Ein auffälliges Elektroenzephalogramm (EEG) kann auf eine erhöhte elektrische Aktivität im Gehirn hinweisen, was oft mit Epilepsie in Verbindung gebracht wird. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass ein auffälliges EEG nicht immer eine Epilepsie bedeutet. Es gibt eine Reihe von anderen Ursachen und Faktoren, die zu einem auffälligen EEG führen können, ohne dass tatsächlich eine Epilepsie vorliegt. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Ursachen für ein auffälliges EEG ohne Epilepsie, die Bedeutung einer korrekten Diagnose und die möglichen Differentialdiagnosen.
Epileptischer Anfall: Was tun?
Ein epileptischer Anfall kann ein einschneidendes Erlebnis für Betroffene und Augenzeugen sein. Besonders eindrücklich sind generalisierte tonisch-klonische Anfälle (Grand-mal-Anfälle).
Beispielhafte Schilderungen von Anfallsereignissen:
- Grand-mal-Anfall: "Herr Mustermann hat plötzlich einen starren Blick bekommen, die Augen nach oben verdreht, alle Muskeln des Körpers durchgestreckt und ist umgefallen. Am Boden liegend hat er dann an Armen und Beinen rhythmisch gekrampft, heftig geatmet und Schaum vor den Mund bekommen. Die Krämpfe haben etwa 2 Minuten gedauert. Auf Ansprache oder Rütteln zeigte Herr Mustermann danach keine Reaktionen. Nach 5-10 Minuten kam er wieder zu sich, reagierte aber nicht der Situation entsprechend. Allmählich kam er wieder zur Orientierung. Er war sehr müde und abgeschlagen. Am Folgetag hatte er Muskelkater und ein seitlicher Zungenbiss tat weh. Auch Prellmarken und Hautabschürfungen traten auf."
- Absencen: "Mein Kind befindet sich im 2. Schuljahr. Mehrmals am Tag schaut es starr in die Luft und bewegt die Augenlider. In dieser Zeit ist es nicht ansprechbar. Nach wenigen Sekunden ist alles wieder normal und es setzt die angefangenen Tätigkeiten fort."
- Synkope: "Meine Frau stand neben mir, als sie plötzlich sagte, dass ihr schwarz vor den Augen werde. Sie sackte in sich zusammen und lag 5 Sekunden ohnmächtig am Boden ohne sich zu bewegen. Auf Ansprache reagierte sie plötzlich sofort, wusste sofort wo sie war, stand auf und alles war wieder wie vorher."
Diese Beispiele verdeutlichen, wie wichtig es ist, ein Anfallsereignis korrekt einzuordnen, da die erforderlichen Untersuchungen und Behandlungen sehr unterschiedlich sind. Es ist ratsam, einen Neurologen aufzusuchen und, falls möglich, einen Augenzeugen zur Untersuchung mitzubringen.
Habe ich Epilepsie?
Die Diagnose einer Epilepsie basiert hauptsächlich auf der Beschreibung des Anfallsereignisses. Apparative Untersuchungen wie EEG und MRT können die Diagnose unterstützen, aber nicht beweisen. Die Anfallsbeschreibung sollte so genau wie möglich sein und idealerweise vom Patienten und einem Augenzeugen rekonstruiert werden.
Wichtige Aspekte der Anfallsanamnese:
- Anfallsvorgefühle (Prodromi): Gefühle vor dem Anfall, wie Spannungszustände oder Depressivität.
- Aura: Der Beginn des Anfalls im Gehirn, der sich durch verschiedene Wahrnehmungen äußern kann (z. B. Blitze sehen, Gerüche wahrnehmen, Kribbelgefühle).
- Bewusstseinsverlust: Einschränkung oder vollständiger Verlust des Bewusstseins.
- Automatismen: Wiederholte, unpassende Bewegungen im Gesicht oder an den Gliedmaßen.
- Verkrampfungen: Starre (tonische) oder zuckende (klonische) Verkrampfungen einzelner Körperregionen oder des gesamten Körpers.
- Nach dem Anfall: Umdämmertheit, Orientierungslosigkeit, Gedächtnisstörungen, Müdigkeit, vorübergehende Lähmungen oder Sprachstörungen.
- Weitere Hinweise: Zungenbiss, Einnässen/Einkoten, Verletzungen.
- Dauer des Anfalls: Vom Beginn der Aura bis zum Ende der motorischen Störungen.
- Auslöser: Bestimmte Faktoren, die Anfälle provozieren können (z. B. Blitzlicht, Lesen).
Zusätzliche Informationen zur Krankheitsvorgeschichte:
- Schwangerschaft und Geburt
- Entwicklungsstörungen in der frühen Kindheit
- Kopf- oder Gehirnverletzungen/-erkrankungen
- Fieberkrämpfe in der Kindheit
- Andere Erkrankungen in der Vorgeschichte (z. B. Infektionen, Tumore)
- Medikamenten- oder Alkoholkonsum
- Familiäre Vorbelastung für Epilepsie
- Handelt es sich wirklich um den ersten Anfall?
Nach der Anamnese sind eine körperliche, neurologische und psychiatrische Untersuchung erforderlich. Die wichtigsten apparativen Untersuchungen sind EEG und MRT des Kopfes.
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EEG (Elektroenzephalogramm):
- Misst die hirnelektrische Aktivität.
- Bei Epilepsie können epilepsietypische Potentiale (z. B. Spitze-Welle-Komplexe) gefunden werden.
- Epilepsietypische Potentiale beweisen keine Epilepsie, da sie auch bei gesunden Personen vorkommen können.
- Erkennt allgemeine Veränderungen der Gehirnaktivität (z. B. Verlangsamungen, herdförmige Störungen).
- In der Regel wird zunächst ein Oberflächen-EEG durchgeführt. Bei unklaren Ergebnissen können ein 24-Stunden-EEG oder Schlafentzugs-EEG folgen.
Kernspintomographie (MRT):
- Schichtaufnahme des Kopfes und Gehirns mit magnetischen Wellen.
- Erkennt Veränderungen der Gehirnstruktur (z. B. Vernarbungen, Missbildungen, Entzündungen, Tumore, Schlaganfälle).
- Auch bei normalem MRT kann eine Epilepsie vorliegen.
- Kann die zum Gehirn führenden Gefäße darstellen (Kernspin-Angiographie).
- Falls MRT nicht möglich, sollte eine Computertomographie (CT) durchgeführt werden (jedoch weniger genau und mit Strahlenbelastung).
Weitere Untersuchungen:
- Laboruntersuchungen des Blutes und ggf. Nervenwassers (Liquor), um Entzündungszeichen zu suchen.
- Untersuchungen des Hirnstoffwechsels (SPECT oder PET) sind selten beim ersten Anfall notwendig.
- Neuropsychologische Untersuchung zur Erkennung von Beeinträchtigungen der Hirnleistungsfähigkeit.
Ursachen für ein auffälliges EEG ohne Epilepsie
Ein auffälliges EEG kann verschiedene Ursachen haben, die nicht mit Epilepsie in Verbindung stehen. Hier sind einige der häufigsten:
Normvarianten
Das EEG ist eine komplexe Aufzeichnung der elektrischen Aktivität des Gehirns, und es gibt bestimmte Muster, die als normale Variationen gelten. Diese Muster können manchmal als "auffällig" fehlinterpretiert werden, obwohl sie keine gesundheitlichen Probleme verursachen. Ein Beispiel hierfür sind sogenannte Wicket-Spikes, die ETPs bei einer Temporallappen-Epilepsie ähneln. Sie treten vor allem bei Schläfrigkeit oder leichtem Schlaf im mittleren Lebensalter mit einer Amplitude von 60-200 μV und einer Frequenz von 5-11 Hz auf. Im Gegensatz zu ETPs mit 0,11 s dauern Wicket-Spikes mit 0,66 s länger (8). Eine atypische Anfallssemiologie, ein Erkrankungsbeginn im mittleren Erwachsenenalter sowie lang anhaltende Anfälle sind verdächtig für nichtepileptische Anfälle. Ein epileptoform interpretiertes EEG sollte in einem solchen Fall noch einmal hinsichtlich Wicket-Spikes überprüft werden.
Schlafentzug
Schlafentzug kann die Gehirnaktivität erheblich beeinflussen und zu abnormalen Mustern im EEG führen. Diese Muster können fälschlicherweise als epileptische Aktivität interpretiert werden.
Migräne
Migräne kann ebenfalls Veränderungen im EEG verursachen, insbesondere während einer Migräneaura. Diese Veränderungen können denen ähneln, die bei Epilepsie beobachtet werden.
Stoffwechselstörungen
Stoffwechselstörungen wie Unterzuckerung (Hypoglykämie) oder Elektrolytungleichgewichte können die Gehirnfunktion beeinträchtigen und zu auffälligen EEG-Mustern führen.
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Medikamente und Substanzen
Bestimmte Medikamente und Substanzen, einschließlich Alkohol und Drogen, können die elektrische Aktivität des Gehirns verändern und zu einem auffälligen EEG führen.
Hirnverletzungen und -erkrankungen
Hirnverletzungen, Entzündungen oder andere neurologische Erkrankungen können ebenfalls zu abnormalen EEG-Mustern führen, auch wenn keine Epilepsie vorliegt.
Psychische Erkrankungen
In einigen Fällen können psychische Erkrankungen wie Angststörungen oder Panikattacken zu Veränderungen im EEG führen, die fälschlicherweise als epileptische Aktivität interpretiert werden können.
Differentialdiagnosen: Anfallsartige Störungen, die mit Epilepsie verwechselt werden
Es gibt verschiedene anfallsartige Störungen, die mit Epilepsie verwechselt werden können. Eine sorgfältige Anamnese und Diagnostik sind entscheidend, um die richtige Diagnose zu stellen.
Synkopen (Ohnmacht)
Synkopen sind die häufigste Verwechslung mit Epilepsie. Sie entstehen durch eine vorübergehende Minderdurchblutung des Gehirns, die zu Bewusstseinsverlust und Zusammensacken führt. Konvulsive Synkopen können Zuckungen aufweisen und ähneln epileptischen Anfällen. Eine Abklärung durch einen Herzspezialisten ist wichtig.
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Schlaganfall
Ein Schlaganfall, insbesondere wenn er nur kurz verläuft und sich vollständig zurückbildet, kann mit einem epileptischen Anfall verwechselt werden. Nach einem Schlaganfall können jedoch auch epileptische Anfälle auftreten.
Migräne mit Aura
Migräne-Auren können Flimmern vor den Augen, dunkle Flecken, Sprachstörungen oder Halbseitenlähmungen verursachen, die epileptischen Anfällen ähneln können.
Schlafstörungen (Narkolepsie/Kataplexie-Syndrom)
Bei manchen Schlafstörungen kommt es zu plötzlichen Anfällen mit Verlust der Körperspannung (kataplektische Anfälle), jedoch ohne Bewusstseinsverlust.
Psychogene nichtepileptische Anfälle (PNEA)
Psychogene nichtepileptische Anfälle (PNEA, auch funktionell/dissoziative Anfälle genannt) sind psychisch bedingt. Sie können epileptischen Anfällen ähneln, werden aber nicht durch abnorme elektrische Aktivität im Gehirn verursacht. Verschiedene klinische Zeichen können auf PNEA hindeuten, wie z. B. geschlossene Augen, lange Anfallsdauer, Beckenstöße oder asynchrone Bewegungen.
REM-Schlaf-Verhaltensstörungen
REM-Schlaf-Verhaltensstörungen können ebenfalls mit epileptischen Anfällen verwechselt werden.
Die Bedeutung einer korrekten Diagnose
Eine korrekte Diagnose ist entscheidend, um die richtige Behandlung einzuleiten und unnötige Medikationen oder Einschränkungen zu vermeiden. Eine Fehldiagnose Epilepsie kann schwerwiegende Folgen haben, da Patienten möglicherweise Medikamente verschrieben bekommen, die nicht helfen und erhebliche Nebenwirkungen verursachen können.
First Seizure Units
Um eine Epilepsie richtig zu diagnostizieren und dementsprechend zu therapieren, plädierte de Stefano für die Einführung von „First Seizure Units“: „Wenn Patientinnen und Patienten nach einem erstmaligen Anfall in die Notaufnahme kommen, leiten wir normalerweise ein erstes Elektroenzephalogramm (EEG) innerhalb der ersten 30 Minuten ab. Im Falle einer unauffälligen Computertomografie (CT) führen wir noch am gleichen oder am nächsten Tag eine Magnetresonanztomografie (MRT) durch“, berichtete de Stefano dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ).
Frühzeitige Diagnostik
Eine möglichst frühzeitige Diagnostik ist jedoch in jedem Fall wichtig. „Je früher ein EEG erfolgt, desto besser“, sagte Rosenow. Wenn möglich, sollte es spätestens am nächsten Morgen durchgeführt werden.
Denn innerhalb der ersten 24 Stunden ist die Wahrscheinlichkeit, nach einem epileptischen Anfall tatsächlich epilepsietypische Potenziale (ETP) im EEG zu sehen, höher als danach (3). Eine Studie aus dem Jahr 2020 mit insgesamt 170 Teilnehmenden belegte sogar eine bessere diagnostische Sicherheit innerhalb von 16 Stunden nach einem nichtprovozierten epileptischen Anfall (4).
ETPs sind nach erstmaligem Anfallsereignis insbesondere für die Frage entscheidend, ob eine Epilepsie diagnostiziert werden kann und ob Antiepileptika eingenommen werden sollten.