Chiropraktik HWS: Risiken und Fakten zum Schlaganfallrisiko

Die Chiropraktik ist eine alternative Behandlungsmethode, die sich mit der Diagnose, Behandlung und Prävention von biomechanischen Störungen des Bewegungsapparates, insbesondere der Wirbelsäule, befasst. Obwohl viele Menschen von chiropraktischen Behandlungen profitieren, gibt es Bedenken hinsichtlich möglicher Risiken, insbesondere im Zusammenhang mit Manipulationen der Halswirbelsäule (HWS) und dem Schlaganfallrisiko. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte dieser Thematik, basierend auf aktuellen Studien und Expertenmeinungen.

Einführung in die Chiropraktik und ihre Anwendung

Die Chiropraktik zielt darauf ab, Dysfunktionen in Gelenken zu beheben und die normale Beweglichkeit wiederherzustellen. Dabei werden häufig manuelle Techniken angewendet, die als Manipulationen bezeichnet werden. Diese Techniken beinhalten gezielte, schnelle Impulse, die auf bestimmte Gelenke ausgeübt werden. Im Bereich der HWS werden solche Manipulationen oft zur Linderung von Nacken- und Kopfschmerzen eingesetzt.

Mögliche Risiken und Nebenwirkungen der Chiropraktik

Wie bei jeder medizinischen Behandlung gibt es auch bei der Chiropraktik potenzielle Risiken und Nebenwirkungen.

Häufige, aber meist harmlose Beschwerden

  • Muskelkaterähnliche Schmerzen: Nach der Behandlung können innerhalb der ersten 48 Stunden muskelkaterähnliche Schmerzen auftreten. Diese verschwinden in der Regel schnell durch Kühlung der betroffenen Stellen.
  • Müdigkeit und Kopfschmerzen: Vorübergehende Müdigkeit und/oder Kopfschmerzen können ebenfalls auftreten.
  • Instabilitätsgefühl: Im behandelten Bereich kann sich vorübergehend ein Instabilitätsgefühl einstellen.

Seltene, aber schwerwiegende Komplikationen

Obwohl die Chiropraktik im Allgemeinen als risikoarme Behandlungsmethode gilt, gibt es seltene Fälle von schwerwiegenden Komplikationen, insbesondere im Zusammenhang mit HWS-Manipulationen.

  • Nervenschädigung: Bei der Behandlung der Lenden- und Brustwirbelsäule könnte in etwa 1 von 100.000 Fällen eine Nervenschädigung auftreten.
  • Schädigung der Halswirbelsäulenschlagader (Ateria vertebralis) und Schlaganfall: Studien zeigen, dass das Risiko einer Verletzung/Schädigung der Halswirbelsäulenschlagader (Ateria vertebralis) durch eine chiropraktorische Manipulation der HWS noch geringer ist. Nur in 0,64 von 1.000.000 Fällen kann es zu einem Schlaganfall kommen.

Das umstrittene Risiko: Schlaganfall nach HWS-Manipulation

Die Verbindung zwischen chiropraktischen Manipulationen der HWS und Schlaganfällen ist ein kontrovers diskutiertes Thema. Einige Fallberichte haben die Hypothese aufgeworfen, dass HWS-Manipulationen Dissektionen der Arteria carotis oder Arteria vertebralis verursachen könnten, was zu einem ischämischen Schlaganfall führen kann.

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Aktuelle Studienlage

Zwei größere Studien haben sich intensiver mit dem Thema beschäftigt:

  • Studie von 2016 (Carotisdissektionen): Eine Studie aus dem Jahr 2016 wertete Krankenhausdaten über 9 Jahre aus und untersuchte Fälle von ischämischen Schlaganfällen im Gebiet der A. carotis. Bei unter 45-Jährigen zeigte sich ein zeitlicher Zusammenhang mit Arztbesuchen wegen Nacken- oder Kopfschmerzen, jedoch ohne Unterschied zwischen Chiropraktikern und Hausärzten. Bei über 45-Jährigen ergab sich keinerlei Zusammenhang.
  • Querschnittsuntersuchung von 2023 (International Federation of Orthopedic Manual Physical Therapists): Diese Studie entwickelte einen vaskulären Komplikationsrisiko-Index, der jedoch nur eine geringe Sensitivität und mittlere Spezifität aufwies. Auch hier zeigte sich kein erhöhtes Risiko für ischämische Schlaganfälle im Stromgebiet der Aa. Carotis nach chiropraktischen HWS-Manipulationen. Es wurden keine Unterschiede zwischen Konsultationen beim Allgemeinmediziner oder Chiropraktiker beobachtet.

Einschränkungen der Studien

Es ist wichtig zu beachten, dass beide Studien keine Dissektionen der Vertebralarterien berücksichtigt haben, die aufgrund ihrer anatomischen Lage möglicherweise anfälliger für Schädigungen durch HWS-Manipulationen sind.

Expertenmeinungen und Risikobewertung

Experten betonen, dass ein tatsächliches Risiko für einen Schlaganfall nach Manipulation nur bei vorgeschädigten Gefäßen besteht. Vor einer HVLA (high velocity low amplitude)-Technik werden die darüber- und darunterliegenden Wirbelsäulenabschnitte verriegelt, und das eingeschränkte Segment so fein zur Mobilitätsgrenze hin eingestellt, dass nur noch ein sehr leichter Impuls mit einer sehr geringen Amplitude ausreicht, um gezielt und spezifisch segmental eine Blockade zu lösen. Daher wirken in der Regel keine hohen Kräfte, die eine gesunde Arterie beschädigen würden.

Ein systematisches Review von Michael J. Haynes und Kollegen analysierte 5 klinische Studien zum Thema Schlaganfall und Manipulation. Die Autoren empfehlen eine Aufklärung der Patienten, dass es durch Manipulationen an der Halswirbelsäule zu einer seltenen Form von Schlaganfällen kommen kann, die jedoch auch bei anderen Bewegungen des Nackens auftreten könnte. Sie bewerten das Risiko einer Arteriendissektion als gering, sofern alle bekannten Risikofaktoren und Kontraindikationen vor der Behandlung beachtet werden.

Fallbeispiele und persönliche Erfahrungen

Es gibt tragische Fallbeispiele, wie den Fall von Vera Milazewski, die nach einer HWS-Manipulation einen Schlaganfall erlitt und seither gelähmt ist. Solche Fälle verdeutlichen die potenziellen Risiken und die Notwendigkeit einer umfassenden Aufklärung der Patienten.

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Auch der Fall von Caitlin Jensen, die nach einer chiropraktischen Behandlung an der Halswirbelsäule einen Schlaganfall, Herzinfarkt und Herzstillstand erlitt, zeigt die schwerwiegenden Folgen, die auftreten können.

Aufklärung und Sorgfaltspflicht

Ärzte sind gesetzlich verpflichtet, Patienten über die Risiken von Eingriffen aufzuklären. Im Zusammenhang mit HWS-Manipulationen sollte die Aufklärung insbesondere das potenzielle Risiko eines Schlaganfalls umfassen. Patienten haben das Recht auf alle Informationen, um eine informierte Entscheidung treffen zu können.

Einige Chiropraktiker unterlassen es jedoch, über das Schlaganfallrisiko aufzuklären oder holen keine schriftliche Einwilligung der Patienten ein. Dies ist ein klarer Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht.

Die Rolle der Diagnose und Kontraindikationen

Eine sorgfältige Diagnose und die Berücksichtigung von Kontraindikationen sind entscheidend, um das Risiko von Komplikationen zu minimieren. Vor einer HWS-Manipulation sollten Risikofaktoren wie Gefäßerkrankungen, Bluthochdruck oder Blutgerinnungsstörungen abgeklärt werden.

Einige Experten empfehlen eine vorangegangene Dopplersonografie der Vertebralarterien, um mögliche Gefäßschädigungen auszuschließen. Dies ist jedoch in der Praxis nicht immer standardmäßig durchführbar.

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Kritik und Kontroversen

Die Chiropraktik ist nicht frei von Kritik und Kontroversen. Einige Kritiker bemängeln, dass die Methode medizinisch umstritten ist und dass es an wissenschaftlichen Beweisen für ihre Wirksamkeit mangelt. Andere warnen vor den potenziellen Risiken von HWS-Manipulationen und fordern eine strengere Regulierung der Chiropraktik.

Falsche Vorstellungen und Irrtümer über Chiropraktik

Es gibt viele falsche Vorstellungen über die Chiropraktik, die zu Verwirrung und Misstrauen führen können. Einige der häufigsten Irrtümer sind:

  • "Einrenken" bedeutet, dass etwas ausgerenkt war: Tatsächlich werden keine ausgerenkten Wirbel "eingerenkt". Vielmehr wird etwas in Bewegung versetzt, was vorher blockiert oder "verklemmt" war.
  • Chiropraktik ist gefährlich und führt häufig zu Schlaganfällen: Das Risiko eines Schlaganfalls nach HWS-Manipulation ist sehr gering.
  • Schmerzmittel sind eine sichere Alternative zur Chiropraktik: Schmerzmittel können Nebenwirkungen haben und in einigen Fällen sogar tödlich sein.

Rechtliche Aspekte und Arzthaftung

Ein Schlaganfall nach einer chiropraktischen Behandlung kann einen Arzthaftungsfall darstellen. Der Arzt haftet, wenn er bei der Behandlung einen Fehler gemacht hat und dieser Fehler zu dem Schlaganfall geführt hat.

In der Arzthaftung trägt der Patient die Beweislast. Er muss beweisen, dass der Arzt einen Fehler gemacht hat und dass dieser Fehler zu dem Schaden geführt hat. Dies kann schwierig sein, da es oft keine eindeutigen Beweise gibt.

Was tun bei Verdacht auf einen Behandlungsfehler?

Wenn Sie nach einer chiropraktischen Behandlung einen Schlaganfall erleiden, sollten Sie sich unverzüglich an einen Anwalt wenden. Lassen Sie sich von einem spezialisierten Anwalt für Medizinrecht beraten und bewahren Sie alle Unterlagen auf, die mit der Behandlung und dem Schlaganfall zusammenhängen. Melden Sie den Schlaganfall Ihrer Krankenkasse.

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