Der Umgang mit Demenz ist eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Angesichts der steigenden Zahl von Demenzerkrankten suchen viele Länder nach innovativen Wegen, um diesen Menschen ein würdevolles und erfülltes Leben zu ermöglichen. Die Niederlande haben sich hierbei als Vorreiter erwiesen und mit Modellen wie dem Demenzdorf Hogeweyk und dem Wohnkonzept Herbergier neue Maßstäbe gesetzt. Dieser Artikel beleuchtet die Erfahrungen mit Demenz-Altenheimen in den Niederlanden und zeigt, wie diese Ansätze die Lebensqualität von Menschen mit Demenz verbessern können.
Der Mensch im Mittelpunkt: Ein Paradigmenwechsel in der Demenzpflege
In den Niederlanden hat sich in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel in der Demenzpflege vollzogen. Weg von der reinen Versorgung hin zu einem ganzheitlichen Ansatz, der die individuellen Bedürfnisse und Vorlieben der Menschen mit Demenz in den Mittelpunkt stellt. Dieser Ansatz basiert auf der Erkenntnis, dass Menschen mit Demenz trotz ihrer kognitiven Einschränkungen weiterhin Individuen mit Gefühlen, Erinnerungen und Sehnsüchten sind.
Hogeweyk: Ein Dorf für Menschen mit Demenz
Ein besonders bemerkenswertes Beispiel für diesen neuen Ansatz ist Hogeweyk, ein 2009 eröffnetes Dorf in der Nähe von Amsterdam, das speziell für Menschen mit Demenz konzipiert wurde. Hogeweyk ist keine traditionelle Pflegeeinrichtung, sondern eine geschlossene Siedlung, die wie ein normales Dorf aufgebaut ist. Es gibt Straßen, Plätze, einen Supermarkt, ein Theater, einen Friseur und sogar ein Postamt. Die 152 Bewohner leben in Wohngemeinschaften zusammen, die jeweils einem von sieben verschiedenen Lebensstilen entsprechen: rustikal, urban, christlich, wohlhabend, indonesisch, kulturell-versiert und häuslich.
Der Alltag in Hogeweyk ist so normal wie möglich gestaltet. Die Bewohner können sich frei im Dorf bewegen, einkaufen gehen, spazieren gehen, an Aktivitäten teilnehmen und soziale Kontakte pflegen. Betreuer und Pflegekräfte sind zwar präsent, agieren aber unauffällig und unterstützen die Bewohner bei Bedarf. Ziel ist es, den Menschen mit Demenz ein Gefühl von Freiheit, Selbstbestimmung und Normalität zu geben.
Herbergier: Familienähnliche Wohngemeinschaften
Ein weiteres innovatives Wohnkonzept in den Niederlanden ist Herbergier. Hierbei handelt es sich um Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz, die von einem Unternehmerpaar geleitet werden, das vor Ort wohnt und zusammen mit Mitarbeitern den Alltag der Bewohner gestaltet. Im Mittelpunkt steht dabei die Realisierung von Glücksmomenten für jeden Einzelnen. Die Bewohner leben in ihrer letzten Wohnstätte, wobei auf Nähe, wenig klinische Realität und die Erfüllung von Wünschen geachtet wird. Die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen wird höher bewertet als das eventuelle Risiko, und es werden Ressourcentherapien gefördert, um die Medikamententherapie zu reduzieren.
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Erfahrungen und Erkenntnisse
Die Erfahrungen mit Hogeweyk und Herbergier sind überwiegend positiv. Studien haben gezeigt, dass Bewohner in diesen Einrichtungen weniger Medikamente benötigen, weniger Verhaltensauffälligkeiten zeigen und eine höhere Lebensqualität haben als Bewohner in traditionellen Pflegeheimen. Auch die Angehörigen sind in der Regel sehr zufrieden mit der Betreuung und dem Umfeld.
Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist die individuelle Gestaltung des Alltags. In Hogeweyk und Herbergier wird versucht, den Menschen mit Demenz ein Umfeld zu bieten, das ihren individuellen Vorlieben und Bedürfnissen entspricht. Vertraute Möbel, vertraute Einrichtungsgegenstände, vertraute Musik und vertrautes Essen spielen dabei eine wichtige Rolle. Auch die Biografie der Bewohner wird berücksichtigt, um ihnen ein Gefühl von Kontinuität und Identität zu geben.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Integration in die Gesellschaft. In den Niederlanden wird großen Wert darauf gelegt, dass Menschen mit Demenz nicht ausgegrenzt, sondern in die Gesellschaft integriert werden. So gibt es beispielsweise Werbeclips, die zeigen, wie man einen Menschen mit Demenz im Straßenbild erkennt und wie man angemessen handeln kann. Auch das Konzept der offenen Türen, das in vielen niederländischen Einrichtungen praktiziert wird, trägt dazu bei, die Integration zu fördern. Bewohner und Gäste können kommen und gehen, und die Türen werden nicht verschlossen.
Herausforderungen und Kritik
Trotz der vielen positiven Erfahrungen gibt es auch Herausforderungen und Kritikpunkte. Ein Problem ist die Finanzierung. Innovative Wohnkonzepte wie Hogeweyk und Herbergier sind in der Regel teurer als traditionelle Pflegeheime. In den Niederlanden werden die Kosten zwar größtenteils vom Staat übernommen, aber in anderen Ländern ist dies nicht immer der Fall.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Konzepte nicht für alle Menschen mit Demenz geeignet sind. Einige Bewohner benötigen eine intensivere Betreuung und Überwachung, als sie in Hogeweyk oder Herbergier gewährleistet werden kann. Auch Menschen mit schweren Verhaltensauffälligkeiten oder psychischen Erkrankungen sind in diesen Einrichtungen möglicherweise nicht gut aufgehoben.
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Lehren für Deutschland
Die Erfahrungen mit Demenz-Altenheimen in den Niederlanden bieten wertvolle Anregungen für die Weiterentwicklung der Demenzpflege in Deutschland. Auch hierzulande wird zunehmend erkannt, dass ein Paradigmenwechsel notwendig ist, um den Bedürfnissen von Menschen mit Demenz besser gerecht zu werden.
Ein wichtiger Schritt wäre die Förderung von innovativen Wohnkonzepten, die den Menschen mit Demenz ein Gefühl von Normalität, Selbstbestimmung und Lebensqualität geben. Auch die Integration in die Gesellschaft und die Unterstützung von Angehörigen sollten stärker in den Fokus rücken.
Darüber hinaus ist es wichtig, die Rahmenbedingungen für die Demenzpflege zu verbessern. Dazu gehören eine ausreichende Finanzierung, eine bessere Ausbildung und Qualifizierung von Pflegekräften sowie eine stärkere Vernetzung von Akteuren im Gesundheits- und Sozialbereich.
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