Soziale Zurückgezogenheit, ausgeprägte Spezialinteressen oder außergewöhnliche Begabungen - viele verbinden diese Merkmale spontan mit dem Begriff „Autismus“. Doch das Spektrum der Autismus-Spektrum-Störung (ASS) ist deutlich vielfältiger und komplexer. Autismus ist eine komplexe und vielgestaltige neurologische Entwicklungsstörung. Häufig bezeichnet man Autismus bzw. Autismus-Spektrum-Störungen auch als Störungen der Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung, die sich auf die Entwicklung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und des Verhaltensrepertoires auswirken. Diese neurologische Entwicklungsstörung tritt meist schon in der frühen Kindheit auf und begleitet die Betroffenen ein Leben lang.
Historischer Kontext und Terminologie
Der Begriff „Autismus“ wurde zur Zeit des Dritten Reiches zunehmend für eine vielfältige Entwicklungsstörung verwendet. So beschrieb der Kinderpsychiater Leo Kanner 1943 damit starke Auffälligkeiten in der geistigen Entwicklung, die bei Kindern bereits im Alter von weniger als 3 Jahren auftraten und als angeboren galten. Dieses Syndrom entspricht dem „frühkindlichen Autismus“. Fachleute bezeichnen diese Erkrankung auch als Kanner-Syndrom. Parallel entwickelte Hans Asperger ebenfalls den Begriff weiter. Die genaue Zuteilung findet nur noch selten statt.
Der Begriff „Autismus-Spektrum-Störung“ löst zunehmend die Bezeichnung „Autismus“ ab. Fachleute unterscheiden diesen Komplex in verschiedene Gruppen wie den „frühkindlichen Autismus“, das „Asperger-Syndrom“ und den „atypischen Autismus“.
Ursachen von Autismus-Spektrum-Störungen
Die genauen Ursachen der Autismus-Spektrum-Störung (ASS) sind bis heute nicht vollständig geklärt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten jedoch, dass genetische Faktoren maßgeblich beteiligt sind, da Autismus in Familien gehäuft auftritt. Erbliche Faktoren gelten als eine der Hauptursachen für autistische Störungen. Bei einem von Autismus-Spektrum-Störung betroffenen Elternteil ist das Risiko, ebenfalls ein Kind mit Autismus-Spektrum-Störung zu bekommen, stark erhöht. Eineiige Zwillinge erkranken in der Regel beide an Autismus Spektrum Störung.
Auch bestimmte Umwelteinflüsse könnten zur Entstehung von Autismus beitragen. Infektionen der Mutter während der Schwangerschaft, z. B. Zudem vermuten Forschende Veränderungen im Gehirnstoffwechsel und in der neuronalen Vernetzung, die sich bereits vorgeburtlich entwickeln und zu den typischen Auffälligkeiten führen. Als allgemeine Schwangerschafts-assoziierte Risikofaktoren sind mütterlicher Diabetes sowie postpartale Hypoglykämie und Lungenfunktionsprobleme bei Termin-geborenen Kindern beschrieben worden. Auch Antiepileptika-, insbesondere Valproat-Einnahme in der Schwangerschaft war in klinischen Studien mit erhöhten Raten von Autismus-Spektrum-Störungen bei den Kindern assoziiert.
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Insgesamt geht man heute davon aus, dass die Gehirnentwicklung bei Personen mit Autismus-Spektrum-Störung schon vorgeburtlich anders verläuft als bei gesunden Kindern. Zahlreiche funktionelle und strukturelle bildgebende Studien des Gehirns konnten veränderte Funktionen und auch Strukturen vor allem in den beiden Schläfenlappen sowie den Frontallappen des Großhirns und auch des Kleinhirns bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Autismus-Spektrum-Störung nachweisen. Die Zellen der Großhirnrinde weisen eine andere Funktion sowie ein anderes Aussehen auf als bei Personen desselben Alters, Geschlechts und mit denselben kognitiven Fertigkeiten, die keine Autismus-Spektrum-Störung aufweisen.
Symptome von Autismus-Spektrum-Störungen
Wie genau sich die Erkrankung äußert, ist individuell sehr unterschiedlich. So sind die spezifischen Symptome, aber v. a. Jungen sind öfter betroffen als Mädchen. Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) sind gekennzeichnet durch eine deutlich verminderte Intuition für soziale Interaktionen, ungewöhnliche Interessen und stereotype Verhaltensweisen (1).
Soziale Interaktion und Kommunikation
Ein auffällig zurückgezogenes Verhalten ist ein Hinweis auf Autismus. Für Autistinnen und Autisten ist es schwer, Kontakt und Beziehungen zu anderen Personen aufzubauen. Oft ist dies schon im Säuglingsalter zu beobachten. Die Babys nehmen keinen Blickkontakt zu den Eltern auf. Sie erwidern ein Lächeln nicht und reagieren auf andere äußere Reize vermindert. Ein normaler Bindungsaufbau zu den Hauptbezugspersonen findet oft nicht statt. Später kommt es seltener zur Entwicklung von Freundschaften, oft spielen die Kinder hauptsächlich allein. Auch die Äußerung ihrer eigenen Gefühle fällt autistischen Personen schwer. So wirken sie oft starr und desinteressiert oder haben Gefühlsausbrüche, die als unangemessen gelten.
Ein zweiter Symptomkomplex stellt eine auffällige Sprachentwicklung dar. Diese reicht von einem verzögerten Sprechbeginn und einer reduzierten bis hin zu einer sehr guten Sprachentwicklung. Meist fehlt die Untermalung des Gesprochenen mit Mimik und Gestik. Auch klingen die Sätze oft monoton und roboterhaft. Häufige Wiederholungen des Gesagten sind ebenfalls typisch. Die ersten Anzeichen des Autismus zeigen sich meist schon im Säuglingsalter.
Stereotypes Verhalten und Spezialinteressen
Autistische Kinder haben oft ein Lieblingsspielzeug, ohne das sie nicht sein möchten. Häufig zeigen Autisten und Autistinnen Stereotypen im Verhalten. Einzelne Abläufe werden immer wieder exakt gleich wiederholt. Den Betroffenen fällt es schwer, dies zu unterbrechen. Sie interessieren sich für ganz spezielle Dinge oder Details. Dies fällt während des Spiels auf. Häufig spielen sie nur mit einem bestimmten Merkmal eines Spielzeugs. Rollenspiele sind sehr selten.
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Inselbegabungen und Savant-Syndrom
Die Assoziation zwischen dem Begriff „Autismus“ und „Hochbegabung“ ist weitverbreitet. Und es stimmt, einige autistische Personen haben eine sehr ausgeprägte Begabung in einem bestimmten Bereich, eine sogenannte „Inselbegabung“. Fachkräfte bezeichnen das Phänomen als „Savant-Syndrom“. Es betrifft beispielsweise den mathematischen, den sprachlichen oder den musischen Bereich. Andere Interessen haben die Betroffenen meist nicht. Einige autistische Personen haben eine Inselbegabung. Dies bedeutet aber nicht, dass sie hochbegabt sind. Sie haben in einem speziellen Bereich eine starke Begabung, ihre Intelligenz weist jedoch in anderen Bereichen jede Ausprägung auf.
Diagnose von Autismus-Spektrum-Störungen
Die Diagnose von ASS erfolgt weiterhin klinisch. Bisher gibt es keine validen Methoden, die Diagnose technisch beziehungsweise biologisch zu bestätigen. Eine Diagnostik wird zumeist in spezialisierten Einrichtungen vorgenommen und umfasst eine ausführliche psychiatrische Untersuchung und Anamneseerhebung hinsichtlich der Diagnosekriterien in der Kindheit und im Erwachsenenalter. Das „Autism Diagnostic Interview-Revised“ (ADI-R) (17) sowie die Diagnostische Beobachtungsskala für autistische Störungen (ADOS-2) (18) zählen nach wie vor zum diagnostischen Goldstandard.
Therapie von Autismus-Spektrum-Störungen
So unterschiedlich wie das Erscheinungsbild ist, so individuell ist auch die Therapie im Rahmen einer ASS. Mit dem Ziel der Entwicklung der größtmöglichen Selbstständigkeit und der Förderung der sozialen Interaktion kommen meist Verfahren der Verhaltenstherapie, Logopädie und Ergotherapie zum Einsatz. Erfolgversprechend sind insbesondere Verhaltenstherapie, Logopädie und Ergotherapie. Auch spezielle sozialkompetenzfördernde Trainings sowie Elterntrainings können hilfreich sein. Bestehen Begleiterkrankungen wie Depressionen und Angststörungen, ist eine medikamentöse Behandlung dieser wichtig.
Umgang mit Autismus im Erwachsenenalter
Im Erwachsenenalter bleiben die sozialen und kommunikativen Herausforderungen bestehen, jedoch lernen viele Betroffene, Strategien zu entwickeln, um damit umzugehen. Ja, viele Autistinnen und Autisten führen ein selbstbestimmtes Leben, arbeiten erfolgreich in ihrem Beruf und pflegen Beziehungen.
Anlaufstellen und Unterstützung
Wenden Sie sich zuerst an Ihre Kinderärztin oder Ihren Kinderarzt, um eine fachärztliche Diagnose zu erhalten.
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Häufige Fragen und Antworten zum Thema Autismus
- Ist Autismus heilbar? Autismus ist nicht heilbar, aber mit gezielten Therapien gut behandelbar, um die Lebensqualität deutlich zu verbessern.
- Sind Jungen häufiger betroffen als Mädchen? Ja, Jungen sind statistisch häufiger betroffen. Symptome äußern sich bei Mädchen oft subtiler, weshalb sie häufig später oder weniger eindeutig diagnostiziert werden.
- Welche Therapien sind erfolgversprechend? Erfolgversprechend sind insbesondere Verhaltenstherapie, Logopädie und Ergotherapie. Auch spezielle sozialkompetenzfördernde Trainings sowie Elterntrainings können hilfreich sein.
- Können Autisten ein selbstbestimmtes Leben führen? Ja, viele Autistinnen und Autisten führen ein selbstbestimmtes Leben, arbeiten erfolgreich in ihrem Beruf und pflegen Beziehungen.
- Wo kann man sich bei Verdacht auf Autismus hinwenden? Wenden Sie sich zuerst an Ihre Kinderärztin oder Ihren Kinderarzt, um eine fachärztliche Diagnose zu erhalten.
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