Einleitung
Die Forschung der letzten Jahre hat ein zunehmendes Interesse an der komplexen Beziehung zwischen Darm und Gehirn geweckt, die oft als "Darm-Hirn-Achse" bezeichnet wird. Diese bidirektionale Kommunikationslinie spielt eine entscheidende Rolle bei verschiedenen Aspekten der Gesundheit, von der Immunfunktion bis hin zur psychischen Gesundheit. Im Zentrum dieser Verbindung steht das Darmmikrobiom, eine Gemeinschaft von Billionen von Mikroorganismen, die in unserem Darm leben. Dieser Artikel untersucht, wie Darmbakterien das Gehirn beeinflussen, welche Mechanismen beteiligt sind und welche potenziellen therapeutischen Implikationen sich daraus ergeben.
Die Bedeutung des Darmmikrobioms
Im menschlichen Darm, insbesondere im Dickdarm, leben Tausende von Stämmen unterschiedlicher Bakterien. Diese rund hundert Billionen Mikroorganismen bringen es zusammen auf ein Gewicht von geschätzt ein bis zwei Kilogramm. Ein gesundes Mikrobiom ist für den Körper ausgesprochen nützlich: Die Darmbakterien helfen bei der Verwertung von Nahrungsbestandteilen und verhindern, dass sich Krankheitserreger im Darm ausbreiten können. Sie tragen auch zum Funktionieren unseres Immunsystems bei und regen die Darmbewegungen an, was für einen geregelten Stuhlgang zentral ist. Die Zusammensetzung der Darmflora ist individuell und wird vor allem durch Ernährung und immunologische Prozesse beeinflusst.
Die Darm-Hirn-Achse: Eine bidirektionale Kommunikationslinie
Gehirn und Darm sind in ständigem Austausch. Diese Kommunikation geht in beide Richtungen und hat große Auswirkungen auf viele Aspekte der Gesundheit; so ist beispielsweise bekannt, dass psychischer Stress die Anzahl der nützlichen Bakterien im Darm verringert und damit die Immunität beeinträchtigt. Die Darm-Hirn-Achse nutzt den Vagusnerv, der vom Bauchraum bis zum Hirnstamm reicht, um ihre wichtigen Botschaften zu übermitteln. Ihr Darm nimmt eine Schlüsselrolle bei der Kommunikation in Ihrem Körper ein. Warum der Teil des Verdauungstrakts so wichtig ist, zeigt ein Blick auf die neuronalen Fähigkeiten. 100 Millionen Nervenzellen befinden sich alleine im Darm und formen das sogenannte enterische Nervensystem. Das ist der Grund dafür, warum der Verdauungstrakt auch den Namen „zweites Gehirn“ oder „Bauchhirn“ trägt. Genau diese Nervenzellen ermöglichen gemeinsam mit dem Vagusnerv die Unterhaltung zwischen dem zentralen Nervensystem und dem Magen-Darm-Trakt.
Wie Darmbakterien das Gehirn beeinflussen
Die Mechanismen, durch die Darmbakterien das Gehirn beeinflussen, sind vielfältig und komplex. Hier sind einige der wichtigsten Wege:
- Produktion von Neurotransmittern und ihren Vorstufen: Darmbakterien können Neurotransmitter wie Serotonin und Dopamin direkt produzieren oder deren Vorstufen beeinflussen. Serotonin beeinflusst die Signalverarbeitung. Wussten Sie, dass Ihr Darm, genauer gesagt die Darmzellen, große Mengen des Glückshormons Serotonin herstellen? Diese Neurotransmitter spielen eine entscheidende Rolle bei der Regulierung von Stimmung, Verhalten und Kognition.
- Produktion von kurzkettigen Fettsäuren (SCFAs): Bei der Zersetzung von Ballaststoffen produzieren Bakterien kurzkettige Fettsäuren, die für die korrekte Funktion der Mikroglia benötigt werden. Diese Stoffwechselprodukte gelangen über das Blut ins Gehirn und können dort Entzündungsreaktionen beeinflussen und die Funktion von Immunzellen des Gehirns (Mikroglia) steuern.
- Beeinflussung des Immunsystems: Das Mikrobiom bzw. unsere Darmbakterien können die Immunzellen zur Zytokin-Produktion bewegen. Darmbakterien können die Produktion von Zytokinen beeinflussen, Proteinen, die eine Kommunikation zwischen Zellen ermöglichen. Diese Immunbotenstoffe können die Neurophysiologie beeinflussen und Entzündungen im Gehirn modulieren.
- Direkte neuronale Verbindungen: Der Vagusnerv dient als Hauptkommunikationsweg zwischen Darm und Gehirn. Darmbakterien können den Vagusnerv aktivieren und so direkte Signale an das Gehirn senden.
- Beeinflussung der Stressreaktion: Psychischer Stress kann die Zusammensetzung des Darmmikrobioms verändern und umgekehrt. Das Mikrobiom kann die Aktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse) beeinflussen, die eine zentrale Rolle bei der Stressreaktion spielt.
Darmbakterien und neurologische Erkrankungen
Mittlerweile gibt es Befunde, die darauf hinweisen, dass das Mikrobiom auch bei chronischen neurologischen Erkrankungen eine Rolle spielt. Veränderungen in der Zusammensetzung und Funktion des Darmmikrobioms wurden mit verschiedenen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen in Verbindung gebracht, darunter:
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- Alzheimer: Studien haben gezeigt, dass Alzheimer-Patienten eine andere Zusammensetzung des Mikrobioms im Darm haben als gesunde Probanden. Das Mikrobiom kann als Frühwarnsensor eingesetzt werden, da sich die Zusammensetzung des Darmmikrobioms bereits vor der Ablagerung von Amyloid-Plaques im Gehirn verändert.
- Parkinson: Manche Parkinsonpatienten leiden unter Verstopfung, lange bevor sich Probleme mit der Motorik einstellen. Viele Forscher halten es inzwischen für möglich, dass die Krankheit im Darm beginnt - zumindest in einigen Fällen.
- Autismus-Spektrum-Störungen (ASS): Studien an Mäusen haben gezeigt, dass die Darmflora die Entwicklung von ASS-ähnlichen Verhaltensweisen beeinflussen kann.
- Depressionen und Angststörungen: Studien legen nahe, dass Patient*innen mit Depressionen Veränderungen in der Darmflora aufweisen. Probiotika können die Stimmung verbessern und die Gedächtnisleistung beeinflussen.
- Multiple Sklerose (MS): Die Besiedlung des Darms mit Bakterien beeinflusst lebenslang die Immunabwehr des Gehirns und damit möglicherweise auch den Verlauf von Hirnerkrankungen wie Multipler Sklerose.
Beeinflussung der Immunabwehr im Gehirn durch Darmbakterien
Die Besiedlung des Darms mit Bakterien beeinflusst lebenslang die Immunabwehr des Gehirns und damit möglicherweise auch den Verlauf von Hirnerkrankungen wie Alzheimer und Multipler Sklerose. Wie die Wissenschaftler nun zeigen konnten, wird die Funktion von Fresszellen des Gehirns, so genannte Mikroglia, durch Abbauprodukte von Darmbakterien gesteuert. Insbesondere bei der Zersetzung von Ballaststoffen produzieren Bakterien kurzkettige Fettsäuren, die für die korrekte Funktion der Mikroglia benötigt werden. Mäuse, deren Darm keine Bakterien enthielt, entwickeln unreife und verkümmerte Mikroglia. Wurde später eine Darmflora etabliert , waren auch die Mikroglia-Zellen wieder gesünder.
Therapeutische Ansätze zur Modulation des Darmmikrobioms
Die Erkenntnisse über die Darm-Hirn-Achse eröffnen neue Möglichkeiten für die Behandlung von neurologischen und psychischen Erkrankungen. Einige vielversprechende therapeutische Ansätze umfassen:
- Probiotika: Probiotika sind Zubereitungen, die lebensfähige Mikroorganismen enthalten, zum Beispiel Milchsäurebakterien und Hefen. Eine positive Wirkung auf die Darmflora wird vor allem den sogenannten Probiotika zugeschrieben. Die Mikroorganismen kommen natürlicherweise in milchsauren Produkten vor, wie etwa Joghurt, Kefir, Buttermilch oder Brottrunk, aber auch in Eingemachtem wie Sauerkraut, Pickles oder Kimchi. Die Gabe von Probiotika kann die negativen Folgen der psychischen Belastung wettmachen.
- Präbiotika: Anders als bei Probiotika handelt es sich bei ihnen aber nicht um Mikroorganismen, sondern um Ballaststoffe, die vom Körper nicht verdaut werden. Manche der "guten" Bakterien im Dickdarm stürzen sich geradezu auf die Präbiotika, verwerten sie bevorzugt und können sich dadurch vermehren. Präbiotische Lebensmittel sorgen dafür, dass sich vor allem Bifidobakterien in unserem Darm wohlfühlen. Krank machende Bakterienstämme wie etwa Clostridien und bestimmte Arten von E. coli haben es dann schwerer, sich im Darm auszubreiten. Präbiotika sind zum Beispiel in Chicorée, Topinambur, Zwiebeln, Knoblauch, Schwarzwurzeln, Artischocken und Bananen enthalten.
- Ernährungsumstellung: Eine ballaststoffreiche und ausgewogene Ernährung kann dazu beitragen, eine gesunde Darmflora aufzubauen und das Gleichgewicht des Mikrobioms zu fördern. "Bei gesunden Menschen reicht in der Regel schon eine ausgewogene Ernährung mit Gemüse und Vollkornprodukten, um das Mikrobiom im Gleichgewicht zu halten", sagt Ernährungs-Doc Matthias Riedl.
- Stuhltransplantation: Beim Reizdarmsyndrom etwa gebe es noch keine gute Datenlage zum Stuhl-Transfer. Auch sei das nicht ungefährlich. Zusätzlich sei das Mikrobiom sehr individuell - nicht nur von Mensch zu Mensch.
Die Rolle der Brunner-Drüsen
Eine Studie eines internationalen Forschungsteams hat eine wichtige Verbindung zwischen Gehirn und Darm aufgedeckt. Sie erklärt, wie psychische Zustände das Darmmikrobiom beeinflussen und dadurch Immunprobleme und andere Krankheiten auslösen können. Die Arbeit führt aus, dass das Gehirn über die Brunner-Drüsen im Dünndarm die Zusammensetzung des Darmmikrobioms beeinflusst. Wissenschaftler der Icahn School of Medicine at Mount Sinai (New York) und des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen haben nun einen neuronalen Schaltkreis identifiziert, der das Gehirn mit den sogenannten Brunner-Drüsen im oberen Abschnitt des Dünndarms verbindet. Diese sondern Schleim ab, der die Darmwand auskleidet und als Substrat für das Wachstum nützlicher Darmbakterien dient. Mäuse, denen die Brunner-Drüsen entfernt wurden, wiesen laut der Studie eine geringere Anzahl von Laktobazillen im Darm auf. Direkt Verbindung von der Amygdala zum Darm. Darüber hinaus wiesen die Forschenden nach, dass das Gehirn die Aktivität der Brunner-Drüsen über den Vagusnerv reguliert. Dieser Nerv, ein wichtiger Teil des parasympathischen Nervensystems, steuert viele Organsysteme im gesamten Körper und spielt eine Schlüsselrolle bei Ruhe und Entspannung. Er verbindet die Brunner-Drüsen mit der Amygdala, einem Gehirnareal, das für emotionale Reaktionen zuständig ist. Bei Furcht oder Ängstlichkeit reduziert die Amygdala ihre Aktivität und sendet weniger Signale an den Vagusnerv. Infolgedessen sondern die Brunner-Drüsen weniger Schleim ab, was wiederum die Immunität beeinträchtigt.
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