Beethoven und die Taubheit: Ursachen, Behandlungsmöglichkeiten und sein Umgang mit dem Hörverlust

Ludwig van Beethoven, ein Name, der untrennbar mit der klassischen Musik verbunden ist, wurde vor 250 Jahren geboren. Sein musikalisisches Genie trotzte einer zunehmenden Herausforderung: dem Verlust seines Gehörs. Bereits mit 28 Jahren litt Beethoven unter Schwerhörigkeit und Tinnitus. Diese fortschreitende Schwerhörigkeit führte zu Vereinsamung. Doch wie hätte die heutige Medizin ihm helfen können? Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen seiner Taubheit, die Behandlungsmethoden seiner Zeit und die Möglichkeiten, die ihm heute zur Verfügung stünden.

Die Anfänge der Schwerhörigkeit

Beethovens Hörverlust begann im Alter von 28 Jahren und stellte für den Musiker einen traumatischen Einschnitt dar. In einem Brief an seinen Freund Dr. Franz Gerhard Wegeler schilderte er seine Symptome eindrücklich: „Mein Gehör ist seit drei Jahren immer schwächer geworden… nur meine Ohren, die sausen und brausen Tag und Nacht fort… Ich bringe mein Leben elend zu …meide alle Gesellschaften, weil’s mir nicht möglich ist, den Leuten zu sagen, ich bin taub. Hätte ich irgendein anderes Fach, so ging’s noch eher, aber in meinem Fach ist es ein schrecklicher Zustand… Die hohen Töne von Instrumenten und Singstimmen höre ich nicht, wenn ich etwas weit weg bin, auch die Bläser im Orchester nicht."

Diese Schilderung verdeutlicht die Verzweiflung und Isolation, die Beethoven aufgrund seines Hörverlustes empfand. Für einen Musiker war der Verlust des Gehörs eine existenzielle Bedrohung, die seine Karriere und sein soziales Leben beeinträchtigte.

Formen der Hörstörung

Fachärzte unterscheiden verschiedene Formen von Hörstörung, je nach Ursache der Schwerhörigkeit. Grundsätzlich lassen sich zwei Haupttypen unterscheiden:

  • Schallleitungsschwerhörigkeit: Hier liegen mechanische Schäden vor, die das Weiterleiten des akustischen Reizes behindern. Bei dieser Art der Hörstörung sind meist alle Frequenzen des Hörbereiches, also hohe wie tiefe Töne, gleichermaßen betroffen. Die Patienten nehmen ihre Umwelt deshalb wie „durch Watte“ wahr. Je nach Ursache kann eine Besserung beziehungsweise Heilung durch Medikamente erreicht werden. Bei einem mittelschweren Hörverlust werden Hörgeräte eingesetzt.
  • Schallempfindungsschwerhörigkeit: In diesem Fall sind das Innenohr und/oder der Hörnerv geschädigt, sodass die Informationen nicht an das Gehirn weitergeleitet werden. Die Haarzellen sind geschädigt oder komplett zerstört und können den Schall nicht mehr in Nervenimpulse umwandeln. Mögliche Begleiterscheinungen sind Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schwindelgefühl sowie Tinnitus.

Weitere Formen der Hörstörung sind:

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  • Lärmschwerhörigkeit: Eine durch andauernde Lärmeinwirkung entwickelte Schallempfindungsschwerhörigkeit. Sie ist die häufigste Berufskrankheit in Deutschland.
  • Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS): Hier handelt es sich um eine gestörte Weiterleitung der akustischen Informationen. Hier werden die eingehenden Tonsignale vom Ohr korrekt aufgenommen und vom Hörnerv weitergeleitet. Ursachen sind möglicherweise Hirnreifungsverzögerungen im Kleinkinderalter, Hirntraumata oder häufige Mittelohrentzündungen, Gehirnentzündung oder Schlaganfall.
  • Altersschwerhörigkeit: Eine langsam fortschreitende Schallempfindungsschwerhörigkeit. Bereits ab dem 30. bis 40. Lebensjahr büßen die meisten Menschen langsam ihr gutes Gehör ein. Jeder fünfte Erwachsene und die Mehrheit der 80-jährigen leiden in Deutschland unter Hörverlust.

Beethovens Behandlungsmethoden im 19. Jahrhundert

In seiner Verzweiflung suchte Ludwig van Beethoven die besten Ärzte seiner Zeit auf. Doch sie konnten ihm nur sehr begrenzt helfen. Mandelöl-Ohrentropfen und Meerrettich-Baumwolle wurden angewandt sowie bestimmte Teesorten, aber auch so genannte Vesikatorien, die zu Blasen auf der Haut führten. Man hoffte, dass mit Verschwinden der Blasen auch die Krankheit vergehe. Schließlich wurden ihm lauwarme Donaubäder verschrieben, die ihm bei seinen Ohrgeräuschen etwas geholfen haben sollen.

Eine weitere Unterstützung war ein an seinem Flügel befestigter Holzstab, den Beethoven zwischen seine Zähne nahm. Auf diese Weise hatte er ein Vibrationsempfinden. Doch selbst diese kleinen Fortschritte wurden zunichte gemacht. Beethovens Schwerhörigkeit verschlimmerte sich zunehmend, er konnte nicht mehr als Pianist auftreten oder dirigieren. Ab 1818 waren Gespräche mit ihm nur noch schriftlich möglich.

Die Musikermedizinerin Claudia Spahn beleuchtet im Buch "Patient Beethoven" die ärztlichen Behandlungsmethoden zu Beethovens Zeit. Sie stellt fest, dass Beethoven von den besten Medizinern seiner Zeit behandelt wurde, jedoch war das Wissen über Hörphysiologie begrenzt und die Behandlungsansätze hatten starke Nebenwirkungen.

Moderne Behandlungsmöglichkeiten

Heute hätte die moderne Medizin Beethovens Schwerhörigkeit vermutlich nicht heilen, aber stark verbessern können. Mit modernen Hörgeräten hätte er seine Musik noch viele Jahre lang hören können. Später hätte man ihm möglicherweise ein Hörimplantat operativ ins Mittelohr eingesetzt. Durch Mikrovibrationen reizt es die inneren Hörsinneszellen, wenn die äußeren zerstört sind. Das Implantat reizt das Gehirn direkt. Der Hörnerv wird so überbrückt. Cochlea-Implantat und Hirnstamm-Implantat ermöglichen in vielen Fällen eine gute Kommunikation. Nach einem Hörtraining können die Patienten insbesondere Sprache wieder gut verstehen und sogar telefonieren. Auch seine Musik hätte Beethoven mit einem Cochlea- oder Hirnstamm-Implantat vermutlich hören können, wenn auch nicht vollumfänglich.

Cochlea-Implantate: Eine Revolution für Menschen mit Hörverlust

Ein Cochlea-Implantat (CI) ist ein elektronisches Gerät, das die Funktion des beschädigten Innenohrs (Cochlea) übernimmt. Es wandelt Schall in elektrische Signale um, die den Hörnerv stimulieren und so das Hören ermöglichen. Das CI besteht aus zwei Hauptteilen:

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  • Äußerer Teil: Ein Mikrofon nimmt den Schall auf und leitet ihn an einen Sprachprozessor weiter. Der Sprachprozessor wandelt den Schall in digitale Signale um und sendet sie an den Sender.
  • Innerer Teil: Der Empfänger wird unter die Haut hinter dem Ohr implantiert. Er empfängt die Signale vom Sender und leitet sie an eine Elektrode weiter, die in die Cochlea eingeführt wird. Die Elektrode stimuliert den Hörnerv, der die Signale an das Gehirn weiterleitet.

Erfahrungsberichte von CI-Nutzern

Die Geschichten von Josephine Seifert, Christian Lilienweihs und Hildegard Stoll zeigen, welche positiven Auswirkungen die Nutzung eines Cochlea-Implantats auf das Leben von Musikern haben kann. Josephine Seifert, eine Cellistin, verdankt ihrem Cochlea-Implantat, dass sie auch heute Cello spielen kann. Christian Lilienweihs konnte nach über 40 Jahren dank eines CIs seinen Sohn Klavier spielen hören. Hildegard Stoll kann dank ihres Hörimplantats ihre verschiedenen Musikgruppen viel besser leiten.

Ursachen von Beethovens Schwerhörigkeit

Die Ursache für die bei Beethoven im Alter von Mitte 20 einsetzende Schwerhörigkeit ist unbekannt. Mediziner Mürbe sieht Indizien dafür, dass Beethoven an einer «Innenohrschwerhörigkeit» litt, bei denen ein Hörrohr kaum Wirksamkeit entfaltet hätte.

Es gibt jedoch verschiedene Theorien über die Ursachen von Beethovens Hörverlust:

  • Bleivergiftung: In Beethovens Locken wurden sehr hohe Blei-Werte nachgewiesen. Es wird vermutet, dass er durch den Konsum von billigem, süßen Wein, der mit Bleizucker versetzt war, eine chronische Bleivergiftung erlitten hat. Eine Haarprobe zeigt: Beethoven litt unter einer chronischen Bleivergiftung. Zahlreiche Beschwerden des Komponisten sind darauf zurückzuführen.
  • Innenohrschwerhörigkeit: Beethoven selbst hat die Schwerhörigkeit als seine schlimmste Krankheit erlebt. Er stufte seine Krankheiten verschieden ein. Diskutiert wird auch darüber, wieviel Wein Beethoven tatsächlich getrunken hat. Beethoven mochte nämlich billigen, süßen Wein aus „fragwürdigen Wirtshäusern“, in denen man Wein vermutlich „sogar in Blecheimern“ abholte. Und dieser Wein war eigentlich unreif oder sauer. Nur der giftige Bleizucker oder sonst was für Blei machten diesen Wein süß. Auch Arsen könnte im Spiel gewesen sein. Andererseits soll Ludwig van deutlich weniger getrunken haben als sein trunksüchtiger Vater. Der Hörschädigung - so eine Theorie - könnte eine gefährliche Krankheit vorausgegangen sein. Man spricht aber auch von Erbfaktoren, vorzeitiger Alterung, Infektionen, Vergiftungen, Lärmschäden… Neben Trunksucht übrigens auch noch Syphilis.
  • Andere Erkrankungen: Beethoven litt außerdem an Alkoholsucht, Leberzirrhose, Gelbsucht und anderen chronischen Krankheiten.

Beethovens Umgang mit seiner Schwerhörigkeit

Unbestritten scheint, dass die Schwerhörigkeit Beethoven zunehmend psychisch belastete. Davon kündet auch das «Heiligenstädter Testament». Berichte über das mürrisches Wesen des Musikers gibt es zuhauf. Mürbe spannt einen Bogen zur Gegenwart. Gerade psychosoziale Folgen von Schwerhörigkeit sollten nicht unterschätzt werden: «Schwerhörigkeit ist eine Volkskrankheit, etwas 14 bis 16 Millionen Deutsche sind davon betroffen. Es ist ein Krankheitsbild mit hoher Einschränkung der Lebensqualität.» Betroffen seien auch ein bis zwei von 1000 Neugeborenen - die häufigste angeborene sensorische Störung. «Schwerhörigkeit führt im schlimmsten Fall zur Isolation. Genauso war es bei Beethoven», ist Mürbe überzeugt. Gerade für einen Musiker sei das fatal. Dass er später das Musizieren aufgeben musste, sei folgerichtig gewesen.

Trotz seiner Schwerhörigkeit komponierte Beethoven weiter und schuf einige seiner bedeutendsten Werke, darunter die 9. Symphonie und die Missa Solemnis. Um das Jahr 1814 stellte er selbst das öffentliche Musizieren ein, bekanntlich aber nicht das Komponieren. Dass ein tauber Mensch Töne zu einem Werk zusammensetzen kann, mag für die meisten wie ein Wunder erscheinen. Für Professor Dr. Dirk Mürbe, Chef der Klinik für Audiologie und Phoniatrie an der Charité in Berlin, ist es kein Wunder. Der Experte verweist auf die musikalische Früherziehung des späteren Komponisten: «Beethoven hatte unabhängig von der Begabung eine sehr starke musikalische «Belichtung» im Kindesalter. In dieser Zeit ohne jede Hörstörung hat er seine ganze «Musikbibliothek» im Kopf aufgebaut.» Als er später ertaubt sei, habe er sich aus dieser Bibliothek bedienen können. Mürbe verweist auf Erkenntnisse der Neurowissenschaft. Sie habe den Beweis geliefert, dass musikalische Früherziehung nicht irgendein Spaß ist, sondern messbare Effekte für die Sprachkompetenz mit sich bringt. «Sprache und Musik sind unter anderem durch ihre Melodie verbunden. Daten aus dem Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften zeigen, dass Kinder mit einer musikalischen Förderung im Schnitt auch eine höhere Sprachkompetenz besitzen als andere.» Selbst Ungeborenen würden sich Schallimpulse im Gehirn schon einprägen.

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Schwerhörigkeit als Volkskrankheit

Schwerhörigkeit ist eine weitverbreitete Erkrankung, die viele Menschen betrifft. Mehr als 5% der Weltbevölkerung - 466 Millionen Menschen - leben mit einschränkendem Hörverlust (432 Millionen Erwachsene und 34 Millionen Kinder). Etwa ein Drittel aller über 65-Jährigen sind schwerhörig. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt bei Hörverlust verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit.

Eine repräsentative Online-Umfrage in Deutschland zeigt, dass Hörverlust auch hierzulande ein weitverbreitetes und vielfach unbehandeltes Problem darstellt. So gaben 48 Prozent an, in ihrem familiären Umfeld oder engeren Freundeskreis, jemanden mit einem vermuteten Hörverlust zu kennen. Besonders alarmierend: Mehr als jeder zehnte Befragte (14 Prozent) vermutet darüber hinaus bei sich selbst einen Hörverlust. Gleichzeitig haben rund 27 Prozent der Studienteilnehmer ihr Gehör noch nie untersuchen lassen, bei nahezu jedemr dritten Studienteilnehmer*in (26 Prozent) liegt der letzte Hörtest mehr als fünf bis zehn Jahre zurück.

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