Hilfsmittel und Anpassungen im Alltag
- Kommunikationshilfen: Sprachcomputer und Sprachausgabegeräte ermöglichen die Kommunikation trotz Einschränkungen.
- Mobilitätshilfen: Elektrische Rollstühle und Rollatoren erleichtern die Fortbewegung.
- Atemhilfen: BiPAP- oder CPAP-Geräte unterstützen die Atmung.
- Hilfsmittel für die Selbstversorgung: Geformtes Besteck, spezielle Toiletten- und Duschhilfen.
- Technologische Assistenzsysteme: Ermöglichen die Bedienung von Haushaltsgeräten und -beleuchtung.
- Ergonomische Möbel: Sorgen für Komfort und Unterstützung.
Soziale Unterstützung
- Selbsthilfegruppen: Bieten die Möglichkeit, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und Erfahrungen zu teilen.
- Palliative Netzwerke: Bieten Unterstützung und Begleitung in der letzten Lebensphase.
- Psychologische Betreuung: Kann helfen, mit den emotionalen Belastungen der Erkrankung umzugehen.
- Unterstützung für Angehörige: Angehörige von ALS-Patienten benötigen ebenfalls Unterstützung und Entlastung.
Forschung und Hoffnung
Die ALS-Forschung arbeitet intensiv daran, die Ursachen der Erkrankung besser zu verstehen und neue Therapieansätze zu entwickeln. Fortschritte in der Genetik und molekularen Biologie haben zur Identifizierung mehrerer Gene geführt, die mit ALS in Verbindung stehen. Die Entwicklung von Gen-Therapien und Medikamenten, die auf die genetischen Ursachen von ALS abzielen, sind vielversprechende Ansätze.
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