Erhöhen Protonenpumpenhemmer das Demenzrisiko? Eine umfassende Analyse

Protonenpumpenhemmer (PPI) sind weltweit verbreitete Medikamente, die zur Reduzierung der Magensäure eingesetzt werden. Sie werden oft großzügig bei leichten Magenbeschwerden und Sodbrennen eingenommen. Obwohl PPI nicht für den Dauergebrauch zugelassen sind, ist dieser nicht selten. In den letzten Jahren gab es wiederholt Hinweise aus Studien, dass die Einnahme von PPI mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden sein könnte. Allerdings konnten andere Erhebungen, darunter auch zwei jüngere Metaanalysen, dies nicht bestätigen.

Die Rolle von Protonenpumpenhemmern

PPI reduzieren die Magensäureproduktion und werden zur Behandlung der gastroösophagealen Refluxkrankheit (GERD) und von Magengeschwüren eingesetzt. Empfohlen wird eine Behandlungsdauer von 4-8 Wochen. Obwohl PPI nicht für den Dauergebrauch zugelassen sind, ist ihre chronische Einnahme weit verbreitet. In kleinen Mengen sind die Tabletten rezeptfrei erhältlich, aber auch die Verschreibungen haben in den letzten Jahrzehnten weltweit zugenommen. So hat sich beispielsweise der PPI-Einsatz in den USA von 2002 bis 2009 verdoppelt.

Kontroverse um chronische Einnahme und Demenzrisiko

Seit einiger Zeit wird die chronische Einnahme von PPI mit verschiedenen chronischen Erkrankungen in Verbindung gebracht, darunter Herz-Kreislauf- und Gefäßerkrankungen, chronische Nierenerkrankungen und Demenz. Die bisherigen Studien zum Zusammenhang zwischen PPI-Konsum und Demenz lieferten widersprüchliche Ergebnisse. Zwei aktuelle Metaanalysen konnten den Zusammenhang nicht bestätigen. Allerdings wird die Qualität dieser Metaanalysen aus verschiedenen Gründen kritisiert, beispielsweise wegen der Heterogenität der eingeschlossenen Studien. In vielen Studien lag der Fokus nicht auf der Langzeit-PPI-Exposition, sondern auf kurzfristiger oder jeglicher Verwendung während der Nachbeobachtungszeit. Da die Entwicklung einer Demenz eine lange Latenzzeit aufweist, erscheint es sinnvoll, die kumulative Exposition (langfristig, aber auch regelmäßig kurzfristig) zu untersuchen.

Aktuelle Forschungsergebnisse der ARIC-Studie

Eine aktuelle Studie untersuchte daher, ob eine längere kumulative PPI-Exposition mit einem höheren Risiko für Demenzerkrankungen einhergeht. Die verwendeten Daten stammen aus der prospektiven bevölkerungsbasierten longitudinalen ARIC-Studie („Atherosclerosis Risk in Communities“). Diese Langzeitstudie hat die umfassende Untersuchung der Ätiologie von Atherosklerose, kardiovaskulären Risikofaktoren sowie deren klinischen Folgen zum Ziel.

Studiendesign und Methodik

Der PPI-Gebrauch wurde anhand einer visuellen Medikamentenerfassung bei sieben planmäßigen Klinikbesuchen zwischen 1987 und 2019 und jährlichen Studientelefonaten (ab 2012 halbjährlich) ermittelt. Die vorliegende Studie verwendet die ARIC-Visite 5 (2011 - 2013) als Basis, da ab dieser Zeit der PPI-Einsatz üblich war. Die PPI-Exposition wurde auf zwei Arten erfasst: aktuelle Verwendung bei Besuch 5 und Häufigkeit und Dauer der Verwendung vor Besuch 5. Bei Besuch 5 konnten (insgesamt 6.538 untersuchte Teilnehmende) 5.712 Personen ohne Demenz (Durchschnittsalter 75,4±5,1 Jahre; 58 % weiblich) in die Analyse einbezogen werden. Studienendpunkt war die Demenzinzidenz nach Visite 5, die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 5,5 Jahre. Die Ergebnisse wurden hinsichtlich demografischer Faktoren, Begleiterkrankungen und Begleitmedikationen statistisch adjustiert.

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Ergebnisse der Studie

Die niedrigste kumulative PPI-Exposition aller Teilnehmenden betrug 112 Tage, die maximale 20,3 Jahre. Bei 585 Teilnehmenden wurde während des Follow-up eine Demenzdiagnose gestellt. Personen, die bei Besuch 5 aktuell PPI verwendeten, hatten kein höheres Demenzrisiko als diejenigen, die keine PPIs verwendeten. Personen mit einer kumulativen PPI-Einnahme von mehr als 4,4 Jahren vor Visite 5 hatten allerdings ein um 33% höheres Risiko (HR: 1,3) als diejenigen ohne PPI-Gebrauch. Assoziationen zum Demenzrisiko.

Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN)

„Die Ergebnisse dieser Studie sind als Sicherheitssignal bei häufiger PPI-Einnahme ernst zu nehmen. Weitere Forschung ist aber dringend notwendig, um die Zusammenhänge zwischen dem kumulativen PPI-Einsatz und der Entwicklung von Demenz zu sichern und vor allem die Kausalität zu verstehen“, so Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über 11.500 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin.

Weitere Studienergebnisse und Perspektiven

Eine deutsche Studie aus dem Jahr 2015, die German Study on Aging, Cognition and Dementia in Primary Care Patients (AgeCoDe), zeigte, dass Senioren, die PPI einnahmen, im Verlauf der folgenden Jahre signifikant häufiger eine Demenz entwickelten als Senioren ohne PPI-Einnahme (Hazard-Ratio [HR] 1,38; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,04-1,83). Eine Erklärung für diese Assoziation bieten die unter PPI verminderte Vitamin-B12-Resorption und der damit vor allem bei Älteren einhergehende kognitive Abbau. Außerdem zeigten Experimentalstudien, dass PPI die Beta-Amyloid-Spiegel in den Gehirnen von Mäusen ansteigen ließen.

Registerstudie der AOK

Eine Registerstudie mit Daten der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) kam zu ähnlichen Ergebnissen. In die Analyse wurden AOK-Versicherte im Alter von über 75 Jahren einbezogen, die zu Beginn des ausgewerteten Zeitraums von 2004 bis 2011 noch keine Demenz hatten und von denen Arzneimittelverordnungen kontinuierlich über ein mindestens 18-monatiges Intervall verfolgt werden konnten. Patienten mit einer regelmäßigen PPI-Verordnung hatten im Vergleich zu den übrigen Patienten ohne PPI-Verordnung mit einem Hazard-Ratio von 1,44 (95%-KI 1,36-1,52; p<0,001) ein signifikant erhöhtes Risiko für eine Demenz.

Kritik und alternative Erklärungen

Es gibt auch kritische Stimmen, die darauf hinweisen, dass der Zusammenhang zwischen einer PPI-Verordnung und einer Demenzentwicklung möglicherweise nur indirekt kausal ist. Epidemiologische Studien zeigen, dass Personen, denen Protonenpumpenhemmer verordnet werden, insgesamt einen schlechteren Gesundheitsstatus haben und damit auch ein erhöhtes Demenzrisiko aufweisen. So könnten beispielsweise Übergewicht, hoher Alkoholkonsum und damit einhergehende metabolische Erkrankungen bereits primäre Risikofaktoren für demenzielle Erkrankungen sein.

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Metaanalyse und Beobachtungsstudie

Nach einer neueren Analyse scheint die PPI-Einnahme das Risiko für eine Demenzentwicklung nicht zu erhöhen. In die Beobachtungsstudie waren 14.267 Patienten, die keine PPI/H2*-Rezeptorantagonisten einnahmen, sowie 4.667 Patienten unter Therapie mit Protonenpumeninhibitoren und 368 Patienten unter Therapie mit H2-Rezeptorantagonisten eingeschlossen. Es konnte keine Assoziation zwischen der Einnahme von PPI und der Entwicklung einer Demenz festgestellt werden.

Praktische Implikationen und Empfehlungen

Trotz der widersprüchlichen Ergebnisse sollte die Indikation zur Langzeitverordnung von PPI sorgfältig gestellt werden. Eine längerfristige Behandlung mit PPI ohne gesicherte Indikation sollte nicht erfolgen. Patienten sollten auf mögliche Risiken beim Langzeitgebrauch hingewiesen werden - auch in den Apotheken. Es werden noch immer zu häufig PPI-Präparate verschrieben. Unseren Untersuchungen zufolge entsprechen nur rund 40 Prozent der PPI-Anwendungen den Leitlinien.

Wirkmechanismus von PPI und mögliche Folgen der Dauereinnahme

PPI wie Omeprazol gehören zu den am häufigsten verordneten Arzneimitteln. Die Wirkstoffe werden überwiegend zur Behandlung säureassoziierter Erkrankungen eingesetzt und gelangen nach der Resorption im Magen-Darm-Trakt über die Blutbahn an die Belegzellen der Magenschleimhaut. Dort ist auch das Enzym H+/K+-ATPase, die sogenannte Protonenpumpe, zu finden. Sie transportiert Protonen in das Mageninnere, während im Austausch Kaliumionen in die Zelle gelangen. PPI bilden eine Disulfidbrücke mit der H+/K+-ATPase, wodurch diese irreversibel gehemmt wird. Die Entstehung von Salzsäure wird effektiv gehemmt und infolgedessen der pH-Wert im Magen angehoben. Trotz der recht kurzen Halbwertszeit von circa 90 Minuten wirken PPI deutlich länger, da die Säuresekretion erst wieder durch die Synthese neuer H+/K+-ATPase stattfinden kann. Täglich werden etwa 20 Prozent der Protonenpumpen neu gebildet.

Unter der Dauereinnahme von PPI kommt es häufiger zu Demenz. Je länger die Anwendung, desto größer fällt das Risiko aus. Was der Grund für den unerwünschten Effekt von Omeprazol & Co. ist, muss laut den Forschenden noch weiter untersucht werden.

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