Die axonale Polyneuropathie ist eine Form der Polyneuropathie, bei der die Axone, die Nervenfortsätze der peripheren Nerven, geschädigt sind. Polyneuropathien umfassen eine Vielzahl von Erkrankungen, die durch Schädigungen der peripheren Nerven gekennzeichnet sind. Das periphere Nervensystem umfasst alle Nerven, die außerhalb von Gehirn und Rückenmark liegen.
Erkennung und Diagnose der axonalen Polyneuropathie
Die axonale Polyneuropathie kann sich durch eine Vielzahl von Symptomen äußern. Anfangs verläuft die Krankheit oft symptomlos. Geschädigte Axone können zu einer Überfunktion der Nerven führen, die sich in Kribbeln oder Schmerzen äußert. Eine Unterfunktion der Nerven ist ebenfalls möglich, was zu motorischen Funktionsstörungen, Lähmungen, Muskelatrophien und Krämpfen führen kann.
Die Diagnose beginnt mit einer gründlichen Anamnese und verschiedenen Reflextests. Neurophysiologische Untersuchungen wie Elektromyographie (EMG) und Elektroneurographie (ENG) werden eingesetzt, um eine axonale Polyneuropathie zu erkennen. Bei der Elektromyographie wird die elektrische Muskelaktivität untersucht, während die Elektroneurographie die Nervenleitgeschwindigkeit misst. Weitere Diagnosemethoden sind Blutuntersuchungen, Nervenbiopsien und bildgebende Verfahren.
Elektrophysiologische Untersuchungen
Elektrophysiologische Untersuchungen werden vor allem zur pathophysiologischen Beurteilung von Neuropathien, aber auch zu deren Objektivierung eingesetzt. Es hat sich jedoch gezeigt, dass sich die meisten Parameter der Elektroneurographie mit dem Alter verändern, vor allem nehmen die Amplituden der sensiblen, aber auch der motorischen Potenziale ab.
Quantitative sensorische Untersuchung
Bei der standardisierten Quantitativen Sensorischen Testung werden durch sieben verschiedene Gefühlstests an der Haut 13 Werte ermittelt. Sie helfen zu erkennen, welche Nervenfasern genau geschädigt sind und wie stark die Schädigung fortgeschritten ist. Um das Temperaturempfinden exakt zu messen, kommen bei der sogenannten Thermode computergesteuerte Temperaturreize zum Einsatz.
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Nerven-Muskel-Biopsie
Die Untersuchung einer Gewebeprobe kann helfen, die Ursache einer Polyneuropathie zu finden. Dazu wird eine sogenannte Nerv-Muskel-Biopsie aus dem Schienbein entnommen und feingeweblich untersucht. Hierbei wird festgestellt, ob der Schaden an der Hüllsubstanz des Nerven (Myelin) oder am Nerven selbst entstanden ist. Bei bestimmten Ursachen finden sich zum Beispiel Entzündungszellen oder Amyloid-Ablagerungen.
Hautbiopsie
Bei einer Untergruppe der Neuropathien sind insbesondere die dünnen, kleinen Nervenfasern der Haut betroffen. Sie werden unter dem Namen Small-Fiber-Neuropathien zusammengefasst. Die Nervenleitgeschwindigkeit, die die Funktion von dickeren Nerven misst, ist dann oft unauffällig. Für die richtige Diagnose ist die Quantitative Sensorische Testung mit Messung des Temperaturempfindens entscheidend. Darüber hinaus kann eine Gewebeprobe aus der Haut (Hautbiopsie) unter dem Mikroskop untersucht werden.
Ursachen der axonalen Polyneuropathie
Diabetes mellitus ist der häufigste Auslöser für axonale Polyneuropathie. Erhöhter Blutzucker schädigt die Nerven und die Blutgefäße, die die Nerven versorgen. Eine weitere häufige Ursache ist Alkoholmissbrauch, der mit Nervenschäden und Mangelernährung einhergeht. Weitere Ursachen sind Vitamin-B12-Mangel, Nieren- oder Lebererkrankungen, bestimmte Infektionen wie Gürtelrose und Schilddrüsenfunktionsstörungen. Axonale Polyneuropathie kann auch genetisch bedingt sein.
Die Ursachen von Neuropathien sind auch im Alter mannigfaltig: Neben metabolischen, immunvermittelten, hereditären, toxischen und infektiösen Ätiologien treten PNP im Rahmen von Systemerkrankungen auf. Eine Besonderheit des Alters ist der hohe Anteil an Neuropathien ohne eindeutige Ursache, man spricht von kryptogenen oder chronischen idiopathischen Neuropathien.
Angesichts der Polypharmazie im Alter sollten medikamenteninduzierte PNP nicht übersehen werden.
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Weitere Ursachen
- Mangelernährung: Ein Mangel an Vitamin B1 (Thiamin), B6 (Pyridoxin) oder B12 (Cobalamin) kann zu Neuropathien führen. Am häufigsten ist der Vitamin-B12-Mangel.
- L‑DOPA: Neuere Beobachtungen legen eine Assoziation von L‑Dihydroxyphenylalanin (L-DOPA) mit Morbus Parkinson und PNP nahe. Es hat sich gezeigt, dass Höhe und Dauer der L‑DOPA-Dosierung mit Hinweisen auf einen Vitamin‑B12-Mangel und auch mit der Wahrscheinlichkeit einer Neuropathie korrelieren.
- Maligne Erkrankungen: Das PNS kann dabei in unterschiedlicher Form involviert sein. Eine lokale Tumorinfiltration kann Hirnnerven, einzelne oder mehrere Nervenwurzeln im Plexus brachialis oder lumbosacralis sowie periphere Nerven treffen. Antineoplastische Therapeutika können Nebenwirkungen entfalten, die periphere Nerven schädigen. In seltenen Fällen geht eine Neuropathie als paraneoplastisches Syndrom der Entdeckung einer Tumorerkrankung voraus.
- Hereditäre Transthyretinamyloidose (hATTR-Amyloidose): Neben einer früh beginnenden gibt es auch eine spät, zwischen dem 50. Neben einer kardialen Form mit Kardiomyopathie präsentiert sich die hATTR-Amyloidose häufig in Form einer Neuropathie, der familiären Amyloidneuropathie (TTR-FAP).
Chronische idiopathische axonale PNP (CIAP)
Die chronische idiopathische axonale PNP (CIAP) ist die häufigste Neuropathie im Alter. Klinisch ist sie definiert durch eine relativ milde und nur sehr langsam progrediente Klinik vor allem in Form distaler Sensibilitätsstörungen an den Beinen, einer milden sensiblen Ataxie und neuropathischer Schmerzen. Paresen fehlen, erlaubt ist per definitionem nur eine geringe Parese der Zehenextensoren.
Therapiemöglichkeiten
Die Therapie der axonalen Polyneuropathie zielt darauf ab, die Ursache zu behandeln und die Symptome zu lindern.
Behandlung der Ursache
- Diabetes: Bei Diabetes ist eine gute Blutzuckereinstellung entscheidend, um weitere Nervenschäden zu verhindern. Allerdings führt eine zu rasche Senkung der Blutzuckerwerte zu weiteren Nervenschäden. Als optimal gilt eine sanfte Senkung des HbA1c-Wertes um weniger als zwei Prozentpunkte über einen Zeitraum von drei Monaten.
- Alkoholmissbrauch: Bei alkoholbedingter Polyneuropathie ist eine absolute Alkoholabstinenz erforderlich.
- Vitaminmangel: Ein Vitaminmangel wird durch entsprechende Nahrungsergänzungsmittel ausgeglichen.
- Maligne Erkrankungen: Die Behandlung der Krebserkrankung steht im Vordergrund.
- Hereditäre Transthyretinamyloidose (hATTR-Amyloidose): Zur Therapie sind derzeit drei Substanzen zugelassen: Tafamidis, ein TTR-Stabilisator; Patisiran, eine in Lipidnanopartikel verpackte „small interfering RNA“, und Inotersen, ein Antisense-Oligonukleotid.
Symptomatische Therapie
- Schmerztherapie: Bei Schmerzen können Schmerzmittel, Antidepressiva und Antikonvulsiva eingesetzt werden. Capsaicin-Pflaster können ebenfalls Linderung verschaffen.
- Physikalische Therapie: In der physikalischen Therapie können wir vor allem sensible und motorische Symptome lindern. Dazu nutzen wir Bäder, Elektrotherapie und Wärmeanwendungen In der Krankengymnastik, der Sporttherapie und der medizinischen Trainingstherapie (spezielles Krafttraining) lernen Sie spezielle Übungen und stärken Ihre geschwächte Muskulatur.
- Elektrotherapie: Bei der Elektrotherapie werden die Nerven durch Impulse aus einem speziellen Gerät so stimuliert, dass Erkrankte statt Schmerzen ein leichtes Kribbeln spüren. Von außen lässt sich dieses durch ein TENS-Gerät erreichen.
- Gleichgewichtstraining: Gegen die fortschreitende Gangunsicherheit wirkt Gleichgewichtstraining in der Physiotherapie.
Behandlung von neuropathischen Schmerzen im Alter
Neben der Behandlung der Grunderkrankung erweist sich im Alter die Behandlung des neuropathischen Schmerzes oft als komplex und herausfordernd, Studiendaten für alte Patienten stehen kaum zur Verfügung. Dabei sind alte Menschen deutlich vulnerabler als junge, da sie häufig von Multimorbidität, Mangelernährung, Sarkopenie und Gebrechlichkeit („frailty“) betroffen sind.
Eine eingeschränkte Nierenfunktion spielt eine besondere Rolle in der Therapie mit Gabapentin und Pregabalin, wo eine entsprechende Erniedrigung der maximalen Tagesdosis zu beachten ist. Trizyklische Antidepressiva sind im Alter aufgrund ihres anticholinergen Nebenwirkungsprofils nur mit äußerster Zurückhaltung und in niedrigen Dosierungen einzusetzen. Bei der Therapie mit Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (Duloxetin, Venlafaxin) und selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmern (Citalopram, Paroxetin) ist das besonders bei Frauen erhöhte Risiko einer Hyponatriämie zu erwähnen, bei Multimedikation ist auch die QT-Zeit zu kontrollieren. Bei Opiattherapie ist ein erhöhtes Nebenwirkungsrisiko seitens des zentralen Nervensystems gegeben, Verschlechterungen der kognitiven Funktionen bis hin zum Delir sind möglich. Daneben ist die Prophylaxe einer Obstipation zu gewährleisten.
Prognose
Die Prognose der axonalen Polyneuropathie hängt von der Ursache und dem Zeitpunkt der Diagnose ab. In vielen Fällen wird die Erkrankung erst spät erkannt, was zu irreversiblen Nervenschäden führt. Eine vollständige Heilung ist dann nicht mehr möglich. Wird die Ursache jedoch frühzeitig erkannt und behandelt, kann die Progression der Erkrankung verlangsamt oder gestoppt werden. Bei einigen Formen der Polyneuropathie, insbesondere bei entzündlichen Neuropathien, ist eine gute Behandlung möglich, und akute Formen können vollständig ausheilen.
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Polyneuropathien im Alter
Die altersassoziierten Veränderungen des PNS können auch bei gesunden alten Menschen zu Symptomen und Zeichen führen, die denen einer Neuropathie entsprechen; so berichten 20 % der gesunden alten Menschen über Parästhesien oder Hypästhesien, 28 bzw. 21 % über Krämpfe oder Steifigkeit, beides vorwiegend in den Beinen. In der klinischen Untersuchung gesunder alter Menschen wurden ein abnormer Vibrationssinn in 71 % und ein fehlender Achillessehnenreflex in 38 % der Fälle gefunden. Auch orthopädische Veränderungen wie Arthrosen oder Hallux valgus können die Gangunsicherheit einer Neuropathie vortäuschen, ebenso wie die altersbedingte Verschlechterung von Gleichgewicht, Sehen, Hören und zentraler Regulation der posturalen Kontrolle. All dies muss bei der Diagnose einer sensiblen Neuropathie im Alter bedacht werden.
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