Demenz bei Amyotropher Lateralsklerose (ALS): Eine umfassende Betrachtung

Einführung

Die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) und die frontotemporale Demenz (FTLD) sind zwei neurodegenerative Erkrankungen, die auf den ersten Blick sehr unterschiedlich erscheinen. ALS manifestiert sich primär durch den Abbau von Motoneuronen, was zu Muskelschwäche, Lähmungen und schließlich zum Tod führt. Prominente Beispiele hierfür sind der Astrophysiker Stephen Hawking und der Maler Jörg Immendorff. Im Gegensatz dazu ist die FTLD durch eine fortschreitende Demenz gekennzeichnet, die oft mit auffälligen Verhaltensstörungen einhergeht. Trotz dieser klinischen Unterschiede deuten neue Forschungsergebnisse auf eine überraschende Gemeinsamkeit hin, die das Verständnis beider Krankheiten grundlegend verändern könnte.

Klinische Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen ALS und FTLD

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)

ALS ist eine fortschreitende neurologische Erkrankung, die durch den Untergang der motorischen Vorderhornzellen im Rückenmark gekennzeichnet ist. Dies führt zu einer zunehmenden Muskellähmung, die die motorischen Fähigkeiten der Betroffenen immer weiter einschränkt. Die Krankheit verläuft in der Regel rasch und führt innerhalb von drei bis fünf Jahren nach der Diagnosestellung zum Tod, meist durch Atemversagen.

Frontotemporale Demenz (FTLD)

Die FTLD, die nach der Alzheimer-Krankheit als zweithäufigste Form der Demenz gilt, zeichnet sich durch eine Degeneration des frontalen und temporalen Großhirns aus. Diese Hirnregionen sind für die Impulskontrolle, das Sozialverhalten, die Sprache und das Verständnis zuständig. Die FTLD manifestiert sich oft durch schwerste Verhaltensstörungen, wie Enthemmung, Fresssucht, Ladendiebstahl und ungezügelte Sexualimpulse, begleitet von einer Vernachlässigung der körperlichen Hygiene und abnehmender sprachlicher Kompetenz. Im Vergleich zur Alzheimer-Demenz treten die Symptome bei der FTLD im Regelfall früher auf, meist zwischen 50 und 60 Jahren, wobei die Spanne sehr groß ist (20-85 Jahre).

Überlappungen und Mischformen

Trotz der unterschiedlichen klinischen Präsentation gibt es durchaus Gemeinsamkeiten zwischen ALS und FTLD. Neurologen beobachten immer wieder, dass ALS-Patienten eine Demenz entwickeln, und bei der FTLD kommt es gelegentlich zu einer Erkrankung der Motoneurone. Es gibt sogar die Vermutung, dass ALS und FTLD unterschiedliche Varianten auf einem Erkrankungsspektrum sind. Tatsächlich haben die unheilbaren Erkrankungen ALS und FTD einige Gemeinsamkeiten: Beide neurodegenerative Erkrankungen scheinen Ursachen zu teilen und treten auch als Mischformen auf. Zudem werden sie deutlich weniger beforscht als beispielsweise die „Volkskrankheit“ Alzheimer.

Die Rolle von TDP-43

Pathologische Eiweißablagerungen

Ein internationales Forscherteam unter deutscher Beteiligung hat herausgefunden, dass bei beiden Erkrankungen pathologische Eiweißablagerungen in den Zellen vorkommen. Bei der ALS und einer häufigen Variante der FTLD, die als FTLD-U bezeichnet wird, enthalten diese Ablagerungen das Protein TDP-43.

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Funktion und Veränderung von TDP-43

TDP-43 ist offenbar im Gehirn weit verbreitet und könnte für die Verarbeitung von mRNA wichtig sein. Bei FTLD-U und ALS ist das Protein jedoch stark verändert: Es ist in der Mitte gespalten, mehrfach chemisch modifiziert und liegt statt wie normal im Zellkern nun im Zellleib vor, wo es letztlich die pathologischen Einschlüsse ausbildet.

Forschungsperspektiven

Die Forscher wollen nun die normale Funktion von TDP-43 im gesunden Körper erkunden und herausfinden, warum sich das Protein in den Zellen ablagert. Dies könnte der Ausgangspunkt für neue Therapieansätze sein.

Epidemiologie und genetische Aspekte

Verbreitung und Alter

In Deutschland sind etwa 8.000 Personen an ALS erkrankt, während etwa 40.000 Deutsche an Frontotemporaler Demenz leiden. Die FTLD tritt bereits um das 60. Lebensjahr auf und macht sich durch Persönlichkeitsveränderungen sowie ein gestörtes Sozialverhalten bemerkbar. Somit ist die wenig bekannte FTD die dritthäufigste Demenzform.

Genetische Ursachen

Ein Teil der frontotemporalen Demenzen ist erblich bedingt, und Fälle treten familiär gehäuft auf. Insgesamt sind etwa 10-15% aller frontotemporalen Demenzen genetisch bedingt, v. a. die Verhaltensvariante. Mutationen in den Genen C9orf72, GRN oder MAPT können für eine FTD als auch für eine ALS verantwortlich sein.

Diagnose und Therapie

Diagnose

Die Frontotemporale Demenz wird häufig nicht sofort erkannt. Besonders bei der Verhaltensvariante ähneln die Symptome oft einer psychischen Erkrankung. Da es derzeit kein einzelnes Verfahren gibt, das FTD eindeutig nachweisen kann, erfolgt die Diagnose in mehreren Schritten: Anamnese, Befragung der Angehörigen, bildgebende Verfahren, neuropsychologische Tests und genetische Untersuchungen.

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Therapie

Die Frontotemporale Demenz ist bisher nicht heilbar. Auch Medikamente, die den Krankheitsverlauf aufhalten oder verlangsamen, gibt es leider nicht. Manche Symptome - etwa starke Unruhe, Aggression oder zwanghaftes Verhalten - lassen sich mit bestimmten Medikamenten lindern. Durch nicht-medikamentöse Therapieformen können einige Symptome der Patienten gemildert werden. Sport, geistige Aktivitäten und soziale Kontakte können ebenfalls dazu beitragen, dass Menschen mit Frontotemporaler Demenz länger körperlich und geistig aktiv bleiben.

Forschungsschwerpunkte und aktuelle Studien

Ulmer DZNE-Standort

Anfang 2018 wurde ein Standort des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Ulm eingerichtet, der sich auf die selteneren neurodegenerativen Erkrankungen ALS, FTD und Morbus Huntington konzentriert. Die Ulmer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gelten als führend in der ALS-Forschung und -Behandlung. Darüber hinaus sind die umfassenden ALS- und FTD-Register Schwaben in der Ulmer Neurologie angesiedelt.

DZNE-Studie

Forschende des DZNE suchen nach den molekularbiologischen Ursachen für den Nervenzelltod bei frontotemporaler Demenz und untersuchen den Zusammenhang zwischen Amyotropher Lateralsklerose (ALS) und FTD. Für eine große FTD-Studie des DZNE werden fortlaufend und bundesweit Menschen mit (möglicher) FTD sowie deren blutsverwandte Angehörige gesucht, um Ursachen der Erkrankung zu erforschen.

GENFI-Studie

Die Ambulanz des Zentrums für Neurologie ist eines der deutschlandweit führenden Studienzentren von GENFI (Genetische Frontotemporale Demenz Initiative). GENFI ist eine prospektive, multizentrische weltweite Diagnostik-Studie, welche den Grundstein dafür legen soll, dass zukünftige Therapien der frontotemporalen Demenz bereits eingeleitet werden können, bevor die ersten Demenzsymptome auftreten.

Fallbeispiel: ALS mit Demenz

Geistiger Verfall bei ALS-Patienten

Eine manifeste Demenz ist bei ALS-Patienten eine Seltenheit. Zumeist ist gerade das leidvolle vollständige Begreifen und Erleben der Erkrankung gepaart mit der Möglichkeit zu intensiver Kooperation in der Pflege ein charakteristisches Merkmal der ALS. Ein kleiner Teil der Patienten hat jedoch tatsächlich Veränderungen, die leicht, mäßig oder deutlich denen einer sogenannten fronto-temporalen Demenz entsprechen. Bei bis zu 5% der ALS-Patienten ist diese Demenz deutlich ausgeprägt.

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Therapieansätze

Grundsätzlich folgt die Therapie einer Demenz bei der ALS den Prinzipien jeder anderen Demenztherapie. Inwieweit antidementative Medikamente bei der Kombination ALS+Demenz sinnvoll sind, ist allerdings reine Spekulation. Evtl. kann es notwendig sein, Patienten medikamentös zu beruhigen. Das Wichtigste ist aus Sicht der Experten die Pflege zu stärken, da Patienten mit einer Demenz besonders anspruchsvoll und schwierig für die Pflege sind.

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