Veränderungen im Verhalten sind bei Menschen mit Demenz keine Seltenheit. Reizbarkeit, Aufregung über Kleinigkeiten oder Rückzug können auftreten. In einigen Fällen geht die Demenz mit Aggressivität und Wut einher. Dieser Artikel beleuchtet die Hintergründe dieses veränderten Verhaltens und bietet Angehörigen Informationen und Therapieansätze zum Umgang mit Aggressionen bei Demenz.
Was steckt hinter Aggressivität bei Demenz?
Aggressives Verhalten bei Demenz ist ein komplexes Phänomen, das oft missverstanden wird. Es kann bei etwa 50 Prozent der Menschen mit Demenz auftreten. Frustration über den kognitiven Abbau und äußere Faktoren spielen hier eine wichtige Rolle. Der Begriff "aggressiver Demenzerkrankter" wird in der Fachwelt zunehmend vermieden, da Aggression eine Absicht voraussetzt. Ein an Demenz erkranktes Gehirn verliert jedoch meist die Fähigkeit zu geplantem, zielgerichtetem Handeln. Herausfordernde Verhaltensweisen sollten daher eher als Affekt, also als heftige Gefühlsregung, eingeordnet werden, die oft auf Frustration zurückzuführen ist. Der Begriff "Aggression" wird hier dennoch verwendet, um das Erleben der Umwelt widerzuspiegeln.
Bittere Lebenserfahrungen können dazu führen, dass Menschen misstrauischer und reizbarer werden. Aggressives Verhalten bedeutet jedoch nicht automatisch, dass eine beginnende Demenz vorliegt. Veränderungen im Verhalten und in der Persönlichkeit, die für die Umgebung beängstigend und verstörend sind, kennzeichnen häufig den Beginn einer Demenzerkrankung. Eine frühzeitige fachärztliche Diagnose ist wichtig, da viele Ursachen für Vergesslichkeit, Verlust von Alltagsfähigkeiten, Konzentrationsprobleme und Persönlichkeitsveränderungen in behandelbaren Erkrankungen liegen können. Der psychische Stress, der mit der Angst vor einer Demenz einhergeht, kann die Arbeitsfähigkeit unseres Gehirns beeinträchtigen.
Ursachen von Aggressivität bei Demenz
Aggressives Verhalten bei Menschen mit Demenz kann vielfältig sein und verschiedene Symptome umfassen. Häufige Ursachen sind Verwirrung und Frustration, die direkt durch die Erkrankung selbst ausgelöst werden. Das demenzerkrankte Gehirn kann oft nur noch einen Input, eine Information verarbeiten. Ein nebenbei laufender Fernseher, Radio oder Gespräche von mehreren Personen gleichzeitig sowie Missbilligung und Kritik können zu Unruhe und heftigen Reaktionen führen. Weitere Ursachen können sein:
- Körperliche Schmerzen oder Unwohlsein: Schmerzen können eine Ursache für aggressives Verhalten sein.
- Zu viele Reize: Umweltfaktoren spielen eine wichtige Rolle.
- Allgemeiner Stress: Überforderungssituationen im Alltag können Frustration oder Angst auslösen.
Eine Schweizer Studie hat gezeigt, dass bis zur Hälfte der demenzerkrankten Pflegeheimbewohner je nach Pflegesituation verbal oder körperlich aggressiv reagieren können. Etwa 80 Prozent der Verhaltensprobleme bei Menschen mit Demenz werden durch ungeeignete Umgebungsbedingungen verursacht. Menschen mit Demenz leben zunehmend im Hier und Jetzt. Ihr Verhalten wird von aktuellen Bedürfnissen und Gefühlslagen geprägt. Die Fähigkeit zu geplantem Handeln ist oft eingeschränkt.
Lesen Sie auch: Fortgeschrittene Demenz: Ein umfassender Überblick
Demenzformen und Aggressivität
Nicht jeder Mensch mit Demenz wird "aggressiv". Bei der Alzheimer-Krankheit, der häufigsten Form der Demenz, erlebt die Umwelt oft Verhaltensweisen, die als aggressiv interpretiert werden. Die Wahrnehmung von Betroffenen kann sich verändern, und viele leben im Laufe der Erkrankung in ihrer eigenen Realität mit eigenen logischen Erklärungsmustern. Wahnhaftes Verhalten, wie der Glaube, bestohlen worden zu sein, kann auftreten. Die Logik der Erkrankten ist dann, dass das vermisste Portemonnaie von anderen gestohlen wurde, um sich die eigene Vergesslichkeit nicht eingestehen zu müssen.
Die speziellen Abbauprozesse im Gehirn bei der Frontotemporalen Demenz führen häufig zu sehr schwierigem Verhalten. Betroffene verhalten sich plötzlich anders, unsozial, und ihre Persönlichkeit verändert sich. Sie ziehen sich zurück, interessieren sich nicht mehr für Familie und Hobbys, werden teilnahmslos, antriebslos oder sogar apathisch. Einige verhalten sich taktlos, sind leichter reizbar und manchmal rücksichtslos, streitbar. Bei der vaskulären Demenz sind herausfordernde Verhaltensweisen sehr abhängig vom jeweiligen Krankheitsverlauf.
Menschen mit Demenz können sich im Verlauf der Erkrankung in ihrer Persönlichkeit stark verändern. Menschen, die früher ruhig und liebevoll waren, können plötzlich rund um die Uhr gereizt sein. Wutausbrüche können so extrem werden, dass die Betroffenen ihre Mitmenschen beschimpfen oder mit Gegenständen bewerfen. Ein besonders sensibles Thema ist die sexuelle Enthemmung, die bei einigen Demenzerkrankungen wie der vaskulären Demenz, der frontotemporalen Demenz, der Lewy-Body-Demenz oder der Parkinson-Krankheit auftreten kann. Dies äußert sich unter Umständen in Form von sexuell übergriffigen Handlungen wie beispielsweise durch unerwünschtes Berühren intimer Körperteile.
Umgang mit Aggressivität: Tipps für Angehörige und Pflegepersonen
Diese demenzbedingten Verhaltensänderungen verlangen Angehörigen und Pflegepersonen viel ab und können auf Dauer äußerst belastend sein. Gerade dann ist ein hohes Maß an Verständnis und Einfühlungsvermögen gefragt. Auch wenn Sie viel Liebe und Geduld aufbringen, kann es vorkommen, dass Sie nicht wissen, wie Sie am besten reagieren sollen. Typische Situationen zu kennen, mögliche Hintergründe zu verstehen und passende Lösungsvorschläge zu entwickeln, kann den Umgang mit diesen Herausforderungen erleichtern.
- Schmerzmanagement: Sorgen Sie für regelmäßige Untersuchungen auf körperliche Beschwerden und verabreichen Sie bei Bedarf angemessene Schmerzmedikation.
- Überforderung: Vermeiden Sie zu viel Lärm, eine zu hektische Umgebung oder eine Flut von Anweisungen.
- Einfühlungsvermögen und Kommunikation: Erklären Sie eine bevorstehende Aktivität behutsam und vergewissern Sie sich, dass die betroffene Person verstanden hat, was geschieht.
- Sexuelle Enthemmung: Bei aggressivem Verhalten aufgrund sexueller Enthemmung kann ein spezialisierter Therapeut hinzugezogen werden, der eine spezifische Strategie zur Behandlung des Verhaltens entwickelt. Auch geschultes Personal und Familienangehörige, die Verhaltensänderungen verstehen und darauf reagieren können, sind unerlässlich.
Für pflegende Angehörige von Demenzerkrankten ist das so erlebte „aggressive“ Verhalten eine der größten Herausforderungen im täglichen Umgang mit Demenz. Es braucht Zeit, um das Lernen zu können. Machen Sie sich als Angehörige nicht noch mehr Stress, wenn es Ihnen nicht (immer) gelingt. Auch Sie müssen sich umgewöhnen und das braucht Zeit. Auf jeden Fall ist es wichtig, in einem ruhigen Tonfall zu sprechen und in kurzen Sätzen.
Lesen Sie auch: Wechselwirkungen zwischen Schmerzmitteln und Demenz
Als betreuende Person sollten Sie sich bewusst machen: Ein „aggressives“ Verhalten ist nie persönlich gemeint, sondern auf die Demenz zurückzuführen. Wenn Demenzerkrankte aggressiv werden, richten sie ihre negativen Gefühle oft gegen Sie als Angehörigen - schließlich sind Sie meist die engste Bezugsperson. Doch genau aus diesem Grund kann es für Sie schwierig sein, diese Aggressionen zu verstehen. Umso wichtiger ist es, dass Sie die Situation genau beleuchten: Was ist vor dem aggressiven Verhalten passiert? Denken Sie daran, dass Menschen mit Demenz Situationen anders einschätzen als ihre Mitmenschen. Menschen mit demenziellen Veränderungen können sich manchmal nicht richtig ausdrücken, fühlen sich unverstanden, sind gestresst, verängstigt, frustriert oder überfordert. Hinzu kommt, dass die Ursachen für Aggressionen bei Demenz vielfältig sein können und nicht immer offensichtlich sind. Die Unsicherheit und der Stress, der durch das unberechenbare Verhalten der demenzerkrankten Person entsteht, können Angehörige überfordern und die Beziehung zu den Betroffenen belasten.
Therapieansätze bei Aggressivität
Die Behandlung von Aggressionen bei Demenz erfordert eine sorgfältige Planung. Zuerst sollten alle nicht-medikamentösen Maßnahmen ausprobiert werden. Aggressives Verhalten kann durch Frustration, Schmerz oder Verwirrung ausgelöst werden.
Nicht-medikamentöse Therapieansätze
- Verhaltensplan: Wenn die Person auf bestimmte Reize mit Aggression reagiert, kann ein Verhaltensplan helfen, diese Reize zu vermeiden oder darauf zu reagieren.
- Anpassung der Umgebung: Die Anpassung der Wohn- oder Pflegeumgebung kann wesentlich zur Beruhigung beitragen.
- Schulung von Angehörigen und Pflegekräften: Die Schulung im Umgang mit Demenz kann helfen, Warnzeichen zu erkennen und proaktiv zu handeln.
- Musiktherapie: Manche Demenzkranke reagieren positiv auf Musik.
- Ergotherapie: Ein Ergotherapeut kann Aktivitäten entwickeln, die sowohl stimulierend als auch beruhigend wirken.
- Tiergestützte Therapie: In manchen Fällen kann der Umgang mit Tieren eine beruhigende Wirkung haben.
- Demenzgerechte Raumgestaltung: Die Angehörigen können versuchen, eine demenzgerechte Raumgestaltung einzusetzen, so dass Verlockungen wie Türen weniger einladend wirken. Zum Beispiel kann eine Tür mit einem großformatigen Bild eines Bücherregals verdeckt werden.
Medikamentöse Therapieansätze
Mangelnde Impulskontrolle, Angstzustände, Wahnvorstellungen und Halluzinationen bei Demenz sind komplexe Symptome, die auf die Erkrankung des Gehirns zurückzuführen sind. Medikamente zur Beruhigung sollten nur unter strenger fachärztlicher Aufsicht eingesetzt werden, da sie Nebenwirkungen haben können. Auch die Wechselwirkung mit anderen Medikamenten bedarf der genauen ärztlichen Überprüfung. Beobachten Sie bitte, ob verordnete Psychopharmaka die gewünschte Wirkung bei den Patienten zeigen. Gegebenfalls muss die medikamentöse Behandlung verändert werden. Manche Psychopharmaka wirken auch paradox, das heißt sie führen nicht zur Beruhigung, sondern verstärken das aufgeregte Verhalten der Patienten.
Es muss immer hinterfragt und abgeklärt werden, ob Medikamente tatsächlich die Ursachen der Symptome von Unruhe, Angst und bedrohlichem Verhalten zugrunde liegende Ursache der Aggression oder Angst behandeln können oder ob für das herausfordernde Verhalten andere Ursachen vorliegen. Risperidon und Haloperidol sind Medikamente, die bei mittelschwerer bis schwerer Alzheimer-Demenz eingesetzt werden können, insbesondere wenn die Person sehr streitsüchtig oder aggressiv ist. Haloperidol kann auch eingesetzt werden, wenn der Patient falsche Vorstellungen von der Realität hat oder Stimmen hört.
Medikamente bei Demenz sollten nur eingesetzt werden, wenn andere Behandlungen ohne Medikamente nicht geholfen haben und wenn die Gefahr besteht, dass die Person mit Demenz sich selbst oder andere gefährdet. Es sollte ein Plan mit nicht-medikamentösen und medikamentösen Methoden erstellt werden. Die medikamentöse Behandlung sollte nicht nur das Problem, zum Beispiel die Aggressivität, behandeln, sondern auch die Ursache. Bevor Medikamente für die Psyche gegeben werden, sind andere Krankheiten zu behandeln. Diese Medikamente sollten nur für eine begrenzte Zeit eingesetzt werden, wenn andere Hilfen versagt haben oder wenn ernsthafte Probleme wie Wahnvorstellungen oder Gefährdung bestehen. Der Einsatz von Psychopharmaka und Medikamente aller Art bei Demenz bedarf der fachärztlichen Erfahrung und Kompetenz. Die medizinische Wissenschaft hat dafür eine spezielle Regel erstellt (S3-Behandlungsleitlinie „Demenzen“ der medizinischen Fachgesellschaften).
Lesen Sie auch: Ursachen und Behandlung von Zittern bei Demenz
Eskalation und Zwangseinweisung
Aggressive Situationen bei Menschen mit Demenz können für alle Beteiligten potenziell gefährlich werden. Wenn die Situation eskaliert, sollte eine Zwangseinweisung in Erwägung gezogen werden. Oberste Regel ist, bei entstehender Eskalation, die Handlung zu beenden bzw. die Situation zu verlassen. Und nach einigen Minuten noch einmal zu versuchen, die die anstehende Aktion umzusetzen. Natürlich gibt es Situationen, wo das nicht möglich sein wird, weil etwas unerlässlich getan oder unterlassen werden muss. Dann versuchen Sie bitte nach den folgenden Tipps zu handeln. Und bedenken Sie bitte, dass wenn Sie aufgeregt und nervös sind, Ihr Erkrankter das spüren wird, auch wenn Sie sich noch so viel Mühe geben, es zu verbergen. Menschen mit Demenz haben sehr feine „Antennen“ und spüren unsere emotionale Verfasstheit. Beruhigen Sie bitte sich selbst und versuchen Sie, von Anfang an souverän zu agieren. In einem solchen Extremfall müssen Sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, um das Wohl aller Beteiligten zu gewährleisten. Eine Zwangseinweisung bedeutet, dass die Unterbringung gegen den Willen des Betroffenen erfolgt.
Schmerztherapie als möglicher Ansatz
Bei Patienten mit moderater bis schwerer Demenz können Agitation, Aggression und andere neuropsychologische Störungen durch eine systematische Schmerztherapie deutlich reduziert werden. In einer kontrollierten Cluster-Studie ging der Agitationsscore (Cohen-Mansfield Agitation Inventory, CMAI) in der schmerztherapeutischen Interventionsgruppe signifikant stärker zurück als in der Kontrollgruppe mit üblicher Pflege.
Agitation und Aggression sind häufige Symptome einer Demenz, insbesondere bei Patienten mit moderater und schwerer Demenz in Pflegeheimen. Mittel der Wahl für die Behandlung dieser Zustände sind Antipsychotika, die bei etwa 40 bis 60% aller Heimbewohner eingesetzt werden. Allerdings haben Antipsychotika bei älteren und dementen Personen teilweise schwere Nebenwirkungen und ihr Einsatz ist mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert. Alternativen für die Behandlung von Verhaltensauffälligkeiten bei Demenzkranken sind daher gesucht.
Ein Ansatz fokussiert auf die Behandlung von Schmerzen: Viele Demenz-Patienten leiden unter Schmerzen, die sich bei ihnen aufgrund des Verlusts von Gedächtnis, abstraktem Denken und der eingeschränkten Mitteilungsfähigkeit als Agitation manifestieren können. In Leitlinien zur Betreuung von Demenz-Patienten wird bereits auf die Bedeutung von Schmerzen für die Entstehung von psychischen oder Verhaltenssymptomen sowie die Notwendigkeit einer Behandlung etwaiger Schmerzen hingewiesen.
Eine randomisierte Parallelgruppenstudie untersuchte den Einfluss einer systematischen Analgetika-Gabe auf die Agitation bei Heimbewohnern mit moderater bis schwerer Demenz. Die Patienten erhielten randomisiert über acht Wochen eine Schmerztherapie (Interventionsgruppe) oder die übliche Pflege (Kontrollgruppe). Die Schmerztherapie in der Interventionsgruppe erfolgte nach einem Stufenprotokoll: Patienten der Stufe 1 erhielten Paracetamol, bei unzureichendem Ansprechen wurde Morphin, Buprenorphin transdermal oder Pregabalin gegeben.
In der Analgetika-Interventionsgruppe ging die Agitation deutlich stärker zurück als in der Kontrollgruppe. Die Schmerztherapie wirkte sich auch deutlich auf die Schwere der neuropsychiatrischen Symptome und der Schmerzen aus.
Die Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, Schmerzen bei Demenz-Patienten so exakt wie möglich zu eruieren und systematisch mit Analgetika zu behandeln. Die Schmerztherapie sollte ein selbstverständlicher Baustein im Management von Patienten mit moderater bis schwerer Demenz sein. Dadurch könnte sich der bei diesen Patienten mit Risiken behaftete Einsatz von Antipsychotika vermindern lassen.
Weitere Aspekte und Hilfsangebote
Es ist wichtig, bei Unruhe und Aggressivität von Demenzkranken vor einer symptomatischen Psychopharmakotherapie nach möglichen körperlichen Ursachen für die Verhaltensauffälligkeiten zu suchen. Neben Schmerzen sind hier insbesondere auch Obstipation und Harnverhalt häufig.
Schwer demente Patienten haben häufig Schwierigkeiten, verständlich zu äußern, dass sie Schmerzen leiden. Deshalb verwundert es nicht, dass demente Patienten ein erhöhtes Risiko unzureichender Schmerzbehandlung haben. Dies kann die aufmerksame Beobachtung durch Pflegepersonal oder Angehörige entscheidend verbessern, die hierfür geschult werden müssen. Fremdbeurteilungsskalen wie z.B. „Beurteilung von Schmerzen bei Demenz“ (BESD) sind dabei hilfreich. Eine ungezielte analgetische Therapie ist aber nicht unproblematisch, da viele Analgetika und Koanalgetika besonders bei dementen Patienten Delirien erzeugen können.
Anders als bei akuten Erregungszuständen, die rasches Handeln erfordern, steht bei rezidivierend aggressivem Verhalten die geplante langfristige Behandlung im Fokus. Psychiatrische Grunderkrankungen, bei denen aggressive Episoden Teil des Krankheitsbildes sind, sind Schizophrenie, geistige Behinderung oder Demenz. Die zugrunde liegende Erkrankung muss klar diagnostiziert und adäquat therapiert sein. Es ist auszuschließen, dass die aggressiven Episoden durch ungünstige und vermeidbare Situationen ausgelöst werden.
Nicht-medikamentöse Maßnahmen haben einen hohen Stellenwert. Hierzu zählen organisatorische Maßnahmen wie eine gleichbleibende Umgebung und Bezugsperson sowie ein wertschätzender zugewandter Umgang mit den Erkrankten. Auch die Herstellung einer positiven Gefühlswelt durch regelmäßige Erinnerungspflege, zum Beispiel Anschauen alter Fotos, gemeinsames Singen, Musik oder körperliche Aktivität, zum Beispiel Spaziergänge oder Gymnastik, können helfen.
Medikamente und ihre Risiken
Verträglichkeit und Wirksamkeit einer medikamentösen Behandlung sollen nach vier bis acht Wochen nach vorab definierten Kriterien überprüft werden. Orales Risperidon ist zur Kurzzeitbehandlung (maximal sechs Wochen) bei anhaltender Aggression bei Patienten mit mäßiger bis schwerer Alzheimer-Demenz zugelassen, wenn diese auf nicht-pharmakologische Methoden nicht ansprechen und wenn ein Risiko für Eigen- oder Fremdgefährdung besteht. Die Dosierung soll einschleichend erfolgen und darf maximal 2 mg am Tag betragen. Off Label wird auch Quetiapin in niedrigen Dosierungen (12,5 bis 75 mg/Tag als Einzelgabe) oder Aripiprazol verwendet.
Patienten mit Demenz haben ein etwa 1,5-fach erhöhtes Risiko zu versterben, wenn sie mit Antipsychotika behandelt werden. Warum, ist noch nicht abschließend geklärt. Zu den bekannten Teilerklärungen gehören zerebrovaskuläre Ereignisse, Stürze, Infektionen und kognitive Verschlechterung. Das Risiko für eine Lungeninfektion verdreifacht sich unter Antipsychotika. Die Wirkstoffe können zu Schluckstörungen, Sedation und Mundtrockenheit beitragen. Auch kaum anticholinerg wirkende Antipsychotika wie Quetiapin können den kognitiven Abbau beschleunigen.
Die Rolle von Antidementiva
Ob Antidementiva eine gezielte Wirkung auf herausforderndes Verhalten haben, wird widersprüchlich diskutiert. Antidementiva können das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen und daher dazu beitragen, dass herausforderndes Verhalten später auftritt. Agitation zählt jedoch zu den häufigeren Nebenwirkungen. In einigen klinischen Studien waren Antidementiva zwar wirksam gegen Agitiertheit und Aggression, jedoch konnten diese Effekte nicht schlüssig reproduziert werden. Auch für Benzodiazepine, Betablocker, SSRI, Valproat und typische Antipsychotika gibt es keine guten Belege für die Wirksamkeit beziehungsweise werden diese Stoffe aufgrund des ungünstigen Nebenwirkungsprofils nicht empfohlen.
Beratung und Unterstützung für Angehörige
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. (DAlzG) bietet eine kostenlose Beratungshotline unter der Rufnummer 030 - 259 37 95 14 an, auch in türkischer Sprache. Informationen über psychisch entlastende Demenz-Hilfen für Angehörige sind ebenfalls verfügbar.
Es ist wichtig, dass Angehörige über die Medikamente Bescheid wissen. Fragen Sie den behandelnden Arzt, warum ein bestimmtes Medikament verschrieben wurde, was das Ziel der Behandlung ist, wie lange das Mittel genommen werden soll und auf welche möglichen Nebenwirkungen man achten sollte. Fragen Sie auch, ob man es vielleicht reduzieren kann.
Für psychosoziale Maßnahmen gibt es gute Belege aus Studien, zum Beispiel für Beschäftigungstherapie oder Bewegungsangebote. Das ist natürlich immer sehr individuell und hängt von den Vorlieben und dem Krankheitsstadium des Patienten ab. Was alle psychosozialen Maßnahmen gemeinsam haben, ist, dass da jemand ist, der sich auf den Menschen mit Demenz einlässt, der sich Zeit nimmt. Ob man dann gemeinsam ein Puzzle legt, aus der Zeitung vorliest, Fotoalben ansieht oder eine Runde spazierengeht, ist am Ende nicht so relevant. Und man sollte als Angehöriger Hilfen von außen nutzen.
Für Angehörige, die Menschen mit Demenz zuhause pflegen, kann Unterstützung - zum Beispiel durch ehrenamtliche Helfer - sehr entlastend sein. Als hilfreich erleben viele auch den Austausch mit anderen Angehhörigen - hier empfehle ich beispielsweise die Alzheimer Gesellschaften. Tagespflegeeinrichtungen können helfen, den Tag zu strukturieren. Sie machen Beschäftigungsangebote, die auf Menschen mit Demenz zugeschnitten sind - das ist wichtig, denn man sollte sowohl Überforderung wie auch Langeweile vermeiden. Therapien wie beispielsweise Ergotherapie oder Physiotherapie kann der Arzt bei Demenz verordnen - übrigens auch als Hausbesuch. Ein strukturierter Tagesablauf mit regelmäßigen Aktivitäten kann das Risiko von Verhaltenssymptomen senken. Und woran man immer denken sollte: Hinter Verhaltenssymptomen wie Unruhe und Aggression können auch körperliche Beschwerden stecken, etwa Schmerzen. Das sollte man mit dem Hausarzt abklären.
tags: #Demenz #Aggressivität #Therapieansätze