Das autonome Nervensystem (ANS), auch als vegetatives Nervensystem bezeichnet, spielt eine entscheidende Rolle bei der Steuerung lebenswichtiger Körperfunktionen, die nicht willentlich beeinflussbar sind. Dazu gehören Herzfrequenz, Blutdruck, Atmung, Verdauung, Stoffwechsel, Körpertemperatur und sexuelle Reaktion. Störungen dieses Systems können sich vielfältig äußern und die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten von Erkrankungen des autonomen Nervensystems.
Einführung in das Autonome Nervensystem
Das ANS gliedert sich in zwei Hauptkomponenten: den Sympathikus und den Parasympathikus. Der Sympathikus aktiviert den Körper in Stresssituationen und steigert die Leistungsfähigkeit, während der Parasympathikus in Entspannungsphasen aktiv ist und Körperfunktionen wie Blutdrucksenkung, Stoffwechselanregung, Verdauungsförderung und Regeneration unterstützt. Ein Ungleichgewicht zwischen diesen beiden Systemen kann zu einer vegetativen Dystonie führen, einer Störung des vegetativen Nervensystems, die sich in einer Vielzahl von Symptomen äußern kann.
Ursachen von Erkrankungen des Autonomen Nervensystems
Die Ursachen für Erkrankungen des autonomen Nervensystems sind vielfältig und können sowohl neurogener als auch nicht-neurogener Natur sein.
Nicht-neurogene Ursachen
- Diabetes mellitus: Eine der häufigsten Ursachen, oft verbunden mit erhöhtem HbA1c-Wert.
- Toxische Einflüsse: Alkohol und Chemotherapie können das ANS schädigen.
- Autoimmunerkrankungen: Sjögren-Syndrom und Lupus erythematodes.
- Mangelzustände: Vitamin-B12-Mangel.
- Medikamente: Sympatholytika, Vasodilatantien, Antidepressiva (insbesondere trizyklische und tetrazyklische Antidepressiva) und Anti-Parkinson-Medikamente (Dopamin-Agonisten, L-Dopa, Selegilin).
- Paraneoplastische Syndrome
- Hypothyreose
- Infektionen
- Seltene Ursachen: Sarkoidose, Amyloidose, Zöliakie, Morbus Fabry.
Neurogene Ursachen
- Neurodegenerative Erkrankungen: Morbus Parkinson und andere.
- Querschnittssyndrom
- Multiple Sklerose
- Hirnstammischämie
Primäre Formen
- Chronische idiopathische Anhidrosis
- Posturales Tachykardiesyndrom (POTS)
- GI-Dysmotilität
- Infekte
- Guillain-Barré-Syndrom (GBS)
- Autoimmune autonome Neuropathien
- Pure autonomic failure
Symptome von Erkrankungen des Autonomen Nervensystems
Die Symptome von Erkrankungen des autonomen Nervensystems sind vielfältig und unspezifisch, was die Diagnose erschweren kann. Sie können sich in verschiedenen Bereichen äußern:
Orthostase-Intoleranz
- Schwindel nach dem Aufstehen oder längerem Stehen
- Schwarzwerden vor den Augen
- Gelegentlicher Bewusstseinsverlust (Synkopen)
- Kopfschmerzen
- Nackenschmerzen
Allgemeinsymptome
- Abgeschlagenheit
- Tagesmüdigkeit
- Verminderter Antrieb
Blasenfunktionsstörungen
- Überlaufblase
- Inkontinenz
- Vermehrter Harndrang hervor, der mit häufigen Miktionen, einer Nykturie, aber auch mit einer Inkontinenz einhergehen kann.
- Bei Detrusorhypokontraktilität kommt es zu einer unvollständigen Blasenentleerung, einer verzögerten Harnentleerung und schließlich einer Überlaufinkontinenz.
Sexuelle Dysfunktionen
- Impotenz
- Verminderte vaginale Lubrikation bei Frauen
Mastdarmstörungen
- Obstipation (Verstopfung)
- Diarrhoe (Durchfall)
Gastrointestinale Störungen
- Untergewicht
- Vorzeitiges Sättigungsgefühl
- Blähgefühl und Appetitlosigkeit, Aufstoßen
- Symptome einer Dysmotilität des unteren Darmtraktes sind Obstipation und gelegentlich (nächtliche) Diarrhö.
Sicca-Syndrom
- Trockene Augen
- Trockener Mund
- Trockene Haut
Störungen der Pupillomotorik
- Nachtblindheit
- Vermehrtes Blendungsempfinden
- Die Pupille sollte auf Trockenheit bzw
Störungen der Sudomotorik
- Anhidrose (verminderte Schweißproduktion)
- Hypohidrosis (verringerte Schweißproduktion)
- Hyperhidrosis (übermäßige Schweißproduktion)
- Die normale Blasenfunktion umfasst die Füllungsphase und die Entleerung der Blase.
Vasomotorische Störungen
- Kalte Hände und Füße
- Die Störung der Ösophaguspassage geht typischerweise mit einem Völlegefühl und einer Dysphagie einher.
- Eine verzögerte Magenentleerung beispielsweise bei diabetischer Neuropathie ruft ein vorzeitiges Sättigungsgefühl, Anorexie, ein postprandiales Völlegefühl sowie Bauchschmerzen hervor.
Begleitsymptome
- Schmerzen
- Sensibilitätsstörungen
- Taubheitsgefühle der Extremitäten
- Muskelschwäche
- Gangstörungen
- Missempfindungen und Schmerzen zumeist in den Beinen, oft auch in den Händen, seltener auch Körper, Gesicht und Mundhöhle betreffend
- Es werden die Harnblasen-Druck- und -Fluss-Kurven vor und während der Harnblasenentleerung aufgezeichnet.
Screening-Fragen
Um den Verdacht auf eine Erkrankung des autonomen Nervensystems zu erhärten, können folgende Screening-Fragen hilfreich sein:
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- Leiden Sie unter Schwindel nach dem Aufstehen oder längerem Stehen?
- Wenn ja, sind Sie schon einmal ohnmächtig geworden?
- Haben Sie Probleme beim Wasserlassen oder der Harnblasen-Kontrolle bemerkt?
- Beträgt das Intervall zwischen den Stuhlgängen mehrere Tage?
- Haben Sie Schwierigkeiten beim Schlucken?
- Verschlechtert sich Ihr Sehvermögen am Abend deutlich?
Diagnostik von Erkrankungen des Autonomen Nervensystems
Die Diagnostik von Erkrankungen des autonomen Nervensystems umfasst verschiedene Schritte, um die Ursache der Beschwerden zu ermitteln und andere Erkrankungen auszuschließen.
Anamnese
Eine ausführliche Anamnese ist der erste Schritt zur Diagnose. Dabei werden folgende Aspekte berücksichtigt:
- Beginn der Beschwerden und Verlauf (akut oder chronisch)
- Durchgemachte Impfungen, Infekte
- Familienanamnese
- Medikamente
- Vorerkrankungen
Die sorgfältige Anamnese der neurovegetativen Funktionen ist für die Diagnose von Erkrankungen des autonomen Nervensystems entscheidend. Gezielt sollte nach Störungen des Kreislaufs, der Verdauung, des Stoffwechsels inklusive Gewichtsveränderungen, sekretomotorischen Störungen inklusive Schwitzen, aber auch Störungen der Blasenfunktion, Darmentleerung und der Sexualfunktionen gefragt werden.
Klinische Untersuchung
- Körperliche Untersuchung
- Neurologische Untersuchung zur Überprüfung von Muskelkraft, Reflexen sowie der Wahrnehmung von Berührungen, Temperatur und Vibration
- Untersuchung der Pupillengröße und -symmetrie sowohl bei Licht, Dunkelheit als auch bei abwechselnder Pupillenbeleuchtung im Swinging-flashlight-Test
- Orientierende Untersuchung des Blutdruck- und Pulsverhaltens beim Wechsel vom Liegen ins Stehen (Schellong-Test)
Technische Untersuchungen
- 24-Stunden-Blutdruck- und EKG-Monitoring
- Echokardiographie
- Schellong-Test
- Elektrophysiologische Untersuchungen (Elektroneurografie (ENG) und Elektromyografie (EMG))
- Kipptischuntersuchung zur Beurteilung der Kreislaufregulation
- Urodynamische Untersuchung zur Messung der Harnblasen-Druck- und -Fluss-Kurven
- Manometrie zur Diagnostik der Dysmotilität des oberen GI-Traktes
- Quantitativer sudomotorischer AxonreflexTest (QSART) zur Untersuchung der Schweißdrüsenfunktion
- Quantitative SensibilitätsTests zur gezielten Untersuchung von Neuropathien der schmerzleitenden Nervenfasern
- Messung der Herzratenvariabilität zur Erfassung der vagalen Kontrolle des Sinusknotens
- Die normale Blasenfunktion umfasst die Füllungsphase und die Entleerung der Blase.
- Orientierend wird das Blutdruck- und Pulsverhalten beim Wechsel vom Liegen ins Stehen untersucht (Schellong-Test).
- Es sollte nach 2 min Liegen und zu den Zeitpunkten 1 und 2 min nach dem Aufstehen gemessen werden.
- Die Haut sollte auf Trockenheit bzw.
Laboruntersuchungen
- Schilddrüsenwerte
- HbA1c
- Kreatinin
- Elektrolyte
- Vitamin B12
- Serum- und Urinelektrophorese, Immunfixation (AL-Amyloidose?)
- SSA- und SSB-Antikörper (Diagnostik der Sjögren-Erkrankung)
- Antikörper gegen ganglionäre Acetylcholinrezeptoren, gegen spannungsabhängige P/Q- und N-Typ-Kalziumkanäle, gegen spannungsabhängige Kaliumkanäle sowie der Anti-Hu-Antikörper (bei subakuter Entwicklung autonomer Funktionsstörungen)
- Katecholaminplasmaspiegel im venösen Blut des Unterarms zwischen Liegen und Stehen (Noradrenalin, Dopamin und Adrenalin)
Weitere Untersuchungen
- Ophthalmologische Untersuchung
- Urologische Untersuchung
- Gastroenterologische Untersuchung
- Endokrinologische Untersuchung
- Liquoruntersuchung (bei Verdacht auf entzündliche Polyneuropathien)
- Erbgutanalyse (bei Anhaltspunkten für eine genetische Polyneuropathie)
- Nervenbiopsie (in besonders schweren Krankheitsfällen)
- Untersuchung einer Gewebeprobe aus der Haut (Hautbiopsie) unter dem Mikroskop (Small-Fiber-Neuropathien)
Differenzialdiagnostik
Es ist wichtig, Erkrankungen des autonomen Nervensystems von anderen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen abzugrenzen. Dazu gehören:
- Wirbelkanalverengung (Spinalkanalstenose)
- Fibromyalgie
Die Polyneuropathie von anderen Erkrankungen abgrenzen
Die Symptome einer Polyneuropathie können denen einer Wirbelkanalverengung (Spinalkanalstenose) ähneln. Bei einer degenerativen Wirbelkanalverengung handelt es sich um eine Abnutzungserscheinung der unteren Lendenwirbelsäule: Knochensporne drücken auf das Rückenmark. Dadurch kann ein brennender Schmerz im Rücken und in den Beinen entstehen. Sowohl eine Polyneuropathie als auch eine Wirbelkanalverengung können Empfindungsstörungen wie Kribbeln, Taubheit und brennende Schmerzen in den Händen und Füßen hervorrufen. Darum ist es wichtig, Krankheiten mit ähnlichen oder gleichen Symptomen vor dem Beginn einer Behandlung durch sorgfältige Untersuchungen auszuschließen (Differenzialdiagnostik)
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Behandlung von Erkrankungen des Autonomen Nervensystems
Die Behandlung von Erkrankungen des autonomen Nervensystems richtet sich nach der zugrunde liegenden Ursache und den individuellen Symptomen des Patienten.
Behandlung der Grunderkrankung
- Diabetes mellitus: Konsequente Blutzuckereinstellung zur Vermeidung weiterer Nervenschädigungen.
- Alkoholmissbrauch: Absolute Alkoholabstinenz.
- Medikamente: Wechsel der Präparate, falls Medikamente die Ursache sind.
- Vitaminmangel: Ausgleich des Mangels durch hoch dosierte Nahrungsergänzungsmittel.
- Autoimmunerkrankungen: Immunmodulatorische Therapien.
- Amyloidose: Behandlung der Amyloidose.
- Hypovitaminosen: Behandlung reversibel.
- Patientinnen und Patienten mit Polyneuropathie sollten Alkohol möglichst meiden. Das gilt auch, wenn die Nervenschäden nicht durch übermäßigen Alkoholkonsum entstanden sind.
Symptomatische Therapie
- Medikamentöse Therapie:
- Schmerzmittel (Antidepressiva, Antikonvulsiva)
- Spezielle Medikamente gegen Übelkeit und Durchfall
- Wirkstoffe wie Sildenafil gegen Impotenz
- Physikalische Therapie:
- Bäder
- Elektrotherapie
- Wärmeanwendungen
- Krankengymnastik
- Sporttherapie
- Medizinische Trainingstherapie (spezielles Krafttraining)
- Gleichgewichtstraining in der Physiotherapie
- Stimulation mittels 10-Sekunden-Atmung sowie das Valsalva-Manöver.
- Die Therapien müssen dauerhaft durchgeführt werden. Eine Pause beeinträchtigt schnell den Behandlungserfolg.
- Weitere Maßnahmen:
- Anpassung von Hilfsmitteln (Gehhilfen, Rollstühle)
- Optimale Pflege und Regenerierung der Haut und der chronischen Wunden
- Senkung Ihres Blutzuckers verhindern wir ein Voranschreiten der Erkrankung.
- Durch eine richtige Fußhygiene verhindern wir eine Entzündung oder unbemerkte Verletzungen.
- Die Schmerzen behandeln wir sowohl medikamentös als auch physikalisch.
- Bei Magen- und Darmproblemen helfen häufigere, aber kleinere Mahlzeiten.
- Schwindel und körperliche Schwäche behandeln wir mit Stützstrümpfen und regelmäßigem Muskeltraining.
- Nichtmedikamentöse Maßnahmen bei orthostatischer Hypotonie: Patientenaufklärung inkl. Ernährung: wenig Fett, ballaststoffarm
Alternative und ergänzende Therapien
- Capsaicin-Pflaster
- Akupunktur
- Pflanzliche oder homöopathische Mittel (zur unterstützenden Therapie)
Vegetative Dystonie
Eine vegetative Dystonie bezeichnet eine "fehlregulierte Spannung (Dystonus) des vegetativen Nervensystems". Dieses koordiniert viele wichtige Körperfunktionen, die sich willentlich kaum oder gar nicht beeinflussen lassen - etwa den Herzschlag, die Atmung oder die Verdauung. Entsprechend lassen sich unter dem Überbegriff der vegetativen Dystonie verschiedene Symptome zusammenfassen - von Herz-Kreislauf-Beschwerden und Kopfschmerzen bis zu zitternden Händen und Durchfall.
Symptome der Vegetativen Dystonie
Die Beschwerden richten sich danach, ob sich das Spannungsverhältnis zugunsten des Sympathikus oder des Parasympathikus verschoben hat: Menschen mit einer verstärkten Sympathikusaktivität (Sympathikotonie) neigen demnach zu Nervosität, Herzrasen, erhöhtem Blutdruck und Durchfall. Ist dagegen der Parasympathikus dominant (Vagotonie), geht dies eher mit einem niedrigen Blutdruck, kalten Händen und Füßen, Antriebslosigkeit und Verstopfung einher.
Mögliche Symptome einer vegetativen Dystonie sind:
- Kopfschmerzen
- Schwindel
- Durchfall
- Verstopfung
- Schlafstörungen
- Krämpfe
- Vermehrtes Schwitzen
- Erhöhter oder erniedrigter Pulsschlag
- Leichtes Zittern der Hände
- Kribbeln in den Gliedmaßen
Behandlung der Vegetativen Dystonie
Die Behandlung der Vegetativen Dystonie richtet sich nach ihrem jeweiligen Auslöser und ihrer Ausprägung ab. Bleibt die körperliche Diagnostik ohne Ergebnis, raten Ärzte häufig dazu, zunächst abzuwarten und den Verlauf der Beschwerden zu beobachten - somatoforme Störungen legen sich häufig nach einer Weile von alleine wieder.
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Ist dies nicht der Fall, empfiehlt der Arzt meist eine Psychotherapie. Dies bedeutet keinesfalls, dass er die Beschwerden des Patienten nicht ernst nimmt. Oft haben körperliche Symptome ihre Wurzeln in der Psyche - es sind dann sogenannte psychosomatische Beschwerden. Die vegetative Dystonie lässt sich deshalb am besten mit psychotherapeutischen Maßnahmen behandeln. Sie versprechen die größte Aussicht auf Beschwerdefreiheit.
Vorsorge und Stärkung des Vegetativen Nervensystems
- Entspannungsmethoden erlernen und anwenden: Entspannungsmethoden wie Yoga, Meditation oder andere Achtsamkeitsübungen können dabei helfen, das Stresslevel zu senken und das Nervensystem wieder zu beruhigen. Ebenso fördert regelmäßige Bewegung wie Ausdauertraining oder Krafttraining den Stressabbau.
- Ausgewogen ernähren: Vitaminmangel, insbesondere ein Mangel an Vitamin B12, kann die Funktion des Nervensystems beeinträchtigen. Eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukten und gesunden Fetten kann die Gesundheit des autonomen Nervensystems unterstützen. Um möglichen Beschwerden vorzubeugen, empfiehlt es sich außerdem, auf Alkohol und Koffein zu verzichten.
- Ausreichend schlafen: Ein gesunder Schlaf ist unerlässlich für die Stressbewältigung und Regeneration des Nervensystems. Dazu sollte die Schlafumgebung eine Temperatur von etwa 18 Grad haben und sich gut abdunkeln lassen. Ebenso wichtig ist ein ruhiges Schlafumfeld.
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