Bell-Lähmung: Ursachen, Symptome, Diagnose und Behandlung

Die Bell-Lähmung, auch Fazialisparese genannt, ist eine Lähmung des Gesichtsnervs (Nervus facialis), die zu einer Schwäche oder Lähmung der Gesichtsmuskulatur führt. Der Gesichtsnerv ist für die Steuerung der mimischen Muskulatur, die Geschmackswahrnehmung, die Tränen- und Speichelsekretion sowie die Geräuschempfindlichkeit verantwortlich. Eine Schädigung dieses Nervs kann daher vielfältige Auswirkungen haben und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen.

Formen der Fazialisparese

Es gibt zwei Haupttypen der Fazialisparese:

  • Periphere Fazialisparese: Hierbei ist der Nerv außerhalb des Gehirns geschädigt. Typisch ist eine komplette Lähmung einer Gesichtshälfte, die Stirn, Auge und Mund betrifft. Die periphere Fazialisparese ist die häufigste Form der Gesichtslähmung.
  • Zentrale Fazialisparese: Bei dieser Form ist die Schädigung im Gehirn lokalisiert, beispielsweise durch einen Schlaganfall. Typischerweise ist hier nur der untere Teil des Gesichts (Mund) betroffen, während die Stirn meist beweglich bleibt.

Ursachen der Bell-Lähmung

Die Ursachen für eine Fazialisparese sind vielfältig. Man unterscheidet zwischen idiopathischen und symptomatischen Ursachen:

  • Idiopathische Fazialisparese (Bell-Lähmung): In etwa 80 % der Fälle ist die Ursache unklar. Man spricht dann von einer idiopathischen Fazialisparese oder Bell-Lähmung. Es wird vermutet, dass eine autoimmune Entzündungsreaktion des Gesichtsnervs vorliegt, die durch Faktoren wie Zugluft, Stress, Schwangerschaft, Zyklusschwankungen sowie Bakterien- oder Virusinfektionen verursacht werden kann. Eine Herpes-simplex-Virusinfektion des Nervs wird ebenfalls diskutiert. Durch die Entzündung schwillt der Nerv im knöchernen Fazialiskanal an und wird eingeklemmt, was seine Funktion beeinträchtigt.
  • Symptomatische Fazialisparese: In etwa 20 % der Fälle kann eine spezifische Ursache für die Gesichtslähmung identifiziert werden. Zu den möglichen Ursachen gehören:
    • Infektionen: Virale Infektionen wie Herpes Zoster (Zoster oticus), Windpocken (Varizellen), Mumps, Grippe (Influenza) und Kinderlähmung (Poliomyelitis) sowie bakterielle Infektionen wie Borreliose (Lyme-Disease), Mittelohrentzündung (Otitis media), Scharlach, Entzündung der Ohrspeicheldrüse und Hirnhautentzündung (Meningitis) können eine Fazialisparese verursachen.
    • Trauma: Schädelbrüche, insbesondere des Felsenbeins, Gesichtsverletzungen im Bereich der Ohrspeicheldrüse oder Barotrauma im Mittelohr durch Fliegen oder Tauchen können den Gesichtsnerv schädigen. Auch ein Geburtstrauma durch Zangengeburt ist möglich.
    • Tumoren: Akustikusneurinome, Tumoren des Nervus facialis, Tumoren der Ohrspeicheldrüse, Neurofibromatose Recklinghausen und Metastasen anderer Tumoren können auf den Gesichtsnerv drücken und eine Lähmung verursachen.
    • Neurologische Erkrankungen: Multiple Sklerose, Schlaganfall und Kinderlähmung (Poliomyelitis) können ebenfalls zu einer Fazialisparese führen.
    • Autoimmunerkrankungen: Sarkoidose (Morbus Boeck) und Guillain-Barré-Syndrom können Entzündungen der Nerven verursachen und eine Gesichtslähmung auslösen.
    • Erbkrankheiten: Das Melkersson-Rosenthal-Syndrom und das Möbius-Syndrom sind seltene genetische Erkrankungen, die mit einer Gesichtslähmung einhergehen können.

Symptome der Bell-Lähmung

Die Symptome einer Fazialisparese können je nach Ausmaß und Lokalisation der Nervenschädigung variieren. Typische Symptome sind:

  • Einseitige schlaffe Lähmung der mimischen Muskulatur: Dies führt zu einer Gesichtsasymmetrie mit hängendem Mundwinkel, verstrichenen Stirn- und Nasolabialfalten.
  • Unvollständiger Lidschluss (Lagophthalmus): Das Auge kann nicht mehr vollständig geschlossen werden, was zu einer erweiterten Lidspalte und dem Risiko von Hornhautschäden führt. Aufgrund des unvollständigen Lidschlusses wird die physiologische Aufwärtsbewegung des Augapfels sichtbar (positives Bell-Phänomen).
  • Beeinträchtigte Artikulation: Durch die Schwäche der Wangen- und Lippenmuskulatur ist das Sprechen erschwert.
  • Geschmacksstörungen: Die Geschmackswahrnehmung der vorderen 2/3 der Zunge kann beeinträchtigt sein.
  • Abnahme der Speichelsekretion: Es kann zu Mundtrockenheit kommen.
  • Geräuschüberempfindlichkeit (Hyperakusis): Geräusche werden auf der betroffenen Seite als lauter und unangenehmer empfunden.
  • Abnahme der Tränensekretion: Das Auge kann trocken und gereizt sein.
  • Schmerzen im Bereich des Ohrs: Vor Beginn der Lähmung können Schmerzen hinter dem Ohr auftreten.
  • Sensibilitätsstörungen: Taubheitsgefühl in der Wange kann auftreten.

Diagnose der Bell-Lähmung

Die Diagnose einer Fazialisparese basiert in erster Linie auf der klinischen Untersuchung. Der Arzt wird die Gesichtsmuskulatur prüfen und den Patienten auffordern, verschiedene Gesichtsbewegungen auszuführen, um die Funktion des Gesichtsnervs zu beurteilen.

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Um die Ursache der Fazialisparese zu ermitteln, können weitere Untersuchungen erforderlich sein:

  • Anamnese: Der Arzt wird nach Vorerkrankungen, Medikamenteneinnahme und möglichen Auslösern fragen.
  • Otoskopie: Eine Untersuchung des Ohrs kann Hinweise auf eine Mittelohrentzündung oder einen Zoster oticus liefern.
  • Neurologische Untersuchung: Um andere neurologische Ursachen auszuschließen, wird eine umfassende neurologische Untersuchung durchgeführt.
  • Blutuntersuchungen: Eine Blutuntersuchung kann Hinweise auf eine Borreliose, eine diabetische Grunderkrankung oder andere systemische Erkrankungen liefern.
  • Liquoruntersuchung: Bei Verdacht auf eine Borrelieninfektion oder andere neurologische Erkrankungen kann eine Lumbalpunktion zur Entnahme von Nervenwasser (Liquor) erforderlich sein.
  • Bildgebende Verfahren: In einigen Fällen können bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomographie (MRT) oder die Computertomographie (CT) eingesetzt werden, um Tumoren, Entzündungen oder andere strukturelle Veränderungen im Bereich des Gesichtsnervs auszuschließen. Ein MRT mit Kontrastmittel kann bei der Bell-Parese eine Anreicherung im siebten Hirnnerv zeigen. Die CT ist bei Verdacht auf eine Fraktur (Längs- und Querfrakturen des Felsenbeins) oder Insult ratsam. Ein Röntgen-Thorax und die Bestimmung des Serum-ACE sind zur Untersuchung auf eine Sarkoidose sinnvoll.
  • Elektrophysiologische Untersuchungen: Nervenerregbarkeitstests, Untersuchungen der Nervenleitgeschwindigkeit und Elektromyographien können helfen, die Lokalisation und das Ausmaß der Nervenschädigung zu bestimmen und evtl. noch vorhandene Restfunktionen des N. facialis zu ermitteln.

Therapie der Bell-Lähmung

Die Therapie der Fazialisparese richtet sich nach der Ursache und dem Schweregrad der Erkrankung.

  • Idiopathische Fazialisparese (Bell-Lähmung):
    • Kortikosteroide: Eine frühzeitige Behandlung mit Kortikosteroiden (z.B. Prednisolon) innerhalb von 72 Stunden nach Symptombeginn kann die Heilungschancen verbessern, da sie entzündungshemmend wirken und die Schwellung des Nervs reduzieren.
    • Antivirale Therapie: In schweren Fällen oder bei Verdacht auf eine Herpes-simplex-Virusinfektion kann zusätzlich eine antivirale Therapie (z.B. Acyclovir oder Valacyclovir) erwogen werden.
    • Physiotherapie: Physiotherapie mit Gesichtsmuskeltraining, Lymphdrainage und Elektrotherapie kann die Regeneration der Gesichtsmuskulatur unterstützen und Synkinesien (unerwünschte Mitbewegungen) reduzieren.
    • Augenschutz: Bei unvollständigem Lidschluss ist ein konsequenter Augenschutz wichtig, um Austrocknung und Hornhautschäden zu vermeiden. Dies kann durch Augentropfen, Augensalben und einen Uhrglasverband erreicht werden.
  • Symptomatische Fazialisparese: Die Behandlung der symptomatischen Fazialisparese richtet sich nach der Grunderkrankung.
    • Infektionen: Bakterielle Infektionen werden mit Antibiotika behandelt, virale Infektionen mit Virostatika.
    • Tumoren: Tumoren müssen in der Regel operativ entfernt oder bestrahlt werden.
    • Autoimmunerkrankungen: Autoimmunerkrankungen werden mit Immunsuppressiva behandelt.
    • Trauma: Bei Verletzungen des Gesichtsnervs kann eine operative Nervenrekonstruktion erforderlich sein.

Operative Therapie

In einigen Fällen ist eine operative Therapie erforderlich, um die Funktion des Gesichtsnervs wiederherzustellen oder die Folgen der Lähmung zu korrigieren. Hierzu gehören:

  • Nervenrekonstruktion: Bei Durchtrennung des Nervs nach einem Trauma kann eine primäre Nervennaht oder eine sekundäre Nervennaht mit Nerveninterponaten (z.B. N. suralis vom Unterschenkel) durchgeführt werden, um den Nerv zu rekonstruieren.
  • Hypoglossus-Fazialis-Anastomose: Hierbei werden Teile des N. hypoglossus (Zungennerv) mit peripheren Enden des N. facialis verbunden, um eine Reinnervation der gelähmten Muskulatur zu erzielen.
  • Cross-Face Nerve Graft (CFNG): Bei Fehlen eines geeigneten zentralen N. facialis-Stumpfes kann unter Verwendung eines Nerventransplantates (z.B. N. suralis) von der gesunden Seite die Innervation der Muskulatur der gelähmten Seite erreicht werden.
  • Neuromuskuläre Transposition: Hierunter wird die Einbringung eines innervierten Fremdmuskels in die gelähmte mimische Muskulatur verstanden. Für die Gesichtsmuskulatur eignet sich hier insbesondere der M. temporalis oder der M. masseter.
  • Freie neurovaskuläre funktionelle Muskeltransplantation: Hierunter versteht man die Verwendung eines Muskel-Nerv-Gefäß-Transplantates, z.B. aus einem Oberschenkelmuskel (M. gracilis) als Ersatz für die gelähmte Gesichtsmuskulatur.
  • Statische Ersatzoperationen: Diese Operationen dienen dazu, die Folgen der Lähmung zu korrigieren, z.B. durch Anheben der Augenbraue (Stirnlift), Korrektur des Unterlids oder Verbesserung der Nasenatmung. Die Behandlung der herabhängenden Stirn und Augenbraue (Ptosis der Augenbraue) kann durch ein endoskopisches Stirnlift erfolgen. In manchen Fällen ist auch ein Stirnlift mit Hautschnitt notwendig.

Verlauf und Prognose

Die Prognose der Fazialisparese hängt von der Ursache und dem Ausmaß der Nervenschädigung ab. Bei der idiopathischen Fazialisparese (Bell-Lähmung) erholen sich etwa 80-90 % der Patienten innerhalb von Wochen bis Monaten vollständig oder weitgehend. Bei anderen Ursachen ist die Prognose von der Grunderkrankung abhängig.

Eine frühzeitige Diagnose und Therapie können die Heilungschancen verbessern und das Risiko von Komplikationen wie Synkinesien oder bleibenden Lähmungen reduzieren. Auch nach einer erfolgreichen Behandlung kann es zu Synkinesien kommen, wenn die Nervenfasern in die falsche Richtung wachsen. In diesem Fall können die unteren Gesichtsmuskeln durch periokuläre Fasern innerviert werden und umgekehrt, was zu unerwünschten Mitbewegungen führt.

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Leben mit Fazialisparese

Auch nach einer erfolgreichen Behandlung kann es notwendig sein, sich an die veränderten Lebensumstände anzupassen und Strategien zu entwickeln, um mit den Einschränkungen der Fazialisparese umzugehen. Hierzu gehören:

  • Schutz des Auges: Bei unvollständigem Lidschluss ist ein konsequenter Augenschutz wichtig, um Austrocknung und Hornhautschäden zu vermeiden.
  • Physiotherapie: Regelmäßige physiotherapeutische Übungen können helfen, die Gesichtsmuskulatur zu stärken und Synkinesien zu reduzieren.
  • Logopädie: Logopädische Übungen können die Artikulation verbessern und Schluckbeschwerden reduzieren.
  • Psychologische Unterstützung: Eine psychologische Beratung kann helfen, mit den psychischen Belastungen der Fazialisparese umzugehen.

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