Das resiliente Gehirn: Definition, Forschung und Förderung

Der Begriff "Resilienz" begegnet uns im Alltag immer öfter, wird aber in seiner Komplexität nicht immer verstanden. Menschen, die sich von traumatischen Ereignissen und Schicksalsschlägen wieder gut erholen, werden in Fachkreisen als "resilient" bezeichnet. Der Begriff stammt aus der Materialkunde und bezeichnet Stoffe, die auch nach extremer Spannung wieder in ihren Ursprungszustand zurückkehren, wie etwa Gummi. Bei resilienten Menschen funktioniert das Prinzip ähnlich. Dank ihrer großen inneren Widerstandskraft richten sie sich nach einer gewissen Zeit wieder auf und gestalten ihr Leben weiter. Resilienz ist also die Fähigkeit, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen.

Resilienz: Mehr als nur "Zurückspringen"

Resilienz (lat. resilire = zurückspringen, abprallen) stammt ursprünglich aus der Materialwissenschaft. In der Psychologie steht Resilienz für psychische Robustheit oder auch psychische Elastizität. Sie wird auch als das "Immunsystem der Seele" oder als "Stehaufmännchen-Kompetenz" bezeichnet. Es ist wichtig zu verstehen, dass Resilienz nicht bedeutet, unverwundbar zu sein oder unversehrt in einen früheren Zustand zurückzukehren. Es geht vielmehr darum, die Fähigkeit, sich an widrige Umstände anzupassen, Stress zu bewältigen und sich trotz herausfordernder Lebensereignisse positiv zu entwickeln.

Resilienz vs. Vulnerabilität

Weder Resilienz noch der Gegenpol, die Vulnerabilität, sind statisch, sondern sie verändern sich je nach den Herausforderungen und Ressourcen des Lebens. Vulnerabilität wird oft als Gegenpol zu Resilienz angesehen, als eine "durch soziale, psychische, organische, genetische u.a. Faktoren bedingte Anfälligkeit, auf Belastungen mit bestimmten Erkrankungen zu reagieren" oder als "herabgesetzte Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen der Person-Umwelt-Beziehungen". Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass eine Person, die sich in einer bestimmten Situation als resilient erweist, sich bei einer anderen Gelegenheit nicht als vulnerabel zeigen könnte.

Die Geschichte der Resilienzforschung

Die Wissenschaft entdeckte die Resilienz in den 1950er-Jahren. Der Begriff der Resilienz wurde bereits in den 1950er Jahren von dem amerikanischen Psychologieprofessor Jack Block (Universität Berkeley) in die Psychologie eingeführt. Block verwandte den Begriff allerdings im Sinne von ego-resiliency und meinte damit ausgeprägte Anpassungsfähigkeit und bestimmte Charaktereigenschaften, die auch ohne das Vorhandensein von außergewöhnlichen Herausforderungen zum Einsatz kommen (Block und Block 1980).

Emmy Werner und die Kauai-Studie

Damals startete die US-Psychologin Emmy Werner eine 40 Jahre währende Langzeitstudie auf der hawaiianischen Insel Kauai, bei der sie 686 Kinder auf ihrem Weg ins Erwachsenenleben begleitete. Dabei stellte sie fest, dass arme und vernachlässigte Kinder als Erwachsene keineswegs automatisch scheitern, wie es damals viele annahmen. Diese Gruppe lieferte der Wissenschaft die ersten Anhaltspunkte dafür, was Menschen mit einer guten Resilienz auszeichnet. In dieser Studie wurde eine ganze Kohorte der 1955 auf der Insel Kauai geborenen Jungen und Mädchen (N=698) in mehreren Etappen von der Geburt bis ins mittlere Erwachsenenalter 40 Jahre lang beobachtet. Dabei gelangten die beiden Forscherinnen zu dem zunächst überraschenden Ergebnis, dass etwa ein Drittel der sogenannten Hochrisikokinder, also Jungen und Mädchen, die in ihrer frühen Kindheit mehrfachen Entwicklungsrisiken ausgesetzt waren, diese weitgehend unbeschadet zu meistern vermochten, während andere Kinder angesichts vergleichbarer Problemkonstellationen psychische Schäden davongetragen haben oder verhaltensauffällig wurden.

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Weitere wichtige Beiträge zur Resilienzforschung

  • Norman Garmezy: Seine "Kompetenz-Studie" untersuchte Kinder von schizophrenen Eltern und fand heraus, dass Resilienz in engem Zusammenhang mit der Anzahl der zu bewältigenden Risiken und den jeweils zugänglichen Schutzfaktoren steht.
  • James E. Anthony: Er erregte Aufmerksamkeit mit dem Aufsatz "The Syndrome of the Psychologically Invulnerable Child", der die Fähigkeit manisch-depressiver und schizophrener Eltern untersuchte, sich trotz ungünstiger Bedingungen psychisch gesund zu entwickeln.
  • Michael Rutter: Seine Isle of Wight-Studie betonte die Bedeutung des Zugangs zu Ressourcen (Schutzfaktoren) und die zentrale Rolle der Umwelt für das Bewältigungshandeln.
  • Suniya Luthar: Ihre Studie zu unterprivilegierten Jugendlichen zeigte, dass resiliente Jugendliche sich vor allem durch einen ausgeprägten internen "locus of control" und ausgeprägte soziale Verhaltensweisen auszeichneten.
  • Ann Masten: Sie vertritt die Position, dass Resilienz nicht eine außergewöhnliche Erscheinungsform, sondern eher weit verbreitet sei ("Ordinary magic").
  • Michael Ungar: Er betont die Kultur- und Kontextgebundenheit von Resilienz und versteht sie als das Ergebnis des Zusammenwirkens von Individuum und seiner Umgebung.

Was zeichnet resiliente Menschen aus?

Heute gilt als gesichert, dass resiliente Menschen ihr Leben als sinnvoll erachten und erlebt haben, dass sich etwas verändert, wenn man handelt. Außerdem verfügen sie über stabile soziale Kontakte und ein realistisches Selbstbild, das ihnen hilft, Lebensträume und Ziele besser einschätzen und Wege finden zu können, um sie zu erreichen. Auch ein guter Zugang zu seinen Gefühlen und Zuversicht macht Menschen resilient.

Die sieben Säulen der Resilienz nach Monika Gruhl

Nach dem Modell von Monika Gruhl beruht Resilienz auf sieben Eigenschaften oder Grundhaltungen:

  1. Optimismus: Resiliente Menschen haben eine optimistische Grundhaltung. Sie sehen eine Krise als Herausforderung an. Sie sind sich dessen bewusst, dass deren Dauer endlich ist, und gehen davon aus, dass sie sie überwinden werden können.
  2. Akzeptanz: Resiliente Menschen akzeptieren das Wesen einer krisenhaften Situation. Sie bemühen sich, die Krise zu begreifen.
  3. Lösungsorientierung: Resiliente Menschen konzentrieren sich auf Lösungen und suchen aktiv nach Wegen, um die Situation zu verbessern.
  4. Zukunft gestalten: Resiliente Menschen planen einerseits ihre Zukunft realistisch und haben bei unerwarteten Ereignissen mehrere Handlungsvarianten zur Verfügung.
  5. Beziehungen gestalten: Resiliente Menschen pflegen stabile und unterstützende Beziehungen zu anderen Menschen.
  6. Verantwortung übernehmen: Resiliente Menschen übernehmen Verantwortung für ihr Handeln und ihre Entscheidungen.
  7. Selbstregulierung: Es ist menschlich, in einer Krise nach dem eigenen Anteil daran zu suchen und sich deswegen schuldig zu fühlen. Resiliente Menschen können ihre Emotionen und ihr Verhalten selbstregulieren.

Die Rolle der Gene

Welche Rolle die Gene für die Resilienz spielen, erforschen die Wissenschaftler noch. Ein wichtiges Gen scheint das "5-HTTLPR" zu sein, das es in einer längeren und einer kürzeren Variante gibt. Das 5-HTTLPR regelt zum einen, wie gut das Glückshormon Serotonin im Gehirn an- und abtransportiert wird. Zum anderen steuert es das Enzym, das das Stresshormon Nor-Adrenalin abbaut. In der längeren Variante wirkt 5-HTTLPR effektiver, was Menschen widerstandsfähiger gegen Stress macht und sie gleichzeitig häufiger Glücksgefühle erleben lässt - zwei wichtige Faktoren für Resilienz. Außerdem gibt es Indizien dafür, dass die Resilienz auch vom Wachstum der Nervenzellen im Gehirn abhängt. Dafür sind hochspezialisierte Proteine zuständig, deren Produktion ebenfalls Gene steuern. Läuft die Produktion der Proteine gut, ist das Gehirn plastischer und das Denken flexibler. Die Vermutung liegt daher nahe, dass Menschen mit einem guten Nervenwachstum besser mit Schicksalsschlägen umgehen können. Dann scheint noch entscheidend zu sein, wie Menschen Stress und potenziell traumatisierende Ereignisse im präfrontalen Kortex bewerten. Den genauen Ablauf erforschen die Neurobiologen noch. Es kann also tatsächlich sein, dass manche Menschen gegenüber schweren Lebensereignissen und Schicksalsschlägen aufgrund ihrer Gene schlechter geschützt sind als andere.

Resilienz ist trainierbar

Die gute Nachricht lautet also: Der Mensch kann schwere Zeiten überstehen. In der Forschung geht man weitgehend davon aus, dass Resilienz trainierbar ist und zur Prävention von Leiden oder zur besseren Überwindung von Krisen nutzbar gemacht werden kann. Resilienz wird als dynamischer und lebenslanger Prozess verstanden, der im Wechselspiel zwischen Mensch und Umwelt erfolgt und über verschiedene Lebensbereiche und -phasen variiert.

Wie lässt sich Resilienz stärken?

Es gibt eine Vielzahl von Übungen, mit denen Sie Resilienz aufbauen können. Hier sind einige Beispiele:

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  • Situationen akzeptieren: "Rege dich nicht über etwas auf, was du nicht ändern kannst."
  • Die Opferrolle verlassen: "Ändere deine Perspektive. Betrachte dich nicht als Opfer, sondern als Person deines Lebens." Dieser Appell soll dabei helfen, sich selbst als Gestalter:in des eigenen Lebens zu begreifen.
  • Ziele definieren: "Erstelle einen Plan mit all den Zielen, die du in deinem Leben erreichen möchtest. Definiere deine Ziele dabei so konkret wie möglich."
  • Positive Beziehungen pflegen: Das soziale Netz ist ein wichtiger Resilienzfaktor. Du solltest deshalb lernen, Hilfe anzunehmen und dich auf andere zu verlassen.
  • Stressumgang lernen: Krisen bedeuten immer auch Stress. Entspannungstechniken können gute Strategien sein, dich selbst zu beruhigen.
  • Achtsamkeit praktizieren: Durch das Erkennen, Akzeptieren, Erforschen von Körper, Gefühl, Geist und Wahrheit und das Nicht-Identifizieren erreicht man den achtsamen Wandel in regelmäßiger Meditationspraxis.

Resilienz in verschiedenen Bereichen

Resilienz betrifft nicht nur Individuen, sondern kann auch im Zusammenhang mit sozialen Einheiten wie Familien gesehen werden. Resiliente Familien verfügen über verschiedene Bewältigungsstrategien wie Zusammenhalt, offene Kommunikation, gemeinsame Zeit oder das gleiche Glaubenssystem. Auch in Teams, Organisationen und Gesellschaften spielt Resilienz eine wichtige Rolle.

Team-Resilienz

Resiliente Teams sind in der Lage, eine Projektkrise zu bewältigen, da sie handlungsfähig bleiben. Sie erfahren, wie Sie KI, Kommunikation und emotionale Intelligenz gezielt miteinander verbinden, machen Teamdynamiken sichtbar und bauen Vertrauen in KI-gestützte Prozesse auf.

Organisationale Resilienz

Benjamin Scharte hat die Erkenntnisse der Resilienz für Personen auf Organisationen übertragen und einen Resilienzzyklus aus fünf Phasen entwickelt. Es gibt kein für alle Projekte gültiges Vorgehen mit Maßnahmen, die das Projekt gegen Krisen widerstandsfähig machen. Jedoch können aus einer Vielzahl von Maßnahmen diejenigen ausgewählt werden, die die einzelnen Projektmitglieder und das gesamte Projekt resilienter machen.

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