Biotech-Unternehmen in der Alzheimer-Forschung: Ein Hoffnungsschimmer am Horizont?

Die Alzheimer-Krankheit, eine der häufigsten Formen der Demenz, betrifft weltweit Millionen von Menschen. Alle 3,2 Sekunden entwickelt irgendwo auf der Erde jemand eine Demenz. Weltweit sind schon heute rund 55 Millionen Menschen betroffen; ADI rechnet damit, dass sich die Zahl alle 20 Jahre verdoppelt. Trotz jahrzehntelanger Forschung und immenser Investitionen ist die Entwicklung einer bahnbrechenden Behandlung bisher ausgeblieben. Die Misserfolgsquote klinischer Studien in diesem Bereich ist mit 99,6 % erschreckend hoch. Dies unterstreicht die Komplexität der Erkrankung und die Notwendigkeit neuer Therapieansätze. Doch es gibt auch Hoffnung.

Herausforderungen und Rückschläge in der Alzheimer-Forschung

Die Alzheimer-Forschung ist ein hochgradig riskantes Unterfangen. Wer sich heute dazu entschließt, einen Wirkstoffkandidaten in klinische Studien zu überführen, investiert viele Hunderttausende von Euro. Trotz dieser hohen Risiken investieren forschende Pharmaunternehmen massiv. Die hohe Misserfolgsquote von 99,6 % in klinischen Studien zwischen 2002 und 2012 zeigt, dass die Ursachen der Alzheimer-Krankheit noch nicht hinreichend verstanden sind. Zum Vergleich: Auf anderen medizinischen Gebieten kann man erfahrungsgemäß davon ausgehen, dass zumindest eins von neun Medikamenten, mit dem mit der Erprobung mit Menschen begonnen wird, später auch eine Zulassung erhält.

Ein Grund für die vielen Fehlschläge könnte sein, dass in früheren StudienPatienten einbezogen wurden, die an anderen Demenzformen litten und nur Alzheimer-hafte Symptome aufwiesen. Das National Institute on Aging and Alzheimer's Association Research Framework empfiehlt deshalb, bei klinischen Studien nur noch mit Patient:innen zu arbeiten, die die für Alzheimer charakteristischen Gehirnveränderungen aufweisen.

Innovative Ansätze und vielversprechende Projekte

Trotz der Herausforderungen gibt es eine Reihe innovativer Projekte und vielversprechender Therapieansätze, die Hoffnung auf eine wirksame Behandlung der Alzheimer-Krankheit geben.

Das ADAPTED-Projekt

Das ADAPTED-Projekt, eine gemeinsame Initiative der Europäischen Union (EU) und forschender Pharmaunternehmen im Rahmen der Innovative Medicines Initiative (IMI), zielte darauf ab, die Ursachen der Alzheimer-Krankheit besser zu verstehen. In dem Projekt vereint wurde das Fachwissen von Wissenschaftler:innen aus Universitäten, Forschungsinstituten sowie Biotechnologie- und Pharmaunternehmen aus ganz Europa. Ein besonderer Fokus lag auf der Rolle des Apolipoprotein E (ApoE)-Gens, insbesondere der ApoE E4-Variante, als Risikofaktor für die Entwicklung der späten Form von Alzheimer.

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Die Wissenschaftler:innen entwickelten Modelle menschlicher Zellen, um die Funktion des ApoE-Gens in menschlichen Gehirnzellen zu untersuchen. Durch dieses neu erlangte Wissen konnten zahlreiche neue, vielversprechende Wirkstoffziele identifiziert werden. Das gemeinsame Projekt von Wissenschaft und Industrie hat durch dieses neu erlangte Wissen rund um das ApoE-Gen „ein neues Kapitel in der Behandlung und Prävention der Alzheimer-Krankheit aufgeschlagen“. Außerdem hofft man, durch die Forschung die Voraussetzungen für bessere Früherkennungstests geschaffen zu haben.

Antikörper-basierte Therapieansätze: Lecanemab und Donanemab

In den letzten Jahren haben vor allem zwei Antikörper-basierte Medikamente für Aufsehen gesorgt: Lecanemab (Handelsname Leqembi) und Donanemab (Handelsname Kisunla). Beide Medikamente zielen darauf ab, die für Alzheimer typischen Amyloid-Plaques im Gehirn zu reduzieren und so den kognitiven Abbau zu verlangsamen.

Lecanemab (Leqembi)

Lecanemab ist ein Antikörper-Wirkstoff, der gezielt eine Vorstufe der für Alzheimer typischen Amyloid-beta-Protein-Plaques im Gehirn erkennt und bindet. Dadurch wird das körpereigene Immunsystem aktiviert und baut die Plaques ab beziehungsweise verhindert die Bildung neuer Plaques. Am 15.04.2025 wurde von der EU-Kommission ein Medikament mit dem Antikörper Lecanemab für eine genau umrissene Gruppe von Patientinnen und Patienten mit Alzheimer im Frühstadium zugelassen.

In der großen Phase-3-Studie CLARITY AD zeigte sich, dass die Erkrankung bei den Teilnehmenden, die Lecanemab erhielten, langsamer fortschritt als in der Placebo-Gruppe. Die Studie hat jedoch gezeigt, dass sich der verzögernde Effekt mit der Dauer der Einnahme zunimmt. Das könnte bedeuten, dass eine Einnahme über den Zeitraum der bisher untersuchten 18 Monate hinaus die Wirksamkeit von Lecanemab noch erhöht.

Voraussetzungen und Risiken für die Behandlung mit Lecanemab

Wer mit Leqembi behandelt werden kann, muss in jedem Einzelfall genau geprüft werden. Der Wirkstoff kommt nur für Menschen infrage, die sich im frühen Stadium der Erkrankung befinden und bislang nur geringe Einbußen ihrer geistigen Leistungsfähigkeit haben. Dazu zählen vor allem Personen mit einer Alzheimer-Diagnose im Stadium eines Mild Cognitive Impairment (MCI, zu Deutsch „leichte kognitive Störung“) oder im frühen Stadium einer Alzheimer-Demenz.

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Die krankhaften Amyloid-beta-Ablagerungen müssen im Gehirn nachgewiesen werden - entweder durch eine Lumbalpunktion oder mittels Amyloid-PET. Auch genetische Voraussetzungen spielen eine Rolle: Erkrankte dürfen höchstens eine Kopie des sogenannten ApoE4-Gens tragen. Personen mit zwei Kopien sind wegen der erhöhten Gefahr für Hirnblutungen von der Behandlung ausgeschlossen. Leqembi eignet sich außerdem nicht für Menschen, die Gerinnungshemmer einnehmen.

In Studien traten bei einem Teil der Teilnehmenden Nebenwirkungen auf - darunter Hirnschwellungen (ARIA-E) und Hirnblutungen (ARIA-H). Diese waren in den meisten Fällen symptomlos, wurden aber engmaschig kontrolliert.

Donanemab (Kisunla)

Donanemab ist ein monoklonaler Antikörper, der sich gezielt gegen eine der Hauptursachen der Alzheimer-Krankheit, die Amyloid-Beta-Plaques, richtet und so den geistigen Verfall der Patientinnen und Patienten verlangsamen soll. Seit 25.09.2025 ist auch ein zweites Antikörper-basiertes Alzheimermedikament in der EU zugelassen. Es enthält den Antikörper Donanemab. Im Juli hatte es eine Zulassungsempfehlung der EMA erhalten - nach einer Überprüfung der zunächst negativen EMA-Entscheidung vom 28.03.2025.

Die Ergebnisse der TRAILBLAZER-ALZ-2 Studie zeigten, dass Donanemab die schädlichen Amyloid-Ablagerungen effektiv abbauen und den geistigen Abbau um 35 Prozent verlangsamen konnte. Eine wichtige Erkenntnis: Nach Entfernung der Amyloid-Ablagerungen konnte die Behandlung beendet werden, was die Therapiedauer verkürzt und Kosten reduziert.

Voraussetzungen und Risiken für die Behandlung mit Donanemab

Das Medikament eignet sich für Erkrankte im frühen Krankheitsstadium mit bislang nur wenigen kognitiven Beeinträchtigungen. Bevor Kisunla verabreicht werden kann, muss nachgewiesen werden, dass sich bereits Amyloid-Plaques im Gehirn gebildet haben. In der EU ist außerdem ein Gentest auf ApoE4 vorgeschrieben. Menschen mit zwei Kopien dieses Gens sind ausgeschlossen. Auch Personen, die Antithrombotika (z. B. Aspirin) einnehmen, müssen dies mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt abklären.

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Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehören Kopfschmerzen, allergische Reaktionen während oder nach der Infusion und potenziell ernsthafte Veränderungen im Gehirn, sogenannte ARIA, die Hirnschwellungen oder Hirnblutungen bedeuten.

Leqembi vs. Kisunla - wichtige Unterschiede:

  • Kisunla wird alle vier Wochen verabreicht, das Ende der Therapie ist nach spätestens 18 Monaten.
  • Leqembi wird alle zwei Wochen gegeben und ist als Dauertherapie angelegt.
  • Leqembi weist eine geringere Rate an symptomatischen ARIAs auf, zeigt aber in Studien geschlechtsspezifische Unterschiede (geringere Wirksamkeit bei Frauen).

Weitere vielversprechende Therapieansätze

Neben den Antikörper-basierten Therapien gibt es noch eine Reihe weiterer vielversprechender Therapieansätze, die derzeit in klinischen Studien untersucht werden.

ABvac40

ABvac40 ist ein klinischer Impfstoff, der speziell auf das Αβ40-Peptid abzielt, ein wichtiges pathologisches Merkmal im Zusammenhang mit AD. Basierend auf den Zwischenergebnissen der Phase-2-Studie zeigte ABvac40 eine vielversprechende Sicherheit, Verträglichkeit und eine robuste Immunantwort bei Patienten mit amnestischer leichter kognitiver Beeinträchtigung (aMCI) oder sehr leichter AD (vm-AD).

TREM2-Agonisten

Sanofi hat eine Vereinbarung zur Übernahme von Vigil Neuroscience geschlossen, einem auf neurodegenerative Erkrankungen spezialisierten Biotechnologieunternehmen. Der Wirkstoffkandidat von Vigil ist ein oral verfügbarer, niedermolekularer TREM2-Agonist. Das Molekül soll die Aktivität von Mikrogliazellen im zentralen Nervensystem anregen und dadurch deren neuroprotektive Funktion fördern.

PRI-002

Die Priavoid GmbH entwickelt einen Wirkstoff namens PRI-002, der Beta-Amyloid in seiner harmlosen Form stabilisieren soll. Im Gehirn von Alzheimer-Patient:innen ballen sich einzelne Beta-Amyloid-Moleküle, sogenannte Monomere, zu Aggregaten zusammen. Diese Oligomere schädigen die Funktion der Nervenzellen. PRI-002 zerlegt sie wieder in harmlose Monomere.

Die Rolle von Biotech-Unternehmen in der Alzheimer-Forschung

Biotech-Unternehmen spielen eine entscheidende Rolle in der Alzheimer-Forschung. Sie bringen innovative Ideen ein, entwickeln neue Wirkstoffkandidaten und führen klinische Studien durch. Oftmals arbeiten sie dabei eng mit Universitäten, Forschungsinstituten und großen Pharmaunternehmen zusammen.

Die Übernahme von Vigil Neuroscience durch Sanofi zeigt, wie wichtig die Expertise von Biotech-Unternehmen für die Entwicklung neuer Therapien ist. Auch die Zusammenarbeit von Eisai und Biogen bei der Entwicklung von Lecanemab ist ein Beispiel für die erfolgreiche Kooperation zwischen einem japanischen Pharmaunternehmen und einem US-amerikanischen Biotechnologieunternehmen.

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