Aktuelle Behandlungsmöglichkeiten der Multiplen Sklerose

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die Gehirn und Rückenmark betrifft. Sie wird auch Encephalomyelitis disseminata (ED) genannt. Bei MS werden Nervenstrukturen zerstört, was verschiedene Symptome auslöst. Die Krankheit beginnt meist im frühen Erwachsenenalter, wobei Frauen etwa 2-3 Mal häufiger betroffen sind. Es gibt keine Heilung für MS, aber moderne Behandlungen können den Verlauf der Krankheit verzögern und verbessern. Die Forschung konzentriert sich weiterhin auf die Entwicklung wirksamerer und besser verträglicher Medikamente sowie auf neue Therapieansätze.

Was ist Multiple Sklerose?

Multiple Sklerose ist die häufigste autoimmune, chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Sie verläuft meist in Schüben und kann je nach betroffenem Hirnareal unterschiedliche Verlaufsformen haben, weshalb sie auch die „Krankheit der 1000 Gesichter“ genannt wird. Bei Multipler Sklerose werden die Nervenscheiden beschädigt. Dadurch liegen Nervenfasern teilweise frei, was zu einer gestörten Weiterleitung elektrischer Signale führt.

Ursachen

Die Ursachen für eine MS-Erkrankung sind nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren eine Rolle spielt. Dazu gehören genetische Veranlagung, Virusinfektionen (z.B. mit Masern-, Herpes- oder Epstein-Barr-Viren), Vitamin-D-Mangel und Rauchen. Auch das Geschlecht scheint einen Einfluss zu haben, da 2 bis 3 Mal so viele Frauen wie Männer an MS leiden.

Symptome, Verlauf und Diagnose

Multiple Sklerose tritt häufig unvermittelt und unerwartet auf, vorwiegend im jungen Erwachsenenalter. Oftmals ist zunächst nur ein einzelnes Symptom vorhanden, bei manchen Patienten sind es jedoch sofort mehrere. Beschwerdebild und Verlauf der Krankheit können dabei ganz unterschiedlich ausfallen. Häufige Symptome der Multiplen Sklerose sind:

  • Sehstörungen (z.B. mit Verschwommen- oder Nebelsehen, Sehausfall)
  • Krämpfe, Muskelzuckungen, Schwerfälligkeit, spastische Lähmungserscheinungen (vor allem die Beine betreffend, teils auch die Hände)
  • Müdigkeit, allgemeine Mattigkeit oder Konzentrationsstörungen („Fatigue“)
  • Gefühlsstörungen der Haut (z.B. Kribbeln, Taubheitsgefühl)
  • Unsicherheiten beim Gehen, Störungen der Bewegungskoordination
  • Lähmungen oder Störungen beim Entleeren von Darm oder Blase

Meist verläuft die Erkrankung in Schüben, also Phasen mit Symptomen, die sich dann wieder zurückbilden (schubförmig remittierende MS). Bei etwa 10 % der Patienten schreitet die MS von Beginn an unaufhaltsam fort (primär progrediente MS). Es gibt auch eine Mischform, die sekundär progrediente MS, die sich aus der schubförmigen MS entwickelt, wenn sich die Symptome nach einem Schub kaum noch oder gar nicht mehr zurückbilden.

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Die Diagnose Multiple Sklerose (MS) ist heute anhand klarer klinischer sowie technischer Diagnosekriterien meist schnell und sicher zu stellen. Differenzialdiagnostisch müssen andere Erkrankungen erwogen werden, die der MS ähneln. Es wurde z. B. die Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung früher als eine MS-Variante betrachtet. Mittlerweile weiß man, dass sie durch eigenständige Diagnosemarker und Behandlungen gekennzeichnet ist.

Für die Diagnose Multiple Sklerose sind eine Befragung der oder des Betroffenen nach MS-Symptomen (Anamnese), eine neurologische Untersuchung, eine Kernspintomografie des zentralen Nervensystems (von Gehirn und Rückenmark) sowie eine Nervenwasseruntersuchung (Lumbalpunktion) von zentraler Bedeutung.

Therapiemöglichkeiten und Medikamente

Multiple Sklerose ist nicht heilbar. Durch moderne Behandlungsmöglichkeiten kann der Verlauf der Erkrankung jedoch meist lange herausgezögert und verbessert werden. Die Therapie der Multiplen Sklerose stützt sich dabei auf mehrere Säulen:

  • Schubtherapie: Behandlung akuter Schübe, damit Beschwerden sich schnell zurückbilden
  • Verlaufsmodifizierende Therapie (= Basistherapie): Reduktion der Schwere und Häufigkeit der Schübe, um die beschwerdefreie oder -arme Zeit zu verlängern
  • Symptomatische Therapie: Linderung von MS-Beschwerden und Vorbeugung möglicher Komplikationen

Medikamente für schubförmige MS

Für Patientinnen und Patienten mit schubförmig verlaufender Erkrankung stehen mehrere Medikamente zur Verfügung, die den Angriff des Immunsystems auf die Nervenzellen abschwächen. Bei akuten Schüben können u.a. Cortison-Präparate die Symptome dämpfen. Zu den schon am längsten verfügbaren Basistherapeutika zählen die Betainterferon-Präparate und das synthetische Peptidgemisch Glatirameracetat; sie alle müssen regelmäßig gespritzt werden. Schlägt eins dieser Basistherapeutika an, kann das etwa ein Drittel bis die Hälfte aller neuen Schübe verhindern und die Schwere vermindern. Das Spritzen allerdings fällt manchen Patienten schwer; und die Mittel wirken nur bei rund 70% der Patienten. Etliche Patienten erleben auch belastende Nebenwirkungen wie grippeähnlichen Symptome durch die Basistherapie mit diesen Mitteln.

Schon seit 2011 kamen aber auch Basistherapeutika in Tablettenform heraus, mit den Wirkstoffen Fingolimod, Siponimod, Ponesimod, Ozanimod, Teriflunomid, Dimethylfumarat und Cladribin. Diese neueren Medikamente - und darin unterscheiden sie sich nicht grundsätzlich von den älteren - eliminieren bestimmte Zellen des Immunsystems oder dämpfen ihre Aktivität, damit deren Angriffe im ZNS unterbleiben. Die genauen Wirkprinzipien, mit denen das erzielt wird, sind jedoch andere; und einige Patienten begrüßen es sehr, dass sie ihre Medikamente nicht spritzen müssen.

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Leiden Patienten trotzdem an einer hohen Schubrate, kann auch ein Antikörperpräparat oder ein Chemotherapeutikum (zur Schub- oder Dauerbehandlung) eingesetzt werden, was jedoch mit höheren Risiken für die Patienten durch belastende, in Einzelfällen auch schweren Nebenwirkungen verbunden sein kann. Drei Antikörperpräparate (Natalizumab, Ocrelizumab und Ofatumumab) werden in Dauertherapie eingesetzt, für ein weiteres (Alemtuzumab) genügen zwei kurze Behandlungsphasen für eine langanhaltende Wirkung.

Medikamente für primär-progrediente MS

Für Patienten mit primär-progredienter MS (PPMS) gab es lange Zeit trotz intensiver Forschung kein zugelassenes Basis-Medikament. Im Jahr 2018 kam erstmals ein solches Medikament heraus; das Präparat enthält den Antikörper Ocrelizumab und kann die Krankheitsaktivität dämpfen. Besonders bei jüngeren Betroffenen mit kürzerer Erkrankungsdauer und nachweisbarer Krankheitsaktivität kann das Fortschreiten der Erkrankung durch die Behandlung mit Ocrelizumab gebremst werden. Für die Behandlung von und sind derzeit nur wenige der oben genannten Medikamente formal zugelassen. Sie wirken wahrscheinlich auch lediglich in frühen Phasen der Krankheit mit Zeichen der entzündlichen Aktivität.

Wirkmechanismen

Zu den Aufgaben des Immunsystems zählt, eindringende Krankheitskeime wie Viren oder Bakterien abzuwehren. Dazu muss es fähig sein, zwischen „fremd“ und „körpereigen“ zu unterscheiden. Bei der MS gelingt ihm dies jedoch im Falle der Nervenscheiden nicht: Das Immunsystem hält sie für fremd und startet einen Großeinsatz der Immunzellen, der allerdings nicht im gesamten ZNS gleichzeitig erfolgt, sondern sich auf einzelne Regionen konzentriert und dort zu einer Entzündung führt.

Beteiligt am Immunangriff sind unterschiedliche weiße Blutkörperchen: sogenannte Fresszellen (Makrophagen, sie können andere Zellen in direktem Kontakt vernichten), T-Lymphozyten und B-Lymphozyten. Letztere schädigen das ZNS nicht direkt, sondern produzieren Antikörper, die sich auf die Nervenzell-Hüllen setzen und diese damit für weitere Immunzellen „zum Abschuss freigeben“.

Die Medikamente in der MS-Therapie greifen an verschiedenen Stellen in den Entzündungsprozess ein. Einige Präparate verhindern die Vermehrung bestimmter Immunzellen. Ein anderes hindert T- und B-Lymphozyten daran, die Lymphknoten zu verlassen und ins ZNS einzudringen. Ein weiteres stört die Kommunikation zwischen Immunzellen, so dass diese ihren Angriff nicht koordinieren können.

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MS-Forschung und neue Medikamente

Dennoch ist vieles bis heute nicht zufriedenstellend: Im Jahr 2024 kann keines der Basistherapeutika alle Schübe verhindern. Und für die Behandlung bestimmter Formen der Krankheit sind sind erst wenige Medikamente wie Mayzent oder Ocrevus zugelassen. Deshalb versuchen Pharmaforscher weiterhin, für die Patienten Medikamente zu entwickeln, die noch wirksamer und noch besser verträglich sind. Und sie arbeiten an weiteren Medikamenten gegen die stetig fortschreitende (die sogenannte "primär-progrediente" oder "sekundär-progrediente“) MS.

Ein wichtiger Schwerpunkt der klinischen Forschung liegt 2024 wie auch in den vergangenen Jahren auf der Weiterentwicklung von immunmodulatorischen Substanzen, die das Voranschreiten der Behinderung effektiver unterbinden sollen. Durch Immunmodulatoren kann die Immunantwort im Körper beeinflusst und neu ausgerichtet werden. Sie können beispielsweise Botenstoffe sein, die therapeutisch eingesetzt werden, um die Kommunikation zwischen den Immunzellen zu beeinflussen. Ein weiterer Fokus liegt auf der Erforschung der Zelle, insbesondere der Rolle von T-Zellen und B-Zellen, um die Mechanismen der Autoimmunreaktion besser zu verstehen. Andere Studien zielen darauf ab, den Anwendungskomfort durch längere Anwendungsintervalle oder eine orale Verabreichung zu erhöhen.

Beispiele für Medikamente in Erprobung oder Zulassungsverfahren:

  • Siponimod (BAF-312): Zum Schlucken; verhindert Freisetzung von T- und B-Lymphozyten aus den Lymphknoten. Mayzent ist in der EU seit 01/2020 gegen sekundär progrediente MS zugelassen.
  • Ozanimod: Zum Schlucken; verhindert als S1P1- und S1P5-Rezeptorantagonist die Freisetzung von T- und B-Lymphozyten aus den Lymphknoten. OCREVUS ist in der EU seit 05/2020 gegen schubförmige MS zugelassen.
  • Ponesimod: Zum Schlucken; verhindert Freisetzung von T- und B-Lymphozyten aus den Lymphknoten; in klinischer Erprobung, Phase III.
  • Immunoglobulin Octagamk: Zwei große klinische Studien zu schubförmiger und chronisch fortschreitender MS veröffentlicht / Hoffnung auf Wirkung unabhängig von akuten Entzündungen.
  • Tolebrutinib: Der Wirkstoff weckt große Hoffnungen für die Therapie der Multiplen Sklerose (MS): Am 8. April 2025 wurden im New England Journal of Medicine die Ergebnisse zweier groß angelegter, internationaler Phase-III-Studien veröffentlicht. Eine Publikation unter Letztautorschaft des Universitätsklinikums Freiburg befasst sich mit den Effekten bei schubförmiger MS (Gemini 1 und 2). Eine weitere (HERCULES) befasst sich mit MS, die nach anfänglichen Schüben eine langsame Verschlechterung mit sich bringt, was als nicht-relapsierende sekundär progrediente MS bezeichnet wird. Beide Studien finden positive Effekte bzw. Tendenzen für den Verlauf der MS. Damit rückt ein Medikament in greifbare Nähe, das nicht nur Schübe reduziert, sondern möglicherweise auch das Fortschreiten der Behinderung verlangsamt - und das unabhängig von sichtbarer Entzündung.

CAR-T-Zelltherapie

Ein weiterer vielversprechender Therapieansatz ist die CAR-T-Zelltherapie, die ursprünglich in der Onkologie eingesetzt wurde. Dabei werden T-Zellen aus dem Blut der Patienten entnommen und im Labor genetisch verändert, um B-Zellen zu erkennen und auszuschalten, die bei Autoimmunerkrankungen wie MS Antikörper gegen den eigenen Körper bilden. Erste Forschungsergebnisse zeigen Erfolge dieser Therapie auch bei MS.

Personalisierte Therapie

Dank Fortschritten in der Forschung ist es zunehmend möglich, die MS-Behandlung zu personalisieren. Ein Beispiel dafür ist die Identifizierung des genetischen Biomarkers HLA-A*03:01, der vorhersagt, ob MS-Patientinnen und -Patienten besonders gut auf eine Behandlung mit Glatirameracetat (GA) ansprechen. Menschen mit diesem Gewebetyp profitieren demnach signifikant stärker von GA als von Interferon-beta (IFN).

Nichtmedikamentöse Behandlungen

Trotz aller neuer immunmodulierender Medikamente hat die Behandlung von Symptomen bei Multiple Sklerose nach wie vor eine zentrale Bedeutung. Entscheidend ist dabei, zusammen mit den Betroffenen zu erarbeiten, welche Symptome individuell besonders störend für die Lebensqualität sind, um daran die Behandlung auszurichten. Medikamente sind hierbei nur ein Teil des Behandlungskonzepts bei Multiple Sklerose. Als Beispiele seien Fampridin bei Gangstörung, Cannabis-Mundspray bei Spastik und Schmerz, Amantadin bei Fatigue, Antiepileptika bei neuropathischen Schmerzen oder Antidepressiva bei Depression genannt.

Nichtmedikamentöse Behandlungsansätze umfassen aktivierende bzw. rehabilitative Therapien bei Multipler Sklerose. Ein Teil von ihnen hat in Studien einen klaren Wirknachweis bei MS erbracht. Möglicherweise verbessern sie nicht nur Symptome, sondern können auch den Verlauf der Krankheit günstig beeinflussen. Wichtige Therapiebereiche sind Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie sowie Neuropsychologie / Psychotherapie. Allerdings sind auch multimodale, achtsamkeitsbasierte Therapieansätze, z. B. Tai-Chi, therapeutisches Klettern oder tiergestützte Therapie, individuell ausgewählt vorteilhaft.

Regelmäßige körperliche Aktivität, eine gesunde Ernährung und der Verzicht auf Rauchen sind weitere wichtige Faktoren, die den Verlauf der MS günstig beeinflussen können.

Leben mit Multipler Sklerose

Die allermeisten Menschen mit Multipler Sklerose (MS) können ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben führen und lange Zeit mobil bleiben. Multiple Sklerose steht grundsätzlich weder einer Ausbildung noch der Berufsausübung, Freundschaften, Sport, sozialen Kontakten oder der Gründung einer Familie im Wege.

Während der Schwangerschaft nimmt die Wahrscheinlichkeit für einen Schub ab. In den ersten drei Monaten nach der Geburt nimmt sie zu. Stillen scheint vor Schüben zu schützen. MS-Medikamente können sich auf das ungeborene Kind auswirken, weswegen besondere Vorsicht geboten ist. Nicht jedes Medikament darf in der Schwangerschaft gegeben werden. Eine Schwangerschaft sollte daher möglichst in einer stabilen Phase der Erkrankung geplant und Medikamente eher abgesetzt werden - zumal sie, wie oben beschrieben, einen gewissen Schutz vor Schüben bietet. Die Therapie eines schweren Schubes mit Kortison ist in der Schwangerschaft ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel möglich.

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