Das Parkinson-Syndrom ist eine degenerative neurologische Erkrankung, die das extrapyramidal-motorische System und die Basalganglien betrifft. Es ist durch die Kardinalsymptome Hypokinese, Rigor, Tremor und posturale Instabilität gekennzeichnet. Parkinson-Syndrome werden in vier Hauptgruppen unterteilt: das idiopathische Parkinson-Syndrom (IPS), genetische Formen, symptomatische Parkinson-Syndrome (SPS) und atypische Parkinson-Syndrome (APS). Die Unterscheidung dieser Syndrome ist für die Behandlung von entscheidender Bedeutung, da nicht alle Formen gleichermaßen auf Parkinson-Medikamente ansprechen.
Klassifizierung von Parkinson-Syndromen
Die Parkinson-Syndrome lassen sich in folgende Kategorien einteilen:
- Idiopathisches Parkinson-Syndrom (IPS): Dies ist die häufigste Form, auch bekannt als Morbus Parkinson. Die Ursachen sind multifaktoriell und umfassen Umweltfaktoren, Verhaltenseinflüsse und genetische Veranlagung.
- Genetische Formen: Bei einem Teil der IPS-Patienten sind weitere Familienmitglieder betroffen. Mutationen in verschiedenen Genen können zu autosomal vererbten Formen führen.
- Symptomatische Parkinson-Syndrome (SPS): Diese entstehen durch andere Ereignisse, Erkrankungen oder Arzneimittel, die das zentrale Nervensystem schädigen.
- Atypische Parkinson-Syndrome (APS): Diese Kategorie umfasst Parkinson-Syndrome im Rahmen anderer neurodegenerativer Erkrankungen.
Atypische Parkinson-Syndrome (APS) im Detail
Atypische Parkinson-Syndrome (APS) sind neurodegenerative Erkrankungen, die sich von der klassischen Parkinson-Krankheit (Morbus Parkinson) unterscheiden. Während die Parkinson-Krankheit hauptsächlich durch den Verlust dopaminerger Neuronen in der Substantia nigra gekennzeichnet ist, weisen APS zusätzliche pathologische Veränderungen in anderen Hirnregionen auf. Dies führt zu einem breiteren Spektrum an Symptomen und einem oft schlechteren Ansprechen auf dieStandard-Parkinson-Medikation.
Gemeinsame Merkmale von APS
Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal der APS ist das frühe Auftreten demenzieller Symptome. Zu den wichtigsten Vertretern der APS gehören:
- Demenz mit Lewy-Körperchen (DLK)
- Multisystematrophie (MSA)
- Progressive supranukleäre Parese (PSP)
- Kortikobasale Degeneration (CBD)
Demenz mit Lewy-Körperchen (DLK)
- Epidemiologie: Die DLK ist nach der Alzheimer-Krankheit die zweithäufigste Form der neurodegenerativen Demenz im Alter.
- Klinik: Die Erstsymptome sind kognitive Beeinträchtigungen mit auffälligen Schwankungen, optische Halluzinationen und ein Parkinson-Syndrom. Im Gegensatz zur Alzheimer-Demenz treten Gedächtnisstörungen zu Beginn meist nicht in Erscheinung.
- Diagnose: Die Diagnose basiert auf den klinischen Kennzeichen fortschreitender Demenz, fluktuierenden kognitiven Leistungen, optischen Halluzinationen und einem Parkinson-Syndrom. Bildgebende Verfahren wie MRT und SPECT können zurDiagnosesicherung beitragen.
- Therapie: Die Behandlung der DLK muss kognitive Störungen, neuropsychiatrische Symptome und motorische Defizite berücksichtigen. Eine besondere Schwierigkeit besteht darin, dass Levodopa die Parkinson-Symptomatik bessern, aber die neuropsychiatrischen Symptome verschlechtern kann.
Multisystematrophie (MSA)
- Epidemiologie: Die MSA hat eine Prävalenz von etwa 5/100.000.
- Klinik: Die MSA zeigt zwei unterschiedliche Prädominanztypen: MSA-P (mit überwiegendem Parkinsonismus) und MSA-C (mit überwiegend zerebellärer Symptomatik). Vegetative Symptome wie Harninkontinenz, erektile Dysfunktion oder orthostatische Hypotension sind obligat vorhanden.
- Diagnose: Die Diagnose erfordert mindestens ein Symptom der vegetativen Dysfunktion sowie eine progrediente Parkinson-Symptomatik oder Ataxie. MRT-Befunde können Atrophie in Putamen, mittlerem Kleinhirnstiel, Pons und Zerebellum zeigen.
- Therapie: Eine Levodopa-Therapie kann die hypokinetisch-rigide Symptomatik bei MSA-P verbessern. Eine symptomatische Therapie der vegetativen Symptome ist empfehlenswert.
Progressive supranukleäre Parese (PSP)
- Epidemiologie: Die PSP hat eine Prävalenz von etwa 5-10/100.000 Personen.
- Klinik: Die klinischen Manifestationen der PSP sind vielfältig. Am häufigsten zeigt sich das klassische Richardson-Syndrom mit akinetisch-rigidem Syndrom der axialen Muskulatur, früh auftretender Fallneigung nach hinten und vertikal betonter supranukleärer Blickparese.
- Diagnose: Die Diagnose basiert auf dem klinischen Nachweis der Fallneigung sowie der Augenbewegungsstörungen. MRT kann eine Mittelhirn- und Frontalhirnatrophie nachweisen.
- Therapie: Die Behandlung der PSP ist rein symptomorientiert. Therapeutische Zielsymptome sind die akinetisch-rigide Symptomatik, die okulomotorischen Störungen, neuropsychologische Defizite und Schlafstörungen.
Kortikobasale Degeneration (CBD)
Die kortikobasale Degeneration (CBD) ist eine seltene neurodegenerative Erkrankung, die durch eine Kombination aus kortikalen und basalen Ganglien-Symptomen gekennzeichnet ist.
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Klinische Merkmale:
- Asymmetrische Symptome: Die Symptome beginnen typischerweise auf einer Körperseite und schreiten dann fort.
- Kortikale Dysfunktion:
- Apraxie: Schwierigkeiten bei der Ausführung zielgerichteter Bewegungen, trotz intakter motorischer und sensorischer Funktionen. Die Patienten haben Schwierigkeiten, einfache Aufgaben wie das Anziehen oder das Benutzen von Werkzeugen auszuführen.
- Alien-Limb-Phänomen: Ein Gefühl, dass eine Gliedmaße (meist ein Arm) fremd ist und nicht dem eigenen Willen gehorcht. Die betroffene Gliedmaße kann unkontrollierte Bewegungen ausführen.
- Aphasie: Sprachstörungen, wie Schwierigkeiten beim Sprechen oder Verstehen von Sprache.
- kortikale Sensibilitätsstörungen: Verlust der Fähigkeit, feine Berührungen, Vibrationen oder die Position von Gliedmaßen im Raum zu erkennen.
- Basalganglien-Dysfunktion:
- Rigor: Steifheit der Muskeln, die zu einer erhöhten Muskelspannung führt.
- Bradykinese: Verlangsamung der Bewegungen.
- Dystonie: Unwillkürliche Muskelkontraktionen, die zu verdrehten Körperhaltungen oder wiederholten Bewegungen führen können.
- Myoklonus: Plötzliche, unwillkürliche Muskelzuckungen.
Diagnose:
Die Diagnose der CBD basiert hauptsächlich auf klinischen Kriterien. Bildgebende Verfahren wie MRT können helfen, andere Ursachen für die Symptome auszuschließen und charakteristische Muster von Hirnatrophie zu erkennen.
Therapie:
Es gibt keine kurative Behandlung für CBD. Die Therapie zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.
- Medikamente:
- Levodopa: Kann bei einigen Patienten mit Rigor und Bradykinese helfen, ist aber oft weniger wirksam als bei der Parkinson-Krankheit.
- Botulinumtoxin: Kann zur Behandlung von Dystonie eingesetzt werden.
- Andere Medikamente: Antidepressiva, Antikonvulsiva und andere Medikamente können zur Behandlung von Schmerzen, Depressionen und anderen Begleitsymptomen eingesetzt werden.
- Physiotherapie: Kann helfen, die Beweglichkeit zu erhalten und Stürze zu verhindern.
- Ergotherapie: Kann helfen, Strategien zur Bewältigung von Alltagsaktivitäten zu entwickeln.
- Logopädie: Kann bei Sprach- und Schluckproblemen helfen.
Differenzialdiagnose von APS
Die Abgrenzung der verschiedenen Parkinson-Syndrome untereinander, insbesondere die Differenzierung des idiopathischen Parkinson-Syndroms von anderen Parkinson-Syndromen, kann schwierig sein. Die Unterscheidung der Parkinson-Syndrome ist aber von Bedeutung für die Behandlung. Nicht alle Formen des Parkinson-Syndroms sprechen gleichermaßen auf Parkinson-Medikamente an. Bei Parkinson-Plus-Syndromen, die bereits früh im Verlauf Störungen des vegetativen Nervensystems wie eine Inkontinenz (MSA) oder eine Demenz (Lewy-Body-Demenz) aufweisen, sind viele Parkinson-Medikamente kontraindiziert.
Diagnostische Kriterien für das idiopathische Parkinson-Syndrom (IPS)
Um ein IPS zu diagnostizieren, müssen folgende Kriterien erfüllt sein:
Bradykinese (Verlangsamung in der Initiation und Ausführung von Willkürbewegungen mit Verlangsamung und Amplitudenreduktion bei Bewegungen) + eines der folgenden Leitsymptome:
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- Ruhetremor (4-6 Hz)
- Rigor
- Haltungsinstabilität (gestörte gleichgewichtsregulierende Reflexe), die nicht primär durch Störungen im Sehen, des Gleichgewichtorgans, des Kleinhirns oder der peripheren Nerven erklärbar sind
Ausschlusskriterien für ein IPS:
- Plötzlicher Beginn
- Schädel-Hirn-Verletzung
- Hirnentzündung
- okulogyre Krisen (unwillkürliche Augenbewegungen nach oben)
- Remissionen
- Neuroleptika oder ähnliche Medikamente bis kurz vor Beginn der Symptome
- mehr als 1. Verwandter mit Parkinson-Syndrom
- ausschließlich einseitige Zeichen nach 3 Jahren
- supranukleäre Blickparese (schwer eingeschränkte Blickwendung nach oben und unten)
- zerebelläre Zeichen (Symptome die auf eine Störung des Kleinhirn hinweisen)
- früh ausgeprägte Störungen des vegetativen Nervensystems wie Inkontinenz
- positives Babinski-Zeichen
- Hinweise auf besondere Auffälligkeiten im CT oder MRT des Schädels wie frühe Demenz
- fehlendes Ansprechen auf hohe Dosen von Levodopa (wenn Malabsorption ausgeschlossen wurde)
- Exposition mit besonderen Substanzen wie MPTP
Symptomatische (sekundäre) Parkinson-Syndrome
Symptomatische bzw. sekundäre Parkinson-Syndrome (sPD bzw. SPS) sind auf andere Ereignisse, Erkrankungen oder Arzneimittel zurückzuführen, die diezentralnervösen Strukturen schädigen. Dazu gehören:
- Arzneimittel: Insbesondere klassische Neuroleptika, Lithium, Valproinsäure, Reserpin, Antiemetika (Metoclopramid) und Calciumkanalantagonisten (Cinnarizin, Flunarizin).
- Neurotoxine: Zum Beispiel Intoxikationen durch Kohlenmonoxid, Mangan, Blei oder MPTP. Eine Exposition gegenüber Pestiziden, Lindan, Rotenon oder Lösungsmitteln auf Basis von Trichlorethylen, Tetrachlorkohlenstoff und Perchlorethylen erhöhen das Erkrankungsrisiko.
- Traumatische Hirnschädigung: Speziell schwere Schädel-Hirn-Traumata (SHT). Das Erkrankungsrisiko steigt mit der Anzahl der Kopfverletzungen, spezifischen Umwelteinflüssen und genetischen Anfälligkeitsfaktoren. Eine schwere traumatische Hirnschädigung in Verbindung mit einer Exposition gegenüber dem Kontaktherbizid Paraquat erhöht die Krankheitswahrscheinlichkeit um das Dreifache.
- Hirntumore
- Entzündungen: Wie AIDS-Enzephalopathie oder seltene Enzephalitiden
- Stoffwechselstörungen: Wie Morbus Wilson und Hypoparathyreoidismus
- Psychostimulanzien: Vom Amphetamintyp, etwa Methamphetamin (Crystal Meth), können das Parkinson-Risiko begünstigen.
Diagnostische Verfahren
Zur Diagnose von Parkinson-Syndromen werden verschiedene Verfahren eingesetzt:
- Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte und der aktuellen Symptome.
- Körperliche Untersuchung: Testen der Reflexe, der Berührungsempfindlichkeit der Haut und der Beweglichkeit der Muskeln und Gelenke.
- Bildgebende Verfahren:
- Transkranielle Sonographie (TCS): Ultraschalluntersuchung des Gehirns.
- Kernspintomografie (MRT) und Computertomografie (CT): Zum Ausschluss anderer Ursachen für die neurologischen Probleme.
- DAT-SPECT: Spezielle Computertomografie zur Abbildung von Nervenenden, die durch die Parkinson-Krankheit verändert sind.
- Testverfahren:
- L-Dopa-Test: Testweise Gabe von L-Dopa zur Feststellung einer Verbesserung der Bewegungsstörungen oder Muskelverspannungen.
- Apomorphin-Test: Ähnlich wie beim L-Dopa-Test, jedoch mit Apomorphin.
Therapie von Parkinson-Syndromen
Die Therapie von Parkinson-Syndromen zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
- Medikamentöse Therapie:
- L-Dopa (Levodopa): Wird als Tablette, Kapsel oder Tropfen verabreicht und ist überaus wirksam.
- Dopamin-Agonisten: Wie Pramipexol, Ropinirol oder Piribedil.
- MAO-B-Hemmer: Bremsen den natürlichen körperlichen Abbau von Dopamin.
- COMT-Hemmer: Verlangsamen ebenfalls den natürlichen Dopamin-Abbau.
- Anticholinergika: Wirken hauptsächlich gegen das Zittern der Hände.
- NMDA-Antagonisten (Amantadin oder Budipin): Wirken gegen den, durch Dopamin-Mangel verursachten, Überschuss des Botenstoffs Glutamat.
- Tiefe Hirnstimulation (DBS): Winzige Elektroden werden in einem genau definierten Areal des Gehirns platziert, um elektrische Impulse abzugeben.
- Physiotherapie: Zur Stabilisierung des Gleichgewichtes und zur Verbesserung der Sicherheit der Bewegungen.
- Logopädie: Bei Verschlechterung des Sprachvermögens.
- Ergotherapie: Zur Bewältigung von körperlichen Einschränkungen im Alltag.
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