Beifuß, wissenschaftlich bekannt als Artemisia vulgaris L., ist eine vielseitige Pflanze mit einer langen Geschichte in der traditionellen Medizin und im Aberglauben. Obwohl seine Bedeutung in der modernen Phytotherapie abgenommen hat, verdient seine historische Verwendung, insbesondere im Zusammenhang mit Epilepsie, eine nähere Betrachtung.
Botanische Merkmale und Verbreitung
Der Gewöhnliche Beifuß gehört zur Familie der Korbblütler (Asteraceae) und ist in den gemäßigten Klimazonen Europas, Asiens und Nordamerikas heimisch. Er bevorzugt sonnige, trockene Standorte und wächst häufig auf Brachflächen, Schutthalden, an Hecken, Böschungen und Bahndämmen. Als mehrjährige, tief wurzelnde Staude kann Beifuß eine Höhe von über einem Meter erreichen. Sein aufrechter, kantiger Stängel ist leicht behaart und oft rötlich überlaufen. Die fiederteiligen Laubblätter sind auf der Oberseite dunkelgrün und kahl, während die Unterseite weißfilzig behaart ist. Die Blütezeit erstreckt sich von Juli bis September, wobei die unscheinbaren, gelblich bis rötlichbraunen Blüten in einer endständigen Rispe zusammenstehen.
Historische Bedeutung und Verwendung
Beifuß war in der Antike und im Mittelalter eine hochgeschätzte Pflanze mit vielfältigen Anwendungen. Bereits Plinius der Ältere empfahl, das Kraut um den Fuß zu binden, um Müdigkeit beim Laufen zu vertreiben. Der botanische Gattungsname "Artemisia" wird auf die griechische Göttin Artemis zurückgeführt, die als Schutzherrin der wilden Tiere, Göttin der Jagd, Schutzgöttin der Gebärenden und zuständig für Heilung und Fruchtbarkeit galt.
Dioskurides beschrieb im 1. Jahrhundert n. Chr. die Wirkung und Anwendung von Beifuß und empfahl ihn als Sitzbad zur Förderung der Menstruation, vaginalen Sekretion und der Nachgeburt. Über Jahrhunderte wurde Beifuß als "Mutter aller Kräuter" besonders bei Frauenleiden eingesetzt. Er fand volkstümlich Anwendung bei Menstruationsbeschwerden zur Entspannung und Entkrampfung, aber auch zur Anregung der Wehentätigkeit während der Geburt. Schwangere sollten Beifuß jedoch nicht anwenden.
Neben seinem Einsatz bei Magen- und Darmbeschwerden zur Anregung der Verdauung wurde Beifuß auch als Heilpflanze bei Neurosen und Schlaflosigkeit geschätzt. Seine Wurzel sollte sogar gegen Epilepsie helfen, wie Christoph Wilhelm Hufeland im Jahr 1824 beschrieb. Im Mittelalter galt Beifuß als wirksames Kraut gegen Hexerei und war Bestandteil vieler magischer Rezepturen. Die Germanen flochten zu Johanni (24. Juni) einen Johannis- oder Sonnenwendgürtel aus Beifuß, der um den Körper getragen wurde, um vor bösen Dämonen und Zauberei zu schützen.
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Beifuß bei Epilepsie: Historische Anwendung und moderne Bewertung
Die Verwendung von Beifuß zur Behandlung von Epilepsie hat eine lange Tradition. Im 18. Jahrhundert wurde die Beifußwurzel als probates Mittel erachtet, um epileptische Anfälle zu verhindern oder abzumildern. So hieß es etwa in der "Onomatologia medica completa" von 1755, einem volkssprachlichen medizinischen Lexikon, dass die alten, abgestorbenen schwarzen Wurzeln ein zuverlässiges Mittel gegen die fallende Krankheit seien und im Sommer um Johannistag gesammelt werden sollten. Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde die Beifußwurzel verwendet, um Epilepsie zu "heilen".
Allerdings wurde die Wirksamkeit von Beifuß bei Epilepsie in den 1980er-Jahren vom Bundesgesundheitsamt überprüft. Das Ergebnis war negativ: Da die Wirksamkeit bei den beanspruchten Anwendungsgebieten nicht belegt ist, kann eine therapeutische Verwendung nicht befürwortet werden.
Inhaltsstoffe und Wirkungsweise
Die arzneilich wirksamen Bestandteile des Beifußes sind im Kraut enthalten. Die Droge enthält bis zu 0,3 Prozent ätherisches Öl, das sehr komplex und variabel zusammengesetzt ist. Die Hauptkomponenten sind Campher, Cineol und Thujon. Außerdem enthält das Kraut Flavonoide, Hydroxycumarine, Polyine und Triterpene.
Dem Beifuß werden verdauungsfördernde, appetitanregende, antimykotische, antibakterielle und durchblutungsfördernde Eigenschaften zugeschrieben. Diese Wirkungen werden auf die enthaltenen Inhaltsstoffe zurückgeführt, insbesondere auf die Sesquiterpenlactone Vulgarin und Pilostachyin, die für den bitteren Geschmack verantwortlich sind.
Aktuelle Verwendung in der Phytotherapie und als Gewürz
In der modernen Phytotherapie hat Beifuß kaum noch Bedeutung. Seine Anwendung beschränkt sich auf den Einsatz als Magenbitter zur Behandlung von Verdauungsstörungen und Appetitmangel. Die Droge regt wie andere Bitterstoffdrogen die Magensaftsekretion an. Ihre Wirkung ist vergleichbar mit Wermutkraut, jedoch etwas schwächer. Beifußkraut kann als appetitanregendes Mittel bei anazider und subazider Gastritis oder bei dyspeptischen Beschwerden gegeben werden.
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Zur Teebereitung wird ein Teelöffel Droge (0,5 bis 2 Gramm) mit kochendem Wasser (150 ml) aufgegossen und nach fünf Minuten abgeseiht. Um ihren Appetit anzuregen können Betroffene täglich zwei bis drei Tassen Tee vor den Mahlzeiten trinken. Nebenwirkungen sind in therapeutischen Dosen nicht bekannt, vereinzelt können Allergien auftreten. Wegen der nicht belegten Wirkung für diese Indikationen befürwortet die Kommission E die therapeutische Verwendung jedoch nicht. Daher ist Beifußkraut nur noch ein Bestandteil von Präparaten, die nach § 109a Arzneimittelgesetz als "Traditionelle Arzneimittel" im Handel sind.
Das aromatisch bis bittere Beifußkraut wird auch als Gewürz geschätzt. Für Gewürzzwecke dienen die Triebspitzen mit noch geschlossenen Blütenköpfchen. Sobald sie sich öffnen, werden die Blätter bitter und eignen sich nicht mehr zum Würzen. Da das Gewürz die Verdauung fördert, dient es besonders zum Würzen von fettem Fleisch wie Gänse-, Enten- oder Hammelbraten sowie von Fisch- und Hülsenfruchtgerichten oder Kohlspeisen. Zur Entfaltung des vollen Aromas sollte Beifuß bereits zu Beginn des Garens zugesetzt werden, am besten in Form der Triebspitzen, die dann vor dem Servieren wieder entfernt werden. Sehr gut eignen sich dazu auch frische Triebspitzen, die - in Plastiktüten verpackt - einige Tage im Kühlschrank aufbewahrt werden können.
Gegenanzeigen und Nebenwirkungen
Beifuß kann allergische Reaktionen hervorrufen, insbesondere bei Personen mit einer bekannten Allergie gegen Korbblütler. Schwangere sollten Beifuß meiden, da er wehenfördernde und möglicherweise abtreibende Eigenschaften besitzt. In hohen Dosen kann Beifuß zu Angstzuständen und Aufgeregtheit führen.
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