Delir bei Demenz: Ursachen, Diagnose und Behandlung

Das Delir ist eine akute, fluktuierende neuropsychiatrische Erkrankung, die sich durch Bewusstseinsstörungen, Desorientierung, Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsstörungen äußert. Es stellt besonders für Menschen mit Demenz eine erhebliche Belastung dar und führt häufig zu erhöhter Morbidität und Mortalität. Tritt ein Delir bei einer bestehenden Demenz auf, spricht man von einem "Delirium superimposed on dementia" (DSD).

Demenz: Ein Überblick

In Deutschland und Österreich leiden schätzungsweise 1,7 Millionen Menschen an einer Form von Demenz. Jährlich kommen etwa 300.000 Neuerkrankungen hinzu. Der Begriff "Demenz" dient als Überbegriff für verschiedene Subtypen derselben Krankheitsgruppe, deren Ursachen meist direkte Hirnschäden, häufig neurodegenerative Prozesse, sind. Das Erscheinungsbild der Demenz ist durch den Rückgang höherer kortikaler Funktionen und klinische Verhaltensänderungen gekennzeichnet. Die psychopathologischen Symptome der Demenz können ein auftretendes Delir maskieren.

Das Delir: Definition, Formen und Ursachen

Das Delir wird als multifaktoriell bedingtes, neuropsychiatrisches Syndrom mit akutem Beginn und fluktuierendem Verlauf definiert. Man unterscheidet zwischen hyperaktivem, hypoaktivem und gemischtem Delir. Zu den wichtigsten Risikofaktoren und Auslösern zählen hohes Alter, somatische Erkrankungen, Medikamente (insbesondere Benzodiazepine), größere Operationen, Entzugssyndrome bei Substanzmissbrauch (z. B. Alkoholentzugsdelir) und eine zugrunde liegende Demenzerkrankung.

Neurodegenerative Prozesse im Alter, wie sie bei Demenz auftreten, führen zu neuroinflammatorischen Zellveränderungen und Veränderungen der Konnektivität des Gehirns. Dadurch verliert das Gehirn die Fähigkeit, adäquat auf akute Stressoren zu reagieren, was ein Delir begünstigt. Umgekehrt kann ein Delir die Entstehung oder Verschlechterung einer Demenz fördern. Studien zeigen, dass eine durchgemachte Delirepisode das Risiko, eine Demenz zu entwickeln, um das Achtfache erhöht und zu einem schlechteren kognitiven Ergebnis führt. Es besteht eine direkte Assoziation zwischen einer Verschlechterung der Mini-Mental State Examination (MMSE) und der Länge bzw. Dauer eines Delirs. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Ursache für eine neu auftretende Demenz nach einem Delir nicht in Ablagerungen von β-Amyloid und Tau-Proteinen liegt, sondern in neuen Schäden am Gehirn.

Prävalenz des Delirs bei Demenz (DSD)

Die Prävalenz des DSD bei Patienten über 65 Jahren mit Demenz variiert je nach Setting zwischen 22 und 89 %. Diese große Spanne erklärt sich dadurch, dass ein Delir aufgrund tageszeitlicher Schwankungen und des oft subsyndromalen Verlaufs häufig nicht erkannt wird. Klinische Studien zeigen, dass fast zwei Drittel aller hospitalisierten über 65-Jährigen ein subsyndromales Delir aufweisen. Bei der Aufnahme in eine Klinik haben bereits bis zu 25 % der Patienten über 65 ein Delir, weitere 30 % entwickeln es während des stationären Aufenthalts. Umgekehrt liegt bei rund zwei Dritteln der hospitalisierten Delirpatienten über 65 Jahren eine Demenzerkrankung zugrunde, wobei das Risiko, ein Delir zu entwickeln, mit dem Schweregrad der Demenz steigt. Studien zeigen auch, dass die Delirprävalenz in Langzeitpflegeeinrichtungen (33,3-70,3 %) höher ist als bei nicht-institutionalisierten Patienten.

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Die Entwicklung eines Delirs bei vorbelasteten Patienten hängt von den komplexen Wechselbeziehungen zwischen prädisponierenden Faktoren (Vulnerabilität) und der Exposition gegenüber auslösenden Faktoren (Noxe) ab. Bei Patienten mit zugrunde liegenden Risikofaktoren (z. B. Demenz, Multimorbidität, Polypharmazie) können bereits relativ geringgradige Faktoren - z. B. ein leichter Harnwegsinfekt oder eine leicht bis mäßig ausgeprägte Elektrolytstörung - ausreichen, um ein Delir auszulösen.

DSD ist mit höheren Kosten für das Gesundheitssystem, durchschnittlich längeren Krankenhausaufenthalten und einem schlechteren funktionellen Ergebnis als bei einer Demenzerkrankung allein verbunden. Patienten mit einer diagnostizierten Demenzerkrankung haben während ihrer Behandlung in einer Einrichtung des Gesundheitswesens ein etwa dreifach erhöhtes Risiko einer Delir-Entwicklung. Dies erfordert eine genauere Beobachtung der betroffenen Risikogruppe, systematische Präventions- und Behandlungsmaßnahmen und vor allem ein geschultes Bewusstsein dieser Problematik bei Gesundheitsfachpersonen. Ein Delir, insbesondere ein übersehenes und unbehandeltes Delir, kann im weiteren Verlauf zu einem beschleunigten kognitiven Rückgang, zu verfrühter Einweisung in ein Pflegeheim und insgesamt zu höherer Morbidität und Mortalität führen.

Diagnostik des Delirs bei Demenz

Das Delir ist potenziell lebensgefährlich. Es kann jedoch bei frühzeitiger Diagnose behandelt werden, und mithilfe geeigneter präventiver Maßnahmen kann das Risiko, ein solches zu entwickeln, reduziert werden.

Die Österreichische Gesellschaft für Geriatrie und Gerontologie (ÖGGG) empfiehlt, bei der Aufnahme in einer medizinischen Einrichtung ein standardisiertes Delirscreening bei allen Patienten über 70 Jahren durchzuführen. Die strukturierte Anwendung von Screeninginstrumenten soll eine frühzeitige Diagnostik unterstützen und gewährleisten, dass DSD bereits bei Patienten mit zunächst asymptomatischem Erscheinungsbild entdeckt und rechtzeitig behandelt werden kann. In Ermangelung spezifisch entwickelter Tests zur Detektion des DSD werden in der Praxis zurzeit Instrumente verwendet, die zur Diagnostik des alleinigen Delirs entwickelt wurden.

Ein weit verbreitetes Instrument zur Früherkennung eines Delirs ist die "Confusion Assessment Method" (CAM), die bereits 1990 entwickelt wurde. Die CAM gilt in den Leitlinien der Universitätsklinik Jena als Goldstandard zur Delirdiagnostik. Ausgehend von der CAM wurde 2014 die 3D-CAM entwickelt; ein strukturierter Fragebogen, der eine einfache und schnelle Anwendung in der klinischen Praxis ermöglicht. Sowohl die CAM als auch die 3D-CAM wurden ins Deutsche übersetzt und validiert. Basierend auf den Fragen der 3D-CAM haben Steensma et al. (2019) eine Kombination aus drei Fragen mit hoher Sensitivität (94 %) identifiziert, die dazu verwendet werden kann, bei bereits bekannter Demenz ein zusätzliches Delir schnell auszuschließen.

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Neben der CAM kommen im täglichen klinischen Setting die Kriterien der 5. Edition des "Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders" (DSM-5) und der ICD-10-Klassifikation zum Einsatz. Anhand der DSM-5-Kriterien wurde die "Delirium Observation Scale (DOS)" erstellt, die von der Schweizer Leitlinie als geeignetes Instrument zur schnellen Erfassung eines Delirs empfohlen wird. Die schottische SIGN-Leitlinie (Scottish Intercollegiate Guidelines Network) nennt hingegen das 4AT-Tool (assessment test for delirium & cognitive impairment) zur Identifikation eines Delirs im akut-klinischen Rahmen. Dabei werden Wachheit, Orientierung, Aufmerksamkeit und fluktuierende Symptomatik anhand eines Punktesystems bewertet und interpretiert. Das 4AT-Tool liegt auch in validierter deutscher Form vor.

Eine Befragung von Delirspezialisten ergab, dass Aufmerksamkeitsdefizit, Schwankungen des neurokognitiven Status und Erregbarkeit die wichtigsten Merkmale zur Diagnosesicherung eines Delirs im Unterschied zu "behavioural and psychological symptoms of dementia" (BPSD) sind. Etwa drei Viertel der Befragten nannten "motorische Fluktuationen" ebenfalls als maßgebendes Kriterium zur Bestimmung der DSD-Symptomatik. In der Praxis werden jedoch kaum Tests zur Prüfung der motorischen Fluktuationen verwendet. Die "Richmond Agitation Sedation Scale" (RASS) und eine modifizierte Version (mRASS) werden als geeignete Testverfahren zur Erkennung von motorischen Veränderungen beschrieben.

Basierend auf diesen Erkenntnissen wurde das 4-DSD Tool zur spezifischen Diagnostik von DSD entwickelt. Es berücksichtigt vier Kriterien: Aktivitätsgrad (mRASS), veränderte Hirnfunktion, Aufmerksamkeit und akute Veränderung oder Schwankungen im mentalen Zustand. Die diagnostische Genauigkeit wurde in einer ersten Validitätstestung bei Patienten mit einer moderat schweren Demenz als zufriedenstellend bewertet.

Ergänzend zu spezifisch entwickelten Instrumenten zur Erfassung des DSD ist ein multifaktorieller und multiprofessioneller Zugang notwendig. Im Zusammenspiel soll ärztliches und nichtärztliches Personal bei Risikopatienten ein regelmäßiges, im besten Fall tägliches Screening auf Delir durchführen.

Abgrenzung von Delir und Demenz

Es ist wichtig, ein Delir von einer beginnenden Demenz zu unterscheiden. Wird ein Delir rechtzeitig und adäquat behandelt, klingen die Symptome in der Regel schnell wieder ab.

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Anzeichen eines Delirs:

  • Übereifrig, unruhig, aggressiv
  • Apathisch, schläfrig
  • Ablehnend oder sehr anhänglich
  • Schlaflos
  • Räumlich und zeitlich desorientiert
  • Wahrnehmungsgestört (Halluzinationen)
  • Tag-Nacht-Rhythmus ist verschoben

Therapie und Prävention des Delirs bei Demenz

Die wichtigsten Säulen im Management von DSD sind geeignete Präventionsmaßnahmen, frühzeitige Diagnose und Behandlung. Die verschiedenen Ausprägungen und Ursachen des DSD erschweren das Screening und machen es kaum möglich, ein allgemein gültiges Therapiekonzept zu entwickeln. Angestrebte Therapieziele sind die Vermeidung von Komplikationen durch Hospitalisierung, die Behebung der zugrunde liegenden Erkrankung(en), die Verminderung kausaler Faktoren und die Unterstützung der Patienten und ihrer Angehörigen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf nichtpharmakologischen supportiven Maßnahmen, einschließlich der Überwachung des physiologischen Status und der psychosozialen Unterstützung der Patienten im Rahmen von multikomponenten Interventionsprogrammen. Pharmakologische Therapieansätze spielen in der Behandlung eines DSD nur eine untergeordnete Rolle.

Nicht-pharmakologische Maßnahmen

Im Vordergrund steht die Prävention eines Delirs. Um diese zu fördern, wurden strukturierte Delirpräventionsprogramme, wie das "Hospital Elder Life Program" (HELP) entwickelt. Dabei unterstützen sich Fachkräfte aus unterschiedlichen gesundheitlichen Sektoren in der Behandlung älterer Patienten gegenseitig. Besteht ein DSD, liegt der therapeutische Schwerpunkt auf der Behandlung der Grunderkrankung(en). Mangelernährung, Dehydratation und Schlafentzug sind häufige pathophysiologische Trigger für ein Delir. Die therapeutischen Maßnahmen inkludieren die Regulation des Wasser- und Elektrolythaushaltes, des Blutzuckers, des Blutdrucks und das Absetzen/Vermeiden von delirogenen Medikamenten. Unterstützende Ergo- und Physiotherapie fördern die Autonomie der Patienten und damit die Bewältigung grundlegender Aktivitäten im Alltag. Wichtig sind ebenso eine beständige Betreuung, enger Kontakt zu den Angehörigen (ggf. Rooming-in) und die Anpassung der Umgebung an die Bedürfnisse der Betroffenen. Ziel dabei ist es, Sicherheit im Alltag zu gewährleisten, Stürze zu verhindern, Schlafstörungen zu vermeiden, die Orientierung zu fördern, laute Geräusche, grelles Licht und exzessive Stimuli zu vermeiden, um die sensorische und wahrnehmungsbezogene Integrität zu erhalten. Auch die Gewährleistung von Brillen und/oder Hörgeräten kann Verwirrtheitszuständen, die durch sensorische Wahrnehmungsstörungen hervorgerufen sind, vorbeugen und somit das Risiko einer deliranten Symptomatik mildern.

Basierend auf diesem Vorwissen wurden mehrere multikomponente nichtpharmakologische Interventionsprogramme, bestehend aus einer Kombination von Schmerzmanagement, Mobilisation, Schlafförderung, Ernährung, kognitiver und sensorischer Stimulation, entwickelt. Studien deuten darauf hin, dass solche Programme die Delirinzidenz und -dauer reduzieren können.

Weitere nicht-pharmakologische Maßnahmen zur Delirprävention:

  • Kontakt zu vertrauten Personen
  • Kognitive Stimulation (z. B. durch Unterhaltung)
  • Realitätsorientierung von Zeit und Raum (Uhr, Kalender)
  • Herstellung einer Tagesstruktur
  • Sehhilfen aufsetzen und/oder Hörhilfen einsetzen
  • Vertraute Gegenstände/Fotos
  • Aromatherapie
  • Beruhigende Musik
  • Lichtanpassung
  • Lärmreduktion
  • Frühmobilisation
  • Schmerzreduktion
  • Ausgewogene Nahrungsaufnahme
  • Stabiler Schlafrhythmus

Pharmakologische Maßnahmen

Ein evidenzbasiertes pharmakologisches Verfahren zur Behandlung des DSD ist noch nicht bekannt. Medikamentöse Maßnahmen müssen gegebenenfalls zur Behandlung eines delirauslösenden Prozesses eingesetzt werden, z. B. ein Antibiotikum zur Behandlung einer Infektion. Bei sehr starken Symptomen wie Panikreaktionen, starker Unruhe oder Aggressivität können zudem vorübergehend beruhigende Medikamente eingesetzt werden.

Es ist wichtig zu beachten, dass nicht unbedingt notwendige Dauermedikamente im Krankenhaus abgesetzt werden, falls diese das Delir verursachen könnten. So können mögliche negative Auswirkungen des Entzugs der Medikamente überwacht werden.

Bedeutung der Angehörigen

Angehörige spielen eine wichtige Rolle bei der Re-Orientierung und können viel eher als das Pflegepersonal an Erinnerungen anknüpfen und diese aktiv halten. In einem gewissen Rahmen können gegebenenfalls auch Rituale von zu Hause in der Klinik umgesetzt werden.

Auch für Angehörige kann die Situation belastend sein. Es ist wichtig, sich Pausen zu nehmen, sich Unterstützung zu holen und sich nicht zu überfordern.

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