Einleitung
Die blastische plasmazytoide dendritische Zellneoplasie (BPDCN) ist eine seltene, aggressive Form von Blutkrebs, die von unreifen Vorläufern der plasmazytoiden dendritischen Zellen ausgeht. Diese Zellen haben sowohl myeloische als auch lymphatische Eigenschaften. Die Erkrankung wurde erstmals 1994 beschrieben und ist unter verschiedenen Bezeichnungen bekannt, bis sie 2016 in der WHO-Klassifikation der Tumoren des blutbildenden und lymphatischen Systems als eigenständiges Krankheitsbild unter den myeloischen Neoplasien klassifiziert wurde. Die BPDCN macht weniger als 0,5 % aller hämatologischen Neoplasien aus.
Grundlagen der BPDCN
Definition und Basisinformationen
Die BPDCN ist eine seltene und meist aggressiv verlaufende hämatologische Neoplasie, die durch die klonale Proliferation von unreifen Vorläufern plasmazytoider dendritischer Zellen (pDC) gekennzeichnet ist. Trotz der häufigen Primärmanifestation in der Haut handelt es sich um eine systemische Erkrankung mit Beteiligung von Knochenmark, Blut und lymphatischen Organen.
Epidemiologie
Die Inzidenz der BPDCN liegt bei etwa 0,04 pro 100.000 Einwohner pro Jahr. Sie tritt häufiger bei Männern auf (männliche Prädominanz von 3:1) und betrifft vor allem ältere Erwachsene mit einem medianen Erkrankungsalter zwischen 61 und 71 Jahren. Ein kleinerer Prozentsatz (10-20 %) der Fälle betrifft Kinder.
Pathogenese
Die Pathogenese der BPDCN ist komplex und beinhaltet dynamische histogenetische Konzepte sowie molekulare Mechanismen.
Dynamische Histogenesekonzepte
Reife dendritische Zellen (DC) umfassen konventionelle DC (cDC1 und cDC2) und plasmazytoide DC (pDC), die unterschiedliche Funktionen bei der Aktivierung spezifischer T-Zell-Subpopulationen übernehmen. pDC sind Linien-negativ, CD4+ CD123high HLA-DRhigh und produzieren große Mengen an Interferon Typ-I (IFN-I) als Reaktion auf Virusinfektionen. Es wird angenommen, dass sich normale pDC aus myeloischen und/oder lymphoiden Vorläufern des Knochenmarks entwickeln. Einige Studien deuten darauf hin, dass die BPDCN eher mit ruhenden pDC myeloischen Ursprungs verwandt ist.
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Aktuelle Analysen haben gezeigt, dass BPDCN eine gewisse molekulare Heterogenität aufweist und Signaturen von pDC trägt, aber in einigen Fällen auch von sogenannten AS-DC (AXL+ SIGLEC6+). AS-DC sind eine kürzlich definierte Population von Prä-DC mit sowohl pDC- als auch cDC-ähnlichen Eigenschaften. Es wird angenommen, dass BPDCN-Zellen nicht homogen differenziert sind und sich nicht aus einem einheitlichen Pool von Vorläufern entwickeln, sondern sowohl myeloische als auch lymphatische Eigenschaften aufweisen.
Molekulare Pathomechanismen und Vulnerabilitäten der Tumorzelle
Genetische Untersuchungen haben komplexe chromosomale Aberrationen mit Verlusten von Tumorsuppressorgenen wie RB1, IKZF1/2/3, ETV6, NR3C1, CDKN2A/B oder TP53 gezeigt. Häufige Genmutationen finden sich in "myeloischen" Genen wie TET2 (50-60%), ASXL1 (40-50%) und ZRSR2 (≈30%) in Verbindung mit "lymphatischen" Mutationen wie IKZF1 sowie in Molekülen der Immunantwort wie IFNGR, TGFB, CLEC4C und IFNA. Diese Veränderungen führen zu epigenetischer Deregulation, NFκB-Aktivierung, aberrantem SOX4, Abhängigkeit von TCF4-/BRD4-transkriptionellen Netzwerken, Zellzyklusderegulation und Apoptoseresistenz.
Der E-Box-Transkriptionsfaktor TCF4 wurde als Masterregulator des onkogenen Programms von BPDCN identifiziert. Seine Herunterregulierung führt zum Verlust des BPDCN-spezifischen Genexpressionsprogramms und zur Apoptose. Hochregulierte TCF4-abhängige Gene umfassen solche, die für die Entwicklung und Funktion von pDC essentiell sind, sowie bekannte Onkogene wie MYC, BCL2 oder TCL1. Substanzen, die in BPDCN-Zellen besonders prominente Sensitivitäten gegenüber Bromodomain- und Extra-Terminal Domain (BET)-Inhibitoren zeigten, hemmten in Xenograft-Modellen auch das Wachstum der BPDCN-Zellen.
Risikofaktoren
Es gibt keine großen epidemiologischen Analysen zu BPDCN. In klinisch-retrospektiven Analysen werden keine genetisch-prädisponierenden oder eindeutigen Umweltfaktoren berichtet, die mit einem erhöhten Risiko für BPDCN assoziiert wären. Es besteht jedoch eine histogenetische Beziehung zu myeloischen Neoplasien mit gemeinsamen genetischen Vorläuferläsionen. Häufig findet sich eine Assoziation mit dem myelodysplastischen Syndrom (MDS), der chronischen myelomonozytären Leukämie (CMML) oder der akuten myeloischen Leukämie (AML). Diese Neoplasien können der BPDCN vorangehen, gleichzeitig auftreten oder nachfolgen. Selten sind Fälle von BPDCN in Assoziation mit Vortherapien, z. B. mit Alkylanzien, für eine andere Tumorerkrankung beschrieben worden.
Klinisches Bild
Symptome
Die BPDCN manifestiert sich in nahezu allen Patientinnen primär kutan (86-94%). In der Regel zeigen sich asymptomatische, meist schnell progrediente Hautläsionen heterogener Größe und Morphologie. Knoten und kontusiforme livide Makulae stellen die häufigste Morphologie kutaner BPDCN Läsionen dar. Bei etwa 50 % der Patientinnen tritt zuerst ein isolierter Hautbefall auf, wobei singuläre und multilokuläre kutane Läsionen ungefähr gleich häufig beobachtet werden. Die Ausbreitung des Infiltrats kann bis hin zu einer Purpura reichen.
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Mit fortschreitendem Krankheitsverlauf kommt es nach im Median 2,5 Monaten zu klinisch manifesten extrakutanen Manifestationen. Bei bestätigter BPDCN-Erstdiagnose liegt in ca. 90% der Fälle bereits eine Systemerkrankung mit kutaner und leukämischer Manifestation vor, nachweisbar im Knochenmark und/oder peripheren Blut. Seltenere Präsentationen sind auf die Haut beschränkte Verläufe (4-8%) oder isoliert leukämische Verläufe ohne Hautbeteiligung (7%).
Erkrankungslokalisationen außerhalb der Haut sind das Knochenmark (49-68%), Lymphknoten (27-56%), Milz (17-44%), peripheres Blut (17-28%) oder sonstige extramedulläre Gewebe oder Organe (21-42%%) inkl. des ZNS (4-9%, bis zu 30% im Rezidiv). Aus diesen spezifischen Organmanifestationen ergeben sich auch spezielle Symptome, wie z.B. Zytopenien bei Knochenmarkinsuffizienz. BPDCN-assoziierte Blutbildveränderungen sind in der Regel eine Anämie oder Thrombozytopenie und seltener Leukozytopenien.
Diagnose
Diagnostisches Vorgehen
Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung und der häufigen Änderungen der Nomenklatur kommt es oft zu Verzögerungen bei der Diagnosestellung. Die Diagnose sollte multidisziplinär von Dermatologen, Pathologen und Hämatologen gestellt werden. Ein empfohlenes diagnostisches Vorgehen umfasst:
- Anamnese und körperliche Untersuchung: Erfassung des Allgemeinzustands (ECOG/WHO Score) und der befallenen Körperoberfläche (mSWAT*).
- Blutbild und Differenzialblutbild: Ggf. Immunphänotypisierung.
- Hautbiopsie: Histologie und Immunhistochemie.
- Knochenmarkaspiration: Zytologie, Zytochemie, Immunphänotypisierung, fakultativ: Zytogenetik, Panel-Sequenzierung.
- Knochenmarkbiopsie: Histologie und Immunhistochemie.
- Ggf. Biopsie aus weiteren Manifestationen.
- Liquorpunktion: Zellzahl, Differenzierung, ggf. Immunphänotypisierung.
- Bildgebung: CT Hals/Thorax/Abdomen/Becken im Sinne eines „Lymphomstagings“.
- Ergänzende Untersuchungen: Evaluierung der Komorbiditäten (z.B. HCT-CI Score), klinische Chemie, Gerinnung, Urinanalyse, Schwangerschaftstest, HLA-Typisierung, Hepatitis- und HIV-Serologie, EKG, Echokardiographie, Lungenfunktionsdiagnostik.
Immunphänotyp
Die Sicherung der Diagnose erfolgt durch den charakteristischen Immunphänotyp anhand der Immunhistochemie und/oder der Durchflusszytometrie des Haut- und Knochenmarkbiopsates (-aspirates) bzw. der sonstigen betroffenen Gewebe. Das in der Regel zytomorphologisch monomorph blastär imponierende Infiltrat zeigt folgenden Immunphänotyp:
- Expression von mindestens vier der folgenden fünf Marker*: CD123 (≈95%), CD4 (≈95%), CD56 (≈95%), TCL1 (≈90%), BDCA2 (≈90%).
- Eine simultane Expression von CD123, CD4, CD56, TCL1 und BDCA2 konnte lediglich in 46% von 91 Patient*innen detektiert werden. Das Antikörperpanel sollte immer CD123 enthalten.
- Expressionen von CD43, TdT, CD68, CD33 sind möglich, selten auch von CD34 oder/und CD117 in Abhängigkeit vom Reifegrad der Zellen.
- Abwesenheit Linien-spezifischer Marker: keine Expression von pan-T Antigenen wie CD3, keine Expression von pan-B Antigenen wie CD79a, keine Expression von myeloisch / Precursor-definierenden Markern wie Lysozym, Myeloperoxidase, CD14, CD11c.
Genetische Untersuchungen
Zytogenetik oder Gensequenzierungen sind für die Etablierung der Diagnose nicht zwingend erforderlich, stellen aber informative Zusatzmethoden dar, insbesondere zur Abgrenzung von myeloischen Neoplasien, inklusive von AML mit klonalen pDC Populationen. Rearrangements von 8q24 (MYC) treten bei 10-15 % der BPDCN auf.
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Therapie
Aktuelle Therapieansätze
Angesichts des Verlaufs der BPDCN wurde bislang primär Chemotherapie eingesetzt. Es handelte sich dabei meist um intensive Chemotherapie, wie sie bei AML oder ALL zum Einsatz kommt, oder Standardchemotherapie wie bei Non-Hodgkin-Lymphomen (NHL). Mit allen Protokollen konnten bei einem Teil der Patient*innen Remissionen erreicht werden. Generell konnten mit intensiven Induktionstherapien im Vergleich zu Standardtherapien (NHL-Protokolle) höhere Remissionsraten erreicht werden. Außerdem scheinen ALL-Protokolle den AML-Protokollen in Bezug auf die Ansprechraten überlegen zu sein.
Die einzige Therapieoption, die zu einer signifikanten Verlängerung des Überlebens führt, ist die Stammzelltransplantation. Dies konnte für die allogene wie auch für die autologe Stammzelltransplantation gezeigt werden. Dabei ist die autologe der allogenen Transplantation unterlegen.
Vor Kurzem wurde Tagraxofusp zur Therapie der BPDCN zugelassen. Dabei handelt es sich um ein Fusionsprotein aus rekombinantem IL-3 und einem verkürzten Diphtherietoxin, das sich die Expression von CD123 auf den Zellen der BPDCN zunutze macht.
Zukünftige Therapieansätze
Der Ausblick für die Therapie der BPDCN ist von einer zunehmend gezielten und personalisierten Behandlungsstrategie geprägt. Aktuelle Forschungsprojekte konzentrieren sich auf die Identifizierung und Validierung neuer molekularer Ziele auf BPDCN-Zellen. Die Entwicklung von CAR-T-Zell-Therapien, die gegen CD123 oder andere Oberflächenantigene auf BPDCN-Zellen gerichtet sind, ist ein vielversprechender Ansatz. Die Kombination von zielgerichteten Therapien mit herkömmlichen Chemotherapien oder anderen innovativen Behandlungsansätzen könnte die Wirksamkeit erhöhen und die Überlebensraten verbessern. Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADC) sind ein weiteres vielversprechendes Forschungsgebiet.
Prognose
Die Prognose für BPDCN-Patienten ist ungünstig mit einem mittleren Gesamtüberleben von 8,7-24 Monaten. Ein höheres Lebensalter, systemischer Befall mit Hautbeteiligung und extranodaler Befall sind signifikant mit einem schlechteren Gesamtüberleben verbunden. Auch ein abnormaler Karyotyp steht in Zusammenhang mit einer ungünstigen Prognose. Für die Prognose spielt das Ansprechen auf die Erstlinientherapie mit evtl. anschließender hämatopoetischer Stammzelltransplantation eine wichtige Rolle. Wird mit der Erstlinientherapie eine komplette Remission erreicht, so dass eine Transplantation erfolgen kann, verlängert sich das Gesamtüberleben deutlich.
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