Anticholinergika in der Parkinson-Therapie: Anwendung, Interaktionen und klinische Bedeutung

Die Parkinson-Therapie ist komplex und erfordert eine sorgfältige Abwägung von Nutzen und Risiken der verschiedenen Medikamente. Anticholinergika, einst Eckpfeiler der Behandlung, spielen heute eine untergeordnete Rolle, da sie mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden sein können. Dieser Artikel beleuchtet die Anwendung von Anticholinergika bei Parkinson, ihre Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und die klinische Bedeutung dieser Aspekte.

Grundlagen der Pharmakologie und Pharmakokinetik

Um die Wechselwirkungen von Medikamenten zu verstehen, ist es wichtig, die Grundlagen der Pharmakologie und Pharmakokinetik zu kennen. Unter Wechselwirkungen zwischen Medikamenten (Interaktionen genannt) versteht man eine gegenseitige Beeinflussung ihrer Wirkung und/oder Verträglichkeit. Die Pharmakologie ist die Lehre von den Wechselwirkungen zwischen Wirkstoffen und dem menschlichen Körper. Man unterscheidet pharmakokinetische von pharmakodynamischen Interaktionen. Die Pharmakokinetik untersucht, welchen Weg ein Wirkstoff von der Aufnahme bis zu seiner Ausscheidung durch den Körper nimmt und auf welche Weise dieser Weg durch andere Einflüsse verändert werden kann. Die Pharmakodynamik dagegen befasst sich mit der spezifischen Wirkung des Stoffes im Organismus. Arzneistoffe, die die Wirkung eines Medikamentes im Körper verstärken, werden Agonisten (Mitspieler) genannt, Stoffe, die zu einer Abschwächung der Wirkung führen Antagonisten (Gegenspieler). Wechselwirkungen können erwünscht sein („gemeinsam sind wir stärker“ - Beispiel: L-Dopa + Benserazid/Carbidopa), aber auch unerwünscht oder sogar gefährlich. Genetische (erbliche) Besonderheiten machen uns einzigartig und nehmen ebenfalls Einfluss auf die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Arzneistoffen. Dies zu erforschen ist Gegenstand der Pharmakogenetik. Wenn man nun einen Arzneistoff nach seinem Potential für Wechselwirkungen be-trachtet, so spielen insbesondere die Bindung an Transporteiweiße und die Entgif-tung über das Enzymsystem Cytochrom P 450 in der Leber eine große Rolle. Ver-fügt das Medikament über eine hohe Eiweißbindung, kann es von anderen Stoffen aus dieser Bindung verdrängt werden. Ein unerwünschter Anstieg der Wirkung ist die Folge. Das Entgiftungssystem der Leber setzt sich aus vielen einzelnen kleinen Helfern (Enzymen) zusammen, welche durch Namen unterschieden werden, z.B. CYP2D6 oder CYP3A4. Ein Arzneistoff kann über einen solchen Helfer abgebaut werden (Substrat), es kann die Arbeit des Helfers anregen (Induktor) oder hemmen (Inhibitor). Meist werden 20 bis 30 verschiedene Stoffe über ein solches Enzym entgiftet. Ein starker Enzym-Hemmer z.B.

Anticholinergika: Wirkmechanismus und Anwendungsgebiete

Anticholinergika sind eine Gruppe von Arzneimitteln, die darauf abzielen, die Wirkung des Neurotransmitters Acetylcholin zu hemmen. Sie werden häufig zur Behandlung von verschiedenen Erkrankungen wie Asthma, Reizdarmsyndrom und Parkinson eingesetzt. Der Wirkmechanismus von Anticholinergika beruht auf der Bindung an muskarinische Acetylcholinrezeptoren (mAChR), die in verschiedenen Organen des Körpers vorkommen, wie z.B. dem Herzen, den Bronchien, dem Magen-Darm-Trakt, der Harnblase und den Augen. Es gibt fünf verschiedene mAChR-Subtypen (M1-M5), von denen jeder eine spezifische Rolle bei der Regulation von verschiedenen physiologischen Prozessen spielt. Anticholinergika können sowohl zentral als auch peripher wirken. Peripher wirkende Anticholinergika blockieren hauptsächlich die mAChR in der Harnblase und reduzieren damit die Kontraktionsfähigkeit der Blasenmuskulatur. Dies führt zu einer Verzögerung des Harndranges und einer Verringerung der Harnfrequenz. Peripher wirkende Anticholinergika werden zur Behandlung von überaktiver Blase eingesetzt. Zentral wirkende Anticholinergika beeinflussen das zentrale Nervensystem und können auf verschiedene Art und Weise wirken. Einige Anticholinergika blockieren mAChR im Gehirn und verringern dadurch die Aktivität von Neuronen, die für die Regulation von Bewegungen, Emotionen und Schmerzen verantwortlich sind. Zentral wirkende Anticholinergika können auch die Freisetzung von Acetylcholin im Gehirn hemmen oder die Aktivität von Enzymen beeinflussen, die an der Synthese und dem Abbau von Acetylcholin beteiligt sind. Zu den häufigsten Nebenwirkungen von Anticholinergika gehören Mundtrockenheit, Sehstörungen, Verstopfung, Harnverhalt und Gedächtnisprobleme.

Anticholinergika in der Parkinson-Therapie: Historischer Kontext und heutige Bedeutung

Die sogenannten Anticholinergika waren die ersten Medikamente, die Ärzte zur Parkinson-Therapie einsetzten. Heute werden sie nicht mehr empfohlen. Durch den Dopaminmangel bei Parkinson sind andere Nervenbotenstoffe - im Verhältnis zueinander betrachtet - im Überschuss vorhanden. Das gilt zum Beispiel für Acetylcholin. Dadurch entsteht unter anderem das typische Zittern (Tremor) bei den Betroffenen. Es lässt sich mit Anticholinergika lindern, weil diese die Wirkung von Acetylcholin im Gehirn hemmen.

Anticholinergika sind die ältesten in der Behandlung der Parkinson-Krankheit verwendeten Pharmaka. Zwischen den verschiedenen in der Bundesrepublik Deutschland zur Therapie der Parkinson-Krankheit zugelassenen synthetischen Anticholinergika (zum Beispiel Akinetonretard, Artane, Biperiden-ratiopharm, Cogentinol, Metixen Berlin-Chemie, Norakin, Osnervan, Parkopan, Parks 12, Sormodren, Tremarit) bestehen, trotz unterschiedlicher chemischer Struktur, keine anwendungsrelevanten pharmakologischen Unterschiede. Anticholinergika sind schwächer wirksam als L-Dopa oder Dopaminagonisten. Unter den Kardinalsymptomen werden insbesondere Tremor und Rigidität positiv beeinflußt, während ein antiakinetischer Effekt kaum vorhanden ist. Am bedeutsamsten sind Verwirrtheitszustände und Halluzinationen, die nach Absetzen beziehungsweise Dosisreduktion der Anticholinergika reversibel sind. Anticholinergika sollten deshalb insbesondere bei älteren Patienten nur mit Zurückhaltung eingesetzt werden. Bei Patienten mit Zeichen eines dementiven Abbaus gelten sie als kontraindiziert. Zusätzlich kann es zu Mundtrockenheit, Obstipation und Akkomodationsstörungen kommen. Vorsicht geboten ist beim Engwinkelglaukom und bei einigen Formen von Blasenfunktionsstörungen.

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Arzneimittelwechselwirkungen mit Anticholinergika

Anticholinergika können mit verschiedenen Arzneimitteln interagieren und somit unerwünschte Wirkungen hervorrufen. Bei gleichzeitiger Anwendung mit anderen Medikamenten, die anticholinerge Wirkungen haben, kann es zu einer verstärkten Wirkung kommen und somit zu unerwünschten Wirkungen wie Mundtrockenheit, Verstopfung, Sehstörungen und kognitiven Beeinträchtigungen führen. Eine gleichzeitige Einnahme von Anticholinergika und bestimmten Arzneimitteln, wie z.B. trizyklischen Antidepressiva, kann zu einer Verstärkung der anticholinergen Wirkung führen. Darüber hinaus können Anticholinergika auch die Wirkung von Arzneimitteln beeinflussen, die von der cholinergen Übertragung abhängen, wie z.B. von Cholinesterase-Hemmern.

  • Amantadin + Anticholinergika: Amantadin und Budipin haben anticholinerge Nebeneffekte. Die Kombination mit anderen Medikamenten, welche ebenfalls anticholinerg wirken, kann zu einer unerwünschten Verstärkung dieser Nebeneffekte führen. Mögliche Folge: Mundtrockenheit, Verstopfung, akuter Harnverhalt, Verwirrtheit, Halluzinationen, Psychosen, Erektionsschwäche, Gedächtnisstörungen. Vertreter Anticholinergika: anticholinerge Parkinsonmittel, z.B. Metixen, Biperiden, Bornaprin, trizyklische Antidepressiva, z.B. Amitriptylin, Doxepin, Mittel gegen Harn-inkontinenz, z.B. Trospium, Oxybutynin, Mittel gegen Angst, z.B. Opipramol.

Kontraindikationen von Anticholinergika

Hier sind einige wichtige Kontraindikationen von Anticholinergika:

  • Engwinkelglaukom
  • Unbehandelte Harnretention oder Überlaufblase
  • Schwere intestinale Obstruktion oder atonische Darmwand
  • Myasthenia gravis
  • Tachykardie
  • Schwere Herzinsuffizienz

Bitte beachten Sie, dass die aufgeführten Kontraindikationen der Anticholinergika keine vollständige Liste ist und je nach Wirkstoff und individueller Situation variieren können. Anticholinergika sollten bei Patienten mit Glaukom, Harnverhalt und Darmverschluss vermieden werden.

Nicht-motorische Symptome und Anticholinergika

Beim Morbus Parkinson können neben den motorischen Symptomen in allen Stadien der Erkrankung auch nicht motorische Symptome auftreten, die die Lebensqualität der Patienten teils erheblich beeinträchtigen. Unter ihnen spielen neuropsychiatrische Symptome eine wichtige Rolle. Weit verbreitet sind beispielsweise Tagesmüdigkeit/Fatigue, Angst, Depression und Demenz. Die nicht motorischen Symptome können zwar im motorischen OFF der Patienten auftreten, doch es gibt keine strenge Korrelation zwischen nicht motorischen und motorischen Symptomen. Der Patient kann demnach im motorischen ON sein und trotzdem nicht motorische Störungen haben, zum Beispiel Angst, Depression, Probleme der Vigilanz oder Bradyphrenie. Behandler tun ihren Patienten demnach unrecht, wenn sie meinen, der Patient sei gut beweglich und könne daher in dieser Situation keine Parkinson-bedingten Symptome aufweisen.

Anticholinerge Belastung und kognitive Funktion bei Parkinson

Medikamente mit anticholinerger Wirkung erhöhen bei älteren Patienten das Risiko für kognitive Störungen, Stürze, Krankenhausaufenthalte, und sie mindern die Lebensqualität. Die gleichzeitige Behandlung mit AChEH und Wirkstoffen mit ACB bei PDD erscheint pharmakologisch widersinnig und kann das Risiko oben genannter UAW erhöhen. Eine Gruppe aus Pennsylvania, die sich schon seit mehreren Jahren mit unangemessener Medikation bei Parkinson-Patienten beschäftigt, hat nun eine Querschnitts-Studie zur Verschreibungsprävalenz von AChEH und Medikamenten mit ACB bei älteren Patienten mit M. Parkinson in den USA durchgeführt. Speziell wurde nach einer zeitgleichen Verschreibung von AChEH und Anticholinergika gesucht. Die verwendeten Daten wurden aus den Research Identifiable Files (RIFs) des Medicare Programms extrahiert, in dem etwa 97% der US-Bevölkerung über 65 Jahre versichert sind. Als Einschlusskriterium galt eine mindestens 12-monatige Behandlung wegen M. Parkinson, inklusive Verschreibung eines Anti-Parkinson-Mittels. Insgesamt wurden die Verschreibungsdaten von 268.407 Parkinson-Patienten analysiert, je zur Hälfte Männer und Frauen. Das Durchschnittsalter lag bei 79 Jahren. Eine Demenzdiagnose lag bei 111.736 Patienten vor (41,6%) und bei 73.093 (27,2%) eine Verordnung mindestens eines Antidementivums (= Studienpopulation). Abweichend von der vorliegenden Evidenz aus Studien war das am häufigsten verschriebene Antidementivum Donepezil (63%), gefolgt von Memantin (41,8%). Mit Rivastigmin wurden nur 26,4% behandelt. Bei 10-12% lag ausschließlich eine Einmalverordnung mit einem Antidementivum vor, bei allen übrigen fanden sich Folgeverordnungen. Unter den 64.017 Patienten mit einer AChEH-Verordnung fand sich bei 28.495 (44,5%) mindestens einmal eine gleichzeitige Verordnung eines hochpotenten Anticholinergikums (ACB 3) und bei 48.448 eines Arzneimittels mit niedriger oder moderater anticholinerger Wirkung (ACB 1-2). Bei 84% der Patienten mit AChEH wurden wiederholt Anticholinergika verschrieben. Die Autoren gehen davon aus, dass eine gemeinsame Einnahme von AChEH und Anticholinergika sogar noch häufiger ist, da einige Arzneimittel mit ACB rezeptfrei erhältlich sind (z.B. Diphenhydramin und teilweise auch Doxylamin). Sie empfehlen, bei Patienten mit M. Parkinson aus Sicherheitsgründen Medikamente mit hoher ACB zu vermeiden. Es gäbe in den meisten Fällen eine Behandlungsalternative. Leider berichten sie nicht über die klinischen Auswirkungen des von ihnen postulierten Medikationsfehlers. Auch die Kommentatoren bewerten die gleichzeitige Verordnung eines AChEH und von Arzneimitteln mit ACB als problematisch. Letztlich müsse jedoch bei jedem einzelnen Patienten der klinische Nutzen und die Risiken abgewogen werden. So würden beispielsweise bei einer Parkinson-assoziierten Psychose häufig Arzneimittel wie Clozapin (Empfehlungsgrad 1) und Quetiapin (Expertenkonsens) eingesetzt, die jeweils starke anticholinerge Wirkungen haben (ACB 3).

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