Axonaler Schaden: Nervenursachen und Therapie

Periphere Nervenverletzungen können bei verzögerter oder falscher Behandlung zu dauerhaften Beeinträchtigungen bis hin zum Funktionsverlust führen. Daher ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Nutzung neuer bildgebender Technologien entscheidend für eine schnelle und präzise Diagnose sowie für chirurgische Behandlungsmöglichkeiten.

Einführung

Die Gesundheit unserer Nerven ist entscheidend für die reibungslose Funktion unseres Körpers. Axonaler Schaden, eine Schädigung der Nervenfasern, kann zu einer Vielzahl von Problemen führen. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Diagnose und Therapiemöglichkeiten von axonalen Schäden, um ein umfassendes Verständnis dieser Erkrankung zu ermöglichen.

Grundlagen des peripheren Nervensystems

Um die Auswirkungen von axonalen Schäden zu verstehen, ist es wichtig, die Grundstruktur eines Nervs zu kennen. Wesentliche Einheiten sind das externe Epineurium, das interne Epineurium und Endoneurium sowie das Perineurium. Die Axone bilden zusammen mit den Schwannzellen die Grundeinheit des peripheren Nervensystems. Grundsätzlich wird zwischen myelinisierten und nichtmyelinisierten Axonen unterschieden. Periphere Nervenstämme werden in bestimmten Abständen von Blutgefäßen versorgt, die durch eine feine Bindegewebsschicht (das Mesoneurium) ziehen. Dieses Mesoneurium ermöglicht es dem Nerv, während normaler Bewegungen zwischen den Gewebsschichten zu gleiten. Innerhalb eines gemischten sensomotorischen Nervs sind die sensiblen und motorischen Nervenfasern in bestimmten Faszikeln beziehungsweise Faszikelgruppen angeordnet. Die einzelnen Faszikel sind häufig innerhalb des Nervs plexusartig miteinander verbunden, wobei Axone im Verlauf des Nervs von einem Faszikel zum anderen wechseln. Die Häufigkeit dieser Wechsel ist proximal höher und nimmt in distaler Richtung ab.

Ursachen von axonalen Schäden

Axonale Schäden können durch eine Vielzahl von Faktoren verursacht werden, darunter:

  • Trauma: Verletzungen peripherer Nerven treten zwar nur bei etwa 3 % aller Traumapatienten auf, können bei verzögerter, falscher oder ausbleibender Behandlung aber zu lebenslangen Einschränkungen bis hin zum kompletten Funktionsverlust führen. Der Nervenschaden und seine Konsequenzen hängen von Ausmaß, Art und Lokalisation der Verletzung sowie dem Alter des Patienten ab.
  • Diabetes mellitus: Bis zu einem Drittel aller Menschen mit Diabetes Typ-1 und Diabetes Typ-2 entwickeln Schäden an den peripheren Nerven als Folge ihrer Zuckerkrankheit.
  • Alkoholmissbrauch: Langjähriger, hoher Alkoholkonsum kann eine Neuropathie auslösen, da Alkohol als Nervengift gilt und die Weiterleitung von Reizen und Signalen stört.
  • Vitaminmangel: Ein Mangel an Vitamin B12 kann eine Polyneuropathie hervorrufen, insbesondere bei veganer Ernährungsweise oder nach Magenoperationen. Ein Vitamin-B1-Mangel kann Nervenschäden begünstigen. Studien zeigen, dass die Vitamin-B1-Konzentration im Blutplasma bei Diabetikern im Vergleich zu Gesunden niedriger ist.
  • Weitere Ursachen: Nieren- und Lebererkrankungen, Schilddrüsenüber- oder -unterfunktion, Infektionen mit Viren und Bakterien, Autoimmunerkrankungen, Krebserkrankungen, Chemotherapie und Gifte können ebenfalls axonale Schäden verursachen.

Klassifizierung von Nervenverletzungen

Nervenverletzungen werden in drei Schweregrade (nach Seddon) eingeteilt:

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  • Neurapraxie: Ein funktioneller Reizleitungsschaden mit Rückbildung von Sensibilitätsstörungen und motorischen Ausfällen innerhalb von Tagen bis Wochen.
  • Axonotmesis: Strukturelle Veränderungen, bei denen die Bindegewebe bzw. die Nervenhüllstrukturen als Leitschiene für die Regeneration erhalten bleiben, die Axone aber keine Kontinuität mehr haben. Eine zufriedenstellende Regeneration ist möglich, aber eine starke intraneurale Fibrose kann die Axonregeneration blockieren.
  • Neurotmesis: Das Axon, die Myelinscheide und Peri- und Epineurium sind mehr oder weniger durchtrennt. Es findet keine spontane funktionelle Wiederherstellung statt, und regeneratives Wachstum von Axonen ohne Operation ist erfolglos. In vielen Fällen entwickelt sich stattdessen ein Neurom am proximalen Nervenende oder ein Neuroma in continuitatem, das häufig mit neuropathischen Schmerzsymptomen einhergeht. Die Reparatur von Verletzungen des Neurotmesis-Typs ist die größte Herausforderung im Bereich der peripheren Nervenrekonstruktion.

Diagnostik von axonalen Schäden

Eine rasche Diagnose und richtige Therapie sind essenziell für den Erfolg der Nervenrekonstruktion. Die Prüfung der Berührungs-, Schmerz- und Temperaturempfindung schließt Verfahren wie die Zwei-Punkte-Diskrimination und den Semmes-Weinstein-Monofilament-Test zur genaueren Quantifizierung ein. Veränderungen der Hauttrophik können auf eine sensible Nervenschädigung hinweisen, dies hat allerdings bei frischen Verletzungen keine Aussagekraft.

In den letzten Jahren hat sich der hochauflösende Nervenultraschall als wichtiges diagnostisches Instrument herauskristallisiert. Ebenso bietet die MR-Neurografie völlig neue Möglichkeiten der frühzeitigen Diagnostik, sie steht aber nur selten zur Verfügung. Elektrophysiologische Untersuchungen können zusätzliche Hinweise geben, spielen aber vor allem im spätprimären und sekundären Abschnitt eine sehr wichtige Rolle. Initial kann die Elektrodiagnostik eine vorhandene Neurapraxie nicht verlässlich von einer strukturellen Nervenschädigung wie der Neurotmesis oder Axonotmesis unterscheiden. Im Gegensatz dazu kann der hochauflösende Ultraschall hier meist präzise Aussagen über die Struktur und Pathologie des Nervs treffen. Als besonderer Vorteil kann der betreffende Nerv ultraschallkontrolliert mit minimalen Mengen an Lokalanästhesie und sehr differenziert probeweise blockiert werden. Der genaue Verlauf kann auch auf der Haut markiert werden, was dem Operateur das Auffinden von Läsionen und Neuromen wesentlich erleichtert und die Operationszeit verringert.

Therapie von axonalen Schäden

Der zeitliche Aspekt hat höchste Priorität in der Versorgung peripherer Nervenverletzungen. Operativ zu versorgende Nervenschäden sollten möglichst zeitnah einer adäquaten mikrochirurgischen Maßnahme zugeführt werden, um eine frühe und bestmögliche Reinnervation zu erreichen. Offene Verletzungen müssen sofort versorgt werden, geschlossene Verletzungen mit nachgewiesener Kontinuitätsunterbrechung sollten innerhalb von 1-2 Wochen rekonstruiert werden. Geschlossene Verletzungen ohne Kontinuitätsunterbrechung mit Indikation zur Neurolyse und gegebenenfalls ergänzenden Verfahren sollten innerhalb von 2-6 Wochen operiert werden.

Chirurgische Optionen

  • Bei sichtbaren morphologischen Schäden am Nerv, aber erhaltener Kontinuität (In-continuitatem-Läsion) ist je nach Ausmaß der Veränderung eine Epineurotomie oder die sparsame, aber suffiziente Anfrischung bis ins sichtbar vitale Nervengewebe indiziert.
  • Kommt es zu einer Durchtrennung einzelner Faszikel oder des gesamten Nervs, ist die spannungsfreie Wiederherstellung der Kontinuität durch mikrochirurgische epineurale Nähte das Ziel. Dies kann entweder im Sinne einer Direktnaht oder bei Substanzverlust mittels Nerventransplantaten erfolgen. Körpereigene Spendernerven stellen weiterhin den Goldstandard in der Rekonstruktion von Nervendefekten dar, sind jedoch ein limitiertes Gut. Bei kurzstreckigen Defekten kann die Rekonstruktion auch mittels autologer Vene erfolgen. Ebenso existiert eine Vielzahl an synthetischen Nervenersatzmaterialien, die eine Rekonstruktion ohne Hebedefekt versprechen. Selbst der Einsatz von allogenen Nerventransplantaten aus menschlichen Organspendern ist heute möglich.

Sekundäre Rekonstruktion

Nicht immer kann eine primäre Nervenrekonstruktion erfolgen. Als Methoden für die Sekundäroperationen kommen in geeigneten Fällen para- und epineurale Neurolysen zur Anwendung, um funktionsbehinderndes Narbengewebe zu entfernen. An möglichen Nerventransplantaten stehen hier entbehrliche sensible Hautnerven zur Verfügung. Einen steigenden Stellenwert in der sekundären Therapie haben auch die verschiedenen Formen des Nerventransfers (Nervenumlagerungen), die in den letzten 20 Jahren zunehmend in die Standardtherapie der Nervenchirurgie aufgenommen worden sind. Das Prinzip ist, durch extra-anatomischen „Kurzschluss“ (zwischen einem unverletzten motorischen oder sensiblen Spendernerv) eine geschädigte Nervenstrecke zu umgehen.

Nerventransfers

Optimalerweise liegt der Spender näher am Zielorgan, sodass die proximale Nervenläsion in eine weiter distale verwandelt wird, um die Regenerationsstrecke und -zeit zu verkürzen und die Erfolgsaussichten der Rekonstruktion zu erhöhen. Nerventranspositionen wurden v.a. bei weit proximal gelegenen Läsionen der Stammnerven an der oberen Extremität angewendet.

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Liegt jedoch die Verletzung länger als ein Jahr zurück oder sind bereits Zeichen der Muskelatrophie vorhanden, ist es meist nicht mehr sinnvoll, einen Nerventransfer durchzuführen. In diesen Fällen verbleiben jedoch nach wie vor der Sehnentransfer (motorische Ersatzoperation) und eine freie funktionelle Muskelverpflanzung die einzigen Möglichkeiten für die Rekonstruktion.

Neurome

Die auswachsenden Axone finden nicht immer ihr eigentliches Ziel, sondern können auch fibrotische Nervenfaserknäuel (Neurome) bilden. Diese können schmerzlos, kaum störend oder aber extrem schmerzhaft sein. Neuromschmerzen lassen sich mittels genauer Anamnese und Untersuchung vom postoperativen Wundschmerz unterscheiden. Zunächst erfolgen konservative Maßnahmen, angefangen bei ergotherapeutischer Desensibilisierung und Spiegeltherapie bis hin zu professioneller Schmerztherapie. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen kritischen Nerven mit unverzichtbarer Funktion, die erhalten oder rekonstruiert werden sollten, und nicht kritischen Nerven, deren rein sensible Funktion zugunsten einer Schmerzreduktion aufgegeben werden kann.

Axonaler Schaden bei Multipler Sklerose (MS)

Im langfristigen Verlauf der MS können auch Beschädigungen an den Nervenfasern (Axonen) selbst entstehen. Dies wird als „axonaler Schaden" bezeichnet. Um die Folgen der MS zu verringern, wird eine frühe MS-Behandlung empfohlen.

Axonaler Schaden im zentralen Nervensystem (ZNS)

Nach einer Verletzung können Neurone des ZNS geschädigte Nervenfasern nicht mehr regenerieren, sodass sie dauerhaft von ihren Zielgebieten abgeschnitten bleiben. Schädigungen von Nervenfasern im Gehirn oder Rückenmark führen daher in der Regel immer zu irreversiblen Funktionsverlusten und damit lebenslangen Behinderungen. Ein Forschungsschwerpunkt beschäftigt sich mit den Mechanismen, die dieser eingeschränkten Regenerationsfähigkeit des ZNS zugrunde liegen, mit dem Ziel, neue gentherapeutische und pharmakologische Ansätze zur Förderung der axonalen Regeneration zu entwickeln.

Axonaler Schaden des Sehnervs

Da der Sehnerv zum zentralen Nervensystem gehört, ist eine Regeneration der Nervenfasern im Sehnerv nicht möglich. Zahlreiche Erkrankungen können eine Schädigung des Sehnervs zur Folge haben, z.B. der Grüne Star (Glaukom) oder die diabetische Retinopathie. Ist der Sehnerv durch eine Erkrankung im gesamten Querschnitt geschädigt, kommt es zu einer vollständigen Erblindung des betroffenen Auges. Die Behandlung erfolgt durch Absenken des Augeninnendrucks bzw. einer Wiederherstellung der physiologischen Druckverhältnisse. Bereits aufgetretene Schäden regenerieren nicht mehr.

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Axonaler Schaden des Rückenmarks

Liegen Störungen im Rückenmark vor, z.B. durch eine traumatische Verletzung, gelangen keine sensorischen Informationen mehr ins Gehirn und umgekehrt gelangen auch keine Signale über die Axone der Motoneurone zu den Muskeln. Es kommt zu Ausfallerscheinungen und Lähmungen, obwohl der periphere Nerv, durch den die Nervenfasern der Motoneurone und der sensorischen Neurone laufen, selbst noch intakt ist. Auch neurodegenerative Erkrankungen, Infektionen oder Kompressionen können zum Absterben von Neuronen im Rückenmark und damit einhergehenden Funktionsverlusten führen.

Axonaler Schaden durch Schädel-Hirn-Trauma (SHT)

Die Schädigung des Gehirns bei einem SHT erfolgt in zwei Phasen: Die erste Phase umfasst die direkte Schädigung durch den Unfall, die nicht therapierbar ist, da zerstörte Neurone im Gehirn nicht regenerieren können. In der zweiten Phase treten sekundäre Schädigungen auf, die zu einer weiteren Zerstörung von Neuronen führen können. Diese sind prinzipiell therapierbar, sofern sich die pathophysiologischen Prozesse beeinflussen lassen. Primäres Ziel ist es, die Blut- und Sauerstoffversorgung des Gehirns aufrechtzuerhalten, um möglichst viele Neurone vor sekundären Schäden zu retten.

Axonaler Schaden bei neurodegenerativen Erkrankungen

Bei den neurodegenerativen Erkrankungen sterben nach und nach Neurone des ZNS ab. Die häufigsten Erkrankungen sind Alzheimer, Parkinson und Chorea Huntington. Die Symptome können abhängig von der Erkrankung und der betroffenen Hirnregion sehr vielfältig sein. Bisher gibt es keine Ursachen-Therapie, sondern nur symptomatische Behandlungen.

Axonaler Schaden durch Schlaganfall

Beim Schlaganfall kommt es zu einer plötzlich auftretenden Störung des Blutflusses im Gehirn und dadurch zur Unterversorgung des Gewebes mit Sauerstoff und Nährstoffen. Das Gehirn wird lokal geschädigt und es kommt zu einem Verlust von Neuronen. Die Therapie hat das Ziel, die korrekte Durchblutung möglichst schnell wiederherzustellen, um eine weitere Schädigung von Neuronen zu verhindern. Da die Neurone im Gehirn nicht regenerieren, ist die Schädigung der betroffenen Zellen irreversibel.

Axonaler Schaden bei Polyneuropathie

Polyneuropathien sind Erkrankungen des „peripheren Nervensystems“, zu dem alle außerhalb des Zentralnervensystems liegenden Anteile der motorischen, sensiblen und autonomen Nerven gehören. Typische Symptome sind sensible Reizerscheinungen wie Kribbeln, Ameisenlaufen, Stechen, Elektrisieren und sensible Ausfallerscheinungen wie Pelzigkeitsgefühl, Taubheitsgefühl, Gefühl des Eingeschnürtseins, Schwellungsgefühle sowie das Gefühl, wie auf Watte zu gehen. Die häufigste Ursache für eine Polyneuropathie sind Diabetes mellitus oder ein übermäßiger Alkoholkonsum.

Axonaler Schaden durch Radialisparesen

Die Radialisparese beruht auf einer Nervenschädigung mit gestörter Impulsübertragung. Ein typisches Symptom ist die sog. Fallhand: Handgelenk und Finger können nicht mehr gestreckt werden. Die Radialisparese verschwindet normalerweise innerhalb weniger Wochen von selbst. In dieser Zeit kann das Tragen einer Schiene sinnvoll sein. Bei langanhaltenden Schmerzen, deren Ursache das Einklemmen des Nervs ist, kann ein operativer Eingriff nötig werden, um für eine Druckentlastung zu sorgen.

Neue Leitlinien zur Versorgung peripherer Nervenverletzungen

Eine neue S3-Leitlinie zur Versorgung peripherer Nervenverletzungen soll das frühe Erkennen einer Nervenläsion und das schnellstmögliche Einleiten einer korrekten Behandlung zur bestmöglichen Funktionswiederherstellung unterstützen. Die Leitlinie berücksichtigt den Fortschritt in der Bildgebung mittels Magnetresonanz-Neurografie (MRN) sowie die Etablierung von Nerventransfers als Technik zur Funktionswiederherstellung und Schmerzbehandlung.

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