Arbeiten mit Demenz: Tipps für den Alltag

Die Betreuung von Menschen mit Demenz stellt eine besondere Herausforderung dar. Neben dem Abbau der kognitiven Fähigkeiten verändern sich oft auch das Erleben und Verhalten der Betroffenen. Aggressivität, Depressionen und andere psychische Probleme können auftreten und den Alltag für alle Beteiligten erschweren. Dieser Artikel soll Angehörigen und Betreuenden praktische Tipps und Informationen an die Hand geben, um den Alltag mit Demenz besser zu gestalten.

Ursachenforschung und nicht-medikamentöse Maßnahmen

Bei Verhaltensauffälligkeiten sollte zunächst nach möglichen Ursachen geforscht werden. Unentdeckte Erkrankungen oder Zustände können eine Rolle spielen. Auch überfordernde oder ängstigende Situationen und Umgebungen können zu Problemen führen. Oft lassen sich diese durch nicht-medikamentöse Maßnahmen verbessern.

Verbesserung der Wohnraumgestaltung: Eine Anpassung des Wohnraums kann die Selbstständigkeit und Sicherheit der Betroffenen erhöhen. Stolperfallen sollten beseitigt und Hindernisse entfernt werden. Technische Hilfen wie Türsicherungen oder Herdabschaltautomatiken können zusätzlich Entlastung bringen.

Soziale Integration: Vermehrte soziale Kontakte und Aktivitäten können das Wohlbefinden steigern und Isolation verhindern.

Gedächtnisstützen: Listen und andere Gedächtnisstützen können helfen, den Alltag zu strukturieren und die Orientierung zu verbessern.

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Erst wenn diese Maßnahmen keine ausreichende Wirkung zeigen, sollten Medikamente in Betracht gezogen werden.

Umgang mit sprachlichen Schwierigkeiten

Im Verlauf einer Demenzerkrankung ist häufig die Sprache betroffen. Anfangs treten Wortfindungsstörungen auf, später verarmt die Sprache immer mehr und auch das Sprachverständnis lässt nach. Daher ist es wichtig, langsam und deutlich zu sprechen, einfache Sätze zu verwenden und komplizierte Begriffe zu vermeiden. Auch wenn Alltagsgespräche irgendwann unmöglich werden, bleibt der Austausch wichtig.

Autofahren und Demenz

Das Risiko von Autounfällen steigt mit der Dauer und dem Schweregrad einer Demenz. Die Aufgabe des Autofahrens bedeutet für viele Betroffene den Verlust von Selbstständigkeit und Identität. Bei vermehrten Unfällen oder Beinahe-Unfällen sollte das Problem mit Ärzt:innen besprochen werden. In unklaren Fällen empfiehlt sich eine Beurteilung durch eine:n Amtsärzt:in oder eine besondere verkehrsmedizinische Abteilung.

Entlastung für pflegende Angehörige

Die Pflege einer angehörigen Person mit Demenz kann körperlich und seelisch sehr belastend sein. Es ist wichtig, auch an die eigene Entlastung zu denken, um neue Energie schöpfen zu können. Es gibt verschiedene Hilfsangebote, die den Alltag erleichtern können:

  • Mobile Soziale Dienste/Nachbarschaftshilfe: Laienhelfer, die Besuchs- und Einkaufsdienste leisten, einfache Hilfe bei der Pflege, Begleitung und Betreuung anbieten.
  • Kurzzeitpflege: Zeitlich begrenzter Aufenthalt in einer stationären Einrichtung bei Urlaub oder Verhinderung der Pflegeperson.

Wohnraumanpassung

Unter Wohnraumanpassung versteht man Maßnahmen zur räumlichen Veränderung im häuslichen Umfeld, wie z.B. die Beseitigung von "Stolperfallen" und sonstigen Hindernissen. Es ist ratsam, sich persönlich beraten zu lassen, da bestimmte Maßnahmen durch die Pflegekasse finanziell unterstützt werden können.

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Finanzielle Fragen

Im Laufe der Erkrankung stellen sich häufig auch finanzielle Fragen, insbesondere aufgrund der zunehmenden Pflegebedürftigkeit der betroffenen Person.

Einwilligungsfähigkeit und Testierfähigkeit

Die Einwilligungsfähigkeit beruht auf der Einsichts- und Urteilsfähigkeit einer Person und ist durch eine Demenzkrankheit nicht automatisch aufgehoben. Solange die erkrankte Person noch ihren Willen äußern kann, sollte sie aktiv in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Die Testierfähigkeit beschreibt die Fähigkeit, ein Testament zu verfassen und ist von der allgemeinen Geschäftsfähigkeit zu unterscheiden. Wer an Demenz leidet, kann durchaus geschäftsfähig, möglicherweise aber nicht testierfähig sein.

Pflegegrade

Bei Pflegebedürftigkeit kann ein Pflegegrad beantragt werden. Nach Eingang dieser Information besuchen Vertreter:innen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) die erkrankte Person in ihrer Lebensumgebung und erstellen ein Pflegegutachten. Die monatlichen Sach- bzw. Geldleistungen sind abhängig von der Schwere der Pflegebedürftigkeit.

Krankenhausaufenthalt

Ein Krankenhausaufenthalt ist für eine demenzerkrankte Person eine große Belastung. Um diese Stressfaktoren bestmöglich abzuschwächen, empfiehlt es sich, im Vorfeld die beteiligten Pflegepersonen über bestimmte Gewohnheiten, Vorlieben, Ängste etc. der demenzerkrankten Person zu informieren.

Beratungsstellen und Informationsangebote

Es gibt zahlreiche Beratungsstellen und Informationsangebote für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen, wie z.B. Senior:innenberatungsstellen, Kompetenznetz Demenzen (KND) und die Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V.

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Tipps für den Alltag

Die Diagnose Demenz verändert das Leben. Der Alltag wird herausfordernder, Gespräche schwieriger und vertraute Abläufe funktionieren nicht mehr wie gewohnt. Doch es gibt Wege, den Alltag zu erleichtern und ein stabiles Miteinander zu schaffen.

Kommunikation: Sprechen Sie langsam und deutlich, verwenden Sie einfache Sätze und vermeiden Sie komplizierte Begriffe. Auch wenn Alltagsgespräche irgendwann unmöglich werden, bleibt der Austausch wichtig.

Tagesstruktur: Am einfachsten ist es, sich an bereits vertraute Abläufe zu halten, wie zum Beispiel Aufstehen, Frühstücken, Anziehen oder Duschen. Diese Routinen geben der erkrankten Person Sicherheit und Vertrautheit. Eine klare Tagesstruktur kann helfen, Orientierung zu geben: Tageslicht, frische Luft und feste Abläufe am Tag, Ruhe und gedimmtes Licht am Abend.

Aktivitäten: Versuchen Sie, möglichst täglich Aktivitäten einzubauen, die gut tun, wie zum Beispiel gemeinsame Spaziergänge oder Zeit für soziale Kontakte oder Hobbys. Aktivitäten, die Angst auslösen könnten, sollten behutsam und in kleinen Schritten vorbereitet werden.

Essen und Trinken: Eine Demenzerkrankung kann das Ess- und Trinkverhalten deutlich verändern. Eine ruhige Umgebung, feste Essenszeiten und vertrautes Geschirr geben Orientierung.

Baden und Duschen: Sinnesüberlastung kann Stress auslösen. Diese Ängste zu verstehen und mögliche Auslöser zu vermeiden, kann für Angehörige ein erster Schritt sein, das Baden und Duschen angenehmer zu gestalten.

Anziehen: Menschen mit Alzheimer oder anderen Demenzerkrankungen brauchen häufig mehr Zeit zum Anziehen. Ermutigen Sie die oder den Erkrankten dennoch immer, sich selbst morgens anzuziehen. Halten Sie das Angebot klein, also lieber weniger Kleidung, dafür welche, leicht kombinierbar ist.

Beschäftigung und Aktivierung

Zur Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz gehört auch die gezielte Beschäftigung mit Spielen oder anderen Tätigkeiten. Schlagen Sie von sich aus Dinge vor und motivieren Sie den Demenzerkrankten mitzumachen. Es sollte nicht Ihr Ziel sein, Menschen mit Demenz durch die Beschäftigung herauszufordern und sie vor schwierige Aufgaben zu stellen. Demenz lässt sich nicht „wegtrainieren“. Das Stadium der Demenz ist ausschlaggebend dafür, welche Aufgaben und Spiele Sie der betroffenen Person zumuten können.

Allgemeine Tipps für die Beschäftigung:

  • Beachten Sie das Stadium der Demenz: Überforderung bewirkt negative Reaktionen.
  • Gehen Sie auf persönliche Vorlieben und Abneigungen ein: Die Beschäftigung sollte Spaß machen.
  • Respektieren Sie die Entscheidung des Demenzerkrankten: Lassen Sie es zu, wenn der Erkrankte nicht selbst aktiv werden möchte, sondern lieber beobachtet.
  • Tolerieren Sie „Fehler“: Schimpfen Sie auf keinen Fall, wenn etwas nicht funktioniert.

Beispiele für Beschäftigungen:

  • Kunstbetrachtung: Die Betrachtung von Kunst schafft Raum für Kommunikation und stärkt das Selbstbewusstsein.
  • Haus- und Gartenarbeit: Kleinere Arbeiten in Haus oder Garten sind leicht umsetzbar und naheliegend, wenn Ihr Angehöriger sich schon früher gerne mit solchen Aufgaben beschäftigt hat.
  • Kreative Tätigkeiten: Der Umgang mit unterschiedlichen Materialien aus der Natur oder dem Bastelladen kann Demenzerkrankten viel Freude bereiten.
  • Musik hören und singen: Bekannte Schlager aus der Jugendzeit stimulieren fröhliche Erinnerungen und können die Stimmung aufhellen.
  • Erinnerungsalben: Das Wecken von Erinnerungen mit Erinnerungsalben trägt zum Wohlbefinden bei und stärkt die Identität.
  • Vorlesen: Zuhören fördert die Durchblutung im Gehirn und kann aktivierend wirken.
  • Bewegung: Spaziergänge und Ausflüge regen den Kreislauf an, fördern Sinneserfahrungen und bringen Freude.
  • Snoezelen: Dabei werden gezielt unterschiedliche Sinne aktiviert und stimuliert.
  • Spiele: Es gibt Spiele, die speziell für Demenzerkrankte entwickelt wurden, aber auch herkömmliche Spiele wie Würfelspiele oder Mensch ärgere Dich nicht können geeignet sein.

Wichtig: Im Prinzip sind alle Spiele sinnvoll, die Sinneseindrücke fördern, Freude bereiten und dabei keinen Leistungsdruck erzeugen.

Umgang mit Verhaltensweisen und psychischen Problemen

Bestimmte Sinneseindrücke können von Menschen mit Demenz verkannt werden und zu Verwirrung führen. Viele Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz, die Pflegende vor Herausforderung stellen, sind Reaktionen, die man aus der Krankheit heraus verstehen und nachvollziehen kann:

  • Aggressivität: Angst, Wut, Unruhe, Enttäuschung und Nervosität können zu aggressivem Verhalten führen.
  • Unruhe: Menschen mit Demenz sind oft unruhig und laufen immer wieder die gleiche Strecke auf und ab.

Um mit anstrengenden und problematischen Verhaltensweisen umzugehen, ist es hilfreich, ruhig zu bleiben und auf den Gefühlszustand des erkrankten Menschen einzugehen.

Tipps für ein besseres Zusammenleben

  • Wissen über die Krankheit: Wissen über die Krankheit verleiht Sicherheit im Zusammenleben und im Umgang mit den Erkrankten.
  • Akzeptanz: An Demenz erkrankte Menschen muss man so annehmen, wie sie sind. Sie können sich nicht ändern.
  • Eigenständigkeit fördern: Eigenständigkeit ist eine Wurzel von Selbstachtung, Sicherheit und Lebenszufriedenheit.
  • Orientierungshilfen: Ein gleichbleibender, überschaubarer Tagesablauf, helles Licht und Hinweisschilder in der Wohnung erleichtern es den Kranken, sich zurecht zu finden.
  • Reaktionen verstehen: Viele Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz sind Reaktionen, die man aus der Krankheit heraus verstehen und nachvollziehen kann.
  • Spannungsfreie Atmosphäre: Eine angenehme und spannungsfreie Atmosphäre, die Halt und Sicherheit gibt, steigert das Wohlbefinden maßgeblich.
  • Zeit lassen: Muss es nicht unbedingt schnell gehen, dann sollte man dem betroffenen Menschen genügend Zeit lassen, sich in seinem eigenen Rhythmus zu artikulieren oder zu handeln.
  • Stärkenorientierung: Pflegende Angehörige, die ihr Augenmerk vor allem auf die Einschränkungen und „Fehlleistungen“ der zu Betreuenden richten, übersehen oft noch verbliebene Fähigkeiten.

Selbstfürsorge für pflegende Angehörige

Die Betreuung eines Familienmitglieds mit Demenz ist außerordentlich schwer und kann viele Jahre dauern. Es ist wichtig, den selbst auferlegten Leistungsdruck abzubauen und sich von Anfang an feste Freiräume zu schaffen. Pflegende Angehörige sollten sich um Hilfs- und Entlastungsmöglichkeiten kümmern, solange sie noch Zeit und Energie dafür haben.

Alarmzeichen einer Überforderung: Schlafstörungen, anhaltende Erschöpfung, Reizbarkeit, soziale Isolation.

Hilfsangebote: Pflegeberatung, Selbsthilfegruppen, psychologische Beratung, telefonische Beratung.

Die Bedeutung von Musik

Viele Menschen, die vorher gar nicht gesprochen haben, kamen durch die Musik wieder mit ihren Angehörigen ins Gespräch. Playlisten mit den Lieblingsliedern der Betroffenen aus dem jungen Erwachsenenalter sind unheimlich wertvoll. Auch bei dem Sprechen über die Vergangenheit ist es wichtig, die Erkrankten nicht unter Druck zu setzen oder zu forcieren, wenn Dinge eben nicht mehr erinnert werden können.

Routinen und Gewohnheiten

Nicht generell sind Routinen und Gewohnheiten gut. Das können sie sein, wie etwa Tagesstrukturen oder vertraute Abläufe, die der Mensch mit Demenz zuordnen kann. Aber die Person verändert sich durch die Demenz auch. Man muss abwägen, ob die Routinen noch gut für den Betroffenen sind, ob er vielleicht mehr Ruhepausen, mehr Bewegung oder Beschäftigung braucht.

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