Angeborene neurologische Erkrankungen: Ursachen, Symptome und Behandlungsansätze

Einführung

Angeborene neurologische Erkrankungen stellen eine vielfältige Gruppe von Störungen dar, die das Nervensystem von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen betreffen. Diese Erkrankungen können genetisch bedingt sein oder durch andere Faktoren während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt entstehen. Da sich das Nervensystem in der Entwicklung befindet, können Störungen in verschiedenen Stadien unterschiedlich wirken. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über angeborene neurologische Erkrankungen, einschließlich Ursachen, Symptome und Behandlungsansätze.

Ursachen angeborener neurologischer Erkrankungen

Neurologische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter sind oftmals genetisch bedingt, also angeboren. Oftmals sind es nur winzige Veränderungen (Mutationen) im genetischen Bauplan, die dafür sorgen, dass unverzichtbare Bestandteile des Organismus wie beispielsweise Komponenten von Stoffwechselwegen oder strukturelle Bestandteile des Nervensystems nicht hergestellt werden können. Neben genetischen Ursachen können angeborene neurologische Erkrankungen auch durch folgende Faktoren verursacht werden:

  • Sauerstoffmangel bei Neugeborenen (Asphyxie): Sauerstoffmangel vor, während oder nach der Geburt kann Gewebe und Organe, insbesondere das Gehirn, schädigen.
  • Schlaganfall: Mangelnde Blutversorgung von Hirnbereichen durch Gerinnsel, Blutung oder Gefäßentzündungen kann zu neurologischen Schäden führen.
  • Fehlbildungen: Anlagefehler während der Schwangerschaft können Organe oder Körperteile beeinträchtigen und zu Funktionsstörungen führen.
  • Frühgeburt: Frühgeborene haben ein erhöhtes Risiko für neurologische Komplikationen wie PVL (periventrikuläre Leukomalazie), NEC (nekrotisierende Enterocolitis) und ROP (Retinopathie des Frühgeborenen).

Typische Erkrankungen und Symptome

Das Spektrum der zu diagnostizierenden Erkrankungen und der damit verbundenen Behandlungen reicht von allgemeinen Auffälligkeiten in der Entwicklung, wie Störungen der motorischen, sprachlichen und geistigen Entwicklung, Lern- und Leistungsstörungen, bis zu Entwicklungsstörungen mit Intelligenzminderung und Verhaltensauffälligkeiten. Zu den typischen neurologischen Krankheitsbildern im Kindesalter gehören:

  • Zerebrale Anfälle/Epilepsien: Anfallsartige Funktionsstörungen des Gehirns.
  • Chronische Erkrankungen des zentralen Nervensystems: Neuro-metabolische, neurodegenerative und entzündliche Krankheiten wie Multiple Sklerose oder Lyme-Borreliose.
  • Kopfschmerzen/Migräne: Wiederkehrende oder chronische Kopfschmerzen.
  • Schwindel, Synkopen: Gleichgewichtsstörungen und Ohnmachtsanfälle.
  • Bewegungsstörungen/Zerebralparesen: Störungen der willkürlichen Bewegungskontrolle.
  • Nerven- und Muskelerkrankungen: Erkrankungen, die Nerven und Muskeln beeinträchtigen.
  • Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen: Schwierigkeiten mit Aufmerksamkeit und Konzentration.
  • Geistige und körperliche Behinderungen: Beeinträchtigungen der kognitiven und körperlichen Funktionen.
  • Angeborene Fehlbildungen des Gehirns und Rückenmarks: Spaltbildungen, Hydrozephalus u.a.
  • Betreuung von Früh- und Reifgeborenen mit schwerwiegenden Komplikationen im Neugeborenenalter: Gehirnblutungen.
  • Genetische Erkrankungen: Down-Syndrom (Trisomie 21).
  • Folgezustände nach schweren Unfällen: Schädel-Hirn-Trauma.
  • Entwicklungsneurologische Störungen im Rahmen von chronischen internistischen Krankheitsbildern.

Spastik

Spastik ist eine Bewegungsstörung und Lähmung, die von einer krankhaft erhöhten Muskelspannung aufgrund einer Schädigung des Nervensystems verursacht wird. Sie kann das Hauptmerkmal für neurologische Erkrankungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter sein und auf angeborene Stoffwechselstörungen zurückzuführen sein.

Hereditäre Spastische Paraplegie (HSP)

Eine Form der spastischen Bewegungsstörung, bei der es zu einer fortschreitenden Lähmung der Beine kommt. Forscher haben eine Veränderung am HPDL-Gen als Ursache identifiziert. Das HPDL-Protein ist am Stoffwechsel der Mitochondrien beteiligt.

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Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung (CMT)

Die HMSN sind die am häufigsten auftretenden erblichen neurologischen Erkrankungen, die in unterschiedlichen Ausprägungen bereits 1886 von Jean-Martin Charcot, Pierre Marie und Howard Tooth (daher auch Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung) sowie 1893 von Déjérine und Sottas beschrieben wurden. Typische Symptome der HMSN sind Muskelschwäche beziehungsweise Lähmungen (Paresen) in den Extremitäten und Muskelschwund (Atrophie), meist beginnend in Fuß und Unterschenkel.

  • Typ 1 (HMSN1/CMT1): Die demyelinisierende und häufigste Form entwickelt sich bis zum 35. Lebensjahr und ist durch einen meist langsamen und gutartigen Verlauf gekennzeichnet, der zu teilweise deutlichen Einschränkungen führt, die jedoch nur selten einen Rollstuhl erforderlich machen.
  • Typ 2 (HMSN2/CMT2): Die axonale Form ähnelt Typ 1, wobei das Erkrankungsalter höher liegt und sie durch einen noch langsameren Verlauf sowie mögliche Zusatzsymptome gekennzeichnet ist.
  • Typ 3 (Déjérine-Sottas-Krankheit): Die demyelinisierende und seltene Form entwickelt sich bereits in den ersten zehn Lebensjahren und schreitet rasch voran. Sie ist oft mit einer verzögerten motorischen Entwicklung verbunden. Lähmungen der Extremitäten und ein allgemeiner Reflexverlust sowie ausgeprägte Empfindungsstörungen sind typisch, ebenso Pupillenstörungen und Skelettveränderungen.

Hereditäre Neuropathie mit Neigung zu Druckläsionen (HNPP)

Die seltene Form kann klinisch der HMSN1 nahezu gleichen und beginnt im frühen Erwachsenenalter, meist nach dem 20. Lebensjahr. Sie ist durch eine erhöhte wiederkehrende (rezidivierende) Empfindlichkeit der peripheren Nerven gegenüber minimalem Druck gekennzeichnet.

Angeborene Gelenksteife (Arthrogryposis multiplex congenita, AMC)

Die angeborene Gelenksteife (Arthrogryposis multiplex congenita, auch AMC) ist eine relativ seltene frühkindliche Entwicklungsstörung, die zu einer Versteifung der oberen oder unteren Gliedmaßen (Extremitäten) führt. Meist sind mehrere Gelenke betroffen, in schweren Fällen können auch Organe, Wirbelsäule und das zentrale Nervensystem (ZNS) mitbetroffen sein. Die angeborene Gelenksteife kann genetisch bedingt oder auf andere äußere Einflussfaktoren zurückzuführen sein.

Seltene genetische Erkrankungen

  • Tay-Sachs-Krankheit: Eine seltene genetische Stoffwechselerkrankung, bei der ein Enzymmangel dazu führt, dass eine Substanz in den Nervenzellen nicht abgebaut werden kann.
  • Townes-Brocks-Syndrom: Eine autosomal dominant vererbte Erkrankung, die durch anale Fehlbildungen, Fehlbildungen des äußeren Ohrs, Anomalien der Finger und Schwerhörigkeit gekennzeichnet ist.
  • Treacher-Collins-Syndrom: Eine seltene genetische Erkrankung, die das Gesicht und den Schädelknochen betrifft und zu charakteristischen Gesichtszügen führt.
  • Turner-Syndrom: Eine seltene genetische Störung, die nur bei Frauen auftritt und durch das Fehlen oder teilweise Fehlen eines X-Chromosoms gekennzeichnet ist.
  • Van-der-Woude-Syndrom: Eine seltene genetische Störung, die Fehlbildungen im Gesicht verursacht.

Diagnostische Verfahren

Die ausführliche Erfassung der Krankheitsgeschichte (Anamnese), sowie die körperlich neurologische Untersuchung stellen die Basis einer fundierten Beurteilung und Diagnosefindung dar. Je nach Fragestellung können zur Diagnosestellung aber weiterführende Untersuchungen sinnvoll und notwendig sein.

  • Funktionsprüfungen des neurologischen Systems:
    • EEG (Elektroenzephalographie = Aufzeichnung der Gehirnströme)
    • EEG-Video-Doppelbildaufzeichnungen
    • Evozierte Potentiale zur Prüfung von Hör-, Seh- und Tastnervenbahnen (AEP = akustisch, VEP = visuell und SSEP = sensibel evozierte Potentiale)
  • Bildgebende Verfahren:
    • Ultraschall (Sonographie) von Schädel, Abdomen, Muskel und Schilddrüse
  • Testverfahren
  • Genetische Untersuchung: Die Exomsequenzierung, bei der sämtliche Protein-kodierende DNA-Sequenzen des menschlichen Genoms untersucht werden, spielt eine besondere Bedeutung.

Behandlungsansätze

Das wichtigste Ziel einer Therapie ist immer die vollständige Heilung. Oftmals ist dies aber nicht möglich, da, insbesondere bei genetisch bedingten Erkrankungen, die Ursachen nicht behoben und die Beeinträchtigungen im Nervensystem nicht rückgängig gemacht werden können. Bei einer frühzeitigen Diagnosestellung können viele Symptome aber oftmals abgemildert und der Krankheitsverlauf positiv beeinflusst werden. Dies kann unter anderem durch medikamentöse Behandlungen geschehen, die abhängig von den klinischen Symptomen durch Frühförderung, Physio-, Logo- und Ergotherapie ergänzt werden können.

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  • Medikamentöse Therapien: Bei bestimmten Krankheitsbildern unerlässlich.
  • Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Heilpädagogik: Um die erkrankten Kinder in ihrer Entwicklung zu unterstützen, Einschränkungen zu beseitigen oder zu lindern und weitere Schädigungen zu vermeiden.
  • Ernährungstherapie: Anpassung der Ernährung mit hochkalorischen Zusätzen oder Spezialnahrungen.
  • Versorgung durch die Orthopädietechnik: Hilfsmittel zur Unterstützung der Motorik.
  • Operative Behandlung: In einigen Fällen notwendig.
  • Naturheilverfahren: Eine weitere wichtige Säule im ganzheitlichen Behandlungsansatz.

Leben mit einer seltenen neurologischen Erkrankung

Viele seltene Erkrankungen haben unspezifische Symptome. Oftmals kann man deshalb nicht von einem einzelnen Symptom oder einer Gruppe von Symptomen auf eine konkrete Krankheit schließen. Manche dieser Krankheiten sind so selten, dass selbst erfahrene Ärzt*innen sie nie zu Gesicht bekommen. Und teilweise kann es auch vorkommen, dass die Krankheit und ihre Ursachen noch gar nicht bekannt sind.

Für die Patientinnen und ihre Angehörigen kann es deshalb ein langer und belastender Weg sein, bis sie Spezialistinnen finden, die sich mit ihrer Erkrankung auskennt. Aber ohne eine präzise Diagnose ist keine erfolgreiche Therapie möglich. Und gerade bei neurologischen Erkrankungen im Kindesalter ist es wichtig, so früh wie möglich mit einer Therapie zu beginnen, da Gehirn und Nervensystem noch nicht vollständig entwickelt sind.

Zentrum für seltene kinderneurologische Erkrankungen (GoRare)

Das GoRare ist eine qualifizierte Anlaufstelle für betroffene Patientinnen, ihre Angehörigen und die zuweisenden Ärztinnen. Ein Team aus Medizinerinnen und Wissenschaftlerinnen verschiedener Fachrichtungen, Psychologinnen, Sozialpädagoginnen, Ergotherapeutinnen, Physiotherapeutinnen, Logopädinnen und speziell geschultem Pflegepersonal in einem modernen Universitätsklinikum gewährleistet eine qualitativ hochwertige Betreuung und Behandlung der Patientinnen. Die Zusammenarbeit mit lokalen, nationalen und internationalen Expert*innen ermöglicht den Zugang zu neuesten Technologien und Forschungsergebnissen. Der Schwerpunkt des GoRare liegt dabei auf seltenen neurologischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter.

Neurogenetische Sprechstunde

Eine Vorstellung in der Neurogenetischen Sprechstunde wird üblicherweise vom Neurologen vorgeschlagen, wenn aufgrund der Vorbefunde der Verdacht auf eine erbliche neurologische Erkrankung besteht. In der neurogenetischen Sprechstunde werden diese Befunde besprochen, die Krankengeschichte und auch die der nahen Angehörigen zusammengetragen, der Kenntnisstand zum Verlauf der vermuteten Erkrankung und vor allem auch ihre Vererbung erläutert. Es werden die Möglichkeiten der weiteren Abklärung durch genetische Laboruntersuchungen vorgestellt und können diese veranlassen, wenn dies gewünscht ist. Dabei arbeiten wir eng mit den betreuenden Ärzten zusammen und stimmen alle Schritte mit diesen ab.

Prädiktive genetische Untersuchung

Nicht selten melden sich auch gesunde Angehörige eines Patienten, in deren Familie eine erbliche spätmanifeste neurologische Erkrankung bestätigt wurde oder vermutet wird. Sie sind besorgt und möchten Klarheit, ob sie oder ihre eigenen Kinder später auch erkranken können. Wenn in der Familie die ursächliche Genveränderung bekannt ist, kann diesen gesunden Angehörigen - sofern für sie ein erhöhtes Risiko einer Anlageträgerschaft besteht - nach genetischer Beratung eine sogenannte "prädiktive" (vorhersagende) genetische Untersuchung angeboten werden.

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