Jedes Jahr erleiden in Deutschland etwa 260.000 Menschen einen Schlaganfall, wobei es sich bei 50.000 Patienten um einen Rezidivinfarkt handelt. Angesichts dieser hohen Frequenz ist es von entscheidender Bedeutung, das Risiko eines erneuten Infarktes durch eine optimale Sekundärprävention zu minimieren. Dieser Artikel fasst die Eckpfeiler der Sekundärprävention des ischämischen Schlaganfalls und der transitorisch-ischämischen Attacke (TIA) zusammen und beleuchtet neue Entwicklungen auf diesem Gebiet.
Thrombozytenfunktionshemmer in der Schlaganfallprävention
Thrombozytenfunktionshemmer (TFH), insbesondere Acetylsalicylsäure (ASS) und Clopidogrel, stellen die First-Line-Therapie nach einem nicht-kardioembolischen Schlaganfall dar. TFH führen zu einer relativen Risikoreduktion eines Rezidivschlaganfalls von etwa 15 Prozent. Angesichts dieser moderaten Risikoreduktion werden derzeit Studien durchgeführt, um wirksamere Alternativen zu finden.
Aktuelle Studien zur dualen Thrombozytenfunktionshemmung
Ein vielversprechender Ansatz ist die duale Thrombozytenfunktionshemmung (DAPT) mit ASS und Clopidogrel. Die POINT-Studie (Platelet-Oriented Inhibition in New TIA and Minor Ischemic Stroke trial) untersucht die auf drei Monate befristete DAPT im Vergleich zur alleinigen ASS-Einnahme. Der Studieneinschluss erfolgt innerhalb von zwölf Stunden nach Symptombeginn mit einer initialen Clopidogrel-Dosis von 600 mg, um insbesondere frühe Rezidive zu verhindern.
Motivation für die POINT-Studie war die chinesische CHANCE-Studie (Clopidogrel with aspirin in acute minor stroke or transient ischemic attack), die bei über 5.000 Chinesen die Überlegenheit der doppelten TFH im Hinblick auf eine signifikante Reduktion der Schlaganfallrate (8,2 versus 11,7 Prozent) ohne vermehrte Blutungskomplikationen zeigte. Ähnlich wie in der POINT-Studie wurde mit einer Initialdosis von 300 mg begonnen und die Therapiedauer auf 90 Tage begrenzt.
Die Limitierung der Kombination auf drei Monate basiert auf den Erfahrungen aus der MATCH-Studie, in der die doppelte TFH über eine Zeitdauer von 18 Monaten zu einer signifikant erhöhten Blutungskomplikationsrate führte. Die Wirksamkeit der auf drei Monate begrenzten doppelten TFH deutet darauf hin, dass es sich bei der Atherosklerose um eine in Phasen auftretende inflammatorische Erkrankung handelt, sodass eine intensivere Behandlung für die Dauer der Entzündungsphase ausreichend sein könnte.
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Die SAMMPRIS-Studie (Stenting and Aggressive Medical Management for Preventing Recurrent stroke in Intracranial Stenosis trial) mit dem Konzept des „best medical aggressive treatment“ bestätigte diesen Ansatz. Dieses Konzept besteht aus dreimonatiger doppelter TFH, Blutdruckoptimierung, Statintherapie und Lebensstilmodifikation bei Patienten mit symptomatischen intrakraniellen Gefäßstenosen im Vergleich zur perkutanen Angioplastie mit Stenting. Überraschenderweise führte der medikamentöse Ansatz zu einer Überlegenheit mit signifikant niedrigerer Schlaganfallrezidivrate.
Es bleibt abzuwarten, ob sich die Ergebnisse von CHANCE und SAMMPRIS auch in POINT replizieren lassen.
Ticagrelor als Alternative zu Clopidogrel?
Ticagrelor ist ein potenter TFH, der beim akuten Koronarsyndrom eingesetzt wird. Da Ticagrelor kein Prodrug ist und nicht metabolisiert werden muss, hat es einen sehr rasch einsetzenden thrombozytenhemmenden Effekt und ist effektiver als ASS oder Clopidogrel.
In der SOCRATES-Studie (Acute Stroke Or Transient IsChaemic Attack TReated With Aspirin or Ticagrelor and Patient OutcomES) wurde Ticagrelor gegen ASS über einen Therapiezeitraum von drei Monaten bei Patienten mit leichtem Schlaganfall und TIA getestet. Die Ergebnisse werden für Mai 2016 erwartet; dann wird sich zeigen, ob ein effektiverer TFH zu weniger Schlaganfällen - bei nicht erhöhter Blutungsrate führt.
DAPT bei TIA und leichtem ischämischen Schlaganfall: Neue Erkenntnisse und Empfehlungen
Internationale Experten haben im »British Medical Journal« empfohlen, nach einer TIA oder einem leichten ischämischen Schlaganfall einen zweiten TAH hinzuzunehmen, da Studienergebnisse nahelegten, dass »doppelt besser hält«. Grundlage für diese Empfehlung sind die Ergebnisse der POINT-Studie, die im Juli 2018 im »New England Journal of Medicine« veröffentlicht wurden.
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Die duale Plättchenhemmung mit ASS und Clopidogrel sollte mindestens 24 Stunden nach dem Einsetzen der ersten Schlaganfallsymptome erfolgen und über 10 bis 21 Tage andauern. In der POINT-Studie gab es größere ischämische Ereignisse in den folgenden drei Monaten bei 5,0 Prozent der Patienten unter dualer Plättchenhemmung und bei 6,5 Prozent der Probanden unter ASS plus Placebo (Hazard Ratio 0,75). Zu schweren Blutungen als Nebenwirkung kam es bei 0,9 Prozent der Patienten unter ASS plus Clopidogrel gegenüber 0,4 Prozent unter ASS plus Placebo (Hazard Ratio 2,32).
Die Risikoreduktion unter der Kombinationstherapie sei mit 25 Prozent signifikant gewesen. Durch die kombinierte Einnahme von Aspirin und Clopidogrel können deutlich mehr Folge-Schlaganfälle verhindert werden, und zwar bei vertretbaren Risiken wie einem leicht erhöhten Blutungsrisiko.
Clopidogrel-Monotherapie als Alternative zur ASS-Monotherapie nach PCI?
Nach perkutaner Koronarintervention (PCI) wird Clopidogrel - in Kombination mit Acetylsalicylsäure - zur Sekundärprophylaxe bei medikamentös behandelter instabiler Angina pectoris und zur Verhinderung der subakuten Stentthrombose nach koronarer Stentimplantation empfohlen. Die Frage, wie lange Patienten mit akutem Koronar-Syndrom (ACS) das Medikament einnehmen sollten und was nach dem Absetzen passiert, ist Gegenstand aktueller Forschung.
Die japanische STOPDAPT-Studie (Short and Optimal Duration of Dual Antiplatelet Therapy After Everolimus-Eluting Cobalt-Chromium Stent) hatte gezeigt, dass die Inzidenz unerwünschter Ereignisse einer 3-monatigen DAPT gefolgt von einer Aspirin-Monotherapie nach Stent-Implantation akzeptabel war.
Die 5-Jahresdaten der STOPDAPT-2-Studie verglichen die Langzeittherapie mit Clopidogrel mit einer Umstellung auf ASS nach 12-monatiger DAPT. Die Clopidogrel-Gruppe war der Aspirin-Gruppe im Hinblick auf den primären Endpunkt nicht unterlegen, aber auch nicht überlegen. Eine Überlegenheit der Clopidogrel-Gruppe wurde für die kardiovaskulären Ergebnissen festgestellt, wohingegen es keine Unterschiede bei den Blutungen gab.
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Die HOST-EXAM-Extended-Studie aus Süd-Korea verglich ebenfalls über einen Follow-Up-Zeitraum von 5 Jahren die ASS-Monotherapie mit einer Monotherapie mit Clopidogrel und zeigte bei über 4.500 eingeschlossenen Patient:innen eine Überlegenheit von Clopidogrel hinsichtlich der ischämischen Ereignisse, aber auch hinsichtlich der Blutungskomplikationen. Ebenfalls positiv für die P2Y12-Monotherapie fiel eine Metaanalyse aus, die 7 Studien mit insgesamt 24.325 Patient:innen einschloss. Hier konnte eine P2Y12-Monotherapie (Clopidogrel oder Ticagrelor) ischämische Ereignisse reduzieren, ohne hierbei die Blutungskomplikationen zu erhöhen.
Die aktuelle Studienlage weist daher klar daraufhin, dass eine P2Y12-Monotherapie im Vergleich zu einer ASS-Monotherapie keine Nachteile, sondern eher Vorteile mit sich bringt. Die validesten Daten liegen hierbei für eine Clopidogrel-Monotherapie vor.
Risiko nach Absetzen von Clopidogrel
Eine retrospektive Studie im US-amerikanischen Ärzteblatt (JAMA 2008; 299: 532-9) ergab, dass sich das Risiko erneuter koronarer Ereignisse nach dem Absetzen von Clopidogrel verdoppelt. Bei 17,1 Prozent aller medikamentös behandelten Patienten kam es nach Absetzen von Clopidogrel zum nicht tödlichen Herzinfarkt, oder sie starben an einem kardiovaskulären Ereignis. 61 Prozent der Ereignisse traten in den ersten 90 Tagen auf.
Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, bei jedem Patienten kritisch zu prüfen, ob er durch das Absetzen von Clopidogrel gefährdet sein könnte.
Orale Antikoagulation bei kardioembolischem Schlaganfall
Die orale Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten führt bei Patienten mit kardioemboligenem Schlaganfall im Vergleich zu Placebo zu einer relativen Risikoreduktion von fast 70 Prozent. Die orale Antikoagulation ist somit die effektivste sekundärpräventive Maßnahme, um einen Rezidivschlaganfall zu verhindern.
Allerdings wird allenfalls die Hälfte der Patienten mit Schlaganfall und Vorhofflimmern oral antikoaguliert, obwohl eine Indikation besteht. Hierzu trägt die schlechte Medikamentenadhärenz von Vitamin-K-Antagonisten bedingt durch Interaktionen mit Medikamenten und Nahrungsmitteln, instabile INR-Einstellung und die Notwendigkeit der regelmäßigen INR-Kontrolle bei.
Die neuen oralen Antikoagulanzien und die vermehrte Aufmerksamkeit im Hinblick auf Vorhofflimmern haben dazu geführt, dass der Anteil der Patienten, die konsequent antikoaguliert werden, ansteigt und auch die Medikamentenadhärenz zunimmt.
NOAKs bei kryptogenem Schlaganfall (ESUS)
Da bei 20 Prozent der Schlaganfallpatienten keine Ursache nachzuweisen ist, wird bei Patienten mit kryptogenen emboligenen Hirninfarkten ASS gegen ein neues orales Antikoagulanz getestet. Patienten mit kryptogenem Schlaganfall (ESUS - Embolic Stroke of Undetermined Source) werden randomisiert und mit Dabigatran (RESPECT ESUS), Rivaroxaban (NAVIGATE ESUS) oder Apixaban (ATTICUS) behandelt.
Sollte die Verabreichung von neuen oralen Antikoagulanzien bei diesen Patienten der Einnahme von ASS überlegen sein, so würde dies bedeuten, dass in Zukunft keine großen Anstrengungen mehr unternommen werden müssten, um mittels Langzeit-EKG, Looprekorder oder Eventrekorder nach einem Vorhofflimmern zu suchen. Erste Studienergebnisse werden für 2018 erwartet.
Wiederbeginn der Antikoagulation nach intrazerebraler Blutung
Der Wiederbeginn der Antikoagulation nach einer intrazerebralen Blutung verhindert bei Patienten mit Vorhofflimmern mehr Schlaganfälle als dass erneute Hirnblutungen provoziert werden. Zu dieser wichtigen Erkenntnis kam eine große deutsche multizentrische retrospektive Kohortenstudie an 1.176 Patienten von 19 Stroke Units.
Die Mortalität durch die intrazerebrale Blutung während des Krankenhausaufenthaltes konnte durch eine Senkung des INR < 1,3 und die Reduktion des systolischen Blutdrucks auf Werte unter 160 mmHg innerhalb von vier Stunden nach Symptombeginn signifikant gesenkt werden.
Statine in der Schlaganfallprävention
Auch wenn ein kausaler Zusammenhang zwischen Hyperlipidämie, Arteriosklerose und Gefäßerkrankung unzweifelhaft ist, so ist die Bedeutung der Hypercholesterinämie für den Schlaganfall bei weitem nicht so gut belegt wie für den Myokardinfarkt.
Die SPARCL-Studie zeigte, dass eine Therapie mit Atorvastatin 80 mg gegen Placebo zu einer signifikanten relativen Risikoreduktion von 20 Prozent für den vaskulären Endpunkt Schlaganfall, Myokardinfarkt und vaskulärer Tod führt. Auch jüngere Patienten (15-49 Jahre) mit einem ersten kryptogenen Schlaganfall profitierten in einer retrospektiven Analyse von einer Statintherapie.
Auch wenn keine direkte Evidenz vorliegt, welche LDL-Zielwerte angestrebt werden sollen, wird in Anlehnung an die Ergebnisse kardiovaskulärer Studien ein LDL-Cholesterinwert < 100 mg/dL (< 2,6 mmol/L) empfohlen. Da das plötzliche Absetzen eines Statins das Schlaganfallrisiko erhöhen kann, sollte bei Patienten mit akutem ischämischen Schlaganfall oder TIA die bereits begonnene Statin-Behandlung - gegebenenfalls auch über eine naso-gastroenterale Sonde - fortgeführt werden.
Weitere Aspekte der Sekundärprävention
Neben der medikamentösen Therapie sind weitere Maßnahmen zur Sekundärprävention von entscheidender Bedeutung:
- Blutdruckeinstellung: Eine gute Einstellung des arteriellen Blutdrucks ist essenziell. Studien haben gezeigt, dass verschiedene Mono- und Kombinationstherapien, etwa mit ACE-Hemmern, in der Sekundärprävention ischämische Schlaganfälle verhindern können.
- Lebensstilmodifikation: Eine gesunde Lebensweise mit ausgewogener Ernährung, regelmäßiger Bewegung und Verzicht auf Nikotin und übermäßigen Alkoholkonsum ist unerlässlich.
- Behandlung von Risikofaktoren: Die Behandlung von Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus und Vorhofflimmern ist wichtig, um das Schlaganfallrisiko zu senken.
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