Im Laufe unseres Lebens sammeln wir unzählige Erinnerungen, die uns Freude bereiten und uns definieren. Doch mit zunehmendem Alter, insbesondere bei Demenzerkrankungen, können diese Erinnerungen verblassen und ein Gefühl der Unvollständigkeit hinterlassen. Biografiearbeit in der Altenpflege bietet einen wertvollen Ansatz, um Erinnerungen zu wecken, das Wohlbefinden zu steigern und eine individuelle Pflege zu ermöglichen.
Was ist Biografiearbeit?
Biografiearbeit in der Altenpflege befasst sich mit der Lebensgeschichte von Senioren. Je mehr man über eine Person weiß, desto besser kann man sie verstehen und die Pflege individuell anpassen. Es geht darum, Erinnerungen auf verschiedenen Wegen zu wecken, sei es durch Gespräche, Fotos, Musik, Gerüche oder Gegenstände.
Warum ist Biografiearbeit wichtig?
- Wertschätzung: Biografiearbeit vermittelt Senioren Wertschätzung und Interesse an ihrer Person und Lebensgeschichte.
- Individuelle Pflege: Sie ermöglicht es, besser auf die Bedürfnisse der Senioren einzugehen und Ressourcen zu aktivieren.
- Verständnis: Sie hilft, ungewöhnliches Verhalten bei Demenzerkrankungen zu verstehen, indem man die Lebensgeschichte der Person betrachtet.
- Wohlbefinden: Sie kann das Wohlbefinden steigern, die Lebensfreude erhöhen und herausforderndes Verhalten reduzieren.
- Identität: Sie stärkt die Identität und das Selbstwertgefühl der Senioren.
Was gehört zu einer Biografie?
Die Biografie eines Menschen ist mehr als nur ein Lebenslauf mit Daten und Fakten. Sie umfasst:
- Wichtige Daten: Geburtsdatum, Hochzeitstag, Einzug ins Pflegeheim.
- Charakter: Meinungen, Einstellungen, persönliche Sichtweisen, Glauben.
- Freizeit: Hobbys, Interessen, Haustiere, Ehrenämter, Vereinsmitgliedschaften.
- Soziales: Familie, Freunde, Kontakte zu anderen Menschen.
- Prägende Ereignisse: Flucht, Scheidung, Wendepunkte im Leben.
- Gewohnheiten und Abneigungen: Vorlieben und Abneigungen in Bezug auf Essen, Kleidung, Hygiene.
- Wertvorstellungen & Weltanschauung: Ansichten, Vorstellungen, Wünsche, Werte.
Woher bekomme ich Informationen für die Biografiearbeit?
- Gespräche mit Angehörigen: Angehörige können detaillierte Informationen über die Lebensgeschichte, Interessen und Gewohnheiten der Senioren geben.
- Erfassungsbogen beim Einzug: Viele Pflegeeinrichtungen verwenden Erfassungsbögen, um grundlegende Informationen zu sammeln.
- Gespräche mit den Senioren: Fragen Sie die Senioren direkt nach ihren Vorlieben und Erfahrungen.
- Beobachtungen im Alltag: Achten Sie auf die Aktivitäten, Interessen und Vorlieben der Senioren im täglichen Leben.
Wie lässt sich Biografiearbeit in die Betreuung integrieren?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Biografiearbeit in den Alltag zu integrieren:
- Fotos und Postkarten: Betrachten Sie gemeinsam Fotoalben und lassen Sie sich die Geschichten hinter den Fotos erzählen.
- Musik: Singen Sie gemeinsam altbekannte Lieder, Kinderlieder oder Kirchenlieder.
- Erinnerungsecken: Gestalten Sie Erinnerungsecken mit Gegenständen aus der Vergangenheit, die als Gesprächsanreize dienen können.
- Plaudertisch: Nutzen Sie einen Plaudertisch, um in geselliger Runde Erinnerungen auszutauschen und die körperliche und geistige Fitness zu fördern.
- Digitale Biografiearbeit: Nutzen Sie digitale Hilfsmittel wie den CareTable, um Fotos, Filme und Spiele zu zeigen, die Erinnerungen wecken.
Biografiefragen für Senioren - Beispiele
Um Gespräche anzuregen und Erinnerungen zu wecken, können Sie folgende Fragen stellen:
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Rund um Mode
- Was ist Ihr Lieblingskleidungsstück?
- Welche Lieblingskleidungsstücke sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
- Welche Farben tragen Sie gerne?
- Welche Muster tragen Sie gerne?
- Welche Materialien mögen Sie gerne?
- Welche Modererscheinungen haben Sie in Ihrem Leben bewusst selbst mitgemacht?
- Gibt es Ereignisse in Ihrem Leben, zu denen Sie ganz besondere Kleidungsstücke getragen haben?
- Was tragen Sie gerne zu festlichen Anlässen (z.B. runden Geburtstagen, Feiertage)?
- Haben Sie schon einmal selbst Kleidung genäht / gestrickt / gehäkelt?
- Hatten Sie als Kind Kleidung für besondere Anlässe (z. B. Sonntagskleidung)?
Rund ums Auto
- Was war Ihr erstes Auto?
- Welche Farbe hatte Ihr erstes Auto?
- Welche Autofahrten sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
- Sind Sie mit Ihrem Auto auch in den Urlaub gefahren?
- Welche Autos haben Sie im Laufe Ihres Lebens gefahren?
- Haben Sie eine Lieblingsautomarke?
- Hatten Sie mal eine Autopanne? Wie haben Sie sich geholfen?
- Sind Sie jemals in eine Verkehrskontrolle gekommen?
- Mussten Sie bei einer Zollkontrolle Ihr Auto leerräumen?
Rund ums Essen
- Kochen Sie gerne?
- Was kochen Sie am liebsten?
- Was ist das Lieblingsgericht von Ihnen?
- Was ist Ihr Lieblingsnachtisch?
- Was ist das Lieblingsgericht Ihrer Familie (z. B. Kinder, Enkel)?
- Gibt es bestimmte Gerüche, bei denen Ihnen sozusagen sofort das Wasser im Munde zusammenläuft?
- Gibt es Dinge, die Ihnen überhaupt nicht schmecken?
- Was sind die Festtagsessen Ihrer Familie, die es beispielsweise zu Weihnachten / Ostern gab?
- Haben Sie landestypische Einflüsse in Ihren Rezepten?
- Was ist Ihr ältestes Familienrezept?
- Haben Sie ein Geschmacksgeheimnis, das Sie mit uns teilen?
- Was stand auf einer typischen Kaffeetafel bei Ihnen? Welche Kuchen gab es?
- Was sind Ihre schönsten Erinnerungen zu gemeinsamen Mahlzeiten?
- Hatten Sie ein Lieblingsrestaurant?
Rund ums Wohnen
- Wo haben Sie Ihre Kindheit verbracht?
- Welche Erinnerung haben Sie an Ihr Elternhaus?
- Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre erste eigene Wohnung?
- Welche Art von Möbel gefallen Ihnen?
- Gibt es ein Möbelstück, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
- Haben Sie etwas gesammelt, das man in Ihrem Zuhause sehen konnte?
- Gibt es ein Heimwerkerprojekt, auf das Sie besonders stolz sind?
- Wie oft sind Sie umgezogen?
- Warum sind Sie umgezogen?
- Gibt es einen Geruch, den Sie besonders mit Ihrem Zuhause verbinden?
- Wie sah Ihr Lieblingszimmer aus?
- Wie würde Ihr Traumhaus aussehen?
- Wo würde Ihr Traumhaus stehen?
Erinnerungen mit alten Gegenständen wecken
Die Sinne mit Düften anregen. Fotos anschauen oder über längst vergangene Zeiten plaudern. All das gehört zur Biografiearbeit in der Altenpflege. In der Langzeitpflege ist diese Erinnerungsarbeit unverzichtbar, denn ohne die Kenntnis der jeweiligen Lebensgeschichten ist eine individuelle Versorgung nicht möglich.
Biografiearbeit am Plaudertisch
Jetzt den Plaudertisch erleben: So bleiben Senioren fit!Mit dem Plaudertisch lässt sich die Biografiearbeit ganz einfach umsetzen. Denn die Übungsgeräte sind so aufgebaut, dass sie an altbekannte Bewegungen erinnern (bspw. Kaffeemühle oder Rasenmäher). Durch die bekannten Bewegungsabläufe kommen die Senioren nicht nur leichter in Bewegung, sondern können sich auch miteinander austauschen. Denn je nach Modell finden bis zu sechs Personen am Plaudertisch Platz.
Grenzen der Biografiearbeit
- Traumatische Ereignisse: Vermeiden Sie es, traumatische Ereignisse zu thematisieren, da dies negative Emotionen auslösen kann.
- Keine Therapie: Biografiearbeit ersetzt keine Psychotherapie.
- Respekt: Respektieren Sie die Grenzen der Senioren und drängen Sie sie nicht, Dinge zu erzählen, die sie nicht teilen möchten.
Checkliste für die Biografiearbeit
- Nehmen Sie sich Zeit für die Erhebung der Biografie.
- Nutzen Sie Gespräche, Verhaltensweisen und Erlebnisse, um die Biografie besser zu verstehen.
- Befragen Sie Freunde und Angehörige und beziehen Sie diese in die Betreuung ein.
- Machen Sie Ihr Wissen allen Beteiligten zugänglich.
- Halten Sie die Biografie-Aufzeichnungen aktuell.
- Achten Sie darauf, dass alle Mitarbeiter die biografischen Daten kennen und berücksichtigen.
- Berücksichtigen Sie das Wissen bei der Pflegeplanung.
- Beachten Sie den Datenschutz.
Die Rolle des Teams
- Verantwortlicher: Legen Sie im Team einen Verantwortlichen für die Biografiearbeit fest.
- Zeitraum: Definieren Sie einen sinnvollen Zeitraum für die Biografiegespräche.
- Form: Beachten Sie die äußere Form und wählen Sie die angenehmste Methode für den Senioren.
- Fallgespräch: Führen Sie ein Fallgespräch im Team durch, um alle auf den gleichen Wissensstand zu bringen.
- Informationsweitergabe: Überlegen Sie, wie die gesammelten Daten im Alltag weiterverwendet werden können.
Biografiearbeit mit Menschen mit Demenz
Bei der Pflege von dementen Menschen liegen die „Zugangsschlüssel” zur „Seele” des Patienten oft in deren Biografie. Je besser die Pflegenden mit den genauen Lebensumständen von Personen vertraut sind, desto eher können sie dabei mithelfen, dass sich Betroffene länger daran erinnern, wer sie eigentlich sind. Außerdem hilft Biografiearbeit den Pflegenden dabei, Konfliktsituationen besser zu verstehen und zu entschärfen, weil sie ein tieferes Verständnis ermöglicht.
- Frühe Lebensphasen: Konzentrieren Sie sich auf frühe Lebensphasen wie Kindheit und Jugend, da diese oft tief im Langzeitgedächtnis verankert sind.
- Emotionale Ebene: Nutzen Sie die emotionale Ebene, um Erinnerungen zu wecken.
- Sinneserfahrungen: Bieten Sie Sinneserfahrungen wie Düfte, Berührungen oder Musik an, um Erinnerungen zu aktivieren.
- Vertraute Umgebung: Schaffen Sie eine vertraute Umgebung mit persönlichen Gegenständen und Ritualen.
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