Demenz und Trauma: Ein komplexer Zusammenhang

Die Verbindung zwischen Demenz und Trauma ist ein Thema, das in der Pflegepraxis und der öffentlichen Wahrnehmung oft unterschätzt wird. Dabei zeigen Erfahrungen, dass seelische Wunden, die jahrzehntelang verborgen waren, im Alter, insbesondere im Zusammenhang mit dem Verlust von Selbstständigkeit oder dem Umzug in eine Pflegeeinrichtung, erneut aufbrechen können. Wissenschaftliche Studien deuten darauf hin, dass Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) im Alter häufiger an Demenz erkranken. Die ständige innere Alarmbereitschaft kann zu einer Überlastung bestimmter Hirnregionen, insbesondere des Hippocampus, führen, der für das Gedächtnis verantwortlich ist. Aber auch unabhängig vom Demenzrisiko ist die Wechselwirkung zwischen Trauma und Demenz bedeutsam, da Demenz dazu führt, dass die Kontrolle über Erinnerungen, Gefühle und das eigene Verhalten nachlässt.

Was ist ein Trauma?

Ein Trauma ist mehr als nur eine schlechte Erinnerung oder eine schwierige Erfahrung. Es ist eine seelische Wunde, die durch ein Ereignis ausgelöst wird, das die persönlichen Bewältigungsmöglichkeiten eines Menschen übersteigt. Im Gegensatz zu alltäglichem Stress, dem man meist mit eigenen Mitteln begegnen kann, führt ein Trauma in einen Zustand tiefer Ohnmacht und Hilflosigkeit. Der Mensch erlebt eine existenzielle Bedrohung, der er schutzlos ausgeliefert ist und kann weder fliehen noch sich zur Wehr setzen.

Traumatische Erfahrungen haben viele Gesichter. Besonders die Generation der heute Hochbetagten ist mit einer Lebensgeschichte geprägt, die kaum ein jüngerer Mensch wirklich nachempfinden kann. Der Zweite Weltkrieg, Flucht, Bombennächte, Hunger, Gewalt, der Verlust von Angehörigen oder das Leben als Vertriebene: Solche Erlebnisse haben sich tief in die Seele eingebrannt. Viele Frauen dieser Generation mussten sexualisierte Gewalt und Erniedrigung ertragen, oft schweigend, aus Scham oder Angst vor sozialer Ächtung. Auch spätere Ereignisse - etwa schwere Unfälle, Missbrauch, plötzliche Verluste oder Gewalt in der Familie - können tiefe Spuren hinterlassen. Ein Trauma muss nicht immer durch spektakuläre Katastrophen entstehen. Auch anhaltende emotionale Vernachlässigung, Demütigung oder wiederholte Grenzverletzungen können die seelische Grundfestigkeit eines Menschen erschüttern. Was in der damaligen Zeit als Überlebensstrategie diente - das Schweigen, das Verdrängen, das Weitermachen um jeden Preis - kann Jahrzehnte später zur Last werden. Die seelischen Wunden sind geblieben, selbst wenn sie lange unsichtbar waren. Traumata sind nicht selten, sondern gehören zur Lebensrealität vieler alter Menschen in Deutschland. Gerade deshalb ist es so wichtig, genauer hinzusehen und anzuerkennen: Hinter auffälligem oder herausforderndem Verhalten steckt oft ein schweres, nie ganz verwundenes seelisches Erleben.

Trauma und Demenz: Eine unterschätzte Verbindung

Die Verbindung zwischen Trauma und Demenz wird in der Pflegepraxis und auch in der öffentlichen Wahrnehmung noch immer unterschätzt. Dabei zeigt die Erfahrung, dass gerade im hohen Alter seelische Wunden, die jahrzehntelang scheinbar vergessen waren, erneut aufbrechen können - und zwar häufig im Zusammenhang mit dem Verlust von Selbstständigkeit oder beim Einzug in eine Pflegeeinrichtung.

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) im Alter deutlich häufiger an Demenz erkranken als Menschen ohne diese Vorgeschichte. Die ständige innere Alarmbereitschaft, das ständige „Auf-der-Hut-sein“, führt zu einer Überlastung bestimmter Hirnregionen, insbesondere des Hippocampus, der für das Gedächtnis verantwortlich ist.

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Aber auch unabhängig vom Demenzrisiko ist die Wechselwirkung zwischen Trauma und Demenz bedeutsam. Demenz führt dazu, dass die Kontrolle über Erinnerungen, Gefühle und das eigene Verhalten nachlässt. Viele Menschen, die ihr Leben lang mit ihren Erfahrungen „fertig geworden“ sind, verlieren im Alter genau diese Schutzmechanismen. Plötzlich reichen neue Belastungen, Veränderungen im Alltag oder der Verlust der vertrauten Umgebung aus, um alte Ängste wieder lebendig werden zu lassen. Oft sind es unscheinbare Auslöser, sogenannte Trigger, die diese Reaktionen hervorrufen: ein bestimmter Geruch, ein Geräusch, eine Berührung, ein strenger Ton oder auch nur die Erfahrung, ausgeliefert zu sein. Wer diese Zusammenhänge erkennt, sieht mit anderen Augen auf die Menschen, die er pflegt. Es ist unsere Aufgabe, das Unsichtbare zu sehen und dem Erlebten mit Respekt zu begegnen, anstatt es vorschnell der Krankheit Demenz zuzuschreiben.

Symptome von Trauma im Alter

Die Spuren eines Traumas sind im hohen Alter oft nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Sie zeigen sich nicht immer als klare, nachvollziehbare Symptome, sondern verbergen sich hinter einem breiten Spektrum von Verhaltensweisen und Gefühlslagen, die zunächst wenig miteinander zu tun haben, scheinen. Die Reaktionen eines traumatisierten Menschen im Alter sind vielschichtig. Nicht selten treten plötzlich starke Ängste oder Unruhe auf, ohne dass ein offensichtlicher Anlass erkennbar wäre. Manche Menschen wirken apathisch, ziehen sich zurück, werden still oder gar depressiv. Andere reagieren mit Abwehr, Aggression oder auffälligem Misstrauen gegenüber Pflegenden und Mitbewohnern.

Insbesondere für Menschen mit Demenz stellt sich die Situation noch schwieriger dar: Mit dem Nachlassen der kognitiven Kontrolle verschwimmen die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Erinnerungen an das traumatische Ereignis drängen sich nicht als bewusste Gedanken auf, sondern kehren als diffuse Gefühle und körperliche Reaktionen zurück. Solche sogenannten „Trigger“ sind im Pflegealltag allgegenwärtig. Es kann der Gang über einen langen Flur sein, der an eine Fluchtsituation erinnert, das Geräusch einer zuschlagenden Tür, das Schreien aus einem anderen Zimmer oder die Hand, die sich ohne Vorankündigung nähert. Für die Pflegenden ist es oft nicht nachzuvollziehen, was genau die Angst oder Abwehr ausgelöst hat. Nicht zu vergessen ist auch, dass alte Traumata in besonderen Lebensphasen und bei einschneidenden Veränderungen - etwa nach einem Sturz, beim Umzug ins Heim oder nach dem Verlust eines Angehörigen - mit aller Wucht zurückkehren können. Die Belastungen des Alters, das Gefühl des Ausgeliefertseins oder der Verlust von Kontrolle wirken wie ein Katalysator. Wer als Pflegekraft oder Betreuende solche Reaktionen erkennt und ernst nimmt, kann dazu beitragen, die Situation für die Betroffenen zu entschärfen und ihnen ein Stück Sicherheit zurückzugeben.

Wie erkenne ich eine Traumatisierung?

Die Erkennung einer Traumatisierung im hohen Alter - insbesondere bei Menschen mit Demenz - erfordert einen wachen Blick und ein feines Gespür. Denn die Betroffenen selbst können oft nicht mehr von ihren Erlebnissen berichten. Was bleibt, sind ihre Reaktionen und Verhaltensweisen.

Woran lässt sich also eine Traumatisierung erkennen? Es sind meist die kleinen, aber wiederkehrenden Hinweise: Plötzliche Ängste, scheinbar grundlose Panik, ein auffallendes Abwehrverhalten bei bestimmten pflegerischen Handlungen oder intensive Unruhe, die in keinen Zusammenhang zu bringen ist. Auch eine ausgeprägte Scham, starke Schreckhaftigkeit oder ungewöhnliches Misstrauen gegenüber Pflegenden sind Warnzeichen. Besonders aufschlussreich ist das Verhalten in Situationen, die das Gefühl von Ausgeliefertsein, Kontrollverlust oder Hilflosigkeit hervorrufen - etwa bei der Intimpflege, beim Waschen, beim Umkleiden oder in Momenten, in denen Nähe unvermeidbar ist.

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Da die wenigsten alten Menschen - und erst recht Menschen mit Demenz - offen über ihre Erlebnisse sprechen können, ist die biographische Arbeit wichtig. Hinweise auf Kriegskindheit, Flucht, Vertreibung oder frühe Verluste finden sich oft schon im Geburtsjahr, Wohnort oder durch Gespräche mit Angehörigen. Nicht immer ist eine gezielte Nachfrage möglich oder sinnvoll, besonders wenn die Gefahr einer Retraumatisierung besteht. Im Pflegealltag ist es hilfreich, eigene Beobachtungen im Team zu teilen. Was einer Pflegekraft auffällt, mag anderen entgangen sein. So kann sich im Austausch ein schärferes Bild ergeben und die Pflege entsprechend angepasst werden.

Trauma als Risikofaktor für Demenz

Die Forschung der letzten Jahre macht deutlich: Ein unverarbeitetes Trauma ist mehr als eine seelische Last - es kann im Laufe eines Lebens auch das Risiko für eine demenzielle Erkrankung erhöhen. Die Gründe dafür sind vielfältig und liegen vor allem in den langfristigen Auswirkungen, die ein Trauma auf das Gehirn und den gesamten Organismus hat.

Menschen, die schwere seelische Verletzungen erlebt haben, leben häufig über Jahre in einem Zustand erhöhter Anspannung. Ihr Körper ist dauerhaft im Alarmzustand, immer bereit für Flucht oder Abwehr. Diese ständige Stressbelastung beeinflusst nachweislich bestimmte Hirnareale - allen voran den Hippocampus, der für Gedächtnis und Orientierung zuständig ist.

Zudem zeigt die Praxis: Viele Traumatisierte leiden im Laufe ihres Lebens an Depressionen, Angststörungen oder Schlaflosigkeit - allesamt Faktoren, die ebenfalls das Demenzrisiko erhöhen. Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt: Menschen, die von ihren traumatischen Erfahrungen geprägt wurden, entwickeln oft Überlebensstrategien, die das Trauma im Hintergrund halten - etwa durch Kontrolle, Rückzug oder ständige Wachsamkeit. Wenn diese Strategien im Alter nicht mehr greifen, weil die eigenen Kräfte schwinden oder sich das Leben im Pflegeheim grundlegend verändert, geraten die Betroffenen erneut in einen Zustand der Überforderung. Alte Wunden brechen auf und verstärken die seelische Belastung.

Das bedeutet jedoch keineswegs, dass jeder Mensch mit einer traumatischen Vergangenheit zwangsläufig an Demenz erkrankt. Aber es macht deutlich, wie wichtig es ist, Trauma und seine Folgen im Blick zu behalten und im Pflegealltag zu berücksichtigen.

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Trauma-sensibler Umgang in der Pflege

Einem Menschen mit einer traumatischen Vergangenheit zu begegnen, verlangt mehr als Mitgefühl - es braucht Wissen, Geduld und eine Haltung der aufrichtigen Wertschätzung. Gerade im Pflegealltag, wo Zeitdruck und Routinen oft den Ton angeben, ist es umso wichtiger, sich immer wieder daran zu erinnern: Jeder Mensch trägt seine Geschichte mit sich.

Das wichtigste Prinzip lautet: Nicht nachforschen, sondern anerkennen. Es ist nicht die Aufgabe von Pflegekräften, alte Wunden „aufzudecken“ oder biografisch zu durchleuchten. Viel entscheidender ist, das Verhalten des Menschen ernst zu nehmen und ihm das Gefühl zu vermitteln: „Sie sind mit Ihrem Erleben nicht allein.“ Im Alltag heißt das: Pflegehandlungen werden angekündigt und erklärt, Nähe wird nie aufgezwungen. Kleine Schritte, etwa das Einholen einer Erlaubnis vor der Körperpflege oder das Klopfen vor dem Betreten des Zimmers, können einen großen Unterschied machen.

Ebenso wichtig ist es, sogenannte Trigger zu vermeiden: Bestimmte Geräusche, Gerüche oder Handlungsabläufe können ungewollt alte Ängste aktivieren. Wer aufmerksam beobachtet, auf welche Situationen ein Mensch besonders sensibel reagiert, kann sein Handeln danach ausrichten. Ein trauma-sensibler Umgang ist immer ressourcenorientiert. Es gilt, nicht auf die Defizite zu starren, sondern die verbliebenen Stärken und Kompetenzen zu fördern: Die Freude an bestimmten Aktivitäten, das Pflegen von kleinen Aufgaben, das Erinnern an geliebte Menschen oder Erfolge aus der Vergangenheit. Last but not least: Auch Pflegekräfte haben Grenzen. Niemand muss alles allein auffangen oder lösen. Trauma im Pflegealltag mitdenken, heißt vor allem: Mit Respekt und Achtsamkeit begegnen.

Was man vermeiden sollte

Im Umgang mit traumatisierten Menschen - und besonders im Kontext von Demenz - ist manchmal weniger mehr. Gut gemeinte Maßnahmen können schnell nach hinten losgehen, wenn sie nicht mit dem nötigen Fingerspitzengefühl erfolgen. Vor allem sollten wir darauf verzichten, alte Geschichten aufzurollen oder gezielt nach belastenden Erlebnissen zu fragen. Ebenso sollten wir uns davor hüten, auffälliges Verhalten vorschnell als „altersbedingt“ oder „demenztypisch“ abzutun. Auch die klassische „Konfrontationstherapie“ ist im Pflegekontext fehl am Platz. Weder sollten wir Menschen absichtlich mit ihren alten Ängsten konfrontieren noch vermeintlich „therapeutisch“ mit Erinnerungen arbeiten, die sie überfordern. Biografisches Arbeiten braucht Fingerspitzengefühl und klare Grenzen. Nicht zuletzt gilt: Bagatellisieren oder Abwiegeln hilft niemandem weiter. Sätze wie „Das ist doch schon so lange her“ oder „Stellen Sie sich nicht so an“ sind nicht nur respektlos, sondern können altes Leid noch verstärken. Es lohnt sich, diese Grundsätze fest im Pflegealltag zu verankern.

Forschungsergebnisse zum Zusammenhang von Trauma und Demenz

Die Forschung der letzten Jahre hat klar gezeigt: Traumatische Erfahrungen hinterlassen nicht nur Spuren in der Seele, sondern können auch die biologische Struktur des Gehirns dauerhaft verändern. Vor allem der Hippocampus, der für unser Gedächtnis und die Orientierung wichtig ist, ist nachweislich empfindlich gegenüber chronischem Stress. Wissenschaftler fanden heraus, dass Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) im Alter häufiger an einer Demenz erkranken als andere. Hinzu kommt: Wer traumatisiert ist, leidet häufiger an Depressionen, Schlafstörungen, Angstzuständen und sozialen Rückzug. Diese Faktoren erhöhen zusätzlich das Risiko für eine spätere demenzielle Erkrankung.

Aus all diesen Erkenntnissen leitet sich eine klare Empfehlung ab: Trauma und seine Folgen dürfen in der Pflege alter Menschen nicht ausgeklammert werden. Es zeigt sich außerdem, dass eine Stabilisierung und das Schaffen von Sicherheit und Geborgenheit - etwa durch verlässliche Routinen, eine transparente Kommunikation und das Vermeiden von Triggern - weit mehr bewirken können als jede symptomorientierte Therapie. Die Forschung empfiehlt, vorhandene Ressourcen zu aktivieren und Betroffene in ihrer Selbstwirksamkeit und dem „Person-Sein“ zu stärken. Abschließend gilt: Die Auseinandersetzung mit Trauma ist keine zusätzliche Aufgabe, sondern sollte selbstverständlich zum professionellen Selbstverständnis in der Pflege gehören.

Psychohistorische Sichtweise in der Pflege

Für die Pflege bedarf es eines erweiterten Pflegekonzeptes, welches die psychohistorische Sichtweise in den Alltag integriert und damit vielfältige Formen des herausfordernden Verhaltens verstehbar macht und Möglichkeiten zu einer sensiblen und kreativen Pflege der Betroffenen und seiner Angehörigen aufzeigt. Erfahrungsgemäß verändert sich die Umgangsweise mit einem kranken und pflegebedürftigen Menschen, wenn man erfährt, was er im Krieg oder in der Nachkriegszeit erlebt hat. Das Verständnis für sein Tun und das Interesse, ihn zu stützen und seine Lebensqualität zu fördern, wird größer.

Viele „seltsame“ und beunruhigende Verhaltensweisen und Äußerungen alter Menschen werden vorschnell als Symptome von „Demenz“ oder „Alzheimer“ eingeordnet. Das vergrößert oder verlängert nicht selten das Leiden und die Not der Betroffenen. Oft geschieht dies aus Unkenntnis der Pflegenden oder der Fachkräfte in den Pflegeeinrichtungen. Für eine hilfreiche Begleitung alter Menschen ist die Klärung und Abgrenzung von Demenz (hier v. a. Alzheimer-Demenz) im Unterschied zu möglichen Traumafolgen unerlässlich. Sie erfordert professionelles Wissen und genaues Hinsehen. Denn Unruhe, Verzweiflung, Scham oder sozialer Rückzug sind Verhaltensweisen, die sowohl in der Demenz wie auch im Falle einer Re-Traumatisierung aufscheinen. Wenn die eigentlichen Ursachen von Unruhe, Scham und Rückzug nicht erkannt werden, führt das zu fatalen Fehlbehandlungen.

Umgang mit akuten Belastungssituationen

In der akuten Phase können folgende stützende Maßnahmen hilfreich sein:

  • Die betroffene Person anschauen, ihre Mimik, Gestik und ihr Verhalten aufmerksam beobachten und auf sich wirken lassen.
  • Die aktuelle Situation erfassen und die Angst, Panik und Verzweiflung des Betroffenen mit-fühlen.
  • Nicht sofort durch Reden und Handeln unterbrechen und reagieren, sondern sich eigener Angst, Panik und Ohnmacht bewusstwerden; Abstand gewinnen, Ruhe bewahren (mehrmals durchatmen, 21/22 zählen, Augen kurzfristig schließen) und nicht mit beruhigenden oberflächlichen Floskeln (z.B. „Du bist ja nicht im Krieg“, „Das ist doch nicht so schlimm“, „Jetzt trink erst mal “) reagieren.
  • Eigene Gefühle, zum Beispiel von Hilflosigkeit und Ohnmacht, fühlen und sich von dem Entsetzen abgrenzen und sich nicht anstecken lassen.
  • Auf die Schilderung eingehen und beschreiben lassen (Gefühle, damalige Situation u.a.) oder durch einen akut angstreduzierenden Einfall (s. Beispiel) stoppen.
  • Geborgenheitsgefühle und Vertrauen vermitteln, soweit gestattet Hände streicheln, in den Arm nehmen, beruhigende Worte (langsam, freundlich und behutsam) finden, Blickkontakt halten und dies durch Mimik, Gestik und Verhalten verstärken.
  • Verbal und nonverbal zeigen und empfinden lassen, dass die betroffene Person nicht allein ist, sondern Unterstützung hat und sie schützt.
  • Sich als Angehörige nicht scheuen, um Hilfe zu bitten.
  • Als Pflegekraft Unterstützung holen.

Nach der akuten Situation sollte man überlegen, wie man auslösende Faktoren (z.B. Fernsehsendungen, Zeitungen oder Gespräche mit Kriegsinhalten) verringern und welche Umgangsweisen man in Zukunft bei einer ähnlichen akuten Situation einsetzen könnte. Hilfreich ist, dies mit allen Mitarbeitenden oder Angehörigen zu besprechen und Fachleute einzubeziehen. Förderlich kann für Menschen mit Demenz sein, ihre Emotionen durch Malen oder Musik (z.B. bekannte Lieder singen) auszudrücken. Dieser schöpferische Akt kann auch tröstende Wirkung haben. Bewegung (vielleicht auch Tanzen), körperliches Ausagieren, kann das Spüren eigener Kräfte verstärken und zur Verringerung von innerer Unruhe und Spannung führen. Auch humorvolle Angebote können durchaus sinnvoll sein. Möglicherweise können Medikamente in unterschiedlicher Dosierung zur Verringerung von Angst, Panik und Schlafstörungen (Albtraum) hilfreich sein.

Rat kann man sich bei Trauma-Ambulanzen, die einen Schwerpunkt in der Gerontopsychiatrie haben, einholen oder als Angehörige eine Selbsthilfegruppe (Alzheimer-Angehörigengruppe) aufsuchen. Gerade Angehörige stehen oft hilflos und ohnmächtig einer oder einem Betroffenen gegenüber. Sie können sich manchmal von den angstbesetzten Schilderungen der Pflegebedürftigen nicht lösen und sind selbst Opfer. Mitleid allein nützt dabei nicht viel. Angehörige durch fachpflegerische Hilfen zu unterstützen, manchmal auch mit dem Rat, eine Psychiaterin oder einen Psychiater oder Psychotherapeuten zu aufzusuchen, fördert eine adäquate und angstreduzierte Umgangsweise mit den Betroffenen. Wichtig ist, auch an sich selbst zu denken, zum Beispiel Kontakte zu Freundinnen, Freunden und Bekannten weiter zu pflegen, Freizeitaktivitäten und bisherige eigene Aktivitäten nicht zu vernachlässigen und regionale Hilfen anzunehmen, um nicht zu vereinsamen und sich zu isolieren. Selbstgefährdet ist man, wenn man sich nur für die Erkrankten aufopfert, sie zum Inhalt des eigenen Lebens macht. Dies nützt Angehörigen und Erkrankten wenig! Eine psychosoziale Beratung oder Psychotherapie kann hier förderlich sein, da zum Teil auch alte eigene Konflikte aufbrechen können und der Bearbeitung bedürfen.

Traumatherapie im Alter

Ist bei einem akuten Ausbruch einer Reaktivierung eines Traumas die kognitive Störung noch nicht zu weit fortgeschritten, kann eine Trauma-Therapie erfolgsversprechend sein. Das Alter und/oder eine mäßig ausgeprägte kognitive Störung allein sind hierbei keine Kontraindikationen. Hilfreich sind auch die Arbeiten und Hinweise von „Alter und Trauma“ (www.alterundtrauma.de). Insbesondere kann auf die Zusammenstellung von „Traumafolgen im Alter: Fragen von Angehörigen“ hingewiesen werden. Auch der Leitfaden für Pflegende „Der Einfluss von Kriegserinnerungen auf die Praxis" gibt viele Hinweise zum Umgang mit retraumatisierten alten Menschen. Traumatherapie bedeutet nicht, dass die belastenden Ereignisse endgültig vergessen oder rückgängig gemacht werden können. Durch eine professionelle Behandlung können jedoch die zum Teil abgespaltenen Erinnerungen wieder besser eingeordnet und auch integriert werden. In der Traumatherapie steht an erster Stelle die Wiederherstellung des Grundgefühls von persönlicher Sicherheit. Im weiteren Verlauf erlernt der Patient Techniken, die dabei helfen, Symptome der Traumafolgestörungen besser zu kennen und zu bewältigen, was zuverlässig hilft, die Symptome zu lindern. In der letzten Therapiephase erfolgt dann der Alltagstransfer des Erarbeiteten, das heißt die in der Therapie erarbeiteten Erfolge müssen im Alltag benutzt und angewendet werden.

Forschungsprojekt zum Schädel-Hirn-Trauma und Alzheimer

Schädel-Hirn-Traumata gehören zu den Faktoren, die das Risiko für eine Alzheimer-Krankheit erhöhen. Nach einem Schädel-Hirn-Trauma findet man alzheimer-typische Ablagerungen des Proteins Tau und abgestorbene Nervenzellen (Neurodegeneration) im Gehirn. Es gibt Hinweise, dass Hirnentzündungen nach Schädel-Hirn-Trauma diese Prozesse beschleunigen. Dr. Dr. Sergio Gastro-Gómez von der Universitätsklinik Bonn konnte kürzlich zeigen, dass das Protein NLRP3-Inflammasom eine entscheidende Rolle bei diesen Hirnentzündungen spielt. Fehlt dieses Protein, reduzieren sich auch die schädlichen Tau-Ablagerungen. In einem Forschungsprojekt wird untersucht, in welcher Beziehung das NLRP3-Inflammasom zum Schädel-Hirn-Trauma steht und wie es sich auf die Alzheimer-Krankheit auswirkt. Das Forschungsteam wird ein Mausmodell analysieren, das die alzheimer-typischen Tau-Ablagerungen im Gehirn aufweist und der Hypothese nachgehen, ob ein Schädel-Hirn-Trauma die Tau-Ablagerung in Abhängigkeit von NLRP3 beschleunigen könnte. Ziel des Forschungsprojekts ist es zu untersuchen, ob ein Schädel-Hirn-Trauma den Beginn der neuropathologischen Veränderungen bei der Alzheimer-Krankheit auslösen und/oder beschleunigen könnte. Wenn man die molekularen Mechanismen besser versteht, die den entzündlichen Reaktionen nach einem Schädel-Hirn-Trauma zugrunde liegen, können sich neue therapeutische Strategien ergeben. Die Ergebnisse dieses Forschungsprojektes können die Grundlage für klinische Studien an Patienten*innen legen, die ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten haben und ein Risiko für die Entwicklung von Alzheimer haben.

Dr. Dr. Castro-Gómez und seinem Team ist es gelungen zu zeigen, wie eine leichte Entzündungsreaktion nach einem Schädel-Hirn-Trauma neurodegenerative Prozesse in Gang setzen oder beschleunigen kann. Dabei wurden sowohl die Anhäufungen des Tau-Proteins als auch die Bildung von Amyloid-beta-Plaques beobachtet, die für die Alzheimer-Krankheit typisch sind. Möglich wurden diese Erkenntnisse durch die Entwicklung verlässlicher Protokolle im Mausmodell, deren Ergebnisse reproduzierbar sind. Damit konnte nachgewiesen werden, dass auch entzündliche Prozesse, wie sie in Folge eines Schädel-Hirn-Traumas auftreten, zur Entstehung der Alzheimer-Krankheit beitragen können. Auf Basis dieser von Dr. Dr. Castro-Gómez und seinem Team gewonnenen Erkenntnisse lassen sich künftig präventive Strategien ableiten, die dem Schutz - auch in Hinblick auf ein mögliches Alzheimer-Risiko - dienen können.

Kindheitstrauma und beschleunigte Hirnalterung

Forschende der Charité - Universitätsmedizin Berlin konnten zeigen, dass schwerwiegende Kindheitserfahrungen zu messbaren Anzeichen für eine beschleunigte Hirnalterung führen und neurodegenerative Prozesse im Alter verstärken. Stress und Trauma während der Kindheit, wie etwa Misshandlung oder Vernachlässigung, häusliche Gewalt, Substanzmissbrauch oder Kriminalität in der Familie oder der Verlust eines Elternteils können molekulare und neurobiologische Spuren hinterlassen und das Hormon- und Immunsystem beeinflussen, was zu einem lebenslang deutlich erhöhten Risiko für verschiedene Erkrankungen beitragen kann. Frauen, die in ihrer Kindheit in hohem Maße Stress oder Trauma erlebten, wiesen im Blut vermehrt Biomarker für Entzündungen und Neurodegeneration auf, hatten ein geringeres Hirnvolumen und mehr kognitive Probleme. Die Ergebnisse der Studie zeigen einen sehr deutlichen Zusammenhang zwischen frühen psychosozialen oder sozio-emotionalen Stresserfahrungen und verstärkter Hirnalterung bei Frauen. Frühe belastende Lebenserfahrungen scheinen also tatsächlich das Risiko für die Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen zu erhöhen.

Generationenübergreifende Weitergabe von Traumata

Wenn Eltern oder Großeltern ein Trauma erlitten haben, werden Folgen des Traumas und die traumaassoziierten Ängste oft unbewusst an die nächsten Generationen weitergegeben und verankert. Traumata können innerhalb der Familie über mehrere Generationen weitervererbt werden. Insbesondere Forschungen in der Epigenetik weisen darauf hin, dass somit auch die Weitergabe von Traumafolgen möglich ist.

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