Autismus: Veränderungen im Gehirn und ihre Auswirkungen

Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) sind komplexe neurologische Entwicklungsstörungen, die sich durch Beeinträchtigungen in der sozialen Interaktion, Kommunikation sowie durch eingeschränkte und repetitive Verhaltensweisen auszeichnen. Die Forschung hat in den letzten Jahrzehnten erhebliche Fortschritte bei der Identifizierung von Veränderungen im Gehirn von Menschen mit Autismus erzielt. Diese Veränderungen betreffen sowohl die Struktur als auch die Funktion verschiedener Hirnareale und tragen maßgeblich zu den beobachtbaren Verhaltensauffälligkeiten und kognitiven Besonderheiten bei.

Ursachen von Autismus: Ein komplexes Zusammenspiel

Es gibt verschiedene Erklärungsansätze für die Entwicklung von Autismus, doch es existiert keine einzelne, allgemeingültige Ursache. Vielmehr geht man davon aus, dass ASS unterschiedliche Ursachen haben können. Bekannt ist, dass biologische Faktoren eine wesentliche Rolle spielen, während psychosoziale Faktoren allenfalls bei der Ausgestaltung bestimmter komorbider Symptome von Bedeutung sind.

Genetische Faktoren

Erbliche Faktoren gelten als eine der Hauptursachen für autistische Störungen. Das Risiko, ein Kind mit ASS zu bekommen, ist stark erhöht, wenn bereits ein Elternteil betroffen ist. Eineiige Zwillinge erkranken in der Regel beide an einer Autismus-Spektrum-Störung. Allerdings gibt es hier einige Ausnahmen, die vermutlich auf epigenetische Veränderungen, unterschiedliches Geburtsgewicht sowie andere Umweltfaktoren zurückzuführen sind.

Vermutlich ist ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Gene und Umweltfaktoren für die Erkrankung verantwortlich. Aktuell wird die Heritabilität von Autismus-Spektrum-Störungen auf ca. 70-80% geschätzt. Es gibt eine Vielzahl an Mutationen sowie chromosomalen Mikrodeletionen und -duplikationen, die das Risiko erhöhen, an einer Autismus-Spektrum-Störung zu erkranken.

Einzelne molekulargenetische Ursachen, wie z.B. das fragile-X-Syndrom, das bei ca. 3% aller Personen mit Autismus-Spektrum-Störung vorkommt, sind schon weitgehend aufgeklärt, insbesondere auch bezüglich ihrer Folgen auf die Entwicklung des Nervensystems. Aktuell werden auch schon neue Medikamente erforscht, die gezielt zur Behandlung von Patienten mit fragilem-X-Syndrom eingesetzt werden sollen. Diese sind allerdings noch nicht zur Behandlung zugelassen, sondern werden aktuell nur in Studien erprobt.

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Andere bekannte monogene Erkrankungen, die mit erhöhten Raten an Autismus-Spektrum-Störungen einhergehen, sind die Tuberöse Hirnsklerose, die Neurofibromatose oder das Smith-Lemli-Opitz-Syndrom. Manche genetischen Syndrome, die durch kleine Verdopplungen oder durch Fehlen von genetischer Information gekennzeichnet sind, werden ebenfalls vermehrt bei Autismus-Spektrum-Störungen gefunden, wie z.B. das Velo-Kardio-Faziale Syndrom oder das Prader-Willi-Syndrom.

Umweltfaktoren

Der Einfluss eines höheren Alters der Väter auf erhöhte Raten von Autismus-Spektrum-Störungen konnte aktuell in einer Meta-Analyse bestätigt werden. Andere Studien fanden Effekte sowohl für höheres mütterliches als auch väterliches Alter. Bestimmte Infektionskrankheiten der Mutter in der Schwangerschaft, wie die Rötelninfektion, sind belegte Risikofaktoren für Autismus-Spektrum-Störungen. Eine dänische Register-basierte Studie fand ein erhöhtes Risiko nach schweren Virus- im ersten Trimenon und schweren bakteriellen Infektionen im zweiten Trimenon.

Mehrere populationsbasierte Studien konnten des Weiteren zeigen, dass eine (starke) Frühgeburtlichkeit das Risiko für Autismus-Spektrum-Störungen erhöht. Als allgemeine Schwangerschafts-assoziierte Risikofaktoren sind mütterlicher Diabetes sowie postpartale Hypoglykämie und Lungenfunktionsprobleme bei Termin-geborenen Kindern beschrieben worden.

Eine weitere Studie diskutiert die Einnahme von Serotonin-Wiederaufnahmehemmmern in der Schwangerschaft als Risikofaktor, wobei die Anzahl der Kinder, die SSRIs in der Schwangerschaft ausgesetzt waren, relativ gering war. Auch Antiepileptika-, insbesondere Valproat-Einnahme in der Schwangerschaft war in klinischen Studien mit erhöhten Raten von Autismus-Spektrum-Störungen bei den Kindern assoziiert.

Neurologische Faktoren und Veränderungen im Gehirn

Bei einigen Menschen mit Autismus können Störungen der Fein- und Grobmotorik sowie Unregelmäßigkeiten der elektrischen Hirnströme beobachtet werden. Für neurologische Faktoren spricht auch ein Anfallsleiden bei ca. 10% aller Personen mit Autismus-Spektrum-Störung.

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Insgesamt geht man heute davon aus, dass die Gehirnentwicklung bei Personen mit Autismus-Spektrum-Störung schon vorgeburtlich anders verläuft als bei gesunden Kindern. Zahlreiche funktionelle und strukturelle bildgebende Studien des Gehirns konnten veränderte Funktionen und auch Strukturen vor allem in den beiden Schläfenlappen sowie den Frontallappen des Großhirns und auch des Kleinhirns bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Autismus-Spektrum-Störung nachweisen. Die Zellen der Großhirnrinde weisen eine andere Funktion sowie ein anderes Aussehen auf als bei Personen desselben Alters, Geschlechts und mit denselben kognitiven Fertigkeiten, die keine Autismus-Spektrum-Störung aufweisen. Diese Veränderungen der Gehirnfunktion liegen auch den beobachtbaren Verhaltensauffälligkeiten sowie kognitiven Besonderheiten zugrunde.

Veränderungen in der Hirnstruktur und -funktion

Im Verlauf der Störung entwickeln, arbeiten und verknüpfen sich bestimmte neuronale Systeme, die mit autistischen Symptomen assoziiert sind, anders. Solche anatomischen Auffälligkeiten werden bereits in der frühen Kindheit sichtbar. Kleinkinder zwischen zwei und vier Jahren mit einer ASS-Diagnose weisen ein größeres Hirnvolumen auf als Gleichaltrige ohne somatische oder psychische Störungen. Im Alter von sechs bis acht Jahren verringert sich das Wachstum vor allem der grauen Substanz aber wieder und bleibt dann stabil. Bei den Betroffenen scheint die Hirnreifung in ihrem Verlauf also von der Nichtbetroffener abzuweichen. Auf eine frühe Phase der übermäßigen Volumenzunahme folgt eine Phase des gehemmten Wachstums, was insgesamt zu einem verminderten Volumen im höheren Erwachsenenalter führt. Diese atypische Entwicklung trifft manche Regionen wie Stirn- und Schläfenlappen offenbar besonders stark. Dabei scheint die zeitliche wie örtliche Abfolge der Hirnreifung gestört zu sein.

Die Forschungsergebnisse sind bis heute nicht eindeutig - es gibt keine anatomischen Auffälligkeiten, die speziell nur bei Autismus auftreten und bei allen Betroffenen vorhanden sind. Insbesondere die Auffälligkeiten im Stirnlappen treten auch bei Erkrankungen wie etwa Schizophrenie auf. In Zukunft müssen Wissenschaftler daher vor allem versuchen, ähnliche Hirnentwicklungsstörungen und Symptome zusammenzubringen. Woher stammen die Auffälligkeiten? Liegen gemeinsame oder unterschiedliche molekulare und genetische Mechanismen zu Grunde? Und vor allem: Wie entwickeln sie sich über die Lebensspanne hinweg?

Funktionelle Konnektivität

Verändert sich die Aktivität der Nervenzellen in zwei oder mehreren Hirnregionen zeitlich synchron, geht man davon aus, dass sie Netzwerke bilden und miteinander kommunizieren. Diese funktionelle Konnektivität lässt sich mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) erfassen. Messungen der spontanen Aktivierungsschwankungen des Gehirns im Ruhezustand zeigen bei jugendlichen und erwachsenen Betroffenen relativ konsistent eine verminderte Konnektivität. Das betrifft insbesondere den anterioren und posterioren Kortex sowie das so genannte Default Mode Network, das beim Nichtstun und Tagträumen aktiv wird. Im Aufmerksamkeitsnetzwerk scheinen dagegen keine Veränderungen aufzutreten.

Betrachtet man allerdings das Gehirn von Kindern mit ASS, zeichnet sich ein völlig anderes Bild ab. Bei Probanden zwischen 7 und 14 Jahren fand ein Team um Adriana Di Martino von der New York University 2011 in manchen Arealen sogar eine verstärkte Konnektivität im Vergleich zu normal entwickelten Gleichaltrigen, insbesondere zwischen einigen Regionen des Striatums und Teilen des limbischen Systems, der Insula sowie dem superioren temporalen Gyrus. Damit scheint im Gehirn von Kindern mit Autismus eine funktionelle Hyperkonnektivität vorzuliegen, im Gegensatz zu Erwachsenen, bei denen eine Hypokonnektivität zu beobachten ist. Der Wechsel beginnt vermutlich mit der Pubertät. Diese geht mit einer massiven hormonellen Veränderung einher, die sich auch auf die Hirnentwicklung auswirkt. Was dann genau im Gehirn von Kindern und Jugendlichen mit ASS passiert, ist bislang allerdings kaum erforscht. Es fehlen Studien, die Probanden für längere Zeit begleiten.

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Klar ist: Auch bei Kindern ohne ASS verändert sich etwa das Ruhenetzwerk noch bis ins Erwachsenenalter. So interagieren bei Neugeborenen zum Beispiel vor allem Bereiche im Gehirn, die für Wahrnehmungslernen und Bewusstseinsprozesse entscheidend sind, wenn sich die Babys gerade mit keiner speziellen Aufgabe beschäftigen. Untersuchungen deuten zudem darauf hin, dass die weiße Substanz mit dem Alter zunimmt. Die Zunahme ist möglicherweise der Grund dafür, dass sich beim Heranwachsen vor allem die Kommunikation weit entfernter Hirnregionen zu verstärken scheint. Dieser Prozess ist offenbar bei den Betroffenen gestört.

Hirnasymmetrie und Lateralisierung

Häufig ist bei Menschen mit Autismus die Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung im Gehirn betroffen, die sich auf die Entwicklung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und des Verhaltensrepertoires auswirkt. So weisen sie im Vergleich zu nicht-autistischen Personen subtile Veränderungen in der Asymmetrie der Gehirnstruktur auf und eine geringere Lateralität der funktionellen Aktivierung, in Bezug auf die Verwendung der linken oder rechten Hemisphäre im Gehirn.

Eine Ursache verorten Forschende in gestörten Mustern der Hirnasymmetrie, die möglicherweise mit einer abweichenden Lateralisierung funktioneller Prozesse zusammenhängen. „Asymmetrie ist ein Schlüsselmerkmal der Gehirnorganisation, sie unterstützt ein flexibles Zusammenspiel zwischen lokalen neuronalen Modulen, die mit der funktionellen Spezialisierung verknüpft sind, die der menschlichen Kognition zugrunde liegt.“, erklärt Bin Wan, Erstautor einer Studie des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften.

In dieser Studie wurden Hirnscan-Daten von 140 autistischen Personen und 143 nicht-autistischen Personen im Alter von fünf bis vierzig Jahren ausgewertet, um Ungleichgewichte auf Systemebene in den Hemisphären bei Autismus zu untersuchen. „Wir beobachteten eine verminderte linksgerichtete funktionelle Asymmetrie der Sprachnetzwerksorganisation bei Personen mit Autismus im Vergleich zu nicht-autistischen Personen. Während die Asymmetrie der Sprachnetzwerke bei letzteren in verschiedenen Altersgruppen variierte, war dies bei Autismus nicht der Fall. Das deutet darauf hin, dass die atypische funktionelle Lateralität bei Autismus aus veränderten Entwicklungsverläufen resultiert.“ Außerdem stellten die Wissenschaftler*innen fest, dass Merkmale, die innerhalb einer Hälfte des Gehirns liegen, den Schweregrad der autistischen Merkmale vorhersagen können.

Die Ergebnisse legen nahe, dass sowohl genetische als auch umweltbedingte Komponenten in diesem Zusammenhang wichtig sein könnten. Künftige Arbeiten müssten nun die Auswirkungen von Umweltfaktoren auf Gene untersuchen, die mit Autismus während der frühen Entwicklung assoziiert werden und die kognitive Entwicklung über die gesamte Lebensspanne.

Verarbeitung von Kommunikationssignalen

Lange Zeit wurde angenommen, dass Schwierigkeiten bei der Verarbeitung von Kommunikationssignalen bei Autismus auf der Ebene der Großhirnrinde oder von Strukturen im Gehirn auftreten, die mit der Emotionsverarbeitung verbunden sind. Neurobiologen der Technischen Universität Dresden haben nun jedoch gezeigt, dass Erwachsene mit Autismus bereits im subkortikalen auditorischen Pfad - einer Struktur, die die Ohren mit der Großhirnrinde verbindet - eine veränderte Verarbeitung auditorischer Kommunikationssignale aufweisen.

Die Störungen traten insbesondere bei der Verarbeitung der Stimmidentität auf, aber es gibt auch erste Hinweise auf Veränderungen bei der Verarbeitung von Sprache im Lärm. Die Wissenschaftler liefern damit erstmals den Beweis, dass bei Autismus bereits in den frühen Verarbeitungsstadien, in denen das sensorische Signal analysiert wird, Veränderungen in der neuronalen Verarbeitung von Stimmen auftreten.

Ein besseres Verständnis der neuronalen Mechanismen, die hinter Autismus stehen, bietet eine Grundlage für den klinischen Transfer, z. B. bei der Suche nach diagnostischen Markern. Beispielsweise könnte die Prüfung von Beeinträchtigungen bei der Stimmidentität, der Erkennung von stimmlichen Emotionen oder der Wahrnehmung akustischer Stimmmerkmale wie der Tonhöhe ein einfaches zusätzliches Instrument bei der Diagnose von Autismus sein. Es könnte auch eine gute Grundlage für die Bewertung therapeutischer Optionen sein, da es Hinweise auf eine neuronale Plastizität im auditorischen System aufgrund von Training gibt.

Die Rolle der Spiegelneurone

Die Grundlage für die Forschung bildete der italienische Wissenschaftler Giacomo Rizzolatti, der Anfang der 1990er-Jahre eine besondere Art von Nervenzellen entdeckte, die sogenannten Spiegelneurone. Diese Nervenzellen, die eigene Bewegungen steuern, reagieren auch auf das Verhalten von anderen. Ihre zentrale Funktion scheint zu sein, das zu reflektieren, was in unseren Mitmenschen vor sich geht. Nervenzellen im Gehirn könnten also dafür verantwortlich sein, dass wir intuitiv Handlungen vorausahnen, noch bevor sie geschehen. Wahrscheinlich liegt es an den Spiegelneuronen, dass wir gesehenes Verhalten imitieren.

Wissenschaftler wie Vilayanur Ramachandran sahen in Spiegelneuronen lange Zeit einen Schlüssel für viele offene Fragen in der Autismusforschung. Um die Hirnaktivität von Menschen mit Autismus zu messen, benutzte Ramachandran die Elektroenzephalografie (EEG). Dabei zeichnet das EEG die Hirnwellen über äußere Messfühler auf. Ramachandran fand heraus, dass bei Menschen mit Autismus die My-Welle nur bei eigener Bewegungsausführung unterdrückt wird, nicht jedoch, wenn sie beobachten, wie ein anderer die Bewegung ausführt. Bildgebende Verfahren unterstützten die Hypothese zunächst. Die Kernspintomographie bildet beispielsweise anhand von elektromagnetischen Feldern den Zustand von Gewebe und Organen ab. Erblicken wir zum Beispiel einen Menschen, so wird das "Gesichts-Erkennungs-Areal" im Gehirn aktiviert. Betrachtet eine Person mit Autismus hingegen ein Gesicht, bleibt dieses Areal stumm. Stattdessen schaltet sich ein anderer Bereich ein, den Gesunde zur allgemeinen Objekterkennung nutzen.

Mithilfe der Spiegelzellen lassen sich aber nicht alle Aspekte von Autismus erklären, wie zum Beispiel das typische Vermeiden von Blickkontakt, das stereotype Wiederholen von Bewegungen oder eine allgemeine Überempfindlichkeit, insbesondere gegen bestimmte Geräusche. Auch die anfängliche Euphorie, mithilfe der Spiegelneuronen die Autismus-Spektrum-Störungen erklären zu können, ist mittlerweile verflogen. Im Laufe der Jahre kamen Forscher zu widersprüchlichen Ergebnissen. Einige Studien bescheinigten Menschen mit Autismus etwa gesunde Spiegelneuronen. Eine Untersuchung von einem internationalen Forscherteam aus Deutschland, Frankreich und Australien von 2018 kam zu dem Schluss, dass es nicht genügend Evidenz dafür gibt, um die Spiegelneuronen als alleinige Täter schuldig für Autismus-Störungen zu sprechen. Laut der Forscher ist es vielmehr ist es ein ganzes Netzwerk an Nervenzellen, die für Autismus verantwortlich sind. Die Spiegelneuronen machen dabei nur eine Schicht von vielen aus. Auch eine Studie von britischen Forschern von 2020 unterstützt diese erweiterte Spiegelneuronen-Hypothese.

Verhaltensauffälligkeiten und ihre neurologischen Grundlagen

Die Auffälligkeiten setzen bei Kindern bereits vor dem dritten Lebensjahr ein und betreffen die Bereiche sozialer Umgang, Kommunikation und Verhaltensweisen.

Sozialer Umgang

Der soziale Umgang mit Gleichaltrigen und auch mit ihren primären Bezugspersonen ist für autistische Kinder schwierig. Sie können soziale und emotionale Signale ihrer Mitmenschen schwer deuten und auch nur begrenzt selbst ihre Gefühle und Empfindungen mitteilen. Kinder mit frühkindlichem Autismus zeigen häufig unangemessene Reaktionen auf die Emotionen Anderer und unangemessenes Verhalten in sensiblen Situationen. Spielerische Situationen mit Imitationsverhalten (z.B. Vater-Mutter-Kind-Spiel) fallen schwer. Allgemein besteht wenig Interesse an einem gemeinschaftlichen Spiel mit Gleichaltrigen. Soziale Interaktionen sind insofern ein Bereich in dem autistische Kinder Auffälligkeiten zeigen.

Kommunikation

Die Kommunikation gestaltet sich bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen schwierig. Das liegt unter anderem an einer verminderten alterstypischen Entwicklung des Sprachverständnisses und des Gebrauchs von Sprache. Wechselseitiger Austausch in Unterhaltungen fällt autistischen Kindern schwer. Genauso bereitet eine Flexibilität im Sprachausruck und in der Sprachmelodie bei frühkindlichem Autismus Schwierigkeiten. Mimik, Gestik oder Körpersprache werden von autistischen Kindern selten eingesetzt. Auch Blickkontakt und Körperkontakt werden von autistischen Kindern vermieden. Auf Ansprache oder ihren Namen reagieren Kinder mit frühkindlichem Autismus nicht oder verzögert, sie wirken auf andere wie taub. Auch Geräusche in der Umgebung werden von autistischen Kindern oft ignoriert.

Jedoch kann es auch zu extremen Reaktionen auf akustische Reize oder auf Ansprache bei Kindern mit frühkindlichem Autismus kommen. Haben Betroffene sprechen gelernt, klingt ihre Sprache oft singend, klingend oder roboterartig. Sie entwickeln eigene Wörter oder wiederholen einzelne Wörter vielfach hintereinander. Allgemein dienen Konversationen für autistische Menschen dem Informationsaustausch und resultieren nicht aus Kontaktfreudigkeit oder sind zur sozialen Interaktion gedacht. Deshalb fassen Menschen mit frühkindlichem Autismus Sprache sehr wörtlich auf und haben Schwierigkeiten, Sarkasmus, Sprichwörter und Redewendungen zu verstehen.

30-50% der Kinder mit frühkindlichem Autismus entwickeln keine Sprache oder nutzen diese stereotyp und ritualisiert.

Verhaltensweisen

Verhaltensweisen bei autistischen Kindern sind stereotyp, wiederholen sich immer wieder und sind häufig eingeschränkt. Aufgaben im Alltag von autistischen Kindern werden täglich in derselben Routine ausgeführt und sind von Ritualen geprägt. Beispielsweise werden bevorzugt immer dieselben Lebensmittel in gleicher Konsistenz und Temperatur gegessen. Auf Veränderungen im Tagesablauf, der Umgebung oder im sozialen Umfeld können Menschen mit autistische Störungen mit starker Angst und Aufregung reagieren. Sie beschäftigen sich wiederholt mit den gleichen Dingen. Ein besonderes Interesse besteht oft an Teilaspekten von Objekten, wie nicht-funktionalen Elementen eines Spielzeugs. Auch motorische Stereotypien, wie zum Beispiel Schaukeln oder andere seltsam wirkende Bewegungen, treten bei Kindern und Erwachsenen mit autistischen Störungen auf. Häufig wird bei Menschen mit frühkindlichem Autismus ein Kichern ohne erkennbaren Grund beobachtet. Außerdem sind Kinder mit frühkindlichem Autismus oft unempfindlich gegenüber Wärme und Kälte. Häufig weigern sie sich, bestimmte Kleidung anzuziehen.

Um ihre Bedürfnisse zu äußern, wählen autistische Kinder oft andere Mittel als Kinder ohne Autismus. Beispielsweise führen sie andere Personen zu etwas oder einem Ort, um Ihnen zu signalisieren, dass sie etwas Bestimmtes brauchen. Meist wird der visuelle Sinn bei Menschen mit frühkindlichem Autismus bevorzugt. Dennoch kommt es häufig zu ungeschickten Verhaltensweisen, da gewisse Reize ausgeblendet werden. Kinder mit frühkindlichem Autismus sind meist zurückgezogen und lieber für sich, sie haben wenig Interesse an der Umwelt. Das äußert sich auch im Kontakt zu ihren Eltern. Beispielsweise zeigen sie kaum typische Signale für die Suche nach Zuneigungen wie das Austrecken der Arme nach den Eltern, um hochgehoben zu werden. Liebkosungen von ihren Eltern werden häufig abgelehnt oder nicht erwidert. Versuche von Eltern, ihre Kinder mit frühkindlichem Autismus zu beruhigen oder trösten, bleiben meist erfolglos.

Menschen mit frühkindlichem Autismus unterscheiden sich in ihren Symptomen stark. Die Entwicklung autistischer Kinder ist sehr individuell und es gibt keine einheitliche Symptomatik. Bei Verdacht ist deshalb eine Vorstellung bei einem professionalen Behandler (z.B. Kinderpsychologen oder Kinderarzt) notwendig.

Autismus und der Magen-Darm-Trakt

Autistische Personen weisen häufig auch Störungen im Magen-Darm-Trakt auf. Wissenschaftler aus Heidelberg, Würzburg und Ulm haben erstmals an Mäusen gezeigt, dass die Entwicklungsstörung und die bisher wenig beachteten Verdauungsprobleme der Patienten in direktem Zusammenhang stehen können. Der Nachweis gelang ihnen bei dem Gen Foxp1, das nicht nur im Gehirn, sondern auch im Verdauungstrakt aktiv ist.

Die Mäuse zeigten ein abweichendes Fressverhalten und nahmen weniger Futter und Wasser auf als Mäuse ohne diese genetische Veränderung. Der Dickdarm und die Speiseröhre zeigten eine verminderte Dicke der Muskelschicht. Der Ringmuskel am Mageneingang wies eine gestörte Funktion auf, die dazu führt, dass er beim Schluckvorgang nicht richtig öffnet (Achalasie). Da die Nahrungspassage somit erschwert ist, kann dies auf lange Sicht zu einer starken Schädigung und Aussackung der Speiseröhre führen. Außerdem war die Darmpassage signifikant verlangsamt.

Die bei dem Mausmodell nachgewiesene Achalasie und die Veränderung der Darmperistaltik ist höchstwahrscheinlich der Grund für die bei Patienten mit FOXP1-Syndrom häufig vorkommenden Schluckbeschwerden und Verstopfung.

Das Gen Foxp1 enthält den Bauplan eines Proteins, das wiederum die Aktivität zahlreicher anderer Gene steuert. Einige davon, die bereits im Gehirn identifiziert wurden, werden auch in der Speiseröhre durch Foxp1 reguliert, wie die Wissenschaftler herausfanden. Tatsächlich ist die überwiegende Mehrheit der Gene, die unmittelbar mit Autismus in Verbindung stehen, sowohl im Gehirn als auch im Magen-Darm-Trakt aktiv. Es ist daher anzunehmen, dass Defekte in diesen Genen sowohl die Funktion des Gehirns als auch des Darms beeinträchtigen.

Das Verständnis der Rolle dieser Gene in der Entstehung von Darmfunktionsstörungen bei Autismus kann uns langfristig auch helfen, genetische Ursachen von häufigen funktionellen Magen-Darmerkrankungen, bei denen die Kommunikation zwischen Bauch und Kopfhirn gestört ist, aufzuklären.

Diagnose und Forschung

Da viele Symptome von Autismus auch bei anderen Störungen vorkommen, sind der frühe Störungsbeginn sowie die Vielfalt und Intensität der Symptome die entscheidenden Kriterien. Die verschiedenen Formen des Autismus werden üblicherweise in frühkindlichen Autismus, Asperger-Syndrom und atypischen Autismus unterschieden, wobei das aktuelle psychiatrische Klassifikationssystem DSM-5 im Wesentlichen nur noch den Begriff der Autismus-Spektrum-Störung (ASS) umfasst, um die Vielfalt der Verlaufsformen zu verdeutlichen.

So genannte "machine learning"- oder "multivariate pattern classification"-Ansätze sollen es ermöglichen, auf Basis gemessener Daten, etwa aus dem Hirnscanner, diagnostische Vorhersagen für einen Einzelfall zu treffen. Dabei "trainieren" Forscher ein Computerprogramm anhand von großen Datenmengen darin, Zusammenhänge zu erkennen, zu verallgemeinern und auf neue Daten anzuwenden. Anders als die üblichen Analysemethoden sind Mustererkennungsansätze in der Lage, globale und komplexe Auffälligkeiten auf verschiedenen Ebenen aufzuspüren.

Allerdings sind die bildgebenden Untersuchungen sehr aufwändig und insbesondere für kleine Kinder und geistig beeinträchtigte Menschen kaum zu bewältigen. Bislang wirken sich die Mustererkennungsverfahren wenig auf die Versorgung der Betroffenen aus. Noch sind sie zu unausgereift, aber viele Forscher hoffen, dass sie in Zukunft helfen können, ASS geschlechts- und altersunabhängig zu identifizieren.

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