In Deutschland leben derzeit etwa 1,6 Millionen Menschen mit Demenz. Diese Zahl könnte bis zum Jahr 2050 auf 2,8 Millionen ansteigen. Um diesen Menschen eine optimale Therapie zu ermöglichen, wurden neue Behandlungsempfehlungen in Form einer S3-Leitlinie erarbeitet. Die S3-Leitlinie „Demenzen“ stellt umfassende evidenzbasierte Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie von Demenzerkrankungen zur Verfügung. Die S3-Leitlinie repräsentiert den höchsten Evidenzgrad in der Klassifikation der medizinischen Leitlinien in Deutschland.
Einführung in die Demenzproblematik
Demenzerkrankungen stellen eine wachsende Herausforderung für die Gesellschaft dar. Oftmals beginnt eine Demenz schleichend und bleibt lange unbemerkt. Zunächst sind meist das Kurzzeitgedächtnis, später auch das Langzeitgedächtnis betroffen. Zusätzlich können Probleme mit Aufmerksamkeit, Sprache, Denkvermögen und Orientierungssinn auftreten. Eine Demenz ist nicht heilbar und stellt sowohl für die Betroffenen als auch für ihre Angehörigen eine erhebliche Belastung dar.
Die neue S3-Leitlinie Demenzen
Unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) ist eine neue Leitlinie auf S3-Niveau erschienen. Die neue S3-Leitlinie Demenzen wurde unter gemeinsamer Federführung der beiden medizinischen Fachgesellschaften DGPPN und DGN erarbeitet. Sie umfasst insgesamt 109 Empfehlungen zur Diagnostik und Behandlung der verschiedenen Formen von Demenzen. Die neue Leitlinie macht umfassende Empfehlungen für die ganzheitliche Behandlung der erkrankten Menschen.
Die Leitlinie wurde unter Beteiligung von über 40 Fachgesellschaften, Verbänden und Organisationen aktualisiert. Dafür wurden alle relevanten Studien zum Thema zusammengetragen und gesichtet. Mehr als 30 Delegierte aller Fachrichtungen sowie Angehörige und Betroffene haben die Ergebnisse anschließend diskutiert und gemeinsame Empfehlungen formuliert.
Die Empfehlungen wurden in einer strukturierten Konsensuskonferenz nach dem NIH-Typ erarbeitet, wobei alle beteiligten Fachgesellschaften eingebunden waren. Die GRADE-Methodik wird verwendet, um die Qualität der Evidenz zu bewerten, die in „hoch“, „moderat“, „niedrig“ und „sehr niedrig“ eingestuft wird.
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Inhalte und Schwerpunkte der Leitlinie
Die neue Leitlinie berücksichtigt biologische, psychologische und soziale Aspekte. Sie richtet sich mit Hinweisen zu Diagnostik, Therapie, Betreuung und Beratung an alle Fachleute, die mit Menschen mit Demenzen zu tun haben, sowie an Betroffene und Angehörige.
Die Leitlinie berücksichtigt biologische, psychologische und soziale Aspekte und richtet sich mit Hinweisen zu Diagnostik, Therapie, Betreuung und Beratung an alle Fachleute, die mit Menschen mit Demenzen zu tun haben, sowie an Betroffene und Angehörige.
Die Empfehlungen berücksichtigen biologische, psychologische und soziale Aspekte und richten sich mit Hinweisen zu Diagnostik, Therapie, Betreuung und Beratung an alle Fachleute, die mit Menschen mit Demenzen zu tun haben, sowie an Betroffene und Angehörige.
Frühzeitige Diagnose als Schlüssel zur optimalen Behandlung
Die wichtigste Neuerung der Leitlinie ist die Möglichkeit, die Diagnose bereits in einem früheren Stadium der Erkrankung zu stellen. Bislang musste für die Diagnose Demenz die Selbstständigkeit der Menschen deutlich beeinträchtigt sein, was eine echte Frühdiagnostik erschwert hat. Mit der Diagnose der leichten kognitiven Beeinträchtigung („mild cognitive impairment“) bei einer Alzheimer-Krankheit ist es möglich, den Betroffenen künftig deutlich früher Behandlungsangebote zu machen und so hoffentlich das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen.
Um diese Diagnose zu stellen, muss aber gesichert sein, dass die Beeinträchtigung tatsächlich auf die Alzheimer-Krankheit zurückzuführen ist. Die neue Leitlinie empfiehlt, dafür unter anderem per Liquordiagnostik Biomarker zu bestimmen.
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Biomarker-Diagnostik
Über die Rückenmarksflüssigkeit können Pathologien im Bereich der Amyloide und der Tau-Proteine nachgewiesen werden, die ursächlich für die Alzheimer-Erkrankung sind. So kann Alzheimer diagnostiziert werden, auch wenn die Symptomatik noch nicht voll ausgeprägt ist. Neu aufgenommen wurde eine Empfehlung zur Biomarker-Diagnostik im Blut. Neue Studien zeigen gute diagnostische Werte für die ersten blutbasierten Biomarker für die Alzheimer-Erkrankung. Allerdings müssen diese Tests weiter evaluiert werden, bevor sie Einzug in den klinischen Alltag erhalten und die bisherige Diagnostik ersetzen können.
Diagnostische Verfahren zur Unterscheidung von Demenzformen
Welche Diagnoseverfahren helfen, Demenzformen zu unterscheiden? Welche weiteren Untersuchungen sinnvoll sind, hängt von der vermuteten Demenzform ab. Bei der Alzheimer-Diagnostik steht der Nachweis bestimmter Biomarker im Vordergrund - etwa im Nervenwasser (Liquor) oder Blut. Bei anderen Demenzformen kommen teilweise andere Verfahren zum Einsatz.
Einige Beispiele:
- Alzheimer-Krankheit: Der Nachweis bestimmter Proteine (Amyloid-beta, Tau) im Nervenwasser oder Blut kann die Diagnose absichern. Für eine Behandlung mit Leqembi ist dieser Nachweis eine zentrale Voraussetzung.
- Frontotemporale Demenz: Bildgebende Verfahren (MRT) sind besonders wichtig, um den für diese Form typischen Abbau im Stirn- oder Schläfenlappen zu erkennen. Bei unklarem Befund können PET- oder SPECT-Untersuchungen sinnvoll sein. Bei familiärer Vorbelastung wird eine genetische Beratung empfohlen.
- Lewy-Körperchen-Demenz: Hier helfen zusätzliche Untersuchungen, etwa zur Beweglichkeit oder zum Schlafverhalten. Auch spezielle bildgebende Verfahren wie DAT-SPECT oder MIBG-Szintigrafie können zum Einsatz kommen. Typische Symtpome wie Halluzinationen oder Schwankungen in der Aufmerksamkeit werden gezielt abgefragt oder getestet.
- Vaskuläre Demenz: Die Diagnose basiert auf MRT-Aufnahmen, die Durchblutungsstörungen, Gefäßveränderungen oder Schlaganfälle zeigen. Wichtig ist dabei, ob sich die Veränderungen im Gehirn mit den beobachten kognitiven Einschränkungen erklären lassen. Auch medizinische Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder Diabetes werden bei der Abklärung einbezogen.
Auch psychologische Testverfahren können helfen, Demenzformen voneinander zu unterscheiden.
Die Rolle von Bluttests in der Demenzdiagnostik
Dank der Fortschritte in der Forschung ist es mittlerweile möglich, die Alzheimer-Krankheit auch per Bluttest zu erkennen. Allerdings können Bluttests die etablierten Diagnoseverfahren bislang noch nicht ersetzen.
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Warum eine frühe Diagnose hilft
Die meisten Menschen mit Gedächtnisstörungen sind stark verunsichert. Viele verbergen oder überspielen ihre Schwächen, nicht selten werden sie dabei von engen Angehörigen unterstützt.
Therapieansätze und Empfehlungen der Leitlinie
Mit einer guten medizinischen, pflegerischen und therapeutischen Versorgung kann das Fortschreiten der Demenz verlangsamt, die Symptomlast verringert und die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen verbessert werden.
Bezüglich psycho- und soziotherapeutischer Therapieoptionen wurden neue Empfehlungen in die Living Guideline aufgenommen. So wird jetzt eine kognitive Verhaltenstherapie zur Behandlung der Depression auch bei leichter kognitiver Störung empfohlen. Es stehen glücklicherweise viele Optionen bereit, Patientinnen und Patienten ganzheitlich zu behandeln und so auch mögliche depressive Symptome bei einer Demenz zu lindern.
Palliativversorgung zur Verbesserung der Lebensqualität
Auf die Verbesserung der Lebensqualität zielt auch ein gänzlich neues Kapitel der Leitlinie ab. Erstmals empfehlen wir an Demenz erkrankten Personen und ihren Angehörigen auch Maßnahmen der palliativen Versorgung, um schwerem Leid vorzubeugen und es zu lindern. Ab wann eine Palliativversorgung in Anspruch genommen werden kann, ist derzeit nicht klar definiert.
Expertenstandards in der Pflege
Der Expertenstandard Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz fördert Akzeptanz, Vertrauen und Respekt in der Beziehungsgestaltung. Menschen sind soziale Wesen, und dies gilt besonders für Menschen mit Demenz, die trotz kognitiver Beeinträchtigungen emotionale Beziehungen brauchen.
Der Expertenstandard „Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege“ hat das Ziel, die Mobilität von pflegebedürftigen Menschen zu erhalten und zu fördern, um deren Selbstständigkeit, Lebensqualität und gesellschaftliche Teilhabe zu verbessern. Mobilität ist eine grundlegende Voraussetzung für die Selbstständigkeit und Lebensqualität pflegebedürftiger Menschen. Bewegungsmangel und Mobilitätseinbußen sind zentrale Risikofaktoren für schwerwiegende Gesundheitsprobleme und tragen maßgeblich zur Entstehung von Pflegebedürftigkeit bei.
Planung und Umsetzung von Maßnahmen:- Individuelle Maßnahmen zur Mobilitätserhaltung und -förderung planen und in Abstimmung mit dem pflegebedürftigen Menschen und ggf. Kooperation und Abstimmung mit anderen Berufsgruppen (z. B. Der Expertenstandard dient als Leitfaden für Pflegefachkräfte und Pflegeeinrichtungen, um eine bedarfsgerechte und wirksame Pflege zur Erhaltung und Förderung der Mobilität sicherzustellen.
Vermeidung von freiheitseinschränkenden Maßnahmen
Die Leitlinie zur Vermeidung von freiheitseinschränkenden Maßnahmen (FEM) in der beruflichen Altenpflege fokussiert sich auf verschiedene Interventionen und deren Wirksamkeit. Es werden sowohl personenzentrierte als auch umgebungsbezogene Ansätze beleuchtet. Spezielle Betreuungseinheiten können die Anwendung von FEM reduzieren und psychomotorische Verhaltensweisen positiv beeinflussen.
Einwilligung von Menschen mit Demenz in medizinische Maßnahmen
Die Leitlinie zur „Einwilligung von Menschen mit Demenz in medizinische Maßnahmen“ zielt darauf ab, die Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung von Demenzkranken in medizinischen Entscheidungssituationen zu sichern. Die Leitlinie bietet umfassende Empfehlungen zur Aufklärung, zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit und zur Assistenz bei Entscheidungen. Besondere Betonung wird auf die Gestaltung der Entscheidungskontexte gelegt, um die bestmögliche Partizipation der Patienten zu gewährleisten. Auf die Vergabe von Evidenz- und Empfehlungsgraden wurde verzichtet, da keine systematische Evidenzaufbereitung vorliegt.
Digitale Verfügbarkeit und Aktualisierung der Leitlinie
Die neue Leitlinie wird erstmals nicht nur als Textdokument veröffentlicht, sondern auch in digitaler Form als sogenannte Living Guideline. Jedes Jahr erhalten fast 450.000 Menschen in Deutschland die Diagnose Demenz, aktuell sind 1,8 Millionen Menschen erkrankt. Die digitale Darstellung ermöglicht es allen Interessierten, unmittelbar auf die Leitlinie und jede einzelne Empfehlung zuzugreifen. Auch die Studien, die den Empfehlungen zugrunde liegen, können direkt aus der App heraus aufgerufen werden.
Ein weiterer Vorteil der digitalen Leitlinie: Neue Erkenntnisse können schnell in die Empfehlungen aufgenommen werden, sobald ihre Wirksamkeit nachgewiesen ist. So können Betroffene künftig bereits früher mit neuartigen Therapien behandelt werden. Die Hauptautoren der Leitlinie sind zuversichtlich, dass auch die derzeit rasanten Fortschritte in der Diagnostik und Behandlung der Alzheimer-Demenz schon bald in die digitale Leitlinie einfließen werden. Empfehlungen für die nach dem aktuellen Wissenstand optimale Diagnostik und Therapie werden seit 2023 kontinuierlich als Living Guideline in der S3-Leitlinie Demenzen veröffentlicht.
Die neue Leitlinie wird erstmals nicht nur als Textdokument erscheinen, sondern auch in digitaler Form in der nicht-kommerziellen Web-Plattform MAGICapp veröffentlicht. Via MAGICapp werden aktuell bereits mehr als 200 internationale Leitlinien präsentiert.
Nicht in die Aktualisierung der Living Guideline aufgenommen wurden Empfehlungen zu einer möglichen Behandlung mit den in anderen Ländern bereits zugelassenen Antikörpern Lecanemab und Donanemab.
Forschung zur Demenzdiagnostik der Zukunft
Weltweit arbeiten Demenzforscherinnen und -forscher daran, die Diagnostik von Demenzerkrankungen zu verbessern. Ein wichtiges Ziel ist es, Demenzerkrankungen wie Alzheimer früher zu erkennen. Ein weiteres wichtiges Forschungsfeld ist die korrekte Abgrenzung von Demenzerkrankungen. Während die Alzheimer-Krankheit mittlerweile sehr gut zu Lebzeiten eindeutig diagnostiziert werden kann, sind andere, seltenere Demenzen diagnostisch nach wie vor eine Herausforderung, zum Beispiel die Frontotemporale Demenz oder die Chronisch Traumatische Enzephalopathie (CTE), die durch Kopfverletzungen hervorgerufen wird. Hier kann oft erst eine Untersuchung des Gehirns nach dem Tod endgültig Gewissheit bringen. Die Forschung arbeitet daran, auch diese Diagnosen frühzeitig und eindeutig zu ermöglichen.
Erstgespräch und weitere diagnostische Schritte
Wenn sich das Gedächtnis oder andere kognitive Fähigkeiten dauerhaft und auffällig verschlechtern, ist die erste Anlaufstelle meist die hausärztliche Praxis. Zunächst findet ein Anamnese-Gespräch statt: Die Ärztin oder der Arzt fragt nach aktuellen Beschwerden, Vorerkrankungen, Medikamenten und möglichen Risikofaktoren. Im Anschluss an das Gespräch folgt eine allgemeine körperliche Untersuchung. Kognitive oder auch neuropsychologische Tests können wichtige Hinweise auf das Vorliegen einer Demenzerkrankung geben.
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