Exopulse Mollii Suit: Ein innovativer Ansatz zur Linderung von Spastik bei Multipler Sklerose und anderen neurologischen Erkrankungen

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche neurologische Erkrankung, die das zentrale Nervensystem betrifft. Sie wird auch als "Krankheit der tausend Gesichter" bezeichnet, da sie ein breites Spektrum an Symptomen verursachen kann, darunter motorische Störungen, Erschöpfungszustände und Lähmungen der Extremitäten, die zu Spastiken führen können. Weltweit leben etwa 2,8 Millionen Menschen mit MS, allein in Deutschland wird sie jährlich bei mehr als 15.000 Menschen neu diagnostiziert.

Spastik, eine häufige Folge von MS und anderen neurologischen Erkrankungen wie Zerebralparese und Schlaganfall, äußert sich in Muskelkrämpfen, Bewegungsstörungen und chronischen Schmerzen. Bestimmte Muskeln sind dauerhaft angespannt, verhärten sich, werden steif und beeinträchtigen alltägliche Bewegungen. Die Krankheit legt nach und nach wortwörtlich das komplette Leben von Betroffenen lahm. Dadurch bedingte Schmerzen können zu einem kontinuierlichen Begleiter werden. Die Spastik selbst ist eine Verhärtung und Steifheit von Muskeln. Sie beeinflusst die Fähigkeit, Gliedmaßen zu bewegen, denn aufgrund der Schädigung im ZNS kommt es zu einer Fehlregulation der Skelettmuskulatur. Die Muskeln werden in einen Zustand permanenter Erregung und Anspannung versetzt - sogenannte unwillkürliche Muskelkontraktionen - die die Betroffenen nicht mehr kontrollieren können.

Herkömmliche Behandlungen von Spastik umfassen Physiotherapie, Medikamente und in einigen Fällen chirurgische Eingriffe. Diese Methoden können jedoch verzögert wirken und Nebenwirkungen verursachen. Eine innovative Alternative stellt der Exopulse Mollii Suit dar, ein Neuromodulationsanzug, der auf dem Prinzip der Elektrostimulation basiert.

Was ist der Exopulse Mollii Suit?

Der Exopulse Mollii Suit ist ein unterstützendes medizinisches Hilfsmittel für sowohl Kinder als auch Erwachsene dar, die unter Zerebralparese, Multipler Sklerose, Schlaganfall oder anderen neurologischen Störungen leiden, die mit Dystonie, spastischen Muskeln, eingeschränkter Muskelaktivierung und den dazugehörigen Schmerzen einhergehen können. Er besteht aus Jacke und Hose sowie einer akkubetriebenen und abnehmbaren Steuereinheit. Der Anzug ist mit 58 Elektroden ausgestattet, die in die Kleidungsstücke eingebettet sind und gezielt Muskelgruppen am ganzen Körper stimulieren können.

Der Exopulse Mollii Suit ist ein neuartiger Neuromodulationsanzug zur Entspannung spastischer und angespannter Muskeln und zur Aktivierung schwacher Muskeln, für Menschen mit neurologischen Erkrankungen wie Zerebralparese, Multipler Sklerose, Schlaganfall oder Rückenmarksverletzungen. Mithilfe niederfrequenter Elektroimpulse wird der Gegenspieler (Antagonist) des verkürzten Muskels gezielt stimuliert und dessen Muskelspannung nimmt zu. Wenn der Bizeps des Oberarms von einer Spastik betroffen ist, kann der Gegenspieler (Trizeps) mithilfe des Anzugs zu höherer Aktivität stimuliert werden, wodurch sich der Bizepsmuskel entspannt.

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Der Anzug wird wie ein normales Kleidungsstück direkt auf der Haut getragen. Die Tragedauer des Anzugs ist nutzerabhängig. In der Regel wird der Anzug täglich für 60 Minuten getragen. Es wird empfohlen, dieses Hilfsmittel alle zwei Tage zu nutzen, es sei denn, der Arzt hat eine andere Anweisung gegeben.

Wie funktioniert der Exopulse Mollii Suit?

Der Exopulse Mollii Suit nutzt die Neuromodulation, eine Art der Elektrostimulation, die direkt auf die Reflexe des Zentralnervensystems wirkt. Er nutzt einen physiologischen Reflexmechanismus, der als Antagonisten-Hemmung bezeichnet wird. Dieser Mechanismus beruht auf dem Prinzip, dass allen Körperbewegungen ein harmonisches Zusammenspiel von Muskeln zugrunde liegt. Jeder Muskel hat einen Gegenspieler (Antagonisten), der sich seinerseits verkürzt, um den Muskel auf der anderen Seite wieder zu strecken.

Der Exopulse Mollii Suit stimuliert mit 58 integrierten Elektroden 88 individuell von Spastiken betroffene Muskeln. Damit ist er weltweit der erste Anzug, der sich einen physiologischen Reflexmechanismus zunutze macht: Durch ein elektrisches Signal, das an einen antagonistischen Muskel gesendet wird, entspannt sich der spastische Muskel. Wenn beispielsweise der Bizeps verkrampft, stimuliert der Exopulse Mollii Suit den Trizeps, um den Bizeps zu lockern. Auf diese Weise können spastische Muskeln entspannt, schwache Muskeln (re)aktiviert und spastisch bedingte Schmerzen vermindert werden.

Die Elektroden des Anzugs geben schwache elektrische Signale über die Nervenbahnen an das Rückenmark ab. Diese Signale stimulieren die Antagonisten der spastischen Muskeln. Das Nervensystem empfängt diese Signale und "glaubt", dass der Antagonist angespannt ist. Dadurch wird der spastische Muskel entlastet und die Spastik lässt nach.

Vorteile des Exopulse Mollii Suit

Der Exopulse Mollii Suit bietet eine Reihe von Vorteilen gegenüber herkömmlichen Behandlungen von Spastik:

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  • Nicht-invasiv und nicht-medikamentös: Der Anzug wirkt ohne Medikamente oder invasive Maßnahmen.
  • Kontinuierliche Linderung: Der Anzug kann bequem von zu Hause aus getragen werden und bietet eine kontinuierliche Linderung von Spastik und Schmerzen.
  • Gezielte Stimulation: Die Elektroden des Anzugs können gezielt auf bestimmte Muskelgruppen eingestellt werden, um eine individuelle Behandlung zu ermöglichen.
  • Verbesserung der Mobilität und Lebensqualität: Durch die Entspannung spastischer Muskeln und die Aktivierung schwacher Muskeln kann der Anzug die Mobilität und Lebensqualität von Menschen mit neurologischen Erkrankungen verbessern.
  • Reduzierung des Sturzrisikos: Erste klinische Studien bestätigen die Wirkung: Bei Patient*innen mit Multipler Sklerose, Zerebralparese und Schlaganfall verbesserte sich nach nur 60 Minuten das Gleichgewichtsgefühl, während sich das Sturzrisiko verringerte.

Für wen ist der Exopulse Mollii Suit geeignet?

Der Exopulse Mollii Suit eignet sich für Menschen mit neurologischen Bewegungsstörungen wie Multiple Sklerose, Zerebralparese, Schlaganfall oder Rückenmarksverletzungen, die unter Spastik, Dystonie, eingeschränkter Muskelaktivierung und den dazugehörigen Schmerzen leiden.

Allerdings gibt es auch Kontraindikationen für die Anwendung des Exopulse Mollii Suit. Er ist nicht geeignet für Personen mit implantierten elektronischen Medizinprodukten oder Geräten, die durch Magneten gestört werden können (z.B. Shunts), oder elektronische Lebenserhaltungsgeräte nutzen. Bei Epilepsie, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, malignen Erkrankungen (Krebs), Infektionskrankheiten, Fieber, Schwangerschaft, Hautkrankheiten, Ausschlägen oder anderen Hautproblemen sollte der Exopulse Mollii Suit erst nach Konsultation des Arztes angewendet werden.

Wie erhalte ich den Exopulse Mollii Suit?

Interessenten können den Exopulse Mollii Suit im Rahmen eines kostenlosen und unverbindlichen Termins testen. In diesem Termin wird zunächst die Bewegungsstörung ohne Stimulation dokumentiert, danach erfolgt die individuelle Einstellung des Exopulse Mollii Suits und eine 60-minütige Muskelstimulation.

Wenn der Anzug geeignet ist, muss er von einem Neurologen oder Hausarzt verschrieben werden. Obwohl der Anzug in Europa als medizinisches Hilfsmittel zertifiziert ist, müssen Anwender derzeit allerdings hart dafür kämpfen, um die rund 8500 Euro, die dafür anfallen, erstattet zu bekommen.

Studienlage und wissenschaftliche Erkenntnisse

Der "Exopulse Mollii Suit" sorgte bereits für großes Echo in der MS-Community. Was bislang fehlte, das waren wissenschaftlich verwertbare Daten. Dafür sorgt nun der Hersteller Ottobock mit der Publikation einer kleinen, im ersten Teil randomisiert-kontrollierten Pilotstudie zu dem transkutanen Nervenstimulationsanzug.

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Die Studie an einer hinsichtlich Alter, Krankheitsdauer und Therapie sehr heterogenen Gruppe von 30 MS-Patienten mit Spastik zeigte signifikante Wirkung auf die Balance der Patienten (das primäre Studienziel) und zudem Wirkung auf Spastik und Lebensqualität. Studien wie diese, sind dringend nötig. Der Bedarf, motorische Funktionen bei MS-Patienten besser behandeln zu können, ist sehr groß. Die Zahl an Probanden ist zwar recht klein, die Ergebnisse rechtfertigen jedoch größere Studien, um die Effekte des Anzugs nachzuweisen.

Schon nach einmaliger Anwendung (dem ersten Teil der Pilotstudie) zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Balance im aktiven Studienarm gegenüber dem Arm, der nur zum Schein behandelt wurde. Die Balance war das primäre Studienziel. Sekundäre Studienziele waren: Spastik, Mobilität, Schmerzen, Fatigue und Lebensqualität.

Nachdem alle Patienten einen Monat lang aktiv teilgenommen hatten, zeigte sich bei diesen Patienten insgesamt betrachtet eine signifikante Verbesserung motorischer Symptome. Balance und Spastik verbesserten sich mehr als die Mobilität und diese wiederum stärker als die gesamte Lebensqualität. Auf Fatigue und auf Schmerzen hingegen konnten keine signifikanten Effekte verzeichnet werden. Die Daten wurden vorwiegend mit Fragebögen erhoben (also aufgrund subjektiver Einschätzungen durch die Patienten selbst), teils durch objektive Messungen (etwa bei Spastik).

In einer Open-Label-Studie zur Reaktion auf Gruppenebene auf die Anzugstimulation bei Patienten mit CP, MS und Schlaganfall etwa zeigten sich nachhaltige Auswirkungen auf das statische und dynamische Gleichgewicht, das Sturzrisiko, die Mobilität, sowie eine allgemeine Steigerung der Teilhabe und eine Verringerung der Schmerzen. Für Fibromyalgie belegt eine weitere Studie bei 78 Prozent der Teilnehmer eine deutliche Verbesserung des klinischen Gesamteindrucks.

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