Cortison nach Schlaganfall: Studienlage, Risiken und Therapieoptimierung

Cortison und seine Derivate, insbesondere Dexamethason, sind in der Notfallmedizin etablierte Medikamente zur Behandlung von Hirnschwellungen, beispielsweise nach einem Schlaganfall. Obwohl Cortison lebensrettend sein kann, birgt die Anwendung auch Risiken, insbesondere bei Langzeittherapie. Dieser Artikel beleuchtet die Studienlage zur Anwendung von Cortison nach Schlaganfall, die potenziellen Risiken und Ansätze zur Therapieoptimierung.

Die Rolle von Cortison bei Hirnschwellungen nach Schlaganfall

Nach einem Schlaganfall kommt es häufig zu Hirnödemen, also Schwellungen des Gehirns. Diese Schwellungen erhöhen den Schädeldruck und können zu weiteren neurologischen Schäden führen. Cortison-Präparate, insbesondere Dexamethason, wirken stabilisierend auf die Zellwände und Gefäße, wodurch die Hirnschwellung reduziert wird. Ärzte setzen Cortison und Cortison-Derivate ein, etwa Dexamethason, ein weit verbreitetes, hochwirksames Cortison-Derivat. Das Cortison stabilisiert die Zellwände und Gefäße und das Hirn schwillt ab, oft schon innerhalb weniger Stunden. Die Wassereinlagerungen entstehen den Wissenschaftlern zufolge durch Turmorzellen, die umliegende Gefäße und Zellen schädigen und für Flüssigkeiten durchlässiger machen.

Risiken der Cortison-Therapie: Cushing-Syndrom und kardiovaskuläre Ereignisse

Trotz der positiven Wirkung auf Hirnödem kann eine langfristige Cortison-Therapie erhebliche Nebenwirkungen haben. Circa zwei Drittel der Patienten, die systemische Glukokortikoide langzeitanwenden, entwickeln ein iatrogenes Cushing-Syndrom mit anomaler Fettgewebeverteilung.

Iatrogenes Cushing-Syndrom

Das iatrogene Cushing-Syndrom ist eine der bekanntesten Nebenwirkungen einer Langzeittherapie mit Glukokortikoiden. Bei einer langfristigen Therapie mit Glukokortikoiden entwickeln viele Patienten die typischen Zeichen eines iatrogenen Cushing-Syndroms, erkennbar am „Vollmond­gesicht“, dem „Stiernacken“ und der abdominalen „Fettschürze“. Die Anomalien sind nicht nur Folge einer Lipodystrophie, sondern auch einer schweren Stoffwechselstörung mit hohem Blutdruck, hohen Blutzucker- und Triglyzeridwerten und niedrigem HDL-Cholesterin. Diese Stoffwechselstörungen sind als Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bekannt.

Erhöhtes kardiovaskuläres Risiko

Eine Kohortenstudie im Britischen Ärzteblatt (BMJ 2012; 345: e4928) untersuchte den Zusammenhang zwischen dem iatrogenen Cushing-Syndrom und dem kardiovaskulären Risiko. Laurence Fardet vom University College London konnte jetzt in einer Analyse britischer Krankenversichertendaten zeigen, dass Patienten mit einem iatrogenen Cushing-Syndrom dreimal häufiger kardiovaskuläre Folgekrankheiten wie Herzinfarkt, Herzinsuffi­zienz oder Schlaganfall entwickeln, als Patienten, die unter der Steroidtherapie kein Cushing-Syndrom entwickeln. Verglichen mit Patienten, die nicht mit Glukokortikoiden behandelt wurden, war das Risiko sogar vierfach erhöht (adjustierte Hazard Ratio nach Multivariaten-Analyse 4,16; 95-%-Konfidenzintervall 2,98-5,82).

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Cortisol und kardiovaskuläre Mortalität

Auch die körpereigene Cortisol-Ausschüttung kann das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen beeinflussen. Menschen mit einer veränderten Ausschüttung des Stresshormons Cortisol haben Jahre später ein erhöhtes Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu versterben. Das berichten Forscherinnen und Forscher in der Fachzeitschrift Psychoneuroimmunology. Für die Einschätzung des Risikos ist demnach vor allem ein Blick auf das Tagesprofil der Cortisolausschüttung wichtig, nicht so sehr die Gesamtmenge an Cortisol. Die Ausschüttung von Cortisol weist bei gesunden Menschen im Tagesverlauf ein charakteristisches Muster auf. Der Cortisolspiegel steigt nach dem Aufwachen zunächst stark an, erreicht nach etwa 30 Minuten ein Maximum und fällt dann bis zum Abend hin kontinuierlich ab. In der aktuellen Untersuchung zeigte sich, dass TeilnehmerInnen mit einem solchen gesunden Muster der Cortisolausschüttung, also mit starkem Anstieg am Morgen und deutlichem Abfall zum Abend hin, ein geringeres Risiko aufwiesen, einen Schlaganfall zu erleiden oder an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu versterben. TeilnehmerInnen, deren Cortisolausschüttung sich im Tagesverlauf weniger stark änderte, hatten dagegen ein höheres Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu versterben.

Cortison und Tumorwachstum

„Eine verhängnisvolle Reaktion: Denn Zucker fördert das Wachstum des Tumors“, heißt es im Bericht der Wissenschaftler.Gleichzeitig regt Cortison aber die Leber an, die vermehrt Zucker ins Blut abgibt.

Dosisabhängige Effekte von Dexamethason bei Hirnmetastasen

Eine Studie, die im renommierten Fachjournal JAMA Network Open veröffentlicht wurde, untersuchte den Zusammenhang zwischen der Dexamethason-Dosis und der Überlebenszeit bei Patienten mit Hirnmetastasen, die sich einer Operation unterzogen hatten. Bei der operativen Entfernung von Hirnmetastasen wird fast immer das Medikament Dexamethason eingesetzt, um gefährliche Schwellungen im Gehirn zu verhindern. Doch wie viel von diesem Kortisonpräparat verabreicht wird, unterscheidet sich von Klinik zu Klinik - oft ohne einheitliche Leitlinien. In der im renommierten Fachjournal JAMA Network Open veröffentlichten Untersuchung wurden die Daten von 1.064 Patientinnen und Patienten ausgewertet, die sich einer Hirnoperation wegen Metastasen unterzogen hatten. Das Ergebnis: Wer innerhalb von 27 Tagen nach der Operation mehr als 122 Milligramm Dexamethason erhielt, hatte eine statistisch signifikant kürzere Überlebenszeit - unabhängig von Tumorgröße, Nebenerkrankungen oder weiterer Behandlung. „Diese Erkenntnis hat unmittelbare Bedeutung für die klinische Praxis“, betont Priv.-Doz. Dr. Daniel Dubinski, einer der beiden Rostocker Studienautoren.

Therapieoptimierung und Alternativen

Angesichts der potenziellen Risiken einer Cortison-Therapie ist es wichtig, die Therapie zu optimieren und nach Alternativen zu suchen.

Steroidsparende Medikation

„In der Praxis bedeutet dies, die Indikation zur Einleitung einer Pharmakotherapie mit Glukokortikoiden streng zu prüfen und besonders bei Langzeitanwendung die Therapie durch eine steroidsparende Medikation zu ergänzen“, kommentieren Dr. med. Birgit Harbeck und Prof. Dr. med. Hendrik Lehnert, Lübeck. Dies gelte vor allem bei weiblichem Geschlecht, jüngerem Alter und hohem BMI zu Beginn der Glukokortikoidtherapie, da diese Merkmale einer früheren Studie zufolge mit einem höheren Risiko für eine Fettverteilungsstörung verbunden waren.

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Regelmäßige Überwachung

Bei längerer Glukokortikoidtherapie solle regelmäßig auf die Entstehung eines iatrogenen Cushing-Syndroms und kardiovaskulärer Folgeerkrankungen untersucht werden. Durch rechtzeitige Vorsorge mit eventueller Therapieumstellung lassen sich möglicherweise eine weitere Morbidität und Mortalität reduzieren.

Forschung zu Alternativen

„Denn bisher kennt die Medizin keine Alternative zu Cortison, um die akut lebensbedrohenden Hirnschwellungen zu behandeln und das Leben der Patienten zu retten.“Die Erlanger Wissenschaftler wollen die Cortisontherapie so optimieren, dass das Risiko für die Patienten möglichst klein gehalten wird, und die Behandlung besser auf die Chemotherapie abgestimmt werden kann.

Ferroptose und Dipeptidase-1-Blocker

Kortison ist bekannt für eine Vielzahl an Nebenwirkungen wie Osteoporose. Die Ursachen dieser Nebenwirkungen sind bisher nur unzureichend verstanden. Schon lange war bekannt, dass Kortison einen Einfluss auf Zellsterblichkeit hat. Die Arbeitsgruppe um Dr. Eine besondere Form dieses regulierten Zelltods ist die Ferroptose. Bei dem oxidativen eisenabhängigen Prozess werden Fette in der Zellmembran zerstört, was schließlich zum Absterben der Zellen führt. Diese Prozesse werden bei akuten Nierenversagen, im Rahmen der Organtransplantation, beim Herzinfarkt und beim Schlaganfall beobachtet. Die Forscher sprechen von „biologischem Rost“ und zeigen nun, dass Dexamethason sowohl in Zellkultur als auch in isolierten Nierenkanälchen die Ferroptose beschleunigt. Dieser Effekt beruht auf der Aktivität eines bestimmten Eiweißes, der Dipeptidase-1. Es handelt sich um ein Enzym, welches einen Vorläufer des Stoffwechselprodukts Glutathion abbaut. Glutathion selbst blockiert Ferroptose. Schon seit Jahrzehnten werden Medikamente zur Hemmung der Dipeptidase-1 bei der Antibiotikatherapie genutzt. „Die Wirkung der Dipeptidase-Blocker, z.B. Cilastatin, könnten wir nun auch als Co-Medikation bei der Gabe von Dexamethason klinisch testen“ erklärt Professor Linkermann. Nebenwirkungen von Cilastatin sind äußerst selten.

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