Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, von der weltweit rund 2,8 Millionen Menschen betroffen sind. In Deutschland sind es etwa 250.000, wobei 70 bis 80 Prozent der Erkrankten Frauen sind. Die MS zählt zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen und führt bei Betroffenen oft zu Behinderungen. Die Entstehung der MS ist komplex und mit immunologischen Prozessen verbunden, die unter anderem durch eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus angestoßen werden können. Nahezu alle Menschen (90-95%) infizieren sich im Laufe ihres Lebens mit dem EBV, das dann lebenslang im Körper verbleibt. Die Infektion verläuft oft unbemerkt, kann aber auch als infektiöse Mononukleose (Pfeiffer’sches Drüsenfieber) symptomatisch werden. Die MS ist nicht heilbar, aber der Verlauf der Erkrankung lässt sich durch Medikamente und angepasstes Alltagsverhalten positiv beeinflussen. Eine frühzeitige Diagnose ist dabei entscheidend, um den Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen.
Die Herausforderung der MS-Diagnose
Die Diagnose von MS ist komplex, da die Symptome variieren und viele andere Erkrankungen ähnliche Symptome aufweisen können. Es gibt keinen speziellen Test, der die MS eindeutig nachweist. Daher kann nur ein Neurologe die Krankheit diagnostizieren, indem er andere Krankheiten ausschließt, die identische Symptome aufweisen können.
Empfehlenswerte Untersuchungen bei MS sind:
- Neurologische Untersuchung
- Elektroenzephalografie (EEG)
- Magnetresonanztomografie (MRT)
- Untersuchung des Blutes
- Untersuchung des Nervenwassers (Lumbalpunktion)
Bei der neurologischen Untersuchung prüft der Arzt verschiedene Funktionen, wie Kraft und Feinmotorik, Sensibilität, Sinneswahrnehmungen, Muskelreflexe, Koordinationsfähigkeit, Gleichgewicht, Sprechen und Schluckvermögen. Um die Leitfähigkeit der Nerven zu prüfen, können elektrische Tests der Nervenbahnen durchgeführt werden, bei denen evozierte Potentiale gemessen werden.
Bildgebende Verfahren: MRT zur Visualisierung von Entzündungsherden
Die Magnetresonanztomografie (MRT) ist ein bildgebendes Verfahren, das detaillierte Bilder des Gehirns und des Rückenmarks erstellt. Mit Hilfe der MRT lassen sich entzündliche Veränderungen und abgestorbene Nervenzellen erkennen, auch wenn sich die MS noch im Anfangsstadium befindet und der Betroffene selbst noch keine Krankheitsanzeichen hat. Um die entzündlichen Herde sichtbar zu machen, kann ein Kontrastmittel (Gadolinium) verabreicht werden, das sich in den aktiven MS-Herden anreichert.
Blutuntersuchungen: Ausschluss anderer Erkrankungen und Suche nach Biomarkern
Bei Verdacht auf Multiple Sklerose ist der Nachweis bestimmter Blutwerte notwendig, um andere Krankheiten mit den gleichen Symptomen auszuschließen (Differenzialdiagnose). Bisher gibt es keinen Bluttest, der eine MS nachweisen kann, aber Forscher arbeiten an Bluttests, die die Diagnose schneller und einfacher machen sollen.
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Autoantikörper als Biomarker für MS-Schübe
Forscher haben im Blut von Betroffenen, die gerade einen MS-Schub erleiden, einen Biomarker für MS gefunden - sogenannte Autoantikörper. Dies sind Antikörper, die körpereigenes Gewebe angreifen. Nach einem MS-Schub verschwinden diese spezifischen Autoantikörper meistens aus dem Blut, so dass die Erkrankung mit diesem Test nur während eines Schubes sicher diagnostiziert werden kann. Der Test befindet sich derzeit noch in der Entwicklung.
Neue Erkenntnisse: Frühe immunologische Erkennung der MS
Eine aktuelle Forschungsarbeit, veröffentlicht im Fachjournal „Nature Communications“, stellt eine neue Methode vor, die auf einem immunologischen Test basiert. Dieser Test identifiziert spezifische Antikörper gegen ein Protein des Epstein-Barr-Virus (EBV). Konkret werden durch den Test Autoantikörper erkannt, die auf einen bestimmten Abschnitt des EBV-Proteins EBNA-1 gerichtet sind. Diese Antikörper treten bereits innerhalb von drei Jahren nach einer EBV-Infektion auf - lange bevor bei den betroffenen Personen klinische Symptome einer MS beobachtet werden. Durch die wiederholte Messung dieser Antikörperspiegel kann ein deutlich erhöhtes Risiko für eine spätere MS-Diagnose erkannt werden.
Retrospektive Studie bestätigt Zusammenhang zwischen EBV-Antikörpern und MS-Risiko
Die retrospektive Studie basiert auf Blutproben von über 700 MS-Patienten und mehr als 5000 Kontrollpersonen. In einem Teil der Kohorte konnte sogar der Zeitpunkt der EBV-Erstinfektion eindeutig nachvollzogen werden. In dieser Gruppe zeigte sich, dass konstant hohe Antikörperspiegel mit einem sehr hohen Risiko und einer raschen Entwicklung einer MS assoziiert waren.
Bedeutung für die Früherkennung und Prävention der MS
Die neuen Erkenntnisse eröffnen Chancen für frühere Diagnosen und präventive Therapien, insbesondere bei Menschen mit familiärer Vorbelastung. Ein Screening von Bevölkerungsgruppen mit erhöhtem MS-Risiko, etwa nach durchgemachtem Pfeiffer’schen Drüsenfieber, wird zur Diskussion gestellt.
Untersuchung des Nervenwassers (Liquor): Nachweis von Entzündungsmarkern
Für einen gesicherten Befund der Multiplen Sklerose ist die Untersuchung des Liquors wichtig - also des Nervenwassers, das Gehirn und Rückenmark umfließt. Um Nervenwasser zu gewinnen, führt der Arzt eine Lumbalpunktion durch. Bei rund 90 Prozent der MS-Betroffenen findet sich ein ganz bestimmtes Muster an Antikörper und Eiweißen im Liquor. Der Nachweis von sogenannten „oligoklonalen Banden“ (einer Gruppe von Antikörpern) im Liquor ist für die Diagnose von MS besonders bedeutsam.
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Lumbalpunktion: Ein risikoarmes Routineverfahren
Die Lumbalpunktion wird mit örtlicher Betäubung und nach Desinfektion der Einstichstelle im Sitzen oder im Liegen durchgeführt. Dabei wird eine spezielle Hohlnadel etwa in Höhe des zweiten/dritten oder dritten/vierten Lendenwirbels zwischen den Wirbelkörpern bis in den Wirbelkanal vorgeschoben. Die Lumbalpunktion ist ein Routine-Eingriff und dauert nur wenige Minuten.
Biomarker bei Multipler Sklerose: Ein Überblick
Biomarker sind messbare Indikatoren im Körper, die Rückschlüsse auf Krankheiten oder deren Verlauf zulassen. Bei Multipler Sklerose können bestimmte Marker helfen, den Krankheitsstatus besser einzuschätzen und individuelle Therapien zu optimieren.
Oligoklonale Banden (OKB): Ein typischer, aber nicht spezifischer Marker
Der Nachweis von oliklonalen Banden (OKB) weist auf eine erhöhte Bildung von Antikörpern in Folge eines entzündlichen Prozesses im ZNS hin. OKB sind typisch, aber nicht spezifisch für die MS und reichen daher als alleinige Untersuchung für die Diagnose nicht aus.
Neurofilament-Leichtketten (NfL): Ein Echtzeit-Biomarker für neuronale Schädigung
Neurofilament-Leichtketten (NfL) sind Proteine und Komponenten von Neurofilamenten, die Bestandteile des Zellskeletts von Nervenzellen sind. NfL sind ein Echtzeit-Biomarker für das Ausmaß der neuronalen Schädigung. Bei der Schädigung von Nervenzellen im ZNS werden NfL in erhöhter Menge in den Liquor und ins Blut freigesetzt.
Weitere Biomarker in der Forschung
Neben OKB und NfL werden weitere Biomarker intensiv erforscht, um ihre Rolle bei der Diagnose und Verlaufskontrolle der MS zu untersuchen. Dazu gehören:
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- Gliales fibrilläres saures Protein (GFAP)
- Extrazelluläre Vesikel (EVs)
- Serum-basierte Biomarker wie sCD40L und Zytokine
Therapie der Multiplen Sklerose
Die Multiple Sklerose lässt sich durch moderne Therapien günstig beeinflussen. Ziel der Behandlung ist es, die Häufigkeit der Schübe zu reduzieren, die Zunahme der körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen zu verlangsamen oder zu verhindern und die Symptome zu lindern.
Krankheitsmodifizierende Therapien
Krankheitsmodifizierende Therapien zielen darauf ab, die Aktivität des Immunsystems zu reduzieren und so die Entzündung im ZNS zu verringern. Es gibt verschiedene Medikamente, die auf unterschiedliche Weise in das Immunsystem eingreifen. Die Wahl der Therapie hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie der Art der MS, dem Schweregrad der Erkrankung und dem individuellen Risikoprofil des Patienten.
Schubtherapie
Bei einem akuten MS-Schub werden in der Regel Kortikosteroide eingesetzt, um die Entzündung zu reduzieren und die Symptome zu lindern.
Symptomatische Therapie
Neben der krankheitsmodifizierenden und Schubtherapie gibt es verschiedene Medikamente und nicht-medikamentöse Maßnahmen, die zur Linderung der Symptome eingesetzt werden können. Dazu gehören beispielsweise Medikamente gegen Spastik, Fatigue, Schmerzen und Depressionen.