Antidepressiva bei Nervenschmerzen: Wirkung, Anwendungsgebiete und wichtige Hinweise

Antidepressiva sind Medikamente, die primär zur Behandlung von Depressionen eingesetzt werden. Aufgrund ihrer Wirkung auf das zentrale Nervensystem können sie jedoch auch bei bestimmten Formen von Nervenschmerzen (neuropathischen Schmerzen) eine wertvolle Therapieoption darstellen. Dieser Artikel beleuchtet die Wirkungsweise von Antidepressiva bei Nervenschmerzen, ihre Anwendungsgebiete, die verschiedenen verfügbaren Medikamente, mögliche Nebenwirkungen und weitere wichtige Aspekte.

Warum Antidepressiva bei Schmerzen?

Schmerzen sind ein komplexes Phänomen und können verschiedene Ursachen haben. Während klassische Schmerzmittel wie nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAID) (z.B. Ibuprofen, Diclofenac) oder Opioide bei Schmerzen aufgrund von Verletzungen, Entzündungen oder Gewebeschäden wirksam sind, versagen sie oft bei Nervenschmerzen. Nervenschmerzen entstehen durch Fehlfunktionen oder Schädigungen in den Nervenbahnen, die Schmerzreize zum Gehirn leiten. In solchen Fällen können Antidepressiva eine bessere Wirkung zeigen.

Professorin Claudia Sommer, Leitende Oberärztin am Universitätsklinikum Würzburg und Präsidentin der Deutschen Schmerzgesellschaft, erklärt: "In solchen Fällen wirken die üblichen Schmerzmittel wie NSAIDs oder Opioide meist nicht. Es hat sich herausgestellt, dass manche Arten von Antidepressiva deutlich besser wirken. Deshalb werden sie hier eingesetzt."

Wie wirken Antidepressiva bei Nervenschmerzen?

Antidepressiva beeinflussen die Botenstoffe (Neurotransmitter) im Nervensystem, insbesondere Noradrenalin und Serotonin. Diese Botenstoffe werden von Nervenzellen in den synaptischen Spalt ausgeschüttet, den Raum zwischen den Nervenverbindungen. Dort verstärken oder hemmen sie Nervenreize, indem sie an speziellen Rezeptoren andocken. Nach ihrer Wirkung werden die Botenstoffe wieder in die Zellen aufgenommen.

Antidepressiva hemmen die Wiederaufnahme von Noradrenalin und Serotonin, wodurch die Konzentration dieser Botenstoffe im synaptischen Spalt erhöht wird. Dies führt zu einer verstärkten Hemmung der Schmerzweiterleitung. Die erhöhte Konzentration an Noradrenalin und Serotonin sowie die anticholinerge Wirkung führen zu einem dämpfenden und beruhigenden Effekt. Der antidepressive Effekt beruht wahrscheinlich darauf, dass bei längerer Einnahme der gestörte Neurotransmitterhaushalt wieder normalisiert wird.

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Anwendungsgebiete von Antidepressiva bei Schmerzen

Antidepressiva werden bei verschiedenen Arten von Schmerzen eingesetzt, insbesondere wenn eine Schädigung der schmerzleitenden Nervenstrukturen vorliegt. Hierzu zählen:

  • Neuropathische Schmerzen: Diese Schmerzen entstehen durch Schädigungen der Nerven selbst. Ursachen können mechanische Einengungen (z.B. Karpaltunnelsyndrom, Bandscheibenvorfall), Virusinfektionen (z.B. Gürtelrose), Medikamente (z.B. Chemotherapie), Diabetes mellitus (diabetische Polyneuropathie) oder Durchblutungsstörungen sein. Nervenschmerzen werden häufig als elektrisierend, einschießend oder brennend beschrieben.
  • Bestimmte Arten von Tumorschmerzen: Wenn ein Tumor in die Nervenbahnen einwächst und diese schädigt, können Antidepressiva zur Schmerzlinderung eingesetzt werden.
  • Fibromyalgiesyndrom: Bei diesem Syndrom, das durch großflächige Faser-Muskelschmerzen gekennzeichnet ist, spielen möglicherweise auch beeinträchtigte Nervenfasern eine Rolle.
  • Chronische Schmerzen: Bei chronischen Schmerzen können sich Nervenbahnen im Zentralnervensystem an die Reizweiterleitung gewöhnen, sodass sie auch bei geringen Reizen aktiviert werden.
  • Kopfschmerzen: Betablocker, die auch eine stimmungsaufhellende Wirkung haben, werden bei schwer behandelbarer Migräne zur Vorbeugung eingesetzt.
  • Schmerzen im Rahmen von Depressionen oder Angstzuständen: Schmerzen und Depressionen treten häufig gemeinsam auf. In diesen Fällen können Antidepressiva mit ihrem doppelten Effekt (antidepressiv und schmerzlindernd) hilfreich sein.

Welche Antidepressiva werden als Schmerzmittel eingesetzt?

Die Wahl des geeigneten Antidepressivums erfolgt individuell in Absprache mit dem Arzt. Zu den häufig eingesetzten Substanzen gehören:

  • Trizyklische Antidepressiva (TZA): Diese Medikamente, wie Amitriptylin, sind besonders bewährt bei neuropathischen Schmerzen und längerfristigen Schmerzen. Amitriptylin ist zur Therapie von Depressionen und bei längerfristigen Schmerzen, insbesondere neuropathischen Schmerzen, explizit zugelassen. Die Dosierung zur Schmerztherapie ist jedoch deutlich niedriger als zur Depressionsbehandlung, sodass in der Regel keine antidepressive Wirkung eintritt. Amitriptylin wirkt zudem müde machend und wird daher oft bei nächtlichen Schmerzen eingesetzt.
  • Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI): Duloxetin ist ein SSNRI, der explizit zur Behandlung von Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie zugelassen ist.
  • Weitere Antidepressiva: Auch andere Antidepressiva werden zur Schmerzbehandlung eingesetzt, jedoch oft im Off-Label-Use, d.h. ohne spezielle Zulassung für dieses Anwendungsgebiet. In diesem Fall muss der Arzt die Eignung des Medikaments gegenüber Patient und Krankenkasse begründen.

Dosierung von Amitriptylin bei neuropathischen Schmerzen

Die Dosierung von Amitriptylin unterscheidet sich je nach Einsatzgebiet.

  • Zur Behandlung neuropathischer Schmerzen: Die Einzeldosis liegt zu Beginn der Behandlung vorwiegend bei einmal täglich 10 mg am Abend und kann auf eine Höchstdosis von einmal täglich 75 mg am Abend gesteigert werden. Die analgetische Wirkung setzt ebenfalls nach zwei bis vier Wochen ein. Bei manchen Patienten kann eine Einnahme über mehrere Jahre erforderlich sein.

Spüre ich eine antidepressive Wirkung?

In der Regel wirken Antidepressiva während einer Schmerztherapie nicht stimmungsaufhellend, da sie deutlich niedriger dosiert werden. Nur bei wenigen Substanzen, insbesondere SSRI, kann theoretisch eine leichte stimmungsaufhellende oder antriebssteigernde Wirkung eintreten. Jedoch gilt: Die meisten Antidepressiva helfen vor allem dann, wenn eine depressive Störung vorliegt.

Welche Nebenwirkungen können auftreten?

Wie alle Medikamente können auch Antidepressiva Nebenwirkungen haben. Häufige Nebenwirkungen von Amitriptylin sind Müdigkeit, Mundtrockenheit und Verstopfung. Je nachdem, wie das Medikament im Körper abgebaut wird, kann es bei Patienten mit Leber- oder Nierenerkrankungen zu einer verzögerten Ausscheidung kommen, was eine Dosisanpassung erforderlich macht.

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Wie lange werden Antidepressiva als Schmerzmittel eingesetzt?

Nervenschmerzen sind oft langwierig. Wenn ein Antidepressivum wirkt, kann es in der Regel über einen längeren Zeitraum, auch über Jahre, eingesetzt werden. Ein großer Vorteil von Antidepressiva ist, dass sie nicht abhängig machen. Tatsächlich werden sie in der klinischen Praxis sogar zur Entwöhnung von anderen Schmerzmitteln wie Opioiden eingesetzt. Wichtig ist jedoch ein engmaschiges Monitoring mit regelmäßigen Arztbesuchen und Kontrollen der Blutwerte sowie der Leber- und Nierenfunktion.

Weitere wichtige Hinweise

  • Schmerzmittel-Stufenplan der WHO: Grundlage einer medikamentösen Schmerztherapie ist der Stufenplan der Weltgesundheitsorganisation WHO. Dieser umfasst nicht-opioide Analgetika (1. Stufe), schwache Opioidanalgetika (2. Stufe) und Opioide (3. Stufe).
  • Psychopharmaka zur Verstärkung der Wirkung: Psychopharmaka können die Wirkung von Schmerzmitteln verstärken und das Schmerzerlebnis verändern.
  • Antikonvulsiva bei neuropathischen Schmerzen: Krampflösende Medikamente (Antiepileptika) wirken vor allem bei neuropathischen Schmerzen von einschießendem Charakter (z. B. Trigeminusneuralgie, Gürtelrose).
  • Kortikosteroide gegen Entzündungen: Kortikosteroide wirken gegen Entzündungen und reduzieren Schwellungen, wodurch der Druck auf umliegende Gewebe und somit der Schmerz reduziert wird.
  • Lidocain und Capsaicin zur lokalen Behandlung: Bei einigen Formen von Nervenschmerzen können örtliche Behandlungen mit Lidocain-Pflastern oder Capsaicin-Cremes helfen.
  • Unregelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln vermeiden: Die unregelmäßige und häufige Einnahme von Schmerzmitteln sollte vermieden werden.

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