Demenz und ständiges Reden: Ursachen und Umgangsstrategien

Das ständige Reden, Schreien oder aggressive Verhalten von Menschen mit Demenz stellt eine immense Herausforderung für Angehörige, Pflegekräfte und Mitbewohner dar. Die Zahl der Demenzerkrankten in Deutschland steigt täglich um mehr als 100 Menschen an, was den Umgang mit den schwindenden kommunikativen Möglichkeiten der Betroffenen zu einer wachsenden Herausforderung macht. Dieser Artikel beleuchtet die möglichen Ursachen für das Phänomen des ständigen Redens bei Demenz und bietet einen Überblick über verschiedene Strategien, um Betroffenen und ihren Bezugspersonen den Alltag zu erleichtern.

Was ist Demenz?

Demenz ist eine der häufigsten psychischen Erkrankungen im Alter, gekennzeichnet durch eine Verschlechterung der Leistungsfähigkeit des Gehirns. Betroffen sind vor allem das Gedächtnis, das Denken, die Wahrnehmung und die Sprache. Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Form der Demenz, bei der Eiweißablagerungen im Gehirn zum Absterben von Nervenzellen führen. Die zweithäufigste Form ist die vaskuläre Demenz, die durch Durchblutungsstörungen im Gehirn verursacht wird.

Eine fortschreitende Demenz beeinträchtigt in wachsendem Maße das Gedächtnis, das Denken im Allgemeinen, die Wahrnehmung sowie die Sprache. Pflegende, Therapeutinnen und Therapeuten sowie Angehörige sind mitunter hilflos. Am besten untersucht ist die Alzheimerdemenz, die mit 50 bis 60 Prozent die Mehrheit der 1,7 Millionen Erkrankungen in Deutschland ausmacht. Sie beginnt mit Wortfindungs- und Benennstörungen, bei Tests mit Bildmotiven werden semantisch verwandte oder ähnliche Wörter genannt. Besonders schwer fallen den Patientinnen und Patienten relativ neu erlernte, weniger geläufige Wörter. Auch die Störungen von Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeit, Sprachverständnis und -geschwindigkeit beeinträchtigen den sprachlichen Austausch. Die Sprachdefizite entwickeln sich individuell, doch einige Studien zeigen auch einen Zusammenhang zwischen der Ausprägung der Demenz und der Sprachstörung. Gelingende Kommunikation mit diesen Patienten wirkt deren Rückzug und Vereinsamung entgegen.

Ursachen für ständiges Reden bei Demenz

Wenn Menschen mit Demenz anhalten schreien und rufen, ist das für alle eine Belastungsprobe. Wenn und weshalb Menschen mit Demenz anhaltend schreien, kann viele Gründe haben. Möglicherweise ist das Phänomen rein dem pathologischen Prozess eines Hirnbereichs geschuldet. Dies wird allzuoft als alleinige Ursache angenommen - und da kann man eben bei einer Demenz nichts machen. Oder? Diesen Ursachen auf den Grund zu gehen ist eine der Aufgaben. Nicht immer ist dies von Erfolg gekrönt oder abschließend möglich.

Das ständige Reden bei Demenz kann verschiedene Ursachen haben, die sowohl körperlicher als auch psychosozialer Natur sein können:

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  • Körperliche Ursachen: Schmerzen, Hunger, Durst, unzureichender Schlaf oder beginnende Infekte können Auslöser sein. Gerade bei Demenz sind Schmerzen ein absolut unterschätztes Thema. Menschen mit Demenz haben zum einen Schwierigkeiten, Schmerzen zu identifizieren - sie merken zwar ein körperliches Unwohlsein, aber selten können sie es selbst als Schmerz erkennen oder sich dazu artikulieren. Oftmals zeigen Menschen mit Demenz bei Schmerz auch ein paradoxes Verhalten. Sie laufen zum Beispiel, obwohl sie einen Bewegungsschmerz haben.
  • Psychosoziale Ursachen: Unruhe, Stress, Angst, Überforderung, Einsamkeit oder das Gefühl, nicht verstanden zu werden, können zu vermehrtem Redebedürfnis führen. Menschen mit demenziellen Veränderungen können sich manchmal nicht richtig ausdrücken, fühlen sich unverstanden, sind gestresst, verängstigt, frustriert oder überfordert.
  • Neurologische Ursachen: Die fortschreitende Schädigung des Gehirns kann die Sprachsteuerung und Impulskontrolle beeinträchtigen, was zu unkontrolliertem Reden führen kann.
  • Nicht erfüllte Bedürfnisse: Der Wunsch nach mehr Aufmerksamkeit, das Bedürfnis nach Sicherheit und Nähe können ebenfalls eine Rolle spielen.

Umgangsstrategien und Kommunikationsansätze

Pflegefachleute sollten daher „zweigleisig fahren“: einerseits ist die Frage „Warum schreit der Patient?“ übergeordnet wichtig; zugleich können jedoch Versuche unternommen werden, insbesondere wenn körperliche Schmerzen so gut als möglich ausgeschlossen wurden, das Verhalten zu dämpfen, in aushaltbare Bahnen zu lenken oder es sogar ganz zurückzudrängen. Dabei gilt es oft, ein Bündel von Maßnahmen auszuprobieren. Wichtig ist, dass dies systematisch geschieht und auch (kleine) Erfolge dokumentiert werden. Nur so gewinnt Pflege Ausgangspunkte für weiteres Vorgehen und kann an Dritte weitergeben, was zu tun ist. In diesem Zusammenhang muss ich aus der Erfahrung in der Arbeit in vielen Einrichtungen erwähnen: es geht um Versuch und Irrtum. Die Pfeile und deren Anordnung, ebensowenig die enthaltenen Stichpunkte stellen eine Gewichtung (Reihenfolge) dar und auch keine einzelfallbezogenen Empfehlungen.

Wichtig ist die HaltungMenschen, die mit demenziell Erkrankten umgehen, können sich kommunikative Fähigkeiten für diese Situation aneignen. Grundlage ist eine Haltung von Respekt, Anerkennung, Verständnis und Nähe. Emotionen sind offensichtlich sehr bedeutsam für Demenzpatienten. Sie nehmen nonverbale und emotionale Zeichen sensibel wahr und kommunizieren darüber. Eine gute Beziehungspflege kann in allen Stadien der Demenz die Symptome mildern. Ebenso können negative Momente in der Beziehung zu ihrer Verstärkung führen. Zu diesen Symptomen zählen Unruhe, Angst, ständiges Umherlaufen, Depressionen, Apathie, Aggressionen, das Gefühl bestohlen worden zu sein, Schlafstörungen, Wahn oder Halluzinationen.

Um den Umgang mit Menschen mit Demenz und ständigem Redebedürfnis zu erleichtern, können verschiedene Strategien angewendet werden:

  • Ursachenforschung: Versuchen Sie, die Ursache für das ständige Reden zu identifizieren. Beobachten Sie, in welchen Situationen das Reden auftritt und welche Bedürfnisse möglicherweise nicht erfüllt sind.
  • Schaffen einer ruhigen Umgebung: Reduzieren Sie Lärm und Stress, um Überforderung zu vermeiden. Eine strukturierte Tagesroutine mit festen Zeiten für Mahlzeiten, Aktivitäten und Ruhephasen kann Sicherheit geben.
  • Aktive Kommunikation: Sprechen Sie langsam, deutlich und in kurzen Sätzen. Wiederholen Sie wichtige Informationen und geben Sie dem Betroffenen Zeit, das Gesagte zu verarbeiten. Vermeiden Sie es, den Betroffenen auf Fehler hinzuweisen oder zu korrigieren.
  • Nonverbale Kommunikation: Achten Sie auf nonverbale Signale wie Mimik, Gestik und Körperhaltung. Berührungen, wie Streicheln oder eine Umarmung, können beruhigend wirken.
  • Validation: Nehmen Sie die Gefühle und Bedürfnisse des Betroffenen ernst und bestätigen Sie sie. Auch wenn die Äußerungen des Betroffenen nicht der Realität entsprechen, sollten Sie nicht widersprechen, sondern versuchen, die dahinterliegenden Emotionen zu verstehen.
  • Ablenkung: Bieten Sie dem Betroffenen alternative Aktivitäten an, die ihn ablenken und beruhigen. Das können Spaziergänge, Musik hören, Vorlesen oder gemeinsame Spiele sein.
  • Beschäftigung: Fördern Sie die geistige und körperliche Aktivität des Betroffenen. Erinnerungspflege mit Fotos, Geschichten und Gegenständen aus der Vergangenheit kann positive Emotionen wecken.
  • Individuelle Anpassung: Passen Sie die Umgebung und die Kommunikation an die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten des Betroffenen an. Berücksichtigen Sie seine Lebensgeschichte, Vorlieben und Abneigungen.

Kommunikationsmethoden:

  • FOCUSED-Methode:

    • Face to face: Blickkontakt aufnehmen.
    • Orientation: Wichtige Begriffe wiederholen.
    • Continuity: Gesprächsthemen nicht abrupt wechseln.
    • Unsticking: Bei Wortfindungsproblemen helfen.
    • Structure: Kurze, geschlossene Fragen stellen.
    • Exchange: Mit angenehmen Themen beginnen.
    • Direct: Kurze, einfache Sätze wählen.
  • ABC-Methode (bei aggressivem Verhalten):

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    • Avoid confrontation: Konfrontationen vermeiden.
    • Be practical: Vorausschauend agieren.
    • Clarify the feelings and comfort: Gefühle verbalisieren und trösten.

Medikamentöse Behandlung

Als Demenzbeauftragte eines Krankenhauses ist es wichtig, ein systematisches Vorgehen zu etablieren. Allzu schnell wird die Verantwortung sonst der Ärzteschaft übergeben, die häufig wiederum versucht mit dem Einsatz verschiedener Medikamente eine Beruhigung herbeizuführen. Nicht selten um den Preis, dass Betroffene so stark sediert werden, dass sie zwar nicht mehr schreien - aber auch sonst nichts weiter tun können. Patienten mit Demenz im medikamentösen Dämmerschlaf zu entlassen, kann jedoch nicht Ihr Ziel als Demenzbeauftragte sein. Keinesfalls soll dies bedeuten, dass Medikamente nicht sinnvoller Teil der Behandlung sein können und ihre Berechtigung haben.

Medikamente bei Demenz sollten nur eingesetzt werden, wenn andere Behandlungen ohne Medikamente nicht geholfen haben und wenn die Gefahr besteht, dass die Person mit Demenz sich selbst oder andere gefährdet. Es sollte ein Plan mit nicht-medikamentösen und medikamentösen Methoden erstellt werden. Die medikamentöse Behandlung sollte nicht nur das Problem, zum Beispiel die Aggressivität, behandeln, sondern auch die Ursache. Bevor Medikamente für die Psyche gegeben werden, sind andere Krankheiten zu behandeln. Diese Medikamente sollten nur für eine begrenzte Zeit eingesetzt werden, wenn andere Hilfen versagt haben oder wenn ernsthafte Probleme wie Wahnvorstellungen oder Gefährdung bestehen. Der Einsatz von Psychopharmaka und Medikamente aller Art bei Demenz bedarf der fachärztlichen Erfahrung und Kompetenz. Die medizinische Wissenschaft hat dafür eine spezielle Regel erstellt (S3-Behandlungsleitlinie „Demenzen“ der medizinischen Fachgesellschaften).

In einigen Fällen kann eine medikamentöse Behandlung erforderlich sein, um das ständige Reden oder begleitende Symptome wie Unruhe, Angst oder Aggression zu reduzieren. Dabei kommen vor allem Neuroleptika (z.B. Risperidon, Haloperidol) oder Antidepressiva zum Einsatz. Die medikamentöse Behandlung sollte jedoch immer unter strenger ärztlicher Aufsicht erfolgen, da Psychopharmaka Nebenwirkungen haben und die Ursache des Problems nicht beseitigen.

Herausforderndes Verhalten und Aggression

Schreien, ständiges Rufen und aggressives Verhalten von Menschen mit Demenz können für Mitarbeitende, aber auch Angehörige und Mitbewohnende sehr herausfordernd sein. Es lohnt zu entschlüsseln, was sich hinter diesem Verhalten verbirgt, sagt Demenzexperte André Hennig. Oft sind körperliche Ursachen oder nicht erfüllte Bedürfnisse die auslösenden Gründe für das herausfordernde Verhalten.

Im Zusammenhang mit Demenz treten immer wieder Verhaltensweisen auf, die belastend sind für die Angehörigen oder Betreuungskräfte im Rahmen der sogenannten 24-Stunden Pflege. Zu diesen Verhaltensweisen zählen zum Beispiel das Verlegen bzw. Verstecken von Gegenständen, Hin- und Weglaufen, nächtliche Unruhe, lautes Schreien, Aggressionen, Teilnahmslosigkeit oder anhängliches Verhalten. Auf Grundlage der Konzepte von Naomi Feil und Tom Kitwood ist nahezu jede Verhaltensweise einer demenzerkrankten Person aus ihrer Biografie oder der aktuellen Lebenssituation erklärbar. Häufig liegen dem herausfordernden Verhalten nicht befriedigte Grundbedürfnisse oder nicht verarbeitete vergangene Ereignisse zugrunde. Negative Gefühle wie Wut und Trauer, die aus Belastungen und Herausforderungen, aus dem vergangenen Leben und der jetzigen Lebenssituation entstanden sind und nicht ausgelebt wurden, können lange unterdrückt werden. Im Rahmen einer Demenz ist ein Verdrängen aber nicht mehr möglich. Um den Betroffenen zu verstehen, bedarf es viel Empathie und Geduld.

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Aggressives Verhalten bei Menschen mit Demenz kann sehr unterschiedlich ausfallen und verschiedene Symptome umfassen. Aggressives Verhalten bei Menschen mit Demenz kann durch Frustration, Schmerz oder Verwirrung ausgelöst werden. Der nicht-medikamentöse Ansatz zur Behandlung von „Aggressionen bei Demenz“ sollte immer zuerst gewählt werden. Wenn die Person auf bestimmte Reize mit Aggression reagiert, kann ein Verhaltensplan helfen, diese Reize zu vermeiden oder darauf zu reagieren. Die Anpassung der Wohn- oder Pflegeumgebung kann wesentlich zur Beruhigung beitragen. Die Schulung von Angehörigen oder Pflegekräften im Umgang mit Demenz kann ihnen helfen, Warnzeichen zu erkennen und proaktiv zu handeln. Manche Demenzkranke reagieren positiv auf Musik. Ein Ergotherapeut kann Aktivitäten entwickeln, die sowohl stimulierend als auch beruhigend wirken. In manchen Fällen kann der Umgang mit Tieren eine beruhigende Wirkung haben. Die Angehörigen können versuchen, eine demenzgerechte Raumgestaltung einzusetzen, so dass Verlockungen wie Türen weniger einladend wirken. Zum Beispiel kann eine Tür mit einem großformatigen Bild eines Bücherregals verdeckt werden. Mangelnde Impulskontrolle, Angstzustände, Wahnvorstellungen und Halluzinationen bei Demenz sind komplexe Symptome, die auf die Erkrankung des Gehirns zurückzuführen sind.

Umgang mit Aggressionen:

  • Deeskalation: Bewahren Sie Ruhe und sprechen Sie langsam und deutlich. Vermeiden Sie es, den Betroffenen festzuhalten oder zu bedrängen.
  • Ablenkung: Bieten Sie dem Betroffenen eine alternative Aktivität an, um ihn von der aggressiven Situation abzulenken.
  • Raum verlassen: Verlassen Sie den Raum, wenn die Situation eskaliert und Sie sich nicht mehr sicher fühlen.
  • Professionelle Hilfe: Holen Sie sich professionelle Hilfe, wenn Sie mit dem aggressiven Verhalten des Betroffenen überfordert sind.

Unterstützung für Angehörige und Pflegekräfte

Ohne systematisches Vorgehen von Pflegefachleuten wird die Versorgung durch Angehörige häufig unmöglich. Aber auch im Pflegeheim oder in Kliniken sind diese Patienten nicht wohlgelitten.

Die Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz ist eine große Herausforderung, die oft mit emotionaler und körperlicher Belastung verbunden ist. Es ist wichtig, dass Angehörige und Pflegekräfte sich Unterstützung suchen und auf ihre eigene Gesundheit achten.

Unterstützungsangebote:

  • Beratungsstellen: Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft und andere Organisationen bieten kostenlose Beratungen und Informationen für Angehörige und Betroffene an.
  • Pflegekurse: In Pflegekursen können Angehörige und Pflegekräfte lernen, wie sie Menschen mit Demenz besser verstehen und versorgen können.
  • Selbsthilfegruppen: In Selbsthilfegruppen können sich Angehörige und Betroffene austauschen und gegenseitig unterstützen.
  • Entlastungsangebote: Tagesbetreuung, Kurzzeitpflege oder ein ambulanter Pflegedienst können Angehörige entlasten und ihnen Zeit für sich selbst ermöglichen.

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