Betreutes Wohnen und Epilepsie: Erfahrungen und Perspektiven

Die Suche nach einem geeigneten Wohnumfeld für Menschen mit Epilepsie, insbesondere in Kombination mit anderen neurologischen Erkrankungen oder Behinderungen, stellt Betroffene und ihre Familien oft vor große Herausforderungen. Der Begriff "betreutes Wohnen" ist dabei nicht gesetzlich geschützt und kann sehr unterschiedliche Formen annehmen, was die Suche zusätzlich erschwert. Dieser Artikel beleuchtet die Erfahrungen von Betroffenen und Angehörigen, zeigt bestehende Angebote auf und diskutiert die Notwendigkeit spezifischer Wohnformen für junge Menschen mit Handicap und Epilepsie.

Die Herausforderungen bei der Suche nach geeignetem Wohnraum

Viele Betroffene und ihre Familien berichten von Schwierigkeiten bei der Suche nach einem geeigneten Ort, der den individuellen Bedürfnissen gerecht wird. Oftmals sind klassische Altenheime für jüngere Menschen ungeeignet, während andere Einrichtungen nicht auf "schwere Fälle" ausgerichtet sind oder es an geeignetem Personal für die Intensivpflege fehlt. Die Epilepsie und eventuelle Probleme mit der Nahrungsaufnahme können dabei Ausschlusskriterien darstellen.

Helmut Schreitz berichtet von der jahrelangen Suche nach einem geeigneten Ort für seine Tochter Julia, die aufgrund von Komplikationen bei der Geburt und einer frühkindlichen Hirnschädigung an schwerer Epilepsie und Essstörungen leidet. Die Familie suchte nach einem Ort, an dem Julia nicht nur verwahrt, sondern auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützt und gefördert wird. Nach mehreren Fehlversuchen fand die Familie schließlich im Vitos Pflegezentrum in Weilmünster einen Ort, an dem Julia gut aufgehoben ist und ein weitgehend normales Leben führen kann.

Was bedeutet "Betreutes Wohnen" wirklich?

Der Begriff "betreutes Wohnen" ist, wie bereits erwähnt, nicht gesetzlich geschützt. Dies führt dazu, dass unter diesem Begriff sehr unterschiedliche Angebote zusammengefasst werden, von denen nicht alle den Bedürfnissen von Menschen mit Epilepsie gerecht werden. Oftmals handelt es sich lediglich um einen "Werbeslogan", um ein altes und liquides Klientel zu melken.

Einige Kritikpunkte am bestehenden System sind:

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  • Fehlende Betreuung: Oftmals wird Betreuung nur gegen Bezahlung angeboten, was den finanziellen Rahmen vieler Betroffener sprengt.
  • Mangelnde Spezialisierung: Viele Einrichtungen sind nicht auf die spezifischen Bedürfnisse von Menschen mit Epilepsie ausgerichtet, insbesondere wenn diese mit anderen Behinderungen oder neurologischen Erkrankungen einhergeht.
  • Hoher Altersdurchschnitt: In vielen Einrichtungen für betreutes Wohnen ist der Altersdurchschnitt sehr hoch, was zu Problemen bei der Integration jüngerer Menschen führen kann.

Beispiele für positive Erfahrungen und innovative Wohnformen

Trotz der genannten Herausforderungen gibt es auch positive Beispiele und innovative Wohnformen, die zeigen, dass ein selbstbestimmtes Leben mit Epilepsie möglich ist.

  • Vitos Pflegezentrum Weilmünster: Das Pflegezentrum bietet vollstationäre Pflege für Menschen mit schweren neurologischen Erkrankungen und beatmete Bewohner. Hier finden Menschen mit Erkrankungen wie Schädelhirntrauma, MS, Parkinson oder Wachkoma-Patienten ein Zuhause. Julia Schreitz kann hier trotz ihres Alters ein weitgehend normales Leben führen und wird von Mitbewohnern und Personal liebevoll betreut.
  • Malteser Haus in Erlangen ("Junges Wohnen - mit Handicap"): Dieses Haus bietet jungen Menschen mit Handicap eine aktive Teilhabe am Leben. Die Bewohner leben in eigenen Zimmern und erfahren eine fachbezogene Betreuung, die auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist. Sie gestalten ihren Tagesablauf gemeinsam mit ihren Betreuern und können so ein fast normales Leben führen.
  • Wohngemeinschaft Segenstraße (München): Diese Wohngemeinschaft bietet Platz für acht Personen mit Epilepsie und wird von einem interdisziplinären Team betreut. Die Bewohner profitieren von Einzelgesprächen und Gruppenaktivitäten und können ihre Freizeit auf der Terrasse und im großzügigen Garten verbringen.
  • Integrative Wohngemeinschaft Kegelhof (München): Diese WG richtet sich an junge Menschen (18-30 Jahre) und Student*innen, die mit Gleichaltrigen in einer WG das selbstständige Leben erlernen möchten.
  • Ambulant betreutes Wohnen: Diese Wohnform ermöglicht es Menschen mit Epilepsie, in ihrer eigenen Wohnung zu leben und bei Bedarf Unterstützung im Alltag zu erhalten. Dies kann beispielsweise die Begleitung zu Arztbesuchen oder die Hilfe beim Ausfüllen von Formularen umfassen.

Selbstständiges Wohnen mit Epilepsie: Möglichkeiten und Hilfen

Auch wenn betreutes Wohnen eine Option sein kann, ist für viele Menschen mit Epilepsie ein möglichst selbstständiges Leben von großer Bedeutung. Hierfür gibt es verschiedene Hilfen und Unterstützungsmöglichkeiten:

  • Notrufsender: Alleinlebende Personen können mit einem Notrufsender auf Knopfdruck Hilfe rufen. Der Notruf geht in der Regel zunächst an Familienmitglieder, Freunde oder Nachbarn und in einem zweiten Schritt an eine Hilfsperson des Hausnotrufanbieters.
  • Assistenzhunde: Speziell ausgebildete Assistenzhunde können Krampfanfälle spüren, bevor sie stattfinden. Dies ermöglicht es Betroffenen, ihr Leben eigenständig weiterzuleben und Verletzungen oder gar lebensbedrohliche Situationen zu vermeiden.
  • Persönliche Assistenz: Die Anstellung persönlicher Assistent*innen kann eine weitere Möglichkeit sein, um selbstständig Zuhause zu wohnen.
  • Epilepsie-Apps: Es gibt Apps, mit denen man im Notfall den Notarzt kontaktieren kann.
  • Sturzhelme: Sturzhelme können helfen, Verletzungen bei Stürzen während eines Anfalls zu vermeiden.

Argumente für einen (zeitigen) Wohnheimaufenthalt von behinderten Kindern

Margret Meyer-Brauns, Elternberatung der Lebenshilfe München und betroffene Mutter, nennt Argumente für einen (zeitigen) Wohnheimaufenthalt von behinderten Kindern:

  • Begleitung und Eingewöhnung: Bei einem früheren Eintritt des Kindes in ein Wohnheim können die Eltern ihre Kinder noch lange auf ihrem Weg begleiten, ihnen zur Seite stehen in der Eingewöhnungszeit und sie herausholen, wenn sie dort nicht zurechtkommen.
  • Entlastung der Eltern: Die Eltern können miterleben, wie es ihren Kindern im Wohnheim ergeht und den "Herbst des Lebens" für sich selbst beanspruchen.
  • Entwicklungschancen: Um sich entwickeln zu können, brauchen Kinder und Jugendliche andere Welten - das Elternhaus muss das zulassen. Sie brauchen ihre eigenen Freunde und den Umgang mit Gleichaltrigen.
  • Kurzzeitpflege: Ein Kurzzeitpflege-Aufenthalt in der Wunscheinrichtung kann eine Möglichkeit sein, das Wohnheim kennenzulernen und die Eltern zu entlasten.
  • Anspruch auf einen Wohnheimplatz: Eltern sollten sich nicht entmutigen lassen und den Anspruch ihres Kindes auf einen Wohnheimplatz notfalls einklagen.

Die Notwendigkeit politischer und gesellschaftlicher Veränderungen

Viele Betroffene und Angehörige fordern politische und gesellschaftliche Veränderungen, um die Situation von Menschen mit Epilepsie und anderen Behinderungen zu verbessern.

  • Gesetzlicher Schutz des Begriffs "Betreutes Wohnen": Um Missbrauch und irreführende Werbung zu verhindern, sollte der Begriff "Betreutes Wohnen" gesetzlich geschützt werden.
  • Förderung spezialisierter Wohnformen: Es werden dringend Häuser benötigt, wo junge Menschen mit Handicap am Leben aktiv noch teilhaben können und eine fachbezogene Betreuung erfahren.
  • Finanzielle Unterstützung: Der Staat sollte die Initiative ergreifen, um den Missstand der mangelnden Betreuung zu beheben und die Finanzierung spezialisierter Wohnformen zu unterstützen.
  • Abbau von Vorurteilen: Es ist wichtig, Vorurteile gegenüber Menschen mit Epilepsie und anderen Behinderungen abzubauen und ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

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