Antidepressiva bei Alzheimer-Demenz: Nutzen, Risiken und aktuelle Forschungsergebnisse

Die Behandlung von Depressionen bei Menschen mit Alzheimer-Demenz stellt eine besondere Herausforderung dar. Einerseits treten Depressionen bei Demenzerkrankten häufig auf und können die Lebensqualität und die kognitive Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen. Andererseits ist die Wirksamkeit von Antidepressiva bei dieser Patientengruppe umstritten, und es gibt Hinweise auf mögliche Risiken und Nebenwirkungen. Dieser Artikel beleuchtet die aktuelle Studienlage, gibt Empfehlungen zur Auswahl geeigneter Medikamente und stellt alternative Behandlungsansätze vor.

Depressionen und Demenz: Eine komplexe Beziehung

Depressionen und Demenz sind eng miteinander verknüpft. Einerseits können Depressionen das Risiko für die Entwicklung einer Demenz erhöhen. Andererseits werden depressive Symptome häufig als neuropsychiatrische Symptome der Demenz angesehen. Darüber hinaus können Depressionen zu den ersten Symptomen gehören, die eine Demenz ankündigen. Fast ein Drittel der älteren Erwachsenen mit leichter bis mittelschwerer Demenz leidet zudem an einer schweren depressiven Störung. Es ist wichtig zu beachten, dass Apathie, von der etwa die Hälfte der Alzheimer-Patienten betroffen ist, kein Zeichen einer Depression sein muss.

Herausforderungen bei der Behandlung von Depressionen bei Demenz

Die Behandlung von Depressionen bei Demenz ist aus mehreren Gründen kompliziert:

  • Unklare Wirksamkeit von Antidepressiva: Einige Forschungsarbeiten deuten darauf hin, dass Antidepressiva die Symptome sogar noch verschlimmern könnten, während andere Studien keine schlüssigen Beweise für ihre Wirksamkeit liefern. Eine Übersichtsarbeit konnte keinen Nachweis für einen klinischen Effekt von Antidepressiva finden. Die Ursachen könnten die Strukturveränderungen im Gehirn sein, die mit Demenz einhergehen.
  • Mögliche Nebenwirkungen: Antidepressiva können unerwünschte Nebenwirkungen haben, wie z. B. ein erhöhtes Sturzrisiko oder eine verstärkte Blutungsneigung.
  • Fehlinterpretation von Symptomen: Depressive Symptome können bei Demenzkranken anders sein als bei Menschen ohne Demenz, was die Diagnose erschwert.
  • Polypharmazie: Ältere Menschen mit Demenz nehmen oft mehrere Medikamente gleichzeitig ein, was das Risiko von Wechselwirkungen und Nebenwirkungen erhöht.

Antidepressiva und kognitiver Abbau: Neue Studienergebnisse

Eine Studie aus dem Jahr 2025, veröffentlicht in BMC Medicine, deutet darauf hin, dass die Einnahme von Antidepressiva, insbesondere selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI), bei älteren Menschen mit kognitiven Störungen oder Demenz mit einem schnelleren kognitiven Abbau assoziiert ist. Dabei spielt auch die verordnete Dosis eine Rolle. Die Studie konnte jedoch keine Kausalität nachweisen.

Eine weitere Studie warnte vor den Gefahren bestimmter Antidepressiva bei Demenzpatienten. Diese Medikamente könnten den geistigen Abbau sogar beschleunigen und führen zu einem erhöhten Risiko für Knochenbrüche und Sterblichkeit.

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Empfehlungen für die Auswahl von Antidepressiva

Die S3-Leitlinie Demenzen von Februar 2025 empfiehlt zur Behandlung von Depressionen bei Alzheimer-Demenz den Einsatz von Mirtazapin oder Sertralin. Die Auswahl des Medikaments sollte individuell erfolgen, da manche Antidepressiva unerwünschte Nebenwirkungen haben können.

Ein chinesisches Review aus dem Jahr 2021 untersuchte 25 Studien mit 14 Antidepressiva. Das Fazit: Im Vergleich zu Placebo zeigten nur Mirtazapin und Sertralin eine etwas bessere Wirkung bei Depressionssymptomen. Clomipramin (trizyklisches Antidepressivum, TZA) erhöhte das Risiko für Nebenwirkungen im Vergleich zu Placebo.

Die aktuelle Version der Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) Depression listet die Demenz als Kontraindikation allein für die Antidepressiva der Wirkstoffgruppe TZA.

Anticholinerge Antidepressiva: Vorsicht geboten

Anticholinergika sind Medikamente, die den Neurotransmitter Acetylcholin blockieren. Manche Antidepressiva gehören in diese Arzneimittelgruppe. Es ist bekannt, dass diese Mittel bei älteren Menschen bereits nach kurzfristiger Einnahme die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigen können. Sie können zu Verwirrtheitszuständen, Schlaf- und Gedächtnisstörungen sowie zu Halluzinationen führen. Gemäss den ärztlichen Leitlinien sollten Anticholinergika gebrechlichen Menschen nicht verschrieben werden.

Eine Studie der University of East Anglia (UK) hat gezeigt, dass Antidepressiva aus der Gruppe der Anticholinergika noch 20 Jahre, nachdem man sie längst abgesetzt hat, zur Entwicklung einer Demenz beitragen können. Ärzte sollten Anticholinergika wirklich nur dann verordnen, wenn es für den jeweiligen Patienten keine Alternative gibt.

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Alternative Behandlungsansätze

Neben Medikamenten können kognitive Verhaltenstherapie, Bewegungstherapie oder Musiktherapie helfen, depressive Symptome zu lindern. Palliative Versorgung kann Menschen mit Alzheimer in allen Krankheitsphasen entlasten.

Antidementiva: Medikamente zur Behandlung der Demenz

Antidementiva sind Medikamente, welche die Gedächtnisleistungen, die Lernfähigkeit, die Auffassungsgabe und weitere Hirnfunktionen positiv beeinflussen. Es gibt zwei Wirkstoffgruppen: Acetylcholinesterase-Hemmer und Glutamat-Antagonisten.

  • Acetylcholinesterase-Hemmer: Diese Medikamente verbessern die Signalübertragung im Gehirn, indem sie den Abbau des Botenstoffs Acetylcholin hemmen. Sie kommen bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz zum Einsatz. Beispiele sind Donepezil, Rivastigmin und Galantamin.
  • Glutamat-Antagonisten: Memantin wird bei mittelschwerer bis schwerer Alzheimer-Demenz verordnet. Es schützt Nervenzellen vor einer Überstimulation durch Glutamat.

Neben Antidementiva kann auch der pflanzliche Wirkstoff Ginkgo biloba zur Unterstützung der kognitiven Funktionen eingesetzt werden.

Neue Medikamente in der Entwicklung

Die medikamentöse Behandlung von Demenzerkrankungen wie Alzheimer entwickelt sich stetig weiter. Antikörper-Wirkstoffe wie Lecanemab und Donanemab zielen darauf ab, die für Alzheimer typischen Proteinablagerungen im Gehirn zu reduzieren und den Krankheitsverlauf zu verzögern. Während Lecanemab in der EU bereits zugelassen wurde, befindet sich Donanemab noch im Zulassungsverfahren. Zusätzlich wird an neuen Ansätzen geforscht, darunter Blarcamesin, das die natürlichen Reinigungsmechanismen der Nervenzellen aktivieren soll. Auch dieser Wirkstoff befindet sich aktuell in der Prüfung zur Zulassung in der EU.

Die Rolle der Hausärzte

Hausärztinnen und -ärzten kommt bei der Versorgung von Menschen mit Depressionen und Demenz eine zentrale Rolle zu. Die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) Depression empfiehlt bei Verdacht auf Depressionen, regelhaft Symptome, Schweregrad und Verlaufsaspekte zu erfassen.

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